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Entdecker in der Unterwelt

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Textdaten
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Autor: Heinrich Noë
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Titel: Entdecker in der Unterwelt
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 26, S. 468–470
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1886
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Entdecker in der Unterwelt.

Von Heinrich Noë.

Wer bei der Station Divazza auf dem Karst die Eisenbahn verläßt, geht etwa dreiviertel Stunden lang durch ein ebenes Gefilde. Von einem Gebirge oder von einer bevorstehenden hoch bedeutsamen Scenerie ist nirgends ein Anzeichen vorhanden. Nach dreiviertel Stunden gelangt der Wanderer in ein Dörflein, Mataun genannt. Hier wird ihn ein Führer, der ihn begleitet, auf ein Loch in der Mauer aufmerksam machen mit der Weisung, seinen Kopf durch dasselbe hindurch zu stecken.

Es ist nicht im Geringsten übertrieben, wenn man behauptet, daß an keiner einzigen Stelle des Alpengebietes sich des Reisenden eine derartige Ueberraschung bemächtigt wie hier. Geht man großen und wilden Scenen des Hochgebirges entgegen, so naht man sich ihnen in keiner Weise unvorbereitet.

Hier, wo wir die Wunder der Unterwelt schauen, ist es anders. Hier ist der Wanderer auf einer Ebene gegangen und die gewaltigen Schrecknisse der zerrissenen Erdkruste und ihrer donnernden Wasser enthüllen sich nicht über ihm, sondern unvermuthet zu seinen Füßen. Die Erde bricht so zu sagen plötzlich ab. Der Wanderer sieht, daß er auf einem Hohlraume gegangen ist, es bemächtigt sich seiner ein unheimliches Gefühl. Diese Empfindung wird verstärkt durch das Dröhnen eines Flusses, welches aus dem Abgrunde heraufdringt, gegen welchen er hinabschaut. Sein Blick vermag nicht bis auf die Tiefe zu dringen. Nun schleppt ihm der Führer einen schweren Stein herbei, der alsbald im Bogen dort hinabfliegt. Lange Zeit vergeht, bis der Aufschlag in der unsichtbaren Tiefe die Ankunft des Felsbrockens meldet.

Der Reisende geht verblüfft einige Schritte weiter und gelangt zu einem Kirchlein, welches dem heiligen Cantianus gewidmet ist.

Er ist nunmehr schon darauf gefaßt, die großen Erscheinungen unter sich zu sehen, und in der That klafft hier vor ihm ein kreisrunder, mächtiger Felsentrichter, der gerade 150 Meter tief ist. Auch aus seinem Schlunde donnert es herauf, und wir sehen noch dazu ein schwarzes Portal, 30 bis 40 Meter hoch, durch welches die Fluthen den Gebieten der Nacht entgegenrauschen.

Was hat es nun mit diesem Flusse für eine Bewandtniß? Darauf wird man dem Reisenden antworten, daß der Fluß hier Reka genannt wird, weiter im Osten aber, jenseit Triest, urplötzlich aus einer Felsenspalte heraus als jener heilige Timavus ins Meer tritt, welchen alle römischen Dichter verherrlicht haben, dessen Andenken bis zum Zuge der Argonauten und zur Flucht des thracischen Diomedes zurückreicht.

Kurz gesagt: Man sieht einen mächtigen Fluß durch ein großes Portal in das Reich der Nacht eingehen, und einen andern großen Fluß, 40 Kilometer östlich davon entfernt, hervorbrechen, um sich nach wenigen Schritten mit der Salzfluth zu vereinigen. Zu allen Zeiten hat die Einbildungskraft der Menschen sich mit dieser Erscheinung beschäftigt. Immer wurde die Frage aufgeworfen: „Wie ist der Lauf dieses Flusses in der Unterwelt beschaffen? Ist es wirklich die Reka, welche als Timavus zum Vorschein kommt? Wie schauen die Hohlräume, Hallen und Gänge aus, durch welche der nächtliche Strom rauscht, und ist es nicht möglich, zu Schiff in diese niemals gesehenen Gebiete vorzudringen?“

In der That hat man hier in verschiedenen Jahrhunderten den einen oder andern Versuch gemacht, dem näher zu treten, was die Nacht verhüllt. Man ist aber, bis auf wenige Ausnahmen in unserem Jahrhundert, an der Schwelle stehen geblieben. Denn der Herrscher dieser Unterwelt vertheidigt sein Gebiet wirksam. Es giebt keinen Menschen, welcher sich nicht erschüttert fühlt, wenn er zum ersten Male nahe an ein solches Gewölbe, aus dessen Hintergrund ihm die Nacht entgegenschaut, hinschreitet und den Donner des Wassers vernimmt, vor welchem alle diese finsteren Hallen zu beben scheinen. Ein Wasserfall in der Unterwelt, der vielleicht einen Meter hoch ist, bringt unter der Mitwirkung des Widerhalles ein Getöse hervor, wie droben unter der Sonne ein mächtiger Katarakt. Jeder Reisende der Unterwelt muß deßhalb zunächst diese Scheu überwinden, welche man mit dem Kanonenfieber der Soldaten vergleichen kann.

