Eine gekrönte Dichterin
„Es soll der Sänger mit dem König gehen,
Denn beide stehen auf der Menschheit Höhen.“
So singt Schiller. Doch es giebt ja auch der Beispiele genug, daß die Könige selbst Sänger sind, von dem großen Psalmendichter der Juden bis zum König Ludwig I. von Bayern und den schwedischen Enkeln Bernadotte’s. Neuerdings haben die Gedichte einer Königin deutscher Herkunft großes Aufsehen erregt: wir meinen die Königin Elisabeth von Rumänien, die als Dichterin unter dem Namen Carmen Sylva aufgetreten ist. Das Interesse wurde gesteigert durch alles, was man sonst von dieser Fürstin hörte, welche nicht bloß Geist und Phantasie, sondern einen tüchtigen Charakter bewährte und für das Wohl ihres Volkes, so weit dies einer Regentin möglich, in eben so aufgeklärter wie aufopfernder Weise sorgt.
An den Ufern des Rheinstroms stand ihre Wiege: im Schlosse zu Neuwied wurde Prinzessin Elisabeth zu Wied am 29. December 1844 geboren. Die Fürsten von Wied waren stets tapfere Patrioten gewesen und hatten sich dem Rheinbunde nicht angeschlossen; zwei von ihnen waren auf den Schlachtfeldern der Befreiungskriege gefallen; ein Prinz Maximilian von Wied hatte sich als Reisender in Amerika und als Naturforscher einen Namen gemacht. Der Vater der Prinzessin war selbst Philosoph und hat mehrere Werke über Fragen geschrieben, welche noch die Gegenwart beschäftigen: wohl möglich, daß sie von ihrem Vater die Neigung zu ernster Gedankenarbeit geerbt, denn als Dichterin ist sie stets auch Denkerin mit großen Zielen und Tendenzen und hat sich niemals bloß jener zierlichen Porzellanmalerei hingegeben, mit welcher die Muse der „Stillen im Lande“, der beschränkten Gefühlspoeten, hausiren geht. Wohl aber mochten die heiteren Rheinlande mit ihrem großen fröhlichen Strom, ihren anderen landschaftlichen Reizen, zu denen auch der geheimnißvolle Zauber ihrer Bergwälder gehört, anregend auf das Gemüth des Kindes wirken, das so schon früh seine „kleinen heimlichen Verse“ dichtete und mit vierzehn Jahren das erste Drama verfaßte. Wie empfänglich die junge Prinzessin für jede Naturschönheit war, welche die Umgebungen des Jagdschlosses Monbijou ihr boten: das zeigen mehrere Abschnitte in einem ihrer neuesten Romane, den sie zusammen mit einer Freundin unter dem Pseudonym „Dito und Idem“ herausgegeben und in den sie viele Jugenderinnerungen hineingeheimnißt hat. Früh lernte sie neuere Sprachen und eignete sich besonders eine große Fertigkeit im Französischen an, das sie ja auch in späteren Schriften und Dichtungen mit derselben Leichtigkeit wie ihre Muttersprache handhabte; auch studirte sie Naturwissenschaften und machte Fortschritte im Zeichnen und Malen. Am Krankenbette eines geliebten, einem unheilbaren Leiden verfallenen jüngeren Bruders, den sie mit treuer schwesterlicher Liebe pflegte, lernte sie auch jene Nachtseiten des menschlichen Lebens kennen, deren schwermüthiger Nachklang uns aus vielen ihrer Gedichte entgegentönt.
