Etwas über Hamburger Alster-Regatten

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Autor: G. K.
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Titel: Etwas über Hamburger Alster-Regatten
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aus: Die Gartenlaube, Heft 30, S. 498–502
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1882
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Etwas über Hamburger Alster-Regatten.

Unsere Alster,“ sagt der Hamburger mit Stolz, und er ist berechtigt hierzu — aus mehr als einem Grunde. Ist doch dasjenige, was man in allen fünf Welttheilen von der Alster kennt, sei es aus eigener Anschauung oder aus Abbildungen, specifisch hamburgisch; ich meine die beiden prachtvollen Bassins, welche der Alsterfluß auf dem Gebiete der „freien und Hansestadt“ bildet, die „Außenalster“ und die „Binnenalster“; erstere 1,834,000, letztere 203,000 Quadratmeter groß, „Edelsteine in Hammonias Mauerkrone“, wie ein neuerer Poet sie genannt hat. Aber auch das gesammte Alsterflüßchen auf holsteinischem Gebiete ist Eigenthum der hamburgischen Republik, welche es 1306 bis 1310 von den Schaumburger Grafen gegen baares Geld redlich erwarb, um mittelst eines bis zur Trave geführten Canales in directe Flußschifffahrtsverbindung mit Lübeck zu gelangen. Die Benutzung dieses Canals, welcher noch heutzutage vorhanden ist, ward erst 1550 aufgegeben; dennoch hielt Hamburg an seinem Hoheitsrechte fest und sorgte namentlich für beste Instandhaltung der acht Schleusen oberhalb der Stadt, da die Alster mit ihrer starken Strömung den Hafen der Stadt vor Versandung schützt. Auch gehören die Alsterarme innerhalb der Stadt zu den besten „Fleeten“, den bekannten Canälen, welche Hamburg zum „nordischen Venedig“ machen und dem Handel vortreffliche Dienste leisten, indem auf diesem billigen Wasserwege die Waaren mit geringen Unkosten aus den Seeschiffen in die Speicher transportirt werden können.

Ausschließlich Rücksichten der vorgeführten Art, rein praktische und materielle Beweggründe waren es, welche im vierzehnten Jahrhundert die alten hansischen Rathsherren zu dem Ankaufe des Flusses bewogen; denn die landschaftliche Schönheit des letzteren existirte damals noch nicht; das jetzt von Außen- und Binnenalster bedeckte Terrain wies nur moorige Wiesen auf. Der quer durch dieselben hindurchgezogene Stadtwall, dessen Mittelpunkt die Lombardsbrücke bildet, dämmte das Wasser ab, und so entstanden die beiden Bassins, die eine beredte Illustration zu dem alten Sprache geben, daß „Wasser das Auge der Landschaft“ sei; wie arm an landschaftlichem Schmucke wäre Hamburg, welches in dieser Beziehung so ungünstig wie möglich theils auf der flachen Elbmarsch [499] (angeschwemmtes Land), theils auf der sandigen Geest (Urboden) belegen, wenn es jene Juwelen nicht aufweisen könnte!

Dieselben blenden und entzücken wohl auch den blasirtesten Touristen, der aller Erdtheile Wunder gesehen. Ist doch die Binnenalster einzig in ihrer Art; wo sonst noch fände man eine Stadt, die einen See von 2300 Schritt Umfang in ihre Mauern einschließt? Ein unregelmäßiges Viereck bildend, auf drei Seiten umschlossen von mächtigen Häuserfronten – theils Patricierwohnungen, theils Hôtels ersten Ranges – auf der vierten Seite von dem grünen Laub der Gartenanlagen des ehemaligen Stadtwalles eingerahmt, gewährt die Binnenalster einen herrlichen Anblick, imposant im Sonnenglanze, märchenhaft schön aber in klarer Mondnacht.

