Einsegnungsunterricht 1912/5. Stunde

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5. Stunde.
Montag, den 28. Oktober 1912, nachm.
Anfang: Lied 34, 5. 6. 7.
Psalm 84.
Kollekte 161, 2. Schluß: Ps. 93.
Lied 479, 8–12.
 Wir haben heute und wiederholt schon auf den Unterschied der christlichen drei Hauptkonfessionen Bezug genommen und haben dabei auf einen| Punkt innerlichster Art hingewiesen, an dem der Unterschied aufgezeigt werden kann, – das Verhältnis des Unsichtbaren zum Sichtbaren, des Göttlichen zum Menschlichen. Auch an Andern Punkten kann der Unterschied wohl nachgewiesen werden, so auch an dem Verhältnis der Innerlichkeit und der Äußerlichkeit. Die reformierte Kirche pflegt vielfach eine falsche Innerlichkeit, indem sie die Äußerlichkeit mißachtet. Denken wir nur an ihre völlige Gleichgültigkeit gegenüber jeglichem Kirchenschmuck, gegen die Bilder oder an die Ablehnung einer bestimmten Form und Ordnung der Gottesdienste. Fast absichtlich trägt die reformierte Kirche die Nichtachtung des Kirchlichen zur Schau. Es ist nicht allzulange her, daß in der Schweiz im Gottesdienst die Männer die Hüte auf dem Haupt behielten, um zu zeigen, daß sie keine Heiligkeit des Ortes anerkennen, wie denn die Kirchen dort nur den Eindruck von Stuben machen. Oder denken wir an die völlige Mißachtung der äußerlich verordneten Gnadenmittel. Wie z. B. die doch aus reformierter Anschauung hervorgehenden Quäcker zum Beginn des Gottesdienstes abwarten, ob über einen unter ihnen der Geist käme und wenn dies nicht der Fall ist, wieder auseinander gehen.

 Die katholische Kirche dagegen zeigt eine Überschätzung der Äußerlichkeit auf. Das braucht kaum erst nachgewiesen zu werden, erklärt sie doch prinzipiell, also grundsätzlich, die Kirche für ein äußerlich sichtbares Reich, ist doch ihr Gottesdienst auf äußerlich sinnliche Pracht angelegt.

 Die lutherische Kirche vereinigt die rechte Innerlichkeit und die Wertschätzung der Äußerlichkeit. Die Innerlichkeit unserer Kirche trat uns heute gegenüber in der Abendmahlslehre und dann auch in der schönen Lehre unserer Kirche von der unio mystica, der geheimnisvollen Vereinigung Christi mit den Seelen der Gläubigen. Das ist rechte Mystik. Mystik nannte man im Mittelalter die neben der Scholastik einhergehende Richtung. Die Scholastik hatte den Grundsatz, daß Wahrheitserkenntnis auf dem Wege begrifflicher Entwickelung gewonnen werde, die Mystik dagegen will dieselbe auf dem Wege der Erfahrung erlangen. Wenn diese Erfahrung, dieses Erleben nun nicht von Gottes Wort losgelöst wird, ist es Mystik rechter Art. Falsche Mystik ist nur die, die bei diesen Erfahrungen und Erlebnissen vom Wort und dessen alleiniger Wirksamkeit absieht und eigenen Gedanken folgt. Die lutherische Kirche pflegt die rechte Mystik. Das geht aus ihren Liedern und Gebeten aufs deutlichste hervor, besonders aus manchen der Abendmahlslieder, wie aus dem des Johann Heermann (Nr. 193) „Herr Jesu Du getreuer Hirte,“ oder aus dem des Johann Rist (Nr. 203) „Wie wohl hast du gelabet“. Das sind Erweise rechter nüchterner und inniger lutherischer Mystik. Es könnte noch ein Lied genannt werden, das leider in unserem Gesangbuch fehlt: „O Lebensbrünnlein tief und groß“ von Johann Mühlmann, ein Lied von zarter lauterer Innigkeit. So pflegt unsre Kirche die Innigkeit aber nicht minder auch die Äußerlichkeit; denn das innere| Leben muß stets auch nach außen Gestalt gewinnen und es wird durch äußerlich dargebotene Mittel in uns gepflanzt. Beim Sakrament des Altars zeigt sich das deutlich. Unsre Kirche knüpfte an dies Sakrament manch wichtige äußere Ordnung an. Man könnte den Kirchenschmuck nennen, der auf die Feier des Sakramentes und die dafür bestimmte Stätte angelegt ist; die Liturgie, die in der Abendmahlsliturgie ihre höchste Vollendung erreicht. Unsere Kirche hat aber auch die Bedeutung des Sakraments für