So vergingen Jahrhunderte, ohne daß auf dem nächtlichen Strome über das Portal hinaus vorgedrungen worden wäre.

Im Jahre 1681 schrieb Schönleben, gegen Ende des 18. Jahrhunderts Hacquct über diese Unterwelt. Beide haben es nicht zu einer Schifffahrt auf dem unterirdischen Flusse gebracht. Anfangs der vierziger Jahre unseres Jahrhunderts befuhr der Brunnenmeister Svetina auf Veranlassung des um die Bereisung der Unterwelt hochverdienten Controlors Anton Lindner den Fluß mit zwei Booten. Er kam aber nur eine ganz geringe Strecke in dasjenige Gebiet hinein, welches bereits die Nacht bedeckt.

In den Jahren 1850 bis 1852 versuchten es der Wiener Gelehrte Dr. Adolf Schmidl (genannt „Höhlenschmidl“) und der Ingenieur Johann Rudolf, das Geheimniß aufzuhellen. Dem Letzteren kam gegen Ende des Winters 1851 ein niedriger Wasserstand zu Hilfe. Am 6. März war derselbe mit vier Bergarbeitern durch ungeheuer hohe und weite Hallen über fünf Wasserfälle hinab vorgedrungen, bei dem sechsten, der bedeutend höher als die übrigen ist, waren die muthigen Männer eben mit ihren Arbeiten beschäftigt, als dieselben eine plötzlich eintretende Hochfluth überraschte. Sie mußten ihre Boote im Stiche lassen und entrannen der Gefahr nur mit äußerster Mühe, indem sie längs der steilen Felsenufer kletternd wieder das Tageslicht erreichten.

Es vergingen 33 Jahre, bis es wieder einmal Menschen wagten, an den schwarzen Schleier zu rühren, welcher das Geheimniß der Proserpina bedeckt.

Am 20. Januar 1884 schafften Anton Hanke, Friedrich Müller und Josef Marinitsch aus Triest Balken, Taue und Strickleitern in die Schmidl-Grotte. Diese große Höhlung ist ein alter Flußlauf der Reka, nördlich von dem heutigen gelegen. Er vereinigt sich mit diesem letzteren in nicht großer Entfernung hinter dem Eintritte des Flusses in die Nacht. Wer durch die Schmidl-Grotte geht, kann also das in Finsterniß gehüllte Ufer des Flusses erreichen.

Bevor ich weiter erzähle, fordere ich den Leser auf, sich vorzustellen, mit welcher Schwierigkeit diese Pioniere zu kämpfen hatten.

Man denke sich eine Finsterniß, gegen welche die dunkelste Nacht auf der Erdoberfläche verhältnißmäßig noch hell erscheint.

In dieser Finsterniß müssen die Forscher über Steilwände der Ufer klettern, welche von früheren Hochfluthen spiegelglatt abgewaschen wurden und dazu noch fortwährend durch Tropfwasser, das von den hohen Gewölben herabsickert, überrieselt werden – oder auch über Felsen, die durch das Wasser in messerscharfe Rippen aus einander gesägt sind. Lothrecht unter ihnen, in Dunkel gehüllt, donnert der Strom. Dem Eintretenden ist es, als ob ihm eine schauerliche Ahnung entgegen wehte von alledem, was er in diesen Gebieten zu gewärtigen hat. Ein Fehltritt, er gleitet hinunter, und seine Leiche wird fortgeschwemmt in Gegenden, wohin niemals eine Ahnung des Tages gedrungen ist.

Dabei mußten die Reisenden nicht nur ihre Leuchten, Fackeln, Laternen, sondern auch die Balken, Leitern und Boote selbst an das Ufer tragen; denn kein Bauer der Umgegend hätte es gewagt, sie bei dieser Unternehmung zu begleiten. Dann zimmerten die Männer ein Floß und legten in den Felsen ein Depot für weitere Unternehmen an.