Begeistert singt Geibel im „Fragment“ der Juniuslieder:

„Die Nacht ist lau; die Schwäne kreisen;
Entschlummert scheinen Blüth’ und Blatt;
Lehn’ dich auf des Geländers Eisen –
Dort zeigt am schönsten sich die Stadt.
Siehst du den Häuserkreis, den dunkeln,
Aus welchem tausend Lichter funkeln,
Und tief sich spiegeln in der Fluth?
So ist’s, wenn mit geschliff’nen Kanten
Ein Kranz von blitzenden Demanten
Auf blauen Sammetkissen ruht.“

Die unzähligen Gasflammen auf den Promenaden, verbunden mit der reichen Erleuchtung der Kaufläden und Cafés des „Jungfernstieges“, strahlen, verstärkt durch den in langen Linien zitternden Wiederschein des in leichten Wellen sich kräuselnden Wassers, in so mächtigem Glanze, daß der Irrthum eines kleinen deutschen Fürsten verzeihlich war, welch Letzterer, als er auf abendlicher Durchreise über die Lombardsbrücke fuhr, seinen ihn begleitenden Consul freundlich schalt:

„Aber ich reise doch im strengsten Incognito – weshalb haben Sie eine Illumination veranstaltet?“

Wirkliche festliche Erleuchtungen der meist vier- bis fünfstöckigen Häuser, ferner Böte mit farbigen Lampions, bengalische Flammen und sonstiges Feuerwerk auf dem Wasser bringen hier zauberische Wirkungen hervor, wie sie die Feder auch nicht annähernd zu schildern vermag.

Wesentlich andersartig präsentirt sich die Außenalster. Ihre Umgebung besteht zum weitaus größten Theil aus schmucken Einzelvillen, die kokett zwischen den Baumkronen der Parks hervorlugen; zwischen ihnen und dem Ufer erstreckt sich gewöhnlich noch das „Bowling-Green“, ein nach englischer Art stets kurzgeschoren gehaltener und reichlich bewässerter Rasenplatz von sammetartigem saftigem Grün, zu Cricket, Netzball und dergleichen Spielen geeignet und viel benutzt. Auch im Uebrigen sind diese reizenden Landsitze selbstverständlich mit all den Schätzen der Gartenbaukunst ausgeschmückt, den die Bankconten der „königlichen Kaufleute“ gestatten; hierin wird diese Gegend freilich von einzelnen Villen am Elbufer bis Blankenese, in denen die hervorragendsten Millionenbeherrscher residiren, noch übertroffen. Aber mögen letztere majestätischer sein, idyllischer ist die Außenalster; namentlich ihre Buchten und Seitenarme bieten allerliebste Veduten, unter denen die Umgebung des seinen Namen mit Recht führenden Feenteiches, nahe der „Schönen Aussicht“ auf der Uhlenhorst, als die Perle gelten darf.

Auf diesen tiefblauen Fluthen, in denen sich die weißen Wasserrosen spiegeln, pflegen zartbesaitete Gemüther poetisch gestimmt zu werden. Solche sind indessen in der nüchternen Kaufmannsstadt verhältnißmäßig selten; die Mehrzahl der Einwohner faßt die Vorzüge „ihrer“ Alster aus anderen Sehwinkeln auf, und eine sehr zahlreiche Fraction, Jung und Alt, betrachtet dieselben kaum als etwas Anderes, denn einen ausgezeichneten Tummelplatz für den edlen Wassersport, für Ruder- und Segelregatten.

Beide, nach dem von England gegebenen Vorbilde seit den vierziger Jahren dieses Jahrhunderts hier eifrig cultivirt, bieten die interessantesten Schauspiele auch für den Nichtkenner. Nach vielen Tausenden zählt das zuschauende Publicum, und bei solchen Gelegenheiten geräth der sonst so kalte und reservirt „zugeknöpfte“ Hamburger ganz aus dem Häuschen.

