Einsegnungsunterricht 1912/4. Stunde

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4. Stunde.
Montag, den 28. Oktober 1912, vorm.
Anfang: Lied 202
Psalm 111.
Kollekte 212, 17. Schluß: Ps. 42.
Lied 193, 2. 7. 8.
 Das Lied, das wir sangen, das Gebet, zu dem wir uns vereinigten und auch der Psalm, den wir beteten, hat Ihnen, verehrte Schwestern, wenn Sie es nicht schon selbst vermuteten, gezeigt, von welcher Gnaden- und Kraftquelle heute geredet werden soll: Vom Sakrament des Altars. – Die beiden Sakramente haben das gemeinsam, daß durch ein sichtbares Zeichen ein bestimmtes unsichtbares Heilsgut mitgeteilt wird. Die Zusage, daß wirklich mittelst eines sichtbaren Zeichens eine himmlische Gnade mitgeteilt werden darf, konnte nur der geben, der der Kirche Haupt und Herr ist und ihr die Verheißung ließ, daß Er bei ihr sein wolle alle Tage bis an der Welt Ende. Und darum muß auch bei jeder Verwaltung der heiligen Sakramente auf dieses Wort der Stiftung und Einsetzung Jesu Christi notwendig zurückgegangen werden. Und wenn die ganze Feier des Sakraments auf diesem Stiftungsworte Jesu ruht, so versteht es sich von selbst, so ziemt es sich, daß dieses Stiftungswort auch äußerlich ausgesprochen wird und so ergeben sich allerdings die drei Wesensbestandteile des Sakramentes, von denen man herkömmlicherweise spricht: 1. Einsetzung Christi, also Wort der Einsetzung, 2. sichtbares Zeichen, 3. himmlisches Heilsgut und es ist insofern auch der Satz des Augustinus richtig: Wenn zum Element, d. h. zum sichtbaren Zeichen, das Wort hinzukommt, so wird das Sakrament. Insofern ist das richtig, als es unsere Aufgabe bei der Verwaltung des heiligen Sakramentes ist, das sichtbare Zeichen anzuwenden, das der Herr angeordnet hat und daß wir uns dabei auf das Stiftungswort Jesu Christi zu gründen haben, es gewissermaßen dem Herrn vorhalten, damit er tue, was er zugesagt hat und demnach der erhöhte Herr durch seinen Geist das himmlische Heilsgut hinzugebe und uns mitteile. Es ist aber doch zu sagen, daß in der Heilsordnung, wir im ganzen Heilswerk Gottes es nicht schablonenmäßig hergeht oder in äußerlicher Gleichheit, sondern wo Leben ist, da ist auch allezeit Mannigfaltigkeit. So besteht auch zwischen den beiden Sakramenten, so eng sie zusammengehören, so gleich sie sind, doch ein gewisser Unterschied. Auch bei der heiligen Taufe findet das| Große und Wunderbare statt, daß vermöge des äußeren Wasserbades, das aber freilich, wie der Apostel sagt, ein Wasserbad ist im Wort, daß vermöge dieses äußern Wasserbades etwas ganz Bestimmtes, Reales an uns geschieht: die Aufnahme in die Gemeinschaft des dreieinigen Gottes, die Abwaschung von Sünden, die Verleihung des Kindesrechts. – Aber es wird gesagt werden dürfen: beim andern Sakrament ist die Verbindung des sichtbaren Zeichens und des himmlischen Gnadengutes eine viel engere, das allergeheimnisvollste, daß das sichtbare Zeichen gleichsam die himmlischen Gnadengüter in sich schließt, auf wunderbar geheimnisvollem Wege sich mit denselben verbindet. So kommt beim zweiten Sakrament das, was die Sakramente sein sollen, allerdings zum höchsten und vollkommenen Ausdruck. Und es darf gesagt werden, daß das heilige Sakrament des Altares das höchste ist, was der erhöhte Herr Seiner Kirche geschenkt hat. Es ist demnach eine Gnadenquelle höchster und wunderbarster Art, aber auch diese Gnadenquelle soll in uns zur Kraftquelle werden. Das heilige Sakrament ist das Höchste, was der Herr seiner Kirche auf Erden darbietet, das Höchste aber, was in uns Christen gewirkt werden kann und soll durch die gesamte Arbeit des göttlichen Geistes, das ist die Vereinigung mit Christo, und eben durch das heilige Abendmahl wird diese Vereinigung mit Christo, die auch sonst und an sich allezeit stattfinden und bestehen soll, aufs höchste in uns gestärkt. Wir reden:
Vom heiligen Nachtmahl und der durch dasselbe gestärkten Gemeinschaft mit Christo.