die äußere Kirchenzugehörigkeit und für die kirchliche Ordnung und Gestaltung wohl erkannt. Wir sagten heute früh schon, daß das Sakrament des Altars die Gemeinschaft mit dem erhöhten Herrn Christus, aber auch die Gemeinschaft mit der Kirche auf Erden ermöglicht und stärkt. So ist die Feier des heiligen Mahles für die Gemeinschaft der Christen wichtig, ja entscheidend, aber freilich damit auch scheidend und trennend, insoweit als es leider verschiedene christliche Kirchen gibt und als dies höchste Mahl der Gemeinschaft nur mit denen begangen werden kann, die mit uns ganz und völlig eines Glaubens sind. So ergibt sich der Grundsatz unserer Kirche: Abendmahlsgemeinschaft ist Kirchengemeinschaft und umgekehrt: die Kirchengemeinschaft betätigt sich in der Abendmahlsgemeinschaft. Es ergibt sich daraus auch die Notwendigkeit der Kirchenzucht. Wenn wirklich alle Glieder der Kirche beim Nehmen des hl. Abendmahls Christi Leib und Blut empfangen, dann hat die Kirche die ernste Aufgabe, soweit möglich solche fern zu halten, die sich das hl. Sakrament doch nur zum Gericht empfangen würden. Aber ferner ergibt sich daraus die Notwendigkeit Abendmahlsgemeinschaft mit Fremdgläubigen abzulehnen. Hierin liegt auch der Grund der entschiedenen Stellung der Lutheraner gegenüber der Union, die eben auf dem Grundsatz gemeinsamer Abendmahlsgemeinschaft zwischen Lutherischen und Reformierten steht, ohne Rücksicht auf die Verschiedenheit der Lehre und des Glaubens. Gerade Löhe, der das hl. Sakrament so hoch gehalten hat und den Wiederaufbau der lutherischen Kirche, der seines Herzens Ideal und der Gedanke seines Lebens gewesen ist, besonders im Anschluß an die im Sakrament des Altars dargebotenen Kräfte wünschte sich vollziehen zu sehen, hat darum auch grundsätzlich ungemischte Abendmahlsgemeinschaft mit Entschiedenheit festgehalten und sie auch seinen Diakonissen ernstlichst anbefohlen. An diese Seite des heiligen Abendmahles, daß es bei seiner tiefsten Innerlichkeit doch auch für die äußere Stellung des Kirchenwesens in Betracht kommt, knüpfen wir an und reden:
Von der kirchlichen Ordnung und der darin geschenkten Klarheit und insbesondere vom Gottesdienst und von der durch denselben gepflegten Andacht.
 Wir reden zuerst nur ganz kurz davon, was die Kirche ist. Die Kirche ist die gegenwärtige Gestalt des Reiches Gottes oder das Reich Gottes in der Zeit, in welcher der zur Rechten Gottes erhöhte Herr, der in der unsichtbaren Welt thront, auf Erden eine Gemeinde durch Seinen Geist sich sammelt. In den| Schmalkaldischen Artikeln heißt es einmal: „Ein jedes Kind von 9 Jahren wisse jetzt“ – durch die Reformation – „was Kirche sei, nämlich die heiligen Gläubigen und die Schäflein,die auf die Stimme des guten Hirten hören.“ So kann man auch sagen: Die Kirche ist die Herde Jesu Christi, das heißt: Die Gesamtheit der Menschen, die durch den Glauben stets in Verbindung stehen mit Christo, dem gen Himmel erhöhten Haupt und die darum untereinander verbunden sind. Es liegt hierin, daß die Kirche zunächst eine unsichtbare ist, in der Gegenwart, weil wir nicht wissen können, wer wahrhaft gläubig ist weil wir nicht mit Bestimmtheit sagen können, wer zu ihr innerlich gehört. Aber doch ist die Kirche zugleich auch sichtbar, da wir wohl sagen können, wo sie auf Erden zu finden ist, nämlich nicht etwa da, wo gläubige Kinder Gottes sich zusammenfinden und als solche sich erkennen, – das ist der Grundsatz der Sekten – sondern – das ist lutherische Lehre – da wo das Wort Gottes gepredigt und die heiligen Sakramente verwaltet werden. Da ist die Kirche, weil da der heilige Geist wirkt und wenn wir darum sagen: „wir glauben eine heilige christliche Kirche“, so sagen wir damit: wir glauben, daß überall, wo das Wort Gottes gepredigt wird und die Sakramente verwaltet werden, der heilige Geist wirksam ist. Das sagen wir von der sichtbaren