In Momenten, wie dem aus unserer Abbildung (S. 500) dargestellten, bei scharfem Kampfe um die Siegespalme, besonders bei den Ruderconcurrenzen, geberden sich die Menschen am Ufer und auf den längs der Bahn liegenden Fahrzeugen so leidenschaftlich, wie die heißblütigsten Südländer; die unzähligen Zurufe des Beifalls und der Ermunterung bringen einen unbeschreiblichen Lärm hervor, der die Gruppe der Wettbewerber fortwährend begleitet. Selbst solide alte Börsenherren auf den escortirenden Dampfern brüllen unter heftigsten Gesticulationen ihr: „Bravo Jungens! Fest ‚Mathilde‘! Hurrah für ,Titania’!“ und Aehnliches mit vollster Lungenkraft – die ruhigen Bürger sind wie umgewandelt; wer dergleichen je erlebt hat, kann uns bezeugen, daß wir nicht im mindesten übertreiben.

Eine gehörige Dosis von Begeisterung für dieses männlich-kräftigende Vergnügen muß aber auch schon bei den Nächstbetheiligten herrschen, um die großen hier aufgewandten Opfer an Zeit, Mühe und Geld zu ermöglichen. Schon das geschickte Segeln unter bester Verwerthung der Windeskraft und vortheilhaftester Benutzung der Wasserbahn erfordert nicht geringe Uebung und Sachkunde. Vollends aber der Ruderer hat sich zum Wettkampfe durch etwa sechs Wochen außerordentlicher Strapazen und Entbehrungen würdig vorzubereiten, und zwar durch „Trainirung“.

Der junge Mann, welcher „under train“ ist, hat folgende Lebensweise genau zu beobachten: Des Morgens wird so frühzeitig aufgestanden, daß um 5 Uhr die Uebung beginnen kann. Die Mannschaft bringt das Boot, welches während der Zeit der Nichtbenutzung im Boothause auf dem Trockenen und im Schatten lagert, zu Wasser, und während mehrstündiger Fahrt lehrt der „Trainer“, wie man ein Ruder mit der nöthigen Feinheit eintaucht, wie man ihm Schwung und Federkraft giebt, wie ein schneller oder langsamer Schlag auszuüben ist etc.; die Kraftentwickelung allein genügt nicht: Ausdauer, Geschicklichkeit und einheitliches Zusammenwirken sind wesentlichstes Erforderniß. Einige Ruderclubs verschreiben sich eigene „Trainer“ (die das Trainiren als Geschäft betreiben) aus England, was natürlich recht hohe Kosten verursacht, während bei anderen erfahrene ältere Mitglieder die Uebungen leiten.

Der Trainir-Rudertour folgt kalte Abreibung und ein Frühstück, bestehend etwa aus einem Glase Sherry oder Portwein und gehacktem, rohem Beefsteak mit Eigelb; denn der Trainirende hat eine unglaublich strenge Diät zu halten. Er macht eine Art Banting-Cur durch: nichts „Fettbildendes“ darf er zu sich nehmen; beispielsweise Bier, Milch, Zucker, Kartoffeln, Reis, Fett, Mehlspeisen sind ihm verboten. Schwach gebratenes oder rohes Fleisch, weniges in Wasser gekochtes Gemüse, ein Bischen Zwieback oder Cakes sind seine Hauptnahrung; guter, alter Wein in mäßiger Quantität sein Getränk; alles unnöthige Fett soll aus dem Körper entfernt, Sehnen und Muskeln sollen ausgebildet werden. Ferner darf der Trainirende nicht rauchen (schweres Opfer für Manchen!), und muß überhaupt alles Entnervende und jegliche Excesse vermeiden. Daß er diese Gebote hält, dafür bürgt sein Ehrenwort; bräche er dieses, so wäre er natürlich als Mitglied eines Gentleman-Ruderclubs unmöglich und würde unbedingt ausgeschlossen.

Das Trainiren ist übrigens weniger schlimm, als es den Anschein hat; denn an die Entbehrungen gewöhnt sich der junge Mann bald; die harte Arbeit ist dem sonst an das Schreibpult Gefesselten eine angenehme Abwechslung, und reichlich entschädigend wirkt das stete Steigern körperlicher Kraft, deren Vollgefühl ihn schließlich mit unbeschreiblichem Wohlbehagen erfüllt.