 Es ist bekannt, daß an diesem Punkt – in der Lehre vom heiligen Abendmahl – die Verschiedenheit der 3 Hauptkonfessionen am stärksten zum Ausdruck kommt. Traurig freilich, daß gerade das, was der Herr als Mahl der Gemeinschaft geordnet und gewollt hat, ein Zeichen der Trennung sein muß; aber solange überhaupt Verschiedenheit des Glaubens und Trennung unter den Christen vorhanden ist, muß es freilich gerade an diesem Punkt sich zeigen und betätigen. Der Unterschied der 3 Hauptkonfessionen besteht auch hier wie bei der Lehre von den Sakramenten überhaupt darin, daß die römische Kirche das Sakrament überschätzt, die reformierte es unterschätzt, während die lutherische Kirche die richtige Mitte der Wertung einzuhalten weiß. Die katholische Kirche steigert überhaupt den Sakramentsbegriff, insbesondere auch die Lehre vom heiligen Abendmahl, da sie bekanntlich eine Verwandlung des irdischen Zeichens in das himmlische Gnadengut und zwar durch die Hand des Priesters sich vollziehen läßt. Man könnte die Lehre an und für sich, zwar als irrige, aber nicht als gefährliche Auffassung bezeichnen, wenn nicht die Konsequenzen wären. Weil durch des Priesters Segnung die Hostie in den Leib Christi verwandelt ist, so ist nach katholischer Auffassung in der gesegneten Hostie die eucharistische Gegenwart des Herrn bei Seiner Gemeinde gegeben. Es wird die Hostie in jeder kath. Kirche aufbewahrt und irrtümlicher Weise darauf die Gegenwart Christi in Seiner Gemeinde begründet. Weil auch jeder| Tropfen, jedes Atom des Weines in das Blut Christi verwandelt sein soll, nicht nur etwa für den Genuß die Vereinigung stattfindet, so wird der Gemeinde der Kelch entzogen, weil sonst die Gefahr bestände, daß durch die Austeilung etwas verschüttet, verloren und zertreten werden könnte. Schon dadurch zeigt sich das Irrige dieser Auffassung, gar nicht davon zu reden, daß der andere noch größere Irrtum dazukommt, als ob durch diese durch die Hand des Priesters geschehene Wandlung des Brotes und Weines in Christi Leib und Blut zugleich das Opfer Christi in unblutiger Weise wiederholt werden solle, denen zu gut, die es empfangen, die andächtig gegenwärtig sind oder für welche dabei gebetet wird, woraus „der Greuel des Meßopfers“, wie unsere Väter sagten, entstanden ist zu Schaden des alleinigen Verdienstes des Opfers Jesu Christi. Das ist eine starke Überschätzung, der nun – im äußersten Gegensatz dazu – auf reformierter Seite die Unterschätzung gegenübertritt, die leugnet, daß in Wirklichkeit Christi Leib und Blut ausgeteilt und empfangen wird. Es ist allbekannt, daß Zwingli überhaupt nur ein Zeichen, nur eine Erinnerung an den Tod Christi im heiligen Abendmahl findet. Und wenn auch Calvin sich überzeugte, daß damit nicht auszukommen sei und von einem Empfang des Leibes und Blutes Christi reden wollte, so hielt er doch von Anfang bis Ende fest, daß dieser Empfang nur durch den Glauben geschehe, nicht durch den mündlichen Genuß des Brotes und des Weines. Es steht also in Wirklichkeit dem gleich, was auch sonst durchs Gebet und den geistlichen Empfang von Leib und Blut Christi geschehen kann. Die besondere Bedeutung des Sakramentes kommt auch hier in Wegfall. Da nun, wie ich sagte, Unterschiede in der Lehre und im Glauben unter Christen bestehen, kann das heilige Mahl nicht mehr ein Mahl der Vereinigung für alle sein, das ist klar, sondern es ist das nur mehr für die, die auf gleichem Glaubensgrund stehen. Aber es ist auch gar nicht zufällig, daß in der Abendmahlslehre diese Konsequenzen der Verschiedenheit zum Vorschein kommen müssen. Man hat mit Recht gesagt, daß den 3 Hauptkonfessionen eine verschiedene Auffassung des Verhältnisses von Göttlichem und Menschlichem zugrunde liegt. Die Reformierten trennen in spiritualistischer Weise Göttliches und Menschliches auf den verschiedenen Gebieten, besonders in der Lehre von der Person Christi selber, indem sie sagen, daß Jesus, der Erhöhte, nur nach seiner göttlichen Natur allgegenwärtig sein könne, während die menschliche Natur im Himmel örtlich eingeschlossen sei, wenn auch in der Herrlichkeit. Also trennen sie in nestorianischer Weise die göttliche und menschliche Natur des gen Himmel erhöhten Herrn. In der Lehre von den Gnadenmitteln überhaupt, in der Lehre von der Wirkung des Wortes tritt uns diese abstrakte Trennung des Göttlichen und Menschlichen entgegen. – Die katholische Kirche dagegen will jetzt schon gleichsam die einstige Vollendung darstellen, und es wird jetzt schon das Menschliche in Göttliches verwandelt. Doch muß gesagt werden, in der Lehre von der Person Christi hat die| katholische Kirche allerdings diese Konsequenz nicht gezogen, indem sie an dem Bekenntnis des Konzils von Calcedon 451 festhielt, welches den Monophysitismus verwarf, nämlich die Auffassung, daß in Christo die menschliche Natur in die göttliche verwandelt worden sei. Sonst zeigt ihre ganze Art und Einrichtung einen sinnlichen Zug, daß gleichsam jetzt schon die einstige Vollendung und Herrlichkeit der Dinge vor Augen geführt werden soll, was noch nicht möglich ist, eine innere Unwahrheit darstellt und einen Rückfall in die alttestamentliche Weise, da alles auf das äußere gestellt war. So tritt mit innerer Notwendigkeit in der Lehre vom heiligen Abendmahl uns die Verschiedenheit der Konfessionen entgegen.