Am 30. März 1884 wurde mit diesen Fahrzeugen die erste Reise unternommen. Man gelangte in eine große Halle, welche dem früheren Reisenden zu Ehren Svetina-Dom getauft wurde, fuhr über zwei Wasserfälle hinab und landete endlich, weil ein gewaltiger Donner die Nähe eines anderen und größeren Wasserfalles ankündigte.

Dieses war jener 7 Meter hohe Katarakt, bis zu welchem 33 Jahre vorher schon Rudolf vorgedrungen war. Man stellte nunmehr sogenannte Magnesiumlampen auf, und bei dem grellen Lichte dieser Flammen, welche den Raum auf 100 Meter und darüber aufhellten, erblickten die Reisenden auf dem rechten Ufer des Wasserfalles einen hohen Felsen, der von ihnen den Namen Lorelei-Felsen erhielt.

Eine weitere Fortsetzung der Reise war damals nicht möglich. Wegen des hohen Wassers erschien eine Begehuug der Ufer [469] undurchführbar, und eine weitere Annäherung zu Schiff hätte die Forscher unabwendlich in den Katarakt hinabgerissen. Erst am 9. November 1884 konnte die Reise fortgesetzt werden.

Mittlerweile hatte man sechs Bauern durch Ueberredung zu gewinnen gewußt. An diesem Tage begaben sich Anton Hanke, Joseph Marinitsch und Friedrich Müller zu Fuß durch die Schmidl-Grotte an jene Stelle des Ufers, welche von dem Forscher „Hafen“ benannt worden war. Drei Boote wurden in das Wasser gelassen. Um neun Uhr Vormittags fuhren zwei dieser Boote ab. Hanke saß in dem ersten, Müller im zweiten. Damit sich die Insassen einander besser beistehen konnten, waren die beiden Boote durch ein Schlepptau mit einander verbunden.

Auf diese Weise geleitete Müller seinen Genossen Hanke, der noch einen Bauern, Namens Jednak, zu sich ins Boot genommen hatte, bis zu einer Stelle, von welcher aus es bei dem damaligen Wasserstande möglich war, zu Fuß bis zum Lorelei-Felsen vorzudringen. An dieser Stelle landete Hanke mit seinem Genossen, um den gedachten Felsen zu erreichen und dort das Nöthige für die Ueberwindung des Wasserfalles vorzubereiten. Später wurde auch Marinitsch an dieser Stelle ans Land gesetzt, um die Vorbereitungen zu einem Brückenschlage zu treffen, der im Svetina-Dom oberhalb des Wasserfalles ausgeführt werden sollte. Dieser Brückenschlag hatte den Zweck, zur leichteren Beischaffung des Materiales dort unten die beiden Ufer zu verbinden. – Eine Menge von schweren Gegenständen mußte zunächst auf die Höhe des Lorelei-Felsens geschafft werden. Um mit allen diesen Lasten zu demselben zu gelangen, war man genöthigt, vorerst eine Höhe zu überklettern, für deren Beschreibung ich kein anderes Bild weiß, als das einer Mondlandschaft im Kleinen.

Die Felsen waren dort so scharfkantig, von der Wirkung der Hochfluthen zerfressen, durchbohrt, abgeschliffen und zugespitzt, daß es schon für einen einzelnen Menschen ein Ding von großer Schwierigkeit war, dort hinüber zu kommen. Trotzdem gelang es der ganzen Gesellschaft, mitsammt ihrem Gepäck und ihren Lasten jene Höhe zu überschreiten. Eine besondere Schwierigkeit war es, sich davor zu verwahren, daß man in die Wassertümpel hineinglitt, welche sich auf jenem Hang überall, von scharfen Rändern umgeben, in den Felsen eingegraben haben.

Endlich war die Höhe des Lorelei-Felsen erreicht. Die Temperatur betrug hier + 8° C., während draußen, vor dem Eingang in die Unterwelt + 6,8° C. gemessen worden war. Die Temperatur des Wassers wurde zu + 5,8° C. gefunden.

Unterirdischer Lauf der Reka bei Sanct Canzian.
Müller-Dom mit dem 6. und 7. Wasserfall, Lorelei-Felsen und See.

Man war jetzt bereits bis zu jener Gegend der Unterwelt vorgedrungen, in welcher es der Wärme nach ebenso wenig Jahreszeiten giebt, als man die Räume, in welchen noch ein Unterschied zwischen Nacht und Tag wahrnehmbar ist, schon vor dem zweiten Wasserfall hinter sich hatte.