Kirche und wir sagen weiter: wo der heilige Geist durch Wort und Sakrament wirkt, da müssen auch gläubige Christen vorhanden sein. Das bekennen wir von der unsichtbaren Kirche. Diese Auffassung von dem, was Kirche ist, ermöglicht uns die wahre Toleranz und Duldung. Wir erkennen überall noch Kirche Gottes an, wo überhaupt noch Wort und Sakrament vorhanden sind, ob auch vielfach getrübt durch Irrtum und falschen Brauch. Freilich sagen wir: Die wahre Kirche Gottes ist da, wo das Wort Gottes lauter und rein gepredigt wird und die Sakramente nach der Einsetzung Jesu Christi verwaltet werden. Wie schön klar und nüchtern ist diese Auffassung von dem, was die Kirche ist, und es ergibt sich nun auch daher eine Klarheit über den kirchlichen Sinn, der so notwendig ist und als eine Kraftquelle sich erweisen kann. Wir wissen vor allem: wer zu Jesu Christo gehört, durch den Glauben mit Ihm verbunden ist, der gehört auch seiner Kirche an und ferner sind wir uns darüber klar: nur durch den Dienst der Kirche werden uns die Gnadengaben in Wort und Sakrament dargereicht. Darum sind wir auch verpflichtet und darum ist uns der Weg klar gewiesen, für unsere Kirche zu arbeiten. Wer darum kirchliche Arbeit tun will, der hat sie im Sinn des Bekenntnisses unserer Kirche zu tun. Wir lehnen ausdrücklich ab, kirchliche Werke zu treiben über die Grenzen unserer Kirche hinaus. Wir lehnen ab jede Konföderation, wie man das nennt, (d. i. Verbindung) für kirchliche Zwecke mit solchen, die nicht unserer Kirche angehören. In der Gegenwart wird das für unserer eigene Landeskirche immer wichtiger; denn das ist doch gegenwärtig der Streitpunkt innerhalb unserer| Geistlichkeit, daß es eine Anzahl Geistliche gibt, die fest dabei bleiben: eine gemeinsame kirchliche Arbeit ist auf die Dauer mit denen unmöglich, die den Herrn Jesum Christum nicht als den wahren ewigen Gottessohn anerkennen, die auf dem modernen Standpunkt stehen; während freilich leider wohl der größere Teil der Geistlichkeit trotz dieser Unterschiede und über sie hinweg in kirchlichen Vereinen mit solchen zusammenarbeiten wollen, von denen man durch den tiefsten Graben getrennt ist, der wahrlich noch viel größer ist als der, der uns etwa von den gläubigen Reformierten und Unierten scheidet, ja ich stehe nicht an zu sagen, der tiefer ist als der, der uns von gläubigen Katholiken trennt. So ist es sehr wichtig die richtige Erkenntnis von der Kirche zu gewinnen, um in den Wirren der Gegenwart zu wissen, wie man sich zu stellen hat. Das wird uns noch mehr klar werden, wenn wir weiter reden: vom Bekenntnis der Kirche. Ein Bekenntnis hat die Kirche von Anfang an gehabt. Das Bekenntnis ist nichts anderes als die Aussage der Kirche über das, was sie glaubt und lehrt und ein solches Bekenntnis hat sich in der Kirche von früh an gebildet, zuerst bei Gelegenheit der Taufe. Da die zur Taufe gelangenden Erwachsenen gefragt wurden nach ihrem Glauben, so entstand ein Taufbekenntnis schon am Ausgang des ersten Jahrhunderts der Kirche. Es war die kurze Aussage dessen, was die Kirche von Vater, Sohn und hl. Geist glaubte und bekannte, das ist das sogen. apostolische Glaubensbekenntnis, früher auch Glaubensregel genannt, das was die Kirche als ihr Symbolum (Feldzeichen) ansah, daran die Christen einander erkennen sollten. Dies kurze allgemeine Bekenntnis der Kirche erlangte nun freilich allmählich eine ausführlichere Fassung gegenüber den Irrlehrern, die frühe schon in der Kirche hervortraten. Aus den frühesten kurzen Formen der Glaubensregel und des Taufbekenntnisses erwuchs auf der Synode Von Nicäa (325) und in Konstantinopel (381) das nicänisch-konstantinopolitanische Bekenntnis, das im Gegensatz gegen die Irrtümer des Arius die Lehre von der wahren Gottheit Jesu Christi, „Gott von Gott, eines Wesens mit dem Vater“ auf das entschiedenste ausspricht, ebenso das Bekenntnis zur