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 Die lutherische Kirche hat hier die richtige Mitte. Von einer Vereinigung der sichtbaren Zeichen und unsichtbaren Gnadengüter redet unsre Kirche mit vollem Recht; wie in Christo selber göttliche und menschliche Natur in wunderbarer Weise vereinigt sind, so auch in den Sakramenten. Der große Satz des Apostels Johannes „das Wort ward Fleisch,“ d. h. der ewige Gottessohn hat die menschliche Natur wirklich angenommen, dieser Satz wirkt auch hier durch. Dadurch hat unsere Kirche die rechte Mystik bewahrt, wie man in Wahrheit sagen kann, der Gedanke inniger geheimnisvoller Verbindung des Göttlichen und Menschlichen ist gewahrt und vor Abwegen bewahrt geblieben. Es ist auch mit Recht gesagt worden, daß das was Luther von der Erhöhung Christi lehrt, daß die Rechte Gottes, zu der er erhoben ward, nicht örtlich zu denken sei, sondern vielmehr allenthalben, also der Zustand der göttlichen Erhabenheit über die Welt, die göttliche Seinsweise, ähnlich wie das, was die Väter darnach über die Vereinigung der göttlichen und menschlichen Natur in Christo sagten: „Das Sichtbare ist fähig, das Unsichtbare in sich aufzunehmen,“ hohe, für das christliche Denken sehr fruchtbare Gedanken bietet: die unsichtbare Welt ist allenthalben und umgibt und durchdringt die sichtbare überall. Diese Erkenntnis hat unsere Kirche aus ihrer rechten Anschauung vom Sakrament und der Person Christi gewonnen. Doch wichtiger ist für uns, daß diese Lehre schriftgemäß ist. Wir wissen, auf was Luther bei dieser Lehre sich stützte. Als er in den ersten Oktobertagen des Jahres 1529 auf dem Schloß zu Marburg mit Zwingli verhandelte – das einzigemal im Leben, wo die beiden Männer sich begegneten – da schrieb Luther bekanntlich, als man zur Lehre vom hl. Abendmahl kam, mit Kreide vor sich hin auf den Tisch in griechischer Sprache die Worte: „das ist Mein Leib; das ist Mein Blut.“ Es wird nun freilich dem entgegen gehalten, daß man sich auf die Einsetzungsworte dabei doch nicht ganz beziehen dürfe, weil sie uns in verschiedener Fassung vorliegen. Matthäus und Markus haben allerdings die Worte: „Das ist Mein Leib, das ist Mein Blut des Neuen Testaments,“ bei Lukas und Paulus dagegen heißt es: „Das ist das Neue Testament in Meinem Blute.“ Darauf stützen sich die Vertreter der reformierten Auffassung und wollen daraus erweisen, daß es doch nur bildlich| zu verstehen sei. Das ist nun sprachlich unrichtig; denn nach dem griechischen Text heißt es bei Lukas und Paulus nicht etwa: „das ist das neue Testament, das in meinem Blut irgendwie verfaßt ist oder durch mein Blut zustande gekommen ist, sondern vielmehr „das ist in meinem Blute das neue Testament“, sodaß der Gedanke auch hier ganz deutlich der ist: Wenn ihr von diesem Brot esset, so empfangt ihr Meinen Leib, wenn ihr von diesem Kelch trinket, so empfanget ihr Mein Blut des neuen Testamentes, wie Matthäus und Markus es wiedergab. So ist hier klar und bestimmt ausgedrückt, daß wir