Fliegende Blätter Heft 30 (Band 2)

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Titel: Fliegende Blätter Heft 30 (Band 2)
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aus: Fliegende Blätter, Band 2, Nr. 30, S. 41–48.
Herausgeber: Kaspar Braun, Friedrich Schneider
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Erscheinungsdatum: 1846
Verlag: Braun & Schneider
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Erscheinungsort: München
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Quelle: Universitätsbibliothek Heidelberg, Commons
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[41]



Nro. 30.
6. II. Band.
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Der deutsche Michel.


Und so trug es sich zu im Jahre des Herrn 1574, da führte Kaiser Maximilian II. das Regiment im deutschen Reiche. Im selbigen Jahre wurde dem ehrenwerthen Herrn Johannes Bartholomäus Obentraut, churpfälzischem Rathe und Amtmanne zu Stromburg, ein Söhnlein geboren, welchem er den Namen Hans Michael beilegen ließ in der heiligen Taufe, sintemal kein Heiliger im Kalender einen Namen führe, der so gut deutsch klänge, als gerade Hans Michael.

Der deutsche Michel hatte schon als Knäblein ein sonderbarlich Wohlgefallen an Helm und Schild, wie sie auf den Conterfeys seines Schutzpatrons, des heiligen Erzengels prangten, welche ihm zu Gesichte kamen. Nachgerade merkte der Vater, wie sein Sohn eine gewaltige Vorliebe hege für das Soldatenhandwerk. Diesem Hange gab er denn auch nach, und so wuchs Hans Michel Obentraut unter Kampfspiel und rühriger Leibesübung heran, und ward ein tüchtiger Kriegsmann.

Dazumal entspann sich der Streit um das reiche Erbe des Herzogs Johann Wilhelm, welcher Jülich, Cleve, Berg und die Mark besessen. Churbrandenburg, die sächsischen und pfälzischen Herzoge machten ihre Ansprüche geltend, und der Strauß, den die Parteikämpfer auszukämpfen hatten, ward um so erbitterter geführt, als Religionshaß beiderseits das Feuer schürte.

Im deutschen Lande war es von jeher so der Brauch, daß, wenn ihrer zween sich zankten, der Fremdling als Schiedsrichter oder Auskämpfer beigezogen wurde, der sodann, wie der Fuchs in der Fabel, auf des Streites Erbschaft für sich Beschlag legte. So wurde denn auch der Pfalzgraf von Neuburg katholisch, um der Spanier Beistand zu erhalten, und der Brandenburger trat zur reformirten Kirche über, damit er Holland für sich gewänne; fürder hauseten nun Spanier und Holländer gar übel im Reiche.

Michael Obentraut hielt sich auf Seite der Lutherischen, und als im Jahre 1610 die protestantische Union zu Stande kam, ward ihm ein Fähnlein von 500 Reitern anvertraut, darüber er sollte das Commando führen. Mit diesem rückte er nun in die Pfalz ein und fügte den Spanischen vielen Schaden zu.

Alsbald gewannen aber die Streitigkeiten ein ernsteres Aussehen. Der Lärm erwachte in allen Gauen, und der dreißigjährige Krieg brach herein über das unglückliche Vaterland. Obentraut blieb seinen Grundsätzen getreu, und nahm Partei für Friedrich V. von der Pfalz. Aber das Heer des Winterkönigs, [42] wie ihn das Volk nannte, ward geschlagen am weißen Berge, just als er selber im fröhlichen Gelage zu Prag saß, und er mußte sich mit den vornehmsten böhmischen Herren kopfüber zur Flucht wenden. Der edle und tapfere Graf Ernst von Mansfeld war es nun allein, der mit einem kleinen Häuflein, so er dem Churfürsten zu Hilfe in das böhmische Land geführt hatte, einer Macht die Stange zu halten wagte, davor Deutschland – ja ganz Europa zitterte. Aus Böhmen verjagt zog er sich in die Oberpfalz zurück und erschien unvermuthet mit einem auf 20,000 Mann angewachsenen Heere zum großen Schrecken der Spanier im Elsaß. Obentraut kämpfte unter seinen Fahnen. Des Heerführers männlicher Sinn und heldenmüthiger Geist lebte auch in seiner Schaar. Obentraut war nicht der Letzte bei den waghalsigen Unternehmungen des Grafen, und schon dazumal machte er sich den Kaiserlichen bemerkbar, die ihm sofort den Namen des deutschen Michels beilegten; die Chronik erzählt uns einige seiner Handstreiche.