Nachdem die Prinzessin konfirmirt worden, lernte sie das Hofleben kennen, in Petersburg, Berlin, Stockholm, auch an dem Kaiserhof in Paris, der damals, im Jahre 1867, noch durch die politische Machtstellung Frankreichs, durch den einschmeichelnden Reiz, den Kaiserin Eugenie auf ihre Umgebungen ausübte und durch des Kaisers eigenartige Persönlichkeit unter den europäischen Höfen sowohl einen hohen Rang einnahm als auch eine besondere Anziehungskraft ausübte. Im Jahre 1869 kam der Hohenzollern’sche Prinz, welcher Fürst von Rumänien geworden war, an den Rhein, Elisabeth wurde seine Gemahlin und dann später Königin von Rumänien. Sie sah in der Königskrone nicht bloß eine Gabe des Glückes und der Liebe: sie erkannte die Verpflichtungen an, welche diese hohe Lebensstellung ihr auferlegte. Ernst und überzeugungsvoll suchte sie in weitesten Kreisen Gutes zu wirken, sie gründete eine große rumänische Wohlthätigkeitsgesellschaft, einen deutschen Frauenverein mit einer Speise-Anstalt, eine Königin-Elisabeth-Schule, in welcher Kinder des Volkes lernen, die alten schönen Nationalkostüme nach den Mustern die noch vorhanden, wieder herzustellen. Hierdurch zeigte sie, daß sie nicht einseitig deutsche Bildung nach Rumänien importiren, sondern auch den echt rumänischen Nationalgeist wecken und pflegen wollte. Während des Türkenkriegs, an welchem sich die Rumänen so tapfer, besonders bei der Erstürmung von Plewna, betheiligten, widmete sie sich der liebevollen Pflege der Verwundeten, errichtete Spitäler, die unter ihrer Leitung standen, und versah oft selbst die Dienste der barmherzigen Schwester. Beim Volke heißt sie seitdem die Mutter der Verwundeten, und die rumänischen Officiersfrauen widmeten ihr eine Statue, welche sie darstellt, wie sie einem verwundeten Soldaten eine Schale zum Trinken reicht.
Auch brachten die Blätter seinerzeit die Nachricht, daß die Königin, unzufrieden mit dem Unterricht in der modernen Litteratur, wie er in der staatlichen höheren Töchterschule in Bukarest ertheilt wird, vom Januar d. J. ab es selbst übernommen habe, als Lehrerin der Anstalt regelmäßig diese Stunden zu geben. Sie hatte früher einzelne begabte Schülerinnen zu sich kommen lassen, um sie in ihrem eigenen Lieblingsfache zu unterrichten; doch weil daraus allerlei Eifersüchteleien entstanden, zog sie es vor, in der Klasse selbst als Lehrerin aufzutreten.
Das Alles zeugt von einem tüchtigen, vorurtheilsfreien Sinn, von einem energischen Charakter, wie ja auch der Wunsch beweist, den sie in einem ihrer Gedichte ausspricht:
„Ich wollt’, ich wär’ von Eisen,
Von Eisen möcht’ ich sein.“
[750] allein mit ihren Gedanken, bis draußen das Leben der Residenz erwacht.
Auch als Dichterin verleugnet sie jenen starkgeistigen Zug nicht, der ihrem ganzen Wesen eigen ist: es liegt etwas Kraftgenialisches in ihren Dichtungen, welche schon dadurch beweisen, daß sie nicht Erzeugnisse eines poetischen Dilettantenthums sind; denn das wandelt am liebsten in ausgefahrenen Gleisen, liebt das Glatte und Gefeilte, das Regelrechte, welches sich nachahmen läßt.
Eine ursprüngliche Begabung bricht oft hervor wie ein Wildstrom, gewaltig, mit schäumendem Sturz und findet erst allmählich ein geregeltes Bett. In der That kann man der Dichterin eher zum Vorwurf machen, daß sie in ringender Gedankenarbeit bisweilen die dichterische Form sprengt und dieselbe dann spröde und zerklüftet erscheinen läßt, als daß sie bequem und gedankenlos auf der glatten Strömung der landesüblichen poetischen Phrasen einhergondelt.
Eine Sammlung einzelner Gedichte hat Carmen Sylva unter dem Titel „Meine Ruh“ (1884) erscheinen lassen. Das Titelbild zeigt uns einen prächtigen Waldgang unter hochstämmigem Laubholz: im Walde zu träumen hat sie ja schon in ihrer Jugend gelernt, und jene rumänischen Wälder am Fuße des Siebenbürger Grenzgebirges habem ja noch alle Frische des Urwaldes. Der Pelesch, der von den Karpathen herabströmende Waldbach, dem sie ihre „Peleschmärchen“ abgelauscht, ergießt sich durch jene Waldeinsamkeit, in welcher Carmen Sylva sich mit ihren Gedanken zu ergehen liebt – ihr Sanssouci ist das rumänische Sommerschloß Sinaja. (Vergl. die Schilderung desselben, „Gartenlaube“ Jahrg. 1885, S. 705.)
In ihren Gedichten muthet vor allem die Selbständigkeit des Denkens, die so vielem Hergebrachten den Krieg erklärt, erfreulich an: ein Quell von Sprüchen wie in Rückert’s Dichtungen sprudelt uns entgegen, und viele von ihnen haben jene schlaghafte Form, die sich dem Gedächtniß einprägt:
„Sag’ nie der trägen Stunde:
Eile doch!