das Blut Christi und in ihm den neuen Bund empfangen, das ist das neue Verhältnis mit Gott, das hergestellt ist durch die Hingabe des Lebens Christi. Wie im übrigen die Verschiedenheit zu erklären ist, kann uns hier nicht ausführlicher beschäftigen, doch sei es angedeutet, daß ohne Zweifel der Herr nicht nur einmal sondern wiederholt die Worte bei der Stiftung des heiligen Sakramentes beim Spenden an die Seinigen gesprochen haben wird, sodaß er einmal nach der durch Matthäus und Markus und das andre Mal nach der durch Lukas und Paulus uns aufbehaltenen Ausdrucksweise austeilte. Nun kommt aber noch dazu, daß die Aussagen des Apostels Paulus im 1. Korintherbrief Kap. 10 und 11 ganz klar und deutlich erweisen, daß der Apostel einen wirklichen Empfang, eine wirkliche Gemeinschaft des Leibes und Blutes Christi im heiligen Sakrament geglaubt und gelehrt hat. „Der gesegnete Kelch, welchen wir segnen, ist er nicht die Gemeinschaft des Blutes Christi? das Brot, das wir brechen, ist das nicht die Gemeinschaft des Leibes Christi?“ Die ganze Darlegung dort geht davon aus, daß man im heiligen Abendmahl in wirkliche Gemeinschaft des Leibes und Blutes Christi tritt und 1. Korinther Kap. 11, wo er vom würdigen und unwürdigen Empfang redet, geht er auch deutlich davon aus, daß Jeder, der zum heiligen Sakrament geht, Christi Leib und Blut empfängt, sonst könnte er nicht sagen, daß man durch unwürdigen Empfang schuldig wird an dem Leib und Blut des Herrn, sonst könnte er nicht sagen, daß man damit isset und trinket ein Gericht, deshalb weil man nicht unterscheidet den Leib des Herrn, weil man nicht wohl bedenkt, daß man Christi Leib und Blut im heiligen Abendmahl empfange. Es ist damit schon gesagt, daß wir im heiligen Abendmahl unter den sichtbaren Zeichen des Brotes und Weines Christi wahren Leib und Christi wahres Blut empfangen. Was ist aber nun die besondere Bedeutung dieser himmlischen Gabe und welcher Segen ergibt sich daraus?
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 Die besondere Bedeutung der im Sakrament des Altars zuteil werdenden Gabe liegt in der persönlichen Vereinigung des erhöhten Herrn mit den Seinigen auf Erden. Der erhöhte Herr ist den Seinigen allezeit nahe durch Seinen Geist, den er gesandt hat. Durch Seinen Geist arbeitet und wirkt Er an unsern Herzen nach Seiner wiederholten Verheißung. Im heiligen Sakrament des Altares will der zur Rechten erhöhte Herr sich ganz persönlich mit uns| verbinden nach Seiten seiner gottmenschlichen Natur und besonders auch nach Seiten Seiner erhöhten Leiblichkeit. Er will Sich mit den Seinigen da so ganz und völlig verbinden, daß sie dadurch im vollen Sinn Sein Leib werden, wie nach Gottes Wort „die Kirche Sein Leib ist.“ Der Apostel Paulus bezeugt das sehr nachdrücklich: Die Kirche ist Sein Leib, nämlich „die Fülle des, der alles in allem erfüllet,“ d. h. die Kirche bringt den gleichsam erst zum Vollmaß Seines Bestandes, der an sich alles in allem erfüllt, sie also nicht bedarf.