persönlichen Gottheit des heiligen Geistes. Es sind dann im Verlauf der Jahrhunderte noch manche Bekenntnisse gegenüber Irrlehren und Irrtümern entstanden. Eine größere Bedeutung noch erlangte das Bekenntnis, als die Kirche nicht mehr eine war, vielmehr um der Lehre willen in verschiedene Konfessionen sich trennte, denn nun galt es für jede einzelne Kirche in ihrem Bekenntnis auszusagen, was sie glaubt und lehrt im Unterschied von den anderen Konfessionen. Und so unterscheiden wir zweierlei Bekenntnisse, ökumenische oder allgemeine, welche die ganze Christenheit gemeinsam festhält und partikulare oder Sonderbekenntnisse, welche die einzelnen Konfessionen für sich haben. Daß das wichtigste Sonderbekenntnis unserer Kirche die Augsb. Konfession ist, wissen alle, ebenso daß sie ihre Erläuterung und Begründung in der Apologie der Augsb. Konfession fand,| sowie daß in den Schmalkaldischen Artikeln Luther Rom gegenüber die Grenzen zog und daß in der Konkordienformel die reine Lehre – der Gewinn der Reformationszeit – festgestellt wurde, gegenüber mancherlei Irrtümern im eigenen Lager und gegenüber der reformierten Kirche, das ist wohl auch bekannt. Die Bekenntnisse sind also Selbstaussagen der Kirche über das, was sie aus der heiligen Schrift als richtig erkannte. Die Bekenntnisse sind notwendig und wichtig, weil in ihnen die Kirche selber zur Klarheit über die geoffenbarte Wahrheit kommt. Für uns ist unser Bekenntnis wichtig als das Einheitsband unserer Kirche. Die Bekenntnisse sind ferner eine wichtige Anweisung für den Lehrstand, der auf die Bekenntnisse verpflichtet ist, damit der Gemeinde nicht willkürliche Lehre, sondern die Lehre der Kirche auf Grund der heiligen Schrift vorgetragen werde. Die Bekenntnisse sind auch wichtige Lehrmittel für die Kirchenglieder selber, um die reine lautere Lehre daraus zu erkennen und den rechten Verstand der heiligen Schrift daraus zu entnehmen. Von diesem Gesichtspunkt aus muß ernstlich gemahnt werden, daß alle Kirchenglieder, die ein selbständiges klares Urteil gewinnen wollen, doch ja die Bekenntnisse unserer Kirche lesen möchten und dann in der Schrift forschen, ob sichs also hielte. Das Bekenntnis gibt uns insbesondere einen klaren Standpunkt zur Beurteilung neu auftretender Lehren und Behauptungen und wie groß und dankenswert ist es, daß unser Bekenntnis uns einen so klaren und nüchternen Standpunkt gibt. Die reformierte Kirche ist in steter Unruhe durch immer neuauftauchende Sekten. Denken wir daran, daß vor etlichen Jahren Dowie in Amerika auftrat, der sich für den wieder erstandenen Elias ausgab und eine große Zahl von Anhängern fand, bis er elend zu Schanden wurde. Auf lutherischem Kirchenboden sind derartige Vorkommnisse unmöglich. Oder denken wir an solche Sekten, die man fast Sekten verrückter Art nennen möchte, wie die Adventisten vom 7. Tag mit ihrer Wiederaufnahme des alttestamentlichen Sabbath und der Speisgesetze. Auf lutherischem Boden sind derartige Erscheinungen nicht denkbar. Auch unsere lutherische Kirche ist in den letzten Jahrzehnten mehrfach verunruhigt worden durch die Erscheinungen, die von England und Nordamerika herüberkamen. Die älteren unter uns erinnern sich der Bewegung durch Smith, einen Amerikaner, von dem eigentlich die Gemeinschaftsbewegung der modernen Zeit ihren Anfang nahm. Nüchterne und klare, auf dem Grund des Bekenntnisses Stehende haben sich von allem Redeglanz jenes Amerikaners, der auch schließlich in sittlicher Hinsicht zu schanden wurde, nicht täuschen lassen. Oder denken wir an die Pfingstbewegung, wie sie in den letzten Jahren, von Amerika über Norwegen zu uns kommend sich betätigte. Lutheraner wissen, was sie von derartigen Bewegungen zu halten haben und so erweist sich auch hier der kirchliche Sinn als eine Kraftquelle des klaren und sicheren Urteils über die Geister, die man prüfen muß, ob sie von Gott sind.
