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Evangelien-Postille (Wilhelm Löhe)/Reminiscere

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Am Sonntage Reminiscere.

Evang. Matth. 15, 21–28.
21. Und JEsus gieng aus von dannen und entwich in die Gegend Tyrus und Sidon. 22. Und siehe, ein cananäisch Weib gieng aus derselbigen Gränze und schrie Ihm nach und sprach: Ach HErr, Du Sohn Davids, erbarm Dich mein, meine Tochter wird vom Teufel übel geplagt. 23. Und Er antwortete ihr kein Wort. Da traten zu Ihm Seine Jünger, baten Ihn und sprachen: Laß sie doch von Dir, denn sie schreiet uns nach. 24. Er antwortete aber und sprach: Ich bin nicht gesandt, denn nur zu den verlornen Schafen aus dem Hause Israel. 25. Sie kam aber und fiel vor Ihm nieder und sprach: HErr, hilf mir! 26. Aber Er antwortete und sprach: Es ist nicht fein, daß man den Kindern ihr Brot nehme und werfe es vor die Hunde. 27. Sie sprach: Ja, HErr; aber doch eßen die Hündlein von den Brosamlein, die von ihrer Herren Tische fallen. 28. Da antwortete JEsus und sprach zu ihr: O Weib, dein Glaube ist groß, dir geschehe, wie du willst. Und ihre Tochter ward gesund zu derselbigen Stunde.

 WAs hat das cananäische Weiblein von Natur, vom Satan, vom Heilgen Geiste, von Christo empfangen? Das sind die Fragen, in deren Beantwortung ich euch den Inhalt des Evangeliums vorlegen will. − Zuerst betrachten wir, was sie von Natur hat. Wir sehen sie also im pur natürlichen Zustande, wo noch keine Versöhnung ihr kund geworden ist. In diesem Zustande aber ist der Mensch des Teufels| Gewalt und List viel mehr ausgesetzt, als im Zustande des Glaubens. Darum reihen wir die zweite Frage an. − Der Geist leitet die Herzen zu dem Sohne. Darum reden wir zuerst von den Wohlthaten des Geistes, dann von denen des Sohnes. − Wie die zweite Frage auf die erste, so folgt die vierte auf die dritte. Es ist je unter zweien ein sicherer Fortschritt und Zusammenhang.

 Unser Text zeigt uns eine Mutter, deren Tochter von schweren Leiden geplagt wurde, − eine Mutter, welche die Leiden der Tochter zu den ihrigen machte, selbst durch dieselben schwer belastet und betrübt wird, und darum Hilfe sucht. Wie gefällt sie euch, liebe Brüder? Wie gefällt euch diese Mutter? Ist etwas Ehrwürdigeres, als eine Mutter, wenn sie von Liebe zu ihren Kindern ergriffen und getrieben wird? Ist etwas Lieblicheres, als die Liebe, welche Zustände und Personen verwandelt und vertauscht, im Glücke sogleich unglücklich wird, wenn der Geliebte leidet, im Unglück von Freuden heimgesucht wird, wenn der Geliebte Freudentage hat, und kurzum immer in dem Geliebten lebt? − Ihr werdet zugestehen, daß die Liebe zu den Kindern und Verwandten etwas sehr Ehrwürdiges und Liebliches ist. Aber ob ihr mir mehr zugebet? Ob ihr einstimmet, wenn ich sage: Das Alles ist Natur, das cananäische Weib hat diese Mutterliebe von Natur? Das ist eine andere Frage. Ihr werdet mir beistimmen, daß sie diese Liebe von Natur hat, so lange ich diesen Ausdruck „von Natur, natürlich“ als Lob gelten laße. Aber wenn ich behaupte, daß die Gaben der Natur, so wie wir sie im Stande unsers Falles besitzen, an und für sich das Wohlgefallen Gottes nicht haben, daß sie von Sünde befleckt und durchdrungen seien und erst der Läuterung und Reinigung durch den Geist Gottes bedürfen, um zum Reiche Gottes gerechnet zu werden, − dann, dann wird es anders lauten! Dann werdet ihr vielleicht mit Kopfschütteln von mir weichen. Oder irre ich mich in euch? Darf ich hoffen, daß ihr Natur und Gnade scheidet, daß ihr die Gnade höher schätzet, als die Natur, daß auch ihr, wie ich, wünschet, die Natur möge geläutert, gereinigt, erhoben werden durch die Gnade? Ich sollte es hoffen dürfen, denn die Schrift und die einfache Ueberlegung der Dinge spricht für mich. Ich will es hoffen und will in dieser Hoffnung es zuversichtlich und vertrauend vor euren Ohren sagen: Mutterliebe ist Natur − und es gibt drum etwas, was höher ist als Mutterliebe, nämlich Gnade.