 Christus will einen Leib haben im weiteren Sinn, nämlich Seine Gemeinde. Er wird mit ihr im vollen Sinn Ein Leib im heiligen Mahl. Eine besondere persönliche Vereinigung des erhöhten Herrn mit den Seinigen auf Erden und mit Seiner ganzen Kirche und Gemeinde soll in diesem Sakrament ermöglicht werden. Es folgt daraus reicher Segen für die Einzelnen. Vor allem ist hier die Vergebung der Sünden zu nennen, wie Luther das unter Bezugnahme auf die Einsetzungsworte hervorhebt. Denn der Herr sagt: Das ist mein Blut, das für Euch vergossen ist zur Vergebung der Sünden, ebenso wie Sein Leib zur Tilgung der Sünden dahingegeben ist. Die Vergebung der Sünden, die uns in der Taufe schon ein für allemal geschenkt ist, die uns im Wort fortwährend verkündigt, auch in der Absolution persönlich zugeeignet wird, wird uns im heiligen Abendmahl aufs festeste versichert. Wir empfangen dafür ein Unterpfand, nämlich eben den Leib, der für uns gegeben, das Blut, das für uns vergossen ist. Indem der erhöhte Herr uns diesen am Kreuz dahin gegebenen Leib, uns das am Kreuz vergossene Blut wirklich zu empfangen gibt, gibt er uns doch die festeste Bürgschaft dafür, daß er auch uns zu gut hingegeben ist und daß wir uns dessen immer wieder von neuem getrösten dürfen. Wenn auch die Vergebung der Sünde in der Taufe ein- für allemal geschenkt ist, so wissen wir gut genug, daß wir täglich wieder sündigen und so oft durch besondere Sünde in innere Unsicherheit auch über unsern Gnadenstand kommen. Darum hat uns der Herr in diesem Sakrament die Bürgschaft dafür geben wollen, daß wir uns Seines Opfertodes gewiß immer wieder getrösten dürfen. – Luther hat hier nun im 5. Hauptstück des Katechismus wiederum einen überaus bedeutsamen, diesmal mehr für das praktische Christenleben hochwichtigen Satz ausgesprochen: „Wo Vergebung der Sünde ist, da ist Leben und Seligkeit.“ Deshalb ein wichtiger Satz, weil darin gesagt ist, daß Leben und Seligkeit von Vergebung der Sünden abhängen und daß mit der Vergebung der Sünden Leben und Seligkeit gewährleistet ist.

 Da wir im hl. Abendmahl zugleich den verklärten Leib, das verklärte Blut Jesu Christi genießen, also eine himmlische Speise, so wird dadurch das neue Leben in uns mächtig gestärkt. So ist das hl. Abendmahl das Manna vom Himmel, das der erhöhte Herr uns spendet. Es ist die Engelspeise, die uns stärken kann auf dem Wege unserer Pilgerschaft, auf dem Wege durch die| Wüste zum Berge Gottes, der das Ziel unserer Wallfahrt ist. Die Seligkeit endlich wird uns auf das gewisseste verbürgt, nachdem die Seligkeit nichts anderes ist als die vollkommene, sichtbare Gemeinschaft mit Gott und mit allen Gläubigen. So wird uns diese Seligkeit jetzt schon verbürgt, da wir im heiligen Abendmahl Gemeinschaft sonderlicher Art mit dem erhöhten Herrn und zugleich mit all den Seinigen auf Erden machen dürfen. Man hat das wohl noch direkter aus den Auferstehungsleib bezogen und gesagt, daß durchs heilige Abendmahl der Auferstehungsleib in uns genährt werde und es hat schon die alte Kirche das heilige Mahl „die Arznei der Unsterblichkeit“ genannt, wie auch bei Austeilung des heiligen Abendmahls in der alten Kirche, bei der Darreichung des Kelches gesagt wurde: „Blut des Herrn, der Trank des Lebens!“ Doch wollen wir diesem Gedanken nicht weiter nachdenken, da er manche Schwierigkeiten in sich schließt, insbesondere die kath. Auffassung darin gefunden werden könnte, wonach die Sakramente „Kanäle“ sind, durch welche die Gnade eingeflößt wird ohne Notwendigkeit einer inneren persönlichen Aneignung. Uns Lutherischen genügt, daß wir sagen können: Wenn der erhöhte Herr jetzt schon Seinen Leib und Sein Blut uns darreicht, die wir noch in dieser sterblichen Leibeshütte sind, so wird und kann Er diesen sterblichen Leib einst auferwecken und verklären und ihn ähnlich machen Seinem verklärten Leibe. Also eine ganz gewisse Bürgschaft der einstigen Auferstehung und Verklärung ist uns ganz zweifellos im heiligen Abendmahl gegeben. So besteht denn das sonderliche Gnadengut, die Fülle reicher Gnaden, die im heiligen Sakrament sich uns öffnet, in der sonderlichen Vereinigung mit dem erhöhten Herrn und zugleich mit seiner Kirche auf Erden, die da ist Sein Leib. Den letzteren Gedanken hebt auch St. Paulus 1. Korinther 10 hervor. „Ein Brot ist es, so sind wir viele ein Leib, dieweil wir alle eines Brotes teilhaftig sind.“ Wollen wir nicht dem erhöhten Herrn danken, daß Er Seiner Kirche auf Erden in dem heiligen Sakrament eine solche Quelle der Gnade eröffnet hat?