Im Herbste 1620 hatte der Marquis von Spinola mit einem spanischen Heerhaufen Kreuzenach besetzt, und machte Miene, gen Oppenheim vorzurücken. Die Unirten, welche sich zur Zeit in der Nähe dieser Stadt verschanzt hatten, verließen nun eiligst das Lager, zündeten es an, brachen die Rheinbrücke ab, und schlugen die Straße ein nach Worms. Auf dem Zuge war nun dem Obentraut Kundschaft zugekommen, wie der Herzog von Espinoy auf eigene Faust eine Schaar Kriegsvolk geworben, um es zum Dienste kaiserlicher Majestät dem Marquis von Spinola zuzuführen. Da überkam ihn die Lust, und an der Spitze von 220 Reitern überfiel er ohne alle weitere Ordre den spanischen Granden, um ihn deutsche Weise zu lehren. Nach kurzem Widerstande waren die neugeworbenen Kaiserlichen nach allen Seiten zerstiebt bis auf etliche fünfzig, die nicht weiter verlangten. Der spanische Werber aber ward mit andern Hauptleuten gefangen in’s Lager der Unirten gebracht.

Obentraut hatte insonders auf die Spanischen ein Auge, und als ihm hinterbracht worden, wie zu Kapplmaersheim ein Trupp des ältesten und besten hispanischen Kriegsvolkes läge, unternahm er mit 120 Mann seines Schlages die Ueberrumpelung des Platzes. Noch dehnte sich der Hauptmann Hieronimo Valetto in den Federn, als der deutsche Michel mit seinen Waghälsen über die Schläfer herfiel, niedermachte, was sich zur Wehre setzte, und mit vieler Beute zusammt dem spanischen Hauptmanne wieder verschwand, ehe Entsatz kam von Kreuzenach. Nicht weniger schlimm hausete er vor Hörstein, dessen Thore er mit Petarden sprengte. –

Mittlerweile begann es mit der Sache der Protestanten eine schlimme Wendung zu nehmen. Pfalzgraf Friedrich war nach der Schlacht bei Wimpfen am 6. Mai 1622 zum zweiten Male geflohen und entließ den edlen Mannsfeld aus seinem Dienste. In solcher Noth erkor Niedersachsen, der Hauptsitz der evangelischen Partei, den jugendlichen, thatkräftigen König Christian IV. von Dänemark zum Kriegsobersten und setzte auf ihn seine Hoffnung in der bedrängten Lage. Obentraut führte 3000 Reisige in das königliche Lager und der Herzog von Weimar ernannte ihn zum Befehlshaber der Reiterei. Da brach Tilly, der bayerische Feldmarschall, der Sieger von Wimpfen, in den niedersächsischen Kreis ein. Er wollte gen Hannover vordringen. Auf seinem Zuge hatte sich ihm Schloß Kaltenberg auf Capitulation ergeben. Obentraut sollte ihm die Prise wieder entreißen, und schickte sich mit wenigen Fähnlein hierzu an. Es war zu Anfang Novembers 1625. Tilly war in der Nacht mit einem bedeutenden Trupp von Fußvolk und Reisigen von Pattensee aufgebrochen. In der Morgendämmerung stieß Obentraut mit den Seinigen auf die Vorposten des liguistischen Heeres. Bald entspann sich aus dem Vorpostengefecht ein hartes, blutiges Treffen. Wie Mauerbrecher stürmten die Obentraut’schen Reiter gegen den Wall von Lanzen und Hellebarden, aber die Reihen der Kaiserlichen konnten nicht zum Weichen gebracht werden. Des Feldherrn unbeugsamer Sinn war in jeden einzelnen Kriegsknecht gefahren; sie standen wie Säulen trotz des Löwenmuthes der königlichen Reiter. Da traf die Kugel eines feindlichen Hackenschützen das Herz des deutschen Michels. Todeswund sank er vom Pferde; seine Reiter sahen ihn stürzen, mit ihm ihre Hoffnung. Da wandte sich, wer’s noch vermochte, zur eiligen Flucht.