 Wenn durch diese Behauptung das cananäische Weiblein sammt allen Müttern vielen wie herabgewürdigt erscheinen und mir meine Rede unter euch zum Tadel gereichen sollte; so werde ich, wenn ich den angegebenen Inhalt unserer Betrachtung weiter verfolge, in euren Augen mich selbst noch weiter heruntersetzen, als es dem cananäischen Weibe geschah. Denn ich muß ja die Frage beantworten: Was hat das cananäische Weib vom Satan? Diese Frage aber erscheint, noch ehe ich sie beantworte, wie eine Entehrung nicht bloß aller Mütter, sondern der gesammten Menschheit. Gibt es denn einen Satan und ein böses Geisterreich? Ist es nicht der elendeste Aberglaube, so etwas anzunehmen und nun gar zu lehren? Und ist es nicht das Allerunwürdigste, die Menschheit unter den Satan und die Einflüße seines bösen Reiches zu stellen? So etwas hör ich gleichsam in meinen Ohren. Indes, geliebte Brüder, die Bibel ist nicht abergläubig, sondern gläubig, nicht phantastisch, sondern wahrhaftig, nicht teuflisch, nicht menschlich, sondern göttlich − und die Bibel lehrt allenthalben nicht allein im neuen, sondern im alten Testamente ein böses Geisterreich und eine Einwirkung desselben auf die Menschen. Sie lehrt offenbar, unwiderstreitbar, unabweisbar, daß der Satan und seine Engel in mancherlei Weise die Menschen anfechten und anstreiten, auch die Frömmsten, ja gerade sie. Hiob, St. Paulus, unser HErr JEsus Christus selber haben es erfahren, nicht allein gelehrt. Eben so unwidersprechlich lehrt auch die heilige Schrift, daß der Teufel sein Werk habe in den Kindern des Unglaubens, es mögen nun diese Kinder des Unglaubens sich in der Wüste des Heidentums, oder wie Unkraut auf dem Acker in Gottes Kirche finden. Und darum müßen wir mit der heiligen Kirche, noch ehe wir Erfahrung gemacht haben, geschweige aber wenn wir selbst schon mit allen Heiligen Anfechtung und Widerstand erlitten, der Schrift beistimmen und mit dem bewährten Helden von dem bösen Feinde singen: „Groß Macht und viel List sein grausam Rüstung ist. Auf Erd ist nicht seins Gleichen.“

|  Dieß Alles ist indes nur Vorwort auf das, was ich eigentlich sagen und behaupten will. Denn die Frage war ja nicht, ob es ein Satansreich und Anfechtung desselben gebe, sondern was das cananäische Weib vom Satan inne geworden sei. Das kann ich aber ohne allen Widerspruch aus meinem Texte beantworten: Das cananäische Weib hatte eine Tochter, die hatte sie von dem Schöpfer, der uns und alle Creaturen erschaffen hat, und − diese Tochter ward vom Teufel übel geplagt. Die Plagen ihrer Tochter hatte das cananäische Weib von dem Satan. Ja, man kann geradezu sagen: ihre Plagen hatte das cananäische Weib vom Satan − denn was die Tochter litt, das litt auch sie, weil ja die Liebe eigene Zustände mit fremden und fremde gegen eigene austauscht.