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 Wie steht es nun aber mit der tatsächlichen Wertschätzung des Sakramentes? Wir wissen, in der apostolischen Zeit haben allsonntäglich die Gottesdienste mit der Feier des heiligen Abendmahls – zuerst im Anschluß an ein Liebesmahl – geendet. Man konnte sich einen Gottesdienst, ein Zusammensein der Christen, ohne Feier des heiligen Mahles gar nicht denken. Ähnlich hat es Luther auch wieder gemeint und gewollt. In der römischen Kirche hatte das Meßopfer den Empfang des heiligen Mahles von Seiten der Gemeinde etwas zurückgedrängt. Im Meßopfer empfängt ja doch der Priester täglich – gleichsam für die Gemeinde – als deren priesterlicher Vertreter das heilige Sakrament. So bedarf es die Gemeinde selbst seltener und die römische Kirche hat im ganzen die Praxis, daß nur in der österlichen Zeit, an den 3 Sonntagen vor und nach Ostern, gewöhnlich der Empfang des Sakramentes von seiten der Gemeinde stattzufinden pflegt. Luther hat das auch wieder anders| gewollt und in der Gottesdienstordnung das heilige Abendmahl mit dem sonntäglichen Gottesdienst wieder verknüpft. Auch da wurde angenommen, daß sonntäglich eine Feier des heiligen Abendmahles, wenigstens in größeren Gemeinden stattfinden müsse und es gibt Vermahnungen aus der Reformationszeit, die dann gebraucht werden sollten, wenn keine Kommunikanten sich hinzufinden würden; es sind Vermahnungen strafender und tadelnder Art. Von Luther selbst ist bekannt, daß er sich vorgenommen hatte, alle 14 Tage zum Sakrament zu gehen. In unserer Kirche wenigstens ist es lange Zeit so geblieben, daß immer alle paar Wochen Abendmahlsfeier stattfand, aber aus der Bequemlichkeit der Pfarrer hauptsächlich wird es so gekommen sein, daß man allmählich besondere Abendmahlszeiten festsetzte, eine im Frühjahr und eine im Herbst, wodurch es kommt, daß in den meisten unserer Gemeinden das ganze Jahr hindurch mit Ausnahme dieser beiden Abendmalszeiten keine Möglichkeit besteht, zum Sakrament zu gehen. Man hat aus den Kirchenregistern nachgewiesen, daß anfangs die Geistlichen selbst, mit gutem Beispiel vorangehend, fleißig zum Sakramente gingen, solange sie es sich selber reichen durften. Als dann in falsch verstandenem Eifer gegenüber der römischen Praxis diese Darreichung des Sakraments durch eigene Hand (Selbstkommunion) verboten wurde, haben auch die Geistlichen, weil es ihnen Mühe machte, einen Amtsbruder beizubringen, selbst seltener mehr Gebrauch vom heiligen Sakrament gemacht. Man muß das fast als ein Gericht über unsere Kirche ansehen. Um ihrer Abendmahlslehre willen hat unsere Kirche die schwersten Kämpfe auf sich genommen, die schwersten Verluste ertragen, um dieser Lehre willen hat Luther mit den Reformierten keine Kirchengemeinschaft geschlossen und der ganze Kampf gegen die Union ist nichts anders als ein Kampf um die reine Lehre und das feste Bekenntnis vom heiligen Sakrament. Aber was unsere Kirche in der Theorie bekenntnismäßig festhielt, das hat sie in der Praxis zurücktreten lassen. Gegenwärtig steht es in diesem Punkt so, wie ich es in der letzten Stunde von der Privatbeichte sagte: Nur in den separierten Gemeinden, also in der lutherischen Freikirche und in Diakonissenhäusern wird gegenwärtig noch reichlicher Gebrauch von diesem Sakrament gemacht: sonst ist es in unsrer Kirche meist so, daß eben einmal im Jahr diejenigen zum Sakrament gehen, die äußerlich sich noch dazu halten, abgesehen von den kirchlich gerichteten Landgemeinden, in denen noch zweimaliger Abendmahlsgang besteht, aber leider auch nur als Sitte. Ein fleißiges persönliches Suchen dieses Gnadengutes findet selten statt und selbst geförderte Gemeindeglieder aus gebildetem Stand haben von diesem Gnadenmittel wenig Begriff und wenig wahrhafte Wertschätzung. Es soll gewiß nicht ein äußerliches Gesetz festgestellt werden, wie oft der Einzelne gehen soll. Der Einzelne kann sich eine bestimmte Vornahme wohl machen; aber es ist das Richtige, dann zum heiligen Sakrament zu gehen, wenn ein besonderes Verlangen nach der Gemeinschaft mit Christo und der Stärkung in der| Gemeinschaft Christi sich regt. Unrichtig ist es nicht, wenn man sich äußerlich in diesem Punkt mahnen läßt, indem man sich vornimmt zu bestimmter Frist das heilige Sakrament zu suchen.