Dazu kommt noch als Sporn die Hoffnung, die heiß ersehnte Siegesehre davon zu tragen. Ausschließlich um die Ehre wird jetzt auf den Alsterregatten gekämpft; denn eingelegte Concurrenzen um Geldpreise zwischen professionirten Ruderern (Matrosen, Schiffern), wie sie früher üblich waren, finden nicht mehr statt. Die Ehrenpreise sind gewöhnlich recht werthvoll: silberne und selbst goldene Humpen, Pokale, Tafelaufsätze und dergleichen, für welche die beiden größeren Vereinigungen von Freunden des Wassersports, „Allgemeiner Alster-Club“ und „Norddeutscher Regatta-Verein“, namhafte, nach manchen Tausenden von Mark sich beziffernde Summen aussetzen. Neben den Werthstücken, welche den gewinnenden Clubs anheimfallen, lohnen Medaillen, Tuchnadeln, Ehrenzeichen etc. die einzelnen Sieger.

Ueber die Ruderböte selbst möge Einiges gesagt werden. Man unterscheidet hauptsächlich, abgesehen von kleineren Nuancen, zwischen der „Touren-Gig“ und dem eigentlichen „Race-Boot“. Erstere, von solider Bauart, sechs- und zwölfruderig, dient neben dem Wettrudern auch zu Ausflügen auf die Elbe und die Bille; ein solches flaggen- und wimpelgeschmücktes Fahrzeug, oft zum Schutz der „Passagiere“ nahe dem Steuer noch mit einem hübschen Zeltbaldachin versehen und von den Ruderern in ihrer idealisirten

[500]

Segelregatta auf der Außenalster bei Hamburg, vom Thurme des Uhlenhorster Fährhauses gesehen.
Originalzeichnung von W. Heuer.

[502] Seemannstracht mit tactmäßigen Schlägen rasch vorwärts getrieben, gewährt einen recht hübschen Anblick.

Das eigentliche „Race-Boot“ dagegen ist ausschließlich für Regattazwecke bestimmt. Es ist sehr schmal und von äußerst leichter Bauart; die Planken sind so dünn, daß selbst die Ruderer mit ihrem leichten Fußzeug auf’s Vorsichtigste auftreten müssen, um nicht durchzubrechen, und es ist „out-rigged“, das heißt, die Stützpunkte für die Ruder sind am Ende von eisernen Stangen angebracht, die sich circa einen halben Meter weit über den Bord hinaus erstrecken, zwecks Verstärkung der Hebelkraft des Ruders; pfeilschnell schießt das leichte Ding dahin.

Erwähnenswerth sind noch die „sliding-seats“ (gleitenden Sitze) auf den Ruderbänkchen. Der Ruderer sitzt auf einem Brettchen, welches auf Rollen ruht, die sich in messingenen Schienen bewegen. So schnellt denn bei jedem Ruderschlage die ganze Mannschaft einige Zoll vorwärts (die Füße haben an ledernen Riemen einen Haltepunkt) und die Körperschwere giebt einen die treibende Kraft verstärkenden Ruck. Ueber die sliding-seats sind indessen die Meinungen getheilt. Die Frankfurter Rudergesellschaft, welche vor einigen Jahren ein Boot nebst auserlesener Mannschaft nach Hamburg entsandte und brillant siegte, hatte feste Sitze, und seitdem ist diese Frage eine vielbestrittene, aber noch unentschiedene.

Auswärtige Gäste sind auf Hamburger Regatten nichts Seltenes; in den letzten Jahren sah man unter Anderem Engländer, Kieler, Prager, ja selbst Triester Ruderer concurriren. Wesentlich mit Rücksicht auf den Umstand, daß die Engländer am Sonntag nicht rudern, wird eine der alljährlich stattfindenden Regatten an einem Sonnabend abgehalten.

Den Schluß der Wasserfeste pflegt ein Mittagsmahl im Uhlenhorster Fährhause zu bilden, einem beliebten Vergnügungsort der Hamburger; der Thurm desselben bietet das großartige Panorama, dessen schönsten Punkt der Zeichner unseres heutigen Bildes fixirt hat.

G. K.