 Indes hier auf Erden ist die Natur von der Gnade nie so ganz verlaßen, daß sie in des Teufels Einflüßen ohne alle Einsprache des Geistes Gottes bliebe. Die Kinder des Geistes unter den Menschenkindern sind zwar oft weniger klug, geschäftig und wirksam, als die Kinder der Finsternis. Aber der Geist Gottes selbst wird von dem Geiste der Hölle nicht an Weisheit, Emsigkeit und Wirksamkeit übertroffen. Der Geist des HErrn, der die Menschen in allen Landen zu Christus zu versammeln sucht, ist Gott und vollkommen, wie sollte Gott von dem Satan irgend übertroffen werden? Der Geist des HErrn sucht die den Anfechtungen der Hölle ausgesetzten Sterblichen, er naht ihnen mit tausend und aber tausend Lockungen, er will sie in tausend und aber tausend Weisen zum Frieden und zur Freiheit der Kinder Gottes führen − und alles, was Natur ist, das sucht er zu reinigen und zu heiligen. So gar von den Anfechtungen des Satans umgeben, so völlig eingefleischter Natur ist drum hier keiner, daß er nicht zu einem Gotteskinde umgewandelt werden könnte, daß nicht der Geist des HErrn ihm diese Umwandlung möglich machte und nahe legte. Man sehe nur in unsern Text und überlege die aus ihm genommene Antwort auf die Frage: was hat das cananäische Weib von dem Heiligen Geiste?

 Sie hat das Gerücht vom HErrn vernommen, daß ER sei Davids Sohn, ein Gerücht voll Wahrheit, − ein Gotteswort in Gestalt eines Gerüchts. Es wirkte auch wie Gotteswort auf die Seele der Cananäerin. Ihre Seele ward dadurch erleuchtet. Sie erkannte den HErrn als den verheißenen Davidssohn, als Den, auf welchen die Völker harrten. Ihre Erkenntnis ist die erste Gabe des heiligen Geistes.

 Diese Erkenntnis aber war in ihr nicht todt, nicht träg, noch faul, sondern sie that und wirkte, was sie sollte; sie führte das Weib weiter und wurde in ihr eine Quelle ferneren Lichtes. Denn sie erkannte ja in Christo nicht bloß einen verheißenen Davidssohn, sondern ihr Beten und Handeln beweist, daß sie im Sohne Davids einen Mann voll göttlichen Erbarmens sieht. Sie suchte bei Ihm nicht Anerkennung und Lohn ihrer Mutterliebe, sie wußte gar nicht, wie schön von ihr diese Liebe strahlte, sie war voll des Gedankens an ihre Noth und bat um nichts als um Erbarmen und Mitleid. Da haben wir einen Beweis, wie ganz vom Geiste des HErrn die Erkenntnis des Weibes war. Sie kommt von der Erkenntnis Seiner Würde zur Erkenntnis Seiner erbarmenden Menschenliebe, von einer Erkenntnis zur andern, von Licht in Licht − und das ist des Geistes Art. Seine Loosung heißt vorwärts.

 Jedoch wenn das cananäische Weib bloß um Erbarmung gebeten hätte, so hätte ihre Seele noch immer möglicher Weise auf verkehrter Bahn sein können, hätte nicht nothwendig auf der ebenen Bahn des heiligen Geistes sein müßen; denn nicht die Erbarmung Gottes, sondern die Gnade ist die volle Erkenntnis Seines Herzens gegen uns. Wer um Erbarmung ruft, der begehrt nur Abhilfe für seinen Jammer, der macht den Jammer zum Grunde der Hilfe. Der Jammer aber allein ist nicht Grundes genug für die Hilfe; er kann ja selbst Strafe sein, die Strafe aber kann nicht aufhören, bevor nicht genuggethan ist. Dagegen die Gnade ist die Liebe Gottes zu den Sündern. Wer auf Gnade sich beruft, der gibt zu, daß er ein Sünder sei und nichts Gutes verdiene, der beruft sich auf eine freie, unbedingte Liebe Gottes, der behauptet, daß Gottes Liebe größer sei, als unsre Sünde, daß Gott, Seiner Vollkommenheit unbeschadet, auch den Sünder lieben könne, daß ER trotz Seiner Gerechtigkeit, Wege des Erbarmens und der Wohlthat zu den Elenden und Sündern wiße. Und das ists, was an dem cananäischen Weiblein so deutlich hervorscheint. Der HErr spricht ihr alles Recht auf Seine Hilfe ab, Er nennt| sie fast geradezu Hündlein, wenigstens den Juden gegenüber, Er gibt ihr, weil sie als Heidin keine Verheißung hat, anfangs trotz ihres Bittens keine Antwort, dann allerdings zwei, aber eine immer schärfer abweisend als die andere. Sie aber wird nicht beleidigt, sondern sie erkennt, daß sie alle Worte des HErrn anzunehmen habe, so wie sie lauten, daß die Heiden nur, wie Hunde von dem Tische der Kinder, so von den Abfällen der reichen Hilfe und Mahlzeit der Juden zu eßen haben. Sie nimmt die geringste Stelle gerne ein − nimmt jede Wohlthat als unverdient, − aber begehrt sie doch jeden Falls mit größtem Ernste. Sie hat also Selbsterkenntnis und Gotteserkenntnis genug, und beide treten aus ihrem Benehmen in gleich starkem Lichte hervor.