Der fröhlichen Sekunde:
Weile doch!
Dem frischen Dichtermunde:
Feile doch!
Der tiefen Herzenswunde:
Heile doch!
Dem heißen Liebesbunde:
Theile doch!“
„Der keinen Willen hat, ist immer rathlos,
Und der kein Ziel noch hat, ist immer pfadlos,
Und der nicht Früchte hat, ist immer saatlos,
Und der kein Streben hat, ist immer thatlos.“
Wie lebensfreudig klingt das folgende anmuthige Gedicht:
„Ich genieße, weil mir’s gegeben ist,
Zu genießen,
So wie es der Bergquelle Leben ist,
Fortzufließen.
Mich entzücken die Strahlen der Sonne so,
Wie sie glühen;
Mich erfüllen die Blumen mit Wonne so,
Wie sie blühen.
Ich erfreue der Schönheit des Schönen mich
Ohne Tadel;
Mir enthüllet in Farben, in Tönen sich
Höchster Adel.
Bin ich müde, erquicken die Winde mich,
Wie sie fächeln;
Bin ich traurig, getröstet gar linde mich
Nur ein Lächeln.
Ich bin heiter, weil alles, was Leben ist,
Ich seh’ sprießen;
Ich genieße, weil mir’s gegeben ist,
Zu genießen.“
Dabei hat die Königin auch der Erde Leid erfahren, ihr einziges Kind, eine Tochter, verloren:
„Nimm mich hinweg, laß mich nicht schauen
Des eig’nen Kindes Todesringen!
Ringsum ist schwarze Nacht und Grauen,
Das Herz will mir vor Schlagen springen.“
Und so mocht’ es der Dichterin gelingen, welche den Schmerz der Mutter oft in lyrischen Ergüssen ausströmt, auch ein dichterisches Gemälde der vor Schmerz erstarrten „Niobe“ zu geben, welcher Kinderstimmen, wenn sie „Mutter“ rufen, noch selbst ihr steinern Herz zerreißen. Aehnliche Gemälde aus der Götterwelt, wie auch poetische Erzählungen in reichem Farbenschmuck, in denen oft eine gewisse Herbheit des Tons überwiegt, finden sich häufig in der Gedichtsammlung.
In der Gedankendichtung ist ja Carmen Sylva vorzugsweise heimisch: das beweisen zwei selbständige poetische Werke: „Jehova“ und „Die Hexe“. Der Held des ersteren ist Ahasver – und diese Dichtung hat vor vielen etwas breitspurigen Verherrlichungen des ruhelosen Wanderers die schlaghafte Kürze voraus. Ein reiches Leben wird uns in großangelegten Freskobildern entrollt: der hymnenartige Ton der ersten Hälfte erinnert oft an Goethe’s Prometheus: so viel düsterer, zusammengeraffter Trotz liegt in diesen Versen: umsonst sucht Ahasver den Tod; weder die Schlacht, noch des Tigers Zahn, noch das Erdbeben, noch das Rad, auf das er als Ketzer gespannt wird, noch der Schneesturm im Eisgefilde vermögen ihm die Seligkeit der Vernichtung zu verschaffen. Erst als er im Arkadien der Alpenwelt ein selig liebendes Paar belauscht, wird ihm der Segen des Todes zu Theil: eine überraschende Schlußwendung, die aber nicht überzeugend wirkt; denn diese vorübergehende Harmonie kann doch nicht die Dissonanzen auflösen, welche sich durch die ganze Dichtung hinziehen. Sehr stimmungsvoll sind die landschaftlichen Schilderungen des Gedichtes, wie diejenige des Todten Meeres:
„Rings war es wüst und leer. Kein Baum, kein Strauch,
Kein Grashalm wiegte dort das feine Haupt
In schattenloser Wüste. Sengend heiß,
Wie sprüh’nde Feuerzungen stach der Strahl
Der weißen Sonne senkrecht und versank
In’s Todte Meer, ein Pfeil in flüssig Blei.
Es glitt verirrt ein Vogel drüber hin;
Doch von des Wassers Gifthauch fiel er todt
Herab und trieb noch lange, regungslos,
Mit angespannten Flügeln auf der Fluth.“
Zu dem Gedicht: „Die Hexe“ hat sich die Dichterin durch die Statue von Karl Cauer begeistern lassen:
„Auf der höchsten Felsenspitze,
Sturmumbraust, ob schwarzem Abgrund,
Sitzt ein Weib in hehrer Schönheit,
Wunderbar des Leibes Biegung.