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 Wir haben weiter zu reden von dem Verhältnis des Sakramentsempfangs zu der inneren Vereinigung mit Christo. Unsre Väter haben in ihrer Darstellung der Heilsordnung als letztes, als Ziel der ganzen Wirksamkeit des heiligen Geistes an uns die unio mystica bezeichnet d. h. die geheimnisvolle Vereinigung mit Christo. Erst: Berufung, Erleuchtung, Bekehrung, Rechtfertigung, Erneuerung, Heiligung, als letztes erscheint diese geheimnisvolle Einigung mit Christo. Das entspricht auch ganz der Meinung des Herrn. Der Herr selber sagt Joh. 14: „Wir werden kommen und Wohnung bei ihm machen,“ Er und der Vater im Heiligen Geist. Christus für uns, ist und bleibt der Grund unseres neuen Verhältnisses zu Gott, die Rechtfertigung aus Gnaden durch den Glauben. Aber das Ziel ist gewiß: Christus in uns. So sieht es auch der Apostel an, wenn er sagt Gal. 2: „Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebet in mir,“ oder 2. Korinther 3: „Wir werden verkläret in dasselbige Bild,“ nämlich in das Bild Christi. Und das letzte Ziel ist dann: „der auch unsern nichtigen Leib, – diesen Leib der Nichtigkeit – einst verklären wird, um ähnlich zu werden Seinem Leibe der Herrlichkeit,“ wie Philipper 3 geschrieben steht. Das Ziel der ganzen Gnadenwirkung des hlg. Geistes ist, daß wir in Christo leben und Er in uns. Nun ist diese innere Vereinigung mit Christo nicht etwa nur an das heilige Sakrament gebunden, sondern kann und soll jederzeit sich vollziehen. So gibt es ohne Frage eine geistliche Vereinigung mit Christo und auch einen geistlichen Empfang des Leibes und Blutes Christi. Wir kommen damit auf Joh. 6 zu sprechen. Dort hatte der Herr, als am Tage nach dem Speisungswunder in der Schule zu Kapernaum die Juden Ihn aufsuchten, sie angeredet mit dem Wort: „Ihr suchet Mich darum, weil ihr Brot gegessen habt und satt worden seid, wirket Speise, nicht die vergänglich ist, sondern die da bleibet in das ewige Leben.“ Die Juden verstehen auch wohl, was Er meint; denn sie fragen: „Was sollen wir tun, daß wir Gottes Werke wirken?“ Der Herr antwortet darauf: „Das ist Gottes Werk, daß ihr glaubet an Den, den Er gesandt hat.“ Diese Forderung war aber den Juden schon viel zu groß. Als einen Propheten wollten sie Ihn gelten lassen, als einen messianischen König wollten sie Ihn ausrufen, aber daß sie an Ihn glauben sollten als an Den, den Gott gesandt hat, das ist ihnen zu viel. Nun wollen sie ein höheres Zeichen haben. „Unsere Väter haben Manna, Brot vom Himmel gegessen“. Das war nach ihrer Meinung ein größeres Zeichen als das von Ihm vollbrachte. Nun geht der Herr den Schritt weiter, daß Er sagt: „Ich bin das Brot, das vom Himmel kommt. Nicht Mose hat euch Brot vom Himmel gegeben, sondern dies ist es, das wirklich vom Himmel kommt und der Welt das Leben bringen kann.“ Nach manchem Hin-| und Her-Reden spricht er einen Schritt weitergehend, den Satz aus: „Das Brot, das Ich geben werde, ist mein Leib, den Ich geben werde für das Leben der Welt.“ Als nun die Juden murren darüber: „Will Er uns sein Fleisch zu essen geben?“ sagt der Herr: „Werdet ihr nicht essen das Fleisch des Menschensohnes und trinken Sein Blut, so habt ihr kein Leben in euch.“ Hier spricht der Herr deutlich von dem geistlichen Empfang seines Leibes und Blutes. Ihn, der sich für das Leben der Welt hingibt, muß man im Glauben ganz und völlig in sich aufnehmen, sonst ist kein Leben in uns. Luther hat auch die Worte so aufgefaßt, daß sie nicht unmittelbar vom hlg. Abendmahl reden, aber eine Hindeutung auf das hlg. Abendmahl sind sie ja sicherlich. Diese fortgehende Vereinigung mit Christo, diesen steten geistlichen Empfang seines Leibes und Blutes, daß man also Den, der Sich für uns gab, gläubig in sich aufnimmt, den will der Herr durch das hlg. Abendmahl sonderlich stärken und ermöglichen. Daß Er auf das hlg. Abendmahl hinweist, kann für jeden, der die Worte liest, keinem Zweifel unterliegen, woher sonst die Teilung