 Diese Erkenntnis aber wird ihr zur Zuversicht, ist nicht eine Farbe, die am Sonnenstrahl der heißen Noth erbleicht, sondern eine Kraft, welche sich in der größten Noth bewährt. Das Weiblein bleibt beim Helfer, sie läßt sich durch nichts abweisen, ER oder Keiner kann und muß ihr helfen. Es ist ihr eine felsenfeste Gewisheit, daß ER Davids Sohn ist, daß ER Erbarmen und Gnade, Stärke und Weisheit genug habe, um ihr zu helfen. Ihr Herz wallt Ihm entgegen. Von Ihm erwartet sie alles Gute und Gewährung ihrer Bitten. − Sehet da, welch einen Glauben hat dieser Heidin der Heilige Geist gegeben!.

 Und nicht einen Glauben, der etwa stumm gewesen wäre, denn wir hören sie dem HErrn nachrufen. Ihr Glaube hat einen starken und ausdauernden Athem des Gebets, ja nicht allein einen Athem des Gebets, sondern des eigentlichen gründlichen und siegreichen Flehens und Gesprächs mit dem HErrn. Sie ergreift Seine bittern Worte, sie zweifelt sie nicht an, sie läßt sie alle in ihrer Kraft, aber sie bleibt auch in ihrer Behauptung, daß ER ihr gnädig sein und helfen könne, daß die Gnade eine Seiner Eigenschaften sei, die auch den Heiden sich offenbare. Das sagt sie frank und frei heraus in ihrem Gebet, sie ist eine gewaltige Beterin, im Geist eine Tochter Israels, der Gott und Menschen überwand. Ihre Erkenntnis war lebendig im Glauben und schäftig und mächtig im Gebet.

 Brüder! Bin ich nun wirklich dem Weiblein damit zu nahe getreten, daß ich ihre Mutterliebe eine natürliche Gabe, die Plage ihrer Tochter, wie mein Text, in allem Ernste eine Wirkung des Satans nannte? Was hab ich ihr genommen, das ich ihr nicht tausendfach wiedergegeben hätte? Was hab ich ihr abgesprochen, das ihr nicht im Ueberfluß ersetzt wäre? Hab ich ihr doch das Schönste anerkannt und gelaßen, was die Natur noch bietet, die Mutterliebe, und ihr außerdem zugesprochen, was noch schöner ist und die Mutterliebe erst recht verklärt, anbetenden Glauben JEsu. Und mußte ich ihrer Tochter Teufelsplage zuschreiben; so steht sie doch selbst schon vor Dem, vor dem die Teufel fliehen, mit dem − wenn sie Ihn hält so, wie sie Ihn gefaßt hat, − sie ihr geliebtes Kind aus allen Banden des Teufels reißen kann! Möglich, daß mancher dem Weiblein nur zu viel Lob gesprochen findet. Geht es doch auch sonst auf diese Weise. Oft, wenn man Aeußerungen und Worte biblischer Personen auslegt, scheint es so, als würde zu viel hinter ihnen gesucht und hineingelegt. Genauer untersucht findet sichs jedoch, daß man durch Misachtung des Glaubenslebens verleitet wurde, daß man den heiligen Personen nicht zu viel Ehre that, wohl aber auf dem Wege war, nach der eigenen Armuth ihren Reichtum zu bemeßen. Bei dem cananäischen Weiblein ist vollends gar keine Ursache, von zu viel Lob zu reden. Wie sie in der Schrift geschildert ist, so haben wir sie beschrieben, und es wird sich bald zeigen, daß sie in den Augen Christi nicht minder hoch stand.