Wie sie auf der Hand sich aufstützt,
Leicht sich ob der Tiefe schaukelnd,
Ruht das eine Bein gewichtlos
Auf dem andern, das sich rundend
Ueberschlägt in weicher Biegung.
Eine Schlange hält die Rechte;
Achtlos nun das Thier sich windet,
Krümmt und sträubt und giftig züngelt,
Ohnmächtig, der schönen Finger
Festem Drucke zu entgleiten.
Roth das Haar, es wogt gewaltig.
Flammengleich hinaus im Sturme,
Naht den Wolken, fängt die Blitze,
Die sich durch die Strähne schlängeln,
An dem Weib herniedergleiten,
Um dann eine Riesentanne
Bis zur Wurzel zu zerschellen.
Und in lodernd hellem Brande,
Der von Baum zu Baum sich fortwälzt,
Funkeln jenes Weibes Augen
Grün, aus dunkler Wimpern Schatten.“
Ohne Frage, ein lebensvolles Bild, welches der Statue malerische Lichter aufsetzt. Diese dämonische Loreley wird von einem Jäger geliebt, den sie durch ihre Reize berückt und ins Verderben stürzt.
Die „Rumänischen Gedichte“, welche Carmen Sylva ins Deutsche übersetzt hat, zeugen von ihrem eifrigen Bestreben, auch dem Genius des Volkes, dessen Krone sie trägt, gerecht zu werden und seine dichterischen Spenden andern Völkern zugänglich zu machen. „Leiden’s Erdengang“ ist nicht ein Kreis von Märchen, sondern von Allegorien; aber sie sind nicht trocken und „strohern“, sondern sie haben vom Märchen die anmuthige Plauderhaftigkeit mit überkommen. „Die Gedanken einer Königin“, in französischer Sprache geschrieben, enthalten einen reichen Schatz sinnvoller Bemerkungen und Aussprüche.
Neuerdings hat sich Carmen Sylva auch dem Romane zugewendet; und sie verleugnet, auch in dem bequemeren Fahrwasser, das so vielen Flachschiffen zugänglich ist, nicht die Kraft und Energie ihrer Darstellungsweise. Zwei trotzige Mädchencharaktere von frischer [751] Urwüchsigkeit des Denkens und Empfindens sind die Heldinnen der beiden Romane, die sie in Gemeinschaft mit Mite Kremnitz unter dem Namen „Dito und Idem“ veröffentlicht hat: Astra in dem Romane „Astra“ (1885) und die Prinzessin Ulrike in dem Roman: „Aus zwei Welten“ (1886). „Astra“ spielt in dem Grenzlande Rumäniens, der Bukowina, und die Dichterin hat das Lokalkolorit ihrer neuen Heimath in stimmungsvoller Weise wiedergegeben, wie durch den andern Roman der Hauch und Duft der Rheinlande weht und das Leben auf einem rheinischen Fürstenschlosse mit jener Wahrheit geschildert wird, wie sie nur aus eigener Anschauung hervorgeht. Astra besucht ihre Schwester, die einen Gutsbesitzer Sanden geheirathet hat; in das gaukelnde Irrlicht, die anmuthige Schwägerin, verliebt sich Sanden, und das führt zu einem tragischen Konflikt. In dem andern Roman gewinnt die junge Prinzessin eine lebhafte, durch einen Briefwechsel genährte Neigung zu einem Professor der Kunstgeschichte, dessen Hauptwerk sie mit Bewunderung gelesen hat. Der Briefwechsel führt zu persönlicher Begegnung und diese zu einem Bunde fürs Leben, gegen den Willen der Familie der Prinzessin, die, aus derselben verstoßen, dem Manne ihrer Wahl folgt; doch auch hier in der Welt des Bürgerthums vermag sie erst nach einem schweren Konflikt mit dem eignen Manne heimisch zu werden, der ihr die Reise ans Krankenbett des Vaters verbietet. Beide Romane sind in der Form des Briefwechsels und der Tagebücher geschrieben, ausnehmend eigenartig, oft von genialem Humor durchdrungen, namentlich die Briefe des Professors.
Carmen Sylva braucht nicht die Reklame, die in ihrer Königskrone liegt, um die Blicke auf ihre Dichtungen hinzulenken: ihr originelles bedeutendes Talent würde Aufsehen erregt haben, auch wenn sie in dem einsamen Dachstübchen eines Bürger- oder Proletarierhauses ihre Werke verfaßt hätte.