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 Wir gehen weiter zu den kirchlichen Erziehungsmitteln als äußerer| Betätigung der Kirche und des Kirchentums. Die Kirche hat Recht und Macht, Ordnungen zu treffen und zur Erziehung ihrer Kirchenglieder aufzustellen; denn der Herr hat ihr gesagt: „Weide Meine Schafe, weide Meine Lämmer.“ Zu solchen von der Kirche getroffenen Einrichtungen gehört die Beichte, der wir eine besondere Stunde unseres Unterrichtes gewidmet haben. Es gehört dazu die Konfirmation, die lediglich eine Kirchenordnung ist, aber eine, wie Löhe sagt: „von Segen triefende, mit dem Wort Gottes reichlich ausgestattete, die zur Erziehung der Seelen, zur Leitung der Gemeinde in der Gegenwart unentbehrlich ist.“ Ja, man könnte die Sonntagsfeier selber hierhernehmen, nachdem die Sonntagsfeier für uns Christen nicht ein göttliches Gebot, sondern freie Einrichtung und Ordnung der Kirche ist, freilich im Sinn ihres Herrn und Meisters und in rechtem Verständnis des alttestamentlichen Sabbath-Gebots. Auch die kirchliche Trauung, das Begräbnis und noch manch anderes könnte genannt werden als Erziehungsmittel der christlichen Kirche gegenüber ihren Gläubigen. Es ist uns in unserem Hause grade klar der Weg gezeigt an die Ordnungen der Kirche uns zu halten in Demut und in einfachem Sinn. Wir dürfen nicht in unnüchterner Weise selbst irgend neue Wege suchen, sondern – und das ist für den Beruf der Schwestern wichtig – auch die, welche sich von uns beeinflussen lassen, gilt es zur treuen Erfüllung dieser Ordnungen anzuhalten.
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 Nun heben wir aus diesen kirchlichen Erziehungsmitteln besonders eines hervor: das ist der kirchliche Gottesdienst, den wir mit Recht benennen dürfen eine sonderliche Gnadenquelle und zugleich eine Kraftquelle in der durch denselben gepflegten Andacht. Der Gottesdienst ist nichts anderes als eine geordnete Einrichtung zur Pflege der Gemeinschaft mit Gott. So tritt uns der Gottesdienst alsbald im Anfang der Menschheitsgeschichte entgegen. Wir erwähnten schon einmal Enos, den Sohn Seths, zu dessen Zeit man „anfing zu predigen von des Herrn Namen“, das heißt gemeinsam den Namen des Herrn anzurufen. Das war der gemeinsame Gottesdienst in der Patriarchenzeit, wie auch Abraham überall, wohin er kam, Altäre aufrichtete, um in Gebet und Opfer die Gemeinschaft Gottes zu pflegen, und auch andere dazu anzuhalten. In ihm, dem Haupt seiner Familie, tritt zugleich auch der Priester seines Hauses uns entgegen. Seit Mose’s Zeit hat der Gottesdienst allerdings die gesetzliche Form gewonnen und wir können ja wohl sagen: der Gottesdienst der Patriarchenzeit steht uns näher als die gesetzlichen Ordnungen des Alten Bundes, obwohl wir auch in ihnen schöne Beziehungen auf den wahren Gottesdienst im Geist und in der Wahrheit finden können. Der Weihrauch, der im Heiligen auf goldner Schale fortwährend zu Gott emporstieg, sollte doch bedeuten die fortwährend zu Gott aufsteigenden Gebete der Gläubigen. – Gegen Ende der alttestamentlichen Zeit tritt uns dann der Synagogengottesdienst entgegen, eine besonders wichtige neue Einrichtung, die in freier Weise ohne sonderliches Gebot Gottes entstanden ist, indem in der Gefangenschaft im| babylonischen Exil die Juden begannen, am Sabbath sich an einem bestimmten Ort um die Lesung der hl. Schrift zu versammeln, denn sie waren ja ohne Tempel und Opfer. Zurückgekehrt in ihr Land entstanden dann an jedem größeren Ort diese Schulen oder Synagogen, deren gottesdienstliche Ordnung vielfach für die christliche Kirche vorbildlich