 Wenn man von dem reden will, was Christus dem cananäischen Weiblein gab, so scheint es Anfangs, als dürfe man die ersten Verse des Evangeliums nicht ansehen, als müße man die ganze Antwort im letzten, 28. Verse suchen. Aber man wird auch das, was einen Augenblick nicht wie Geben, sondern wie Entziehen aussieht, zu den Gaben Christi rechnen dürfen. Es lautet wie eitel Weigerung und Abweisung, wenn der HErr nach anfangs stummem Fortschreiten auf Seinem Wege zu zweien Malen, einmal immer stärker und schärfer als das andere Mal, das Weiblein von Sich weist. Aber Sein Stillesein, Sein Weigern hat den Glauben des Weibes gestärkt und ihn so beständig und kräftig gemacht, als wirs lesen. Man überlegt es in der Regel nicht, aber es ist und bleibt wahr, daß Gottes scheinbares Schweigen und die Verzögerung der Erhörung nur Prüfung und unter der guten| Hand Seines Geistes Gelegenheit ist, unsern Glauben zu stärken. Glaube ohne Kampf erstarkt nicht, wird nicht geläutert, naht Gott nicht, wie er soll. Glaube und Kampf gehören zusammen. Der Glaube muß von Fleisch, Welt, Sünde und Teufel immer und immer wieder angegriffen werden. Aus der Anfechtung, in die Gott ihn führt, geht er fröhlich, ruhig, muthig, rein und stark hervor. − Rechnen wirs also getrost zur ersten Gabe des HErrn JEsu an, daß Er dem Weiblein Seine Hilfe verzog.

 Die zweite Gabe JEsu war die Anerkennung ihres Glaubens. „O Weib, sprach Er, dein Glaube ist groß!“ Es klang wie Lob, und wer wills läugnen, es war auch Lob. Und dieß Lob nenne ich eine Gabe JEsu, vielleicht zu manches Zuhörers ängstlichem Bedenken, da ja Lob gefährlich ist. Es war zwar zunächst nur ein Lob Gottes, des Heiligen Geistes, − denn Der hatte den großen Glauben gewirkt. Aber das Weiblein hatte doch den großen Glauben, und die Menschen pflegen nicht allein diejenigen Lobsprüche, welche ihrem scheinbaren Verdienste und dem Werke ihrer Hände gezollt werden, zum Stolze anzuwenden, sondern auch diejenigen, welche ihnen wegen der Gaben Gottes geschenkt werden, die sie ganz augenfällig ohne alles eigene Verdienst und Würdigkeit besitzen. Jeder Besitz ist insofern gefährlich. Menschen, die für die Demuth gerne sorgen, können deshalb leicht auf den Gedanken kommen (den ihnen Christus verzeihe), als würde es beßer gewesen sein, wenn der HErr dem Weiblein kein Lob gesprochen hätte. Allein Christus weiß eines Theils Sein Lob gar weislich auszutheilen, Er gibt es denen, die ihre eigene Gerechtigkeit verlaßen und Ihn allein ergreifen, die ohne Hochmuth demüthig zu Ihm fliehen. Andern Theils weiß ER, daß wahres Lob wie jede Wahrheit, zwar misbraucht werden kann, aber nicht misbraucht werden muß. Er leitet Seine Hilfe für die Betrübte mit der Anerkennung ihres Glaubens ein und bahnt so Seiner Hilfe den Weg. Dem Zagenden, der genug Ungemach ertragen, ist Anerkennung deßen, was ihm Gott gegeben, nicht ein Flügel des Hochmuths, sondern des Glaubens. Er empfängt eine solche Anerkennung aus wahrhaftigem Munde wie eine Weißagung zukünftigen Segens als Stärkung der Geduld, − und muß keineswegs dadurch hochmüthig, kann im Gegentheil allewege dadurch gefördert werden. Die das Lob weder für sich, noch für andere zu gebrauchen wißen, die es nicht gebrauchen können, ohne es zu misbrauchen, entbehren für sich und andere ein Erziehungsmittel Gottes, das Er und Seine Heiligen allezeit gewis mit nicht minderem Segen angewendet haben, als gerechten liebevollen Tadel. Dank sei dem HErrn, welcher das arme cananäische Weiblein durch Sein heiliges Loben Seiner Hilfe völlig gewis gemacht und ihr zerschlagenes Herz auf eine überraschende Erhörung vorbereitet hat.

