Eine jüdische Proselytin

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Titel: Eine jüdische Proselytin
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aus: Die Gartenlaube, Heft 35, S. 627–628
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1886
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[627] Eine jüdische Proselytin. Von einem der merkwürdigsten Schicksale wurde die Gräfin Anna Konstanze von Cosel (von Cossell schrieb sie sich selbst), die Geliebte des Königs August des Starken, betroffen: fünfzig Jahre saß sie gefangen auf der kleinen sächsischen Festung Stolpen. Von schleswig-holsteinischem Adel, hatte sie sich im Jahre 1699 mit dem Freiherrn von Hoymb vermählt, der sie aber auf seinem Schlosse verborgen hielt aus Furcht, ihre glänzende Schönheit könne bei Hofe Unheil anrichten oder erfahren; doch bei einem Trinkgelage ließ sich der Gatte zu einer Wette hinreißen, seine Gattin übertreffe alle Damen des Hofes an Schönheit und Anmuth. Der König war Schiedsrichter in dieser Wette, und damit war auch das Geschick der schönen Dame mit der hohen schlanken Gestalt, den wunderbar glänzenden schwarzen Augen entschieden. Von ihrem Gatten getrennt, wurde sie die Gunstdame des Königs und bald allmächtig bei Hofe, setzte Minister ab und ein, bis sie selbst dem Hasse der Staatslenker und den wandelbaren Neigungen des Königs zum Opfer fiel, der in der Gräfin Dönhoff bereits eine reizvolle Nachfolgerin an ihrer Stelle erkoren hatte. Lange weilte die Cosel in Pillnitz; sie weigerte sich, Briefe und Dokumente herauszugeben. Sie floh von Pillnitz nach Berlin, dann nach Halle, wo sie 1716 verhaftet und auf die Festung Stolpen gebracht wurde. Wir wollen hier nicht die romanhaften Abenteuer schildern, welche der langen Haft vorausgingen, nicht diese selbst, die schon wegen ihrer fünfzigjährigen Dauer merkwürdig ist – wenige der historisch beglaubigten Gefangenschaften haben ein halbes Jahrhundert gewährt: wir wollen nur als Kuriosität die Aufzeichnungen aus den letzten Jahren ihres Lebens erwähnen, denen zufolge die Gräfin eine auffallende Neigung zum Judenthum an den Tag gelegt. Die Gräfin Cosel beschäftigte sich in ihrer Einsamkeit fortwährend mit Lektüre. Da studirte sie denn vor Allem das Alte Testament; sie verkehrte viel mit Juden; so war das Judenthum ihre Passion geworden. Sie forderte unter dem Pseudonym Lobgesang den Pfarrer Bodenschatz in Bischofswerda auf, hebräische Traktate ins Deutsche zu übersetzen; dann wurde dieser zu dem geheimnißvollen Briefsteller selbst berufen. Derselbe enthüllte sich ihm als die Gräfin Cosel, die ihm in dem Anzuge eines jüdischen Hohenpriesters entgegentrat. Sie verlangte von ihm Aufschlüsse über Talmudstellen, jüdische Gebetbücher und andere rabbinische Dinge, brachte aber dabei allerlei aufs Tapet, was gegen die Lehre Christi und seine heilige Person gerichtet war.

Der officielle Bericht des Amtmanns Gülden über den Glauben der Gräfin Cosel lautet:

„Der Glaube, auf welchen die Gräfin verstorben, ist schwer zu determiniren; es ist wahr, vor dem letzten Kriege hat die Verstorbene mit verschiedenen Juden, [628] die aus Böhmen und anderen Gegenden zu ihr gekommen, stärkere Connexion, als seit der Krieg geendet und Friede worden, gehabt; dann und wann sind wohl auch zeither Juden zu ihr gekommen, jedoch nicht in so großer Menge wie sonst. Sie hat bei ihren Lebzeiten sehr fleißig in der Bibel gelesen und sich das Jüdisch-deutsch, vielleicht mit Vorsatz, angewöhnt; es ist ferner wahr, daß sie den Sonnabend jeder Woche vor ihren Sabbath gefeiert und den Christen, wenn sich diese dazu brauchen ließen, am Sonntag gern etwas zu schaffen gemacht, auch ist wahr, daß sie kein Schweinefleisch, keinen im Blut erstickten Vogel oder ander dergleichen Federvieh noch einen Fisch ohne Schuppen gegessen; es besteht ferner in Wahrheit, daß sie zwar anfänglich, da sie als Arrestantin nach Stolpen gebracht worden, den hiesigen Gottesdienst besucht, seit vielen Jahren aber nicht mehr in unsere Kirche gekommen.“

So ist diese in ihrer Jugend wegen ihres Geistes gefeierte Dame, welche später alle Schriften der französischen Freidenker, eines Voltaire und Rousseau mit Eifer durchgelesen hatte, am Ende ihres Lebens auf die sonderbare Grille gekommen, den Talmud zu studiren, sich in ein hohenpriesterliches Gewand zu werfen, die jüdischen Ritualgesetze zu beobachten, kurz, wenn auch nicht in aller Form zum Judenthume überzugehen, doch in wesentlichen Hauptpunkten als fromme, glaubenstreue Jüdin zu leben: eine Kuriosität, für welche die Geschichte kein ähnliches Beispiel aufzuweisen vermag.