Die Arbeit der Gesellschaft zerfiel hier in zwei Theile. Vorerst mußte das Boot, in welchem die Fahrt unterhalb des Wasserfalls fortgesetzt werden sollte, bis zum Rande des Flusses über das steile Ufer hinabgelassen werden. Sodann mußte es unten Jemand in Empfang nehmen und so in die aufwallenden Strudel der Wasser einsetzen, daß es, wenn man es an einem Tau über den Katarakt hinabließ, unterwegs nicht umschlug. – Mittlerweile waren die Spitzen der Felsenhügel, welche jenen Schauplatz umgeben, allenthalben beleuchtet worden, und die Gesellschaft war im Stande, alle einzelnen Vorgänge gut zu überschauen. Von einer wechselseitigen Verständigung durch Zurufe konnte wegen des Brausens der Wasser keine Rede sein. Es mußte deßhalb zu den Signalwerkzeugen der Grotten-Reisenden, den Hifthörnern, gegriffen werden. Der Gesellschaft wurde hier ein Anblick, wie ihn noch nicht viele Menschen gehabt haben. Ringsum Berge, Thäler und rinnende Wasser, wie auf der Oberwelt. Die Ähnlichkeit mit der Mondlandschaft zeigte sich auch in den schwarzen Schlagschatten, von welchen jene Schlüfte ausgefüllt waren, wohin das Blinken der Magnesiumflamme, welche wie weißglühendes Eisen leuchtet, nicht drang. Die Fackeln, die man hier und dort umherirren sah, erschienen dagegen wie trübe, braunrothe Punkte. Dämonisch war der Anblick des schaumbedeckten Kataraktes und der Traufen, welche von ihm in die Kegel der Magnesiumlichter hinaufflogen. Es war ein Strom von silberweißem Feuer, wie ihn noch keine Einbildungskraft eines Dichters gesehen hat. Dazu flimmerte es in der Luft weit hinauf von leuchtenden Punkten in allen Farben. Es war dies der Wasserstaub, angeglänzt von den mannigfaltigen Lichtern der Reisenden. Zugleich nahmen sie eine Erscheinung wahr, wie sie Grottenwanderern des Karstes nicht selten wird. Die hohe Decke des Gewölbes, zu welcher nur schwächliche Streiflichter der Flammen aus der Tiefe hinaufreichten, erschien ganz und gar wie der dunkle Nachthimmel der Oberwelt, über welchen leichte Wölkchen ziehen, die von einem noch unterhalb des Gesichtskreises stehenden Vollmond leicht angeglänzt sind. Diese Täuschung wird hervorgebracht durch die schwarzgraue Färbung des Gesteines oben, an welches sich hier und da flache Krystallbildungen von Kalksinter angelegt haben. Diese letzteren [470] sind die lichten Wölkchen. Ihre vermeintliche Bewegung wird durch die Unruhe der wandernden Lichter hervorgebracht. Man nehme dazu den Klang der Hifthörner, das Aufblitzen von Fackeln auf beiden Ufern, das Donnern des Wassers und die Aufregung, welche sich der Reisenden in Bezug auf das Gelingen ihres Werkes bemächtigt hatte!

Zunächst wurde eine Strickleiter gelegt, um demjenigen, welcher dort unten das Schiff auf das Wasser zu setzen hatte, das Absteigen zu ermöglichen. Das oberste Ende der Strickleiter wurde um einen Felszacken gelegt. Von hier aus fiel die Leiter senkrecht acht Meter lang gegen den Fluß ab. Doch lag sie an verschiedenen Stellen auf dem zerrissenen Felsgestein auf. Unten erreichte sie einen winzigen Vorsprnng, welcher gerade genug Halt für einen Fuß bot, immer aber noch über einen Meter über das Wasser erhaben war.

Auf dieser Strickleiter kletterte Hanke in die Tiefe, von allen Seiten überschüttet durch den aus dem Wasserfalle aufsteigenden Sprühregen. Alsdann wurde an drei starken Stricken das ausgerüstete Boot zu ihm hinabgelassen. Seine Stellnng unten war eine gefährliche. Mit der einen Hand mußte er sich an der Strickleiter halten, während er mit der anderen an der Lage des Schiffes zu arbeiten hatte. Dabei schwebte der eine Fuß über dem Wasser.

Die Bewegung der Wellen war hier so stark, daß es nicht gelang, das Boot anders, als halb mit Wasser angefüllt, zum Stapellauf zu bringen. Hanke’s Hifthorn verkündete denselben.

Ein Hurrah! vom Gipfel des Felsen herab, welches den Wasserfall übertönte, und nach wenigen Augenblicken tauchte das Schiff jenseit des Kataraktes aus dem Schaume auf und lag unten, sich schaukelnd, neben dem Felsen.