in sein „Fleisch und Blut“, die er immer wieder zum Ausdruck bringt. Es soll darum durch den Empfang des hlg. Abendmahles etwas in uns gestärkt werden, was an sich jederzeit stattfindet. Es soll in uns gestärkt werden, die enge persönliche Vereinigung mit Christo, ohne die kein Leben in uns wäre. So darf denn als die eigentliche Kraftquelle, die durch das hlg. Sakrament in uns eröffnet wird, diese Vereinigung mit Christo bezeichnet werden. Wenn wir innerlich mit dem Herrn Christo, dem Erhöhten, uns immer mehr vereinigen, dann wird unser Leben mehr und mehr werden, was es sein soll, ein Opfer des Dankes ihm dargebracht. So hat schon die alte Kirche das hlg. Abendmahl „die Eucharistie“ genannt „das Danksagungsopfer.“ – Zum Dank für das vom Herrn für uns gebrachte Opfer werden wir willig, uns Ihm zum Opfer des Dankes darzubringen mit allem, was wir sind und haben. Je mehr diese unsere Vereinigung mit Christo in uns gestärkt wird, umsomehr wird unser Christenleben sich zu einem wahren Werk der Hingabe an den Herrn gestalten.
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 Ist das nicht besonders wichtig für Schwestern, die den Entschluß gefaßt haben, ihr Leben und ihre Kraft unmittelbar in den Dienst des Herrn und Seiner armen Glieder auf Erden zu stellen? Sie übernehmen an sich nichts anderes als was jedes Christen große Aufgabe und Pflicht ist, aber Schwestern haben den großen Vorzug, daß auch ihr Beruf, den sie übernehmen, unmittelbar ein Dienst dem Herrn und Seinen Brüdern sein darf. Schwestern brauchen eine besondere Kraft der Vereinigung mit dem Herrn. Sie haben, sozusagen, viel auszugeben in steter Opferwilligkeit und in willigem Dienst. Dazu brauchen sie auch ein besonderes Maß von Kraft und darum liege ihnen fleißiger Empfang des hlg. Mahles sonderlich nahe. Sie brauchen auch eine besondere Kraft der Vereinigung und Verbindung unter sich; denn das Zusammenleben| der Schwestern ist nicht leicht. Es erfordert auch ein stetes opferwilliges Hingeben und Untergeben unter andere. Solche, die in der Familie zusammengeführt sind, die gehören von selbst zusammen, denen aber, die durch freiwilligen Schritt in Beziehung zueinander treten, ist eine viel größere, schwerere Aufgabe gestellt. Ein größeres Maß von Liebe und Geduld ist da erforderlich und ebenso ein besonderes Maß der Stärkung. Nachdem endlich es sich so gestaltet hat, daß der Diakonissenberuf in Form einer Genossenschaft geübt wird, in Form eines Mutterhauses, so wird es die höchste kirchliche Aufgabe eines solchen Verbandes sein, im kleinen darzustellen, was die Kirche Gottes im ganzen sein will. So wollte Löhe insbesondere, daß seine Diakonissengenossenschaft eine Vereinigung von lebendigen Christen sein soll, die willig wären nach den apostolischen Gedanken des Opfers, der Gemeinschaft und der Zucht ihr Leben zu gestalten. Alles weist gerade Schwestern darauf hin, einen fleißigen Gebrauch vom hlg. Sakrament zu machen. Nie und nimmer – ich wiederhole es – soll das äußeres Gesetz sein. Niemand wird fragen, wie oft geht diese oder jene Schwester, geht sie öfters, warum weniger oft? Das hängt aufs engste mit der persönlichen Lebensführung, inneren Stellung und Haltung zusammen. Aber gemahnt wird immer wieder werden dürfen, doch diese besondere Gnadenquelle fleißig aufzusuchen, besonders aber Fleiß zu tun, daß diese Gnadenquelle in uns auch zur Kraftquelle werde, daß die Vereinigung mit Christo dadurch immer enger und fester werde. Der Herr hat gesagt: „Ich lebe und ihr sollt auch leben,“ damit meint Er ein Leben der Gemeinschaft mit Ihm.

 Möchten wir immer mehr uns dem Ziele nähern können und möchte dazu auch des Sakramentes Gnadenquelle dienen, mit dem Apostel sprechen zu können: „Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebet in mir. Was ich lebe im Fleisch, das lebe ich im Glauben des Sohnes Gottes, der mich geliebet hat und sich selbst für mich gegeben.“





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