geworden ist. Der christliche Gottesdienst knüpft viel mehr an die Synagogen-Gottesdienste an, als an die Tempelgottesdienste, die in ihrer vorbildlichen schattenhaften Bedeutung ihr Ziel und Ende erreichen sollten. In der apostolischen Zeit finden wir den ganzen Gottesdienst in freier, geisterfüllter Weise. Der Herr hat den Gottesdienst im Geist und in der Wahrheit gebracht, wie er im Gespräch mit der Samariterin es bezeugt. In Ihm war die Hütte Gottes bei den Menschen vorhanden. In Ihm hatte Gott selbst Wohnung unter den Menschen gemacht. Die Gemeinschaft Gottes mit den Menschen war hergestellt durch Ihn und in seiner Gemeinde konnte darum die wahre Pflege der Gemeinschaft mit Gott stattfinden, hat Er doch alle Seine Gläubigen zu Priestern gemacht, ihnen das priesterliche Recht verliehen, selbst vor Gott zu treten. Wenn Er Seiner Gemeinde auch ein Amt mit auf den Weg gab, so war es nicht etwa wieder ein Priesteramt zur Vertretung der Gemeinde, sondern lediglich der Dienst zur Verwaltung der Gnadenmittel, Wort und Sakrament. In der ersten nachapostolischen Zeit haben die Gottesdienste in schöner Weise – im Sinne eines Gottesdienstes im Geist und in der Wahrheit – sich allmählich gefestigt und bestimmte Form angenommen und manches von dorther Stammende klingt noch heute in unsern Liturgien wieder, wie das Laudamus: „Wir loben dich, wir benedeien dich etc.“, wie auch das Einsegnungsgebet der Diakonissen den apostolischen Konstitutionen, einer nachapostolischen Sammlung kirchlicher Ordnungen entnommen ist.
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 In der Römischen Kirche ist der Gottesdienst stark veräußerlicht. Wir brauchen nur an die Bilder-Verehrung erinnern. Die Reformation kehrte aber auch auf diesem Gebiet wieder zu den apostolischen Ordnungen und zu den Einrichtungen der ältesten Kirche zurück, freilich sind die Ordnungen der Reformation vielfach durch die Ungunst der Zeit nicht zur völligen Ausbildung gelangt, zumal da eine einheitliche Ordnung nicht möglich war; aber was für herrliche Schätze liegen in den alten Kirchen-Ordnungen der Reformationszeit, voran die herrlichen Gebete und die wichtigen Ordnungen für die Seelsorge. Der Rationalismus hat – das hörten wir, als es sich um die Privatbeichte handelte – eine traurige Zerstörung herbeigeführt und dann nach der Zeit des Rationalismus galt es anzuknüpfen an die frühere Entwicklung und mußte der Gottesdienst im Sinn und Geist der Väter, erst wieder geordnet werden. Hier hat Löhe die größten Verdienste gehabt. Er war der erste, der wieder die alten Ordnungen in seiner Agende – die er zunächst für die lutherischen Gemeinden Nordamerikas verfaßte – dargeboten hat und so ist die bayer. luth.| Landeskirche allen anderen darin vorangegangen. Wir wissen, daß die Liturgie ein Punkt ist, der besonders für uns in Neuendettelsau von jeher bedeutsam war. Ich kann darauf hinweisen, daß ich am Anfang dieses Jahres im Diakonissenblatt einige allgemeine Gesichtspunkte über die Liturgie darbot, und daß ich dort darlegte, wie Liturgie im weiteren Sinn jede feststehende Ordnung des Gottesdienstes bedeutet, und daß Liturgie im engeren Sinn diejenige Form und Ordnung bezeichnet welche eine Beteiligung der ganzen Gemeinde beim Gottesdienst ermöglicht. Ich wies auch dort darauf hin, daß es drei verschiedene Gesichtspunkte sind, die den evangelischen Gottesdienst gleichsam konstituiren oder begründen. Vor allem der Unterschied, der in der ersten Einseguungsstunde gestreift wurde von „sakramental“ und „sakrifiziell“. Sakramentale Bestandteile des Gottesdienstes sind