Die Gesellschaft kletterte nun auf der dem Boote zugewandten, überaus steilen Seite des Lorelei-Vorgebirges hinab. Es handelte sich nun um die Weiterfahrt. Man beschloß, in der Weise vorzugehen, daß zuerst Einer dieselbe unternahm, um am jenseitigen Ufer sich nach einer Landungsstelle umzuschauen, von welcher aus er vielleicht eine Strecke weit den Weg zu Fuß zurückzulegen vermöchte. Es wurde das Wasser ausgeschöpft, und Hanke trat zuerst allein die Fahrt an, um zu sehen, wie sich weiter abwärts der Lauf des Flusses gestalte.

Dieser Pionier fand es für nothwendig, seinem Schiffe an Bindfäden sogenannte „Schwimmer“ vorausgehen zu lassen, rundliche Brettchen, auf welchen ein Licht befestigt ist.

Trotz der Wucht, mit welcher das Wasser sich unterhalb des Kataraktes noch fortbewegt, sah man diese Schwimmer doch bald ihre Bewegungen verlangsamen, sich endlich im Kreise herumdrehen und fast völlig still halten. Es war sofort klar, daß der Fluß sich hier zu einem See ausweite. Bald verkündeten Signalrufe Hanke’s, daß er einen entsprechenden Landungsplatz gefunden habe. Das Schiff kehrte mit ihm zurück, und es wurde nun die ganze Gesellschaft allmählich übergesetzt.

Sie erreichte ungefähr an der Stelle, wo der Strom in den See einfließt, ein felsiges Ufer, auf dessen Grunde sich viele sogenannte „Steinmühlen“ befanden. Diesen Namen hat von den Reisenden der Unterwelt eine eigenthümliche Erscheinung erhalten. Tritt Hochwasser ein, so werden gewisse, mit Geröll angefüllte Grübchen, welche unten durch einen Spalt mit weiteren Räumen der Unterwelt in Verbindung stehen, so rasch mit Wasser angefüllt, daß die zugeführte Menge desselben nicht in der gleichen Schnelligkeit wieder ablaufen kann. Es entsteht dadurch in den kreisrunden Gruben nach unten hin eine quirlende Bewegung, von welcher die Steine mitgerissen werden. Die Reibung, welche dabei erfolgt, rundet die Steine und schleift sie ab. Dieselben erhalten dadurch ein Aussehen wie glattpolirte Spielmarken. Jeder, der ein solches Nest dieser weißen Plättchen zum ersten Male sieht, wird dieselben mit Staunen betrachten.

Hier wurde nunmehr ein Hügel bestiegen und versucht, mit Magnesiumfeuer die nächsten vorliegenden Strecken des Gebietes aufzuhellen. Als man den Gipfel des Hügels erreichte, hörte man aus jener Richtung her ein Brausen, welches den siebenten und achten Wasserfall ankündigte, die späterhin erreicht worden sind. Mehr als hundert Meter weit ragten vor dem Glanze des Magnesiums die Riesenschatten der Reisenden über die Wasser gegen die Gewölbe hinauf. Müller fand den treffendsten Vergleich. Dieses Stück Unterwelt in dem starren Glanze der Kalkspath-Krystalle glich einer von Nordlichtern überstrahlten Polar-Landschaft.

Jenseit des Sees, auf welchem trotz des tiefen Wassers wegen dessen Klarheit die Bootfahrenden sich vorkamen, als schwebten sie in der Luft, erheben sich schneeweiße Gebirge.

Zum ersten Male leuchteten die Flächen ihrer Rhomboëder im Glanze irgend eines Lichtes. Die alten Steinriesen schienen dieses Fest feiern zu wollen, denn ein Glanz wie von zahllosen Edelsteinen strahlte den ankommenden Menschen entgegen.

An jenem Tage gelangte man jenseit des Sees, welcher nach seinem Entdecker den Namen „Müller-See“ erhielt, noch an einen zehnten und elften Wasserfall. Von dort ab wendet sich, wie auch spätere Forschungen ergaben, der Fluß gegen Nordwesten. Die Gegenden, welche hier noch zu durchwandern sind, bedeckt eine Nacht, in welche nie ein Strahl drang. Es werden aber neue Reisen in diese Unterwelt geplant, und vielleicht ist der Tag nicht mehr fern, an dem der Schleier fällt, mit welchem die große Isis den Lauf dieses Stromes seit dem Anbeginn der Zeiten verhüllt hat.