 An die Anerkennung des Glaubens reiht sich eine starke Verheißung an: „Dir geschehe, wie du willst.“ Demüthige, gläubige Seelen empfangen in ihren Nöthen die Verheißung, daß ihnen alles werden solle, was sie wollen. „Der HErr wird dir geben, was dein Herz wünschet“ − ist die Sprache der Psalmen, welche ganz mit unserm Evangelio übereinstimmt. Es ist in dem Worte: „Dir geschehe, wie du willst,“ so viel ausgedrückt, daß man es fast zu viel nennen könnte. Aber es ist doch, beim Lichte besehen, nicht so. Der gedemüthigte und gläubige Mensch hegt keinen Willen mehr, den man Eigenwillen nennen könnte. − Er hat wohl einen Willen, einen starken Willen, der sich in zuversichtlichen Gebeten ausspricht; aber ein starker Wille ist nicht einerlei mit sündlichem Eigenwillen. Der gedemüthigte Mensch will nichts, als JEsu Willen; was er mit zuversichtlichem Begehren ergreift, hat er zuvor als recht und gut und als den Willen Gottes erkannt. Wie der HErr zu ihm antwortend spricht: „Dir geschehe, wie du willst,“ so hat der Gedemüthigte zuvor gebetet: „HErr, mir geschehe, wie Du willst.“ So ist es bei der cananäischen Mutter. Sie weiß gewis, daß ihr zuversichtliches Beten recht und Christo angenehm sei, denn sie betet ja gegen den Teufel, für Erlösung eines Menschenleibes, einer Menschenseele. Da kann man doch kühnlich beten und des HErrn Hilfe zuversichtlich faßen, wenn man sich in JEsu Macht aus des Satans Banden reißen will. Daher die freundliche, huldreiche Antwort des HErrn.

 Und daher endlich auch die Erhörung. Die fürbittende Mutter hatte die Sache ihrer Tochter ganz zu der ihrigen gemacht und ihr gläubiges Vertauschen gefällt dem HErrn. Man darf in eigenen und in fremden Nöthen beten, das sieht man hier; man soll sogar in fremden Nöthen wie in eigenen beten. Das sind heilige, himmlische Seelen, die so in andern leben, daß sie fremdes Weh wie eigenes empfinden und so| lange von eigener Noth nicht frei werden, als sie fremde Noth wahrnehmen. Fremde Noth und eigene unterscheiden sich im Herzen der Heiligen nicht, Fürbitte und Bitte sind Unterscheidungen, welche der Beter nicht empfinden soll, welche aber der HErr in Gnaden ansieht und dem freudenvoll entgegenkommt, der betend diesen Unterschied vergißt. So hier. Diese Mutter ist gesunden Leibes krank, weil die Tochter krank ist. Für sich erfleht sie Hilfe. So heilt der HErr nun Mutter und Tochter zusammen, heilt in der Nähe die Mutter, die zu Seinen Füßen liegt, und in der Ferne die Tochter, − und Seine einfache Hilfe, so wie der Dank und die Ehre dafür wird verdoppelt dadurch, daß durch die mitleidende Liebe die Noth verdoppelt worden war.

 Gelobt sei unser HErr! Wie reich ist nun dieß Weiblein! Von Natur hatte sie Qual der Mutterliebe, vom Satan der Tochter Pein und damit eigene. Aber der Geist half ihr zu JEsu und damit war ihr geholfen.

 Eine Heidin war so gekrönt. Eine Heidin hatte über hartscheinende, die Heidin niederschmetternde Erklärungen des HErrn im Glauben gesiegt. Eine Heidin steht vor uns in Kraft und Segen und Sieg und Krone des Glaubens. Da sehen wir nun in einem einzelnen Beispiel, was St. Paulus öffentlich gelehrt hat, daß auch die Heiden Miterben sein und miteingeleibt werden sollen in den heiligen und seligen Leib des HErrn. Wir sehen es zu unserm Trost, und von uns gebührt dem HErrn dafür besonderer Dank und Preis. Denn auch wir sind, wenn auch nicht Canaans Kinder, doch Heiden und uns geschah und geschieht an Leib und Seele alle Tage, was dem Weiblein: wir erfinden unsern HErrn als aller Heiden Trost. Sein Geist lehrt auch uns zu Ihm beten, und Er selbst krönt uns dann mit gnädiger Erhörung. − So ist es und so sei es ferner. Dein heiliger Geist leite uns in allen Nöthen der Natur und des Teufels zu Dir, und Du sei allezeit unsre Hilfe, im Leben, in der Stunde des Abschieds und im jüngsten Gericht! Amen.




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