die, die irgend Gnadengüter der Gemeinde darbieten aus Wort oder Sakrament. Sakrifizielle Bestandteile sind die, welche Dankopfer der Gemeinde darstellen. Gott naht sich zu uns, wir nahen uns zu Ihm. Ferner kommt in Betracht der Unterschied vom Tun des verordneten Amtsträgers, der den Gottesdienst zu leiten hat und der Beteiligung der ganzen Gemeinde am Gottesdienst, die nicht fehlen soll, endlich der Gesichtspunkt von feststehenden Teilen des Gottesdienstes, die regelmäßig wiederkehren, und freien Darbietungen, Predigt und freies Gebet. Aus dem lebensvollen Zusammenwirken dieser verschiedenen Elemente und Gesichtspunkte ist Ordnung und Form der Gottesdienste erwachsen. Gewiß ließe sich auch auf diesem Gebiet noch eine größere Mannigfaltigkeit denken. Wir haben es aber als eine besondere Gnade zu betrachten, daß wir die ausgebildete und reich liturgische Ordnung in unserem Gottesdienst haben. Die Diakonissenhäuser begrüßen besonders die liturgischen Ordnungen, weil sie als eine Genossenschaft sich zusammenschließen und Ordnungen sonderlicher Art darum bedürfen. Diakonissenhäuser sind geeignet Liturgisches noch besonders zu pflegen, weil hier doch eine Zusammenfassung solcher Persönlichkeiten vorhanden ist, die wenigstens mit Ernst Christen sein wollen, wie Luther schon im Vorwort zur deutschen Messe den Wunsch ausgesprochen hat, solche haben und zusammenfassen zu können. Löhe hat in seiner Diakonissengenossenschaft eine Sammlung solcher sehen wollen, die in den apostolischen Ordnungen willig und treu einherzugehen bemüht sind. Wir dürfen die liturgischen Ordnungen, die wir in unserm Hause haben, als eine besondere Gnadenquelle betrachten und die Kraftquelle, die dadurch genährt werden soll, ist der Geist der Andacht. Ach möchte durch die liturgischen Ordnungen unseres Hauses und auch durch die Ordnungen, die Schwestern da und dort an ihren Orten in gemeinsamen Andachten und Gottesdiensten pflegen, der rechte Geist der Andacht unter uns gestärkt werden, daß wir die Gottesdienste und häuslichen Andachten eben als Mittel dafür ansehen, unsere Gedanken einmal loszulösen von den irdischen Geschäften, die uns so sehr in Anspruch nehmen und so sehr unsern Geist lähmen. Möchten| wir lernen, durch unsere Gottesdienste und Andachten unsere Gedanken recht zum Herrn zu erheben, zu dem, der im Himmel thront, aber zugleich bei Seiner Gemeinde auf Erden gegenwärtig ist, ja schon da, wo zwei oder drei versammelt sind in Seinem Namen. Möchten wir in diesen Andachten unsern Glauben an den erhöhten, wahrhaft gegenwärtigen Herrn immer wieder aufs neue stärken und auch stärken lassen durchs Wort und Gebet. Möchten wir besonders im Gebet, von dem wir später sonderlich reden wollen, im Gottesdienst unsere Gedanken zum Herrn richten und all unsere, unseres Hauses, unseres Volkes und unserer Kirche Anliegen Ihm vortragen. Möchte immer wieder der Geist der Andacht in uns entzündet werden wie durchs Feuer vom himmlischen Heiligtum her.

 All diese Ordnungen der Kirche, von denen wir heute als von einer Gnadenquelle geredet haben, geben uns den Geist sieghafter Klarheit und zugleich wollen sie uns stärken den Geist der Andacht und Erhebung zum Herrn. Darum wollen wir alle die äußeren Ordnungen nicht gering achten, sondern von ihnen allen denken: verderbet sie ja nicht, es ist ein Segen darin. Ja es gehören diese kirchlichen Ordnungen ganz gewiß mit zu dem, wovon der erhöhte Herr Seiner Kirche gesagt hat: „Halte, was du hast.“ Ja: „was ihr habet, das haltet, bis daß Ich komme.“ Amen.





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