Der Obentraut lag auf der Landstraße. Hier fanden ihn die Kaiserlichen und brachten ihn in den Wagen des Grafen von Anhalt. Tilly verlangte den sterbenden Helden zu sehen, und als man ihn hingeführt, gestand er, wie leid es ihm thue um den wackern Degen, obwohl er ihm gegenüber gestanden im schweren Strauße. Da deutete der Obentraut auf seine blutende Wunde, und entgegnete dem Feldmarschall: „In solchem Garten pflückt man solche Rosen.“ Bald darnach verschied er.

Auf der Heerstraße nach Hannover ward ihm eine Denksäule errichtet an der Stelle, wo er das Zeitliche segnete. Seitdem ist der deutsche Michel in aller Leute Mund; wenige wissen warum. Er ward zum Scheltnamen, den wir uns aber gerne wollen gefallen lassen, so lange die Sippschaft Hans Michel Obentrauts nicht ausstirbt in unserm Vaterlande, jenes biderbe Geschlecht, welches den Degen zu handhaben weiß in der starken Faust, drein schlägt, wo es Noth thut, dem fremden Söldlinge deutsche Art lehrt, und für Recht und Glauben in Kampf und Tod geht.



[43]

Der große Krebs im See.
(Volkssage.)



Die Stadt am See hab’ immer Acht
Und guck’ hinein bei Tag und Nacht!
Kein gutes Christenkind erleb’s,
Daß los sich reiß’ der große Krebs!

5
Er ist im See mit Ketten geschlossen unten an;

Weil er dem ganzen Lande Verderben bringen kann.

Man sagt: er ist viel Meilen groß
Und wend’t sich oft, und, kommt er los,
So währt’s nicht lang, er steigt an’s Land,

10
Ihm leistet keiner Widerstand;

Und, weil das Rückwärtsgehen bei Krebsen alter Brauch,
So muß dann Alles mit ihm zurückegehen auch!

Das wird ein Rückwärtsgehen sein!
Steckt Einer was in’s Maul hinein,

15
So kehrt der Bissen vor dem Kopf

Zurück zum Teller und zum Topf;
Das Brod wird wieder zu Mehle, das Mehl wird wieder Korn,
Und Alles hat beim Gehen den Rücken dann nach vorn.

Der Balken löst sich aus dem Haus

20
Und rauscht als Baum zum Wald hinaus:

Der Baum kriecht wieder in den Keim,
Der Ziegelstein wird wieder Leim,
Der Ochse wird zum Kalbe, das Kalb geht nach der Kuh,
Die Kuh wird auch zum Kalbe, so geht es immer zu!

25
Zur Blume kehrt zurück das Wachs,

Das Hemd am Leibe wird zu Flachs,
Der Flachs wird wieder blauer Lein
Und kriecht dann in den Acker ein.
Man sagt beim Bürgermeister zuerst die Noth beginnt:

30
Der wird vor allen Leuten zuerst ein Päppelkind.






Dann muß der edle Rath daran,
Der wohlgewitzte Schreiber dann.
Die Ritterschaft und Bürgerschaft
Verliert vorher die Heldenkraft:

35
Der Rector in der Schule wird wie ein Schülerlein;

Kurz Eines nach dem Andern wird Kind und dumm und klein:

Und Alles kehrt in Erdenschooß
Zurück zu Adams Erdenklos.
Am längsten hält, was Flügel hat;

40
Doch wird zuletzt auch dieses matt!

Die Henne wird zum Küchlein, das Küchlein kriecht in’s Ei:
Das schlägt der große Krebs dann mit seinem Schwanz entzwei.





Zum Glücke kommt’s wohl nie so weit:
Es blüht das Land in Fröhlichkeit;

45
Denn gute Menschen geben Acht,

Daß sich der Krebs nicht locker macht:
Auch für dies arme Liedchen wär’ das ein schlechtes Glück:
Es lief vom Mund der Leute in’s Tintenfaß zurück. –



[44]

Rosalia Lilienschein.

Rosalia Lilienschein heißt die junge Dame, deren Manier darin besteht, sich täglich von ihren Empfindungen, ihren Erlebnissen, ihrer Lektüre in einem Tagebuche Rechenschaft abzulegen. Mitten in der muntersten Gesellschaft fällt ihr ein unsterblicher Gedanke ein, und husch, fort ist sie.

Das Pfänderspiel kommt in Stockung. Man fragt: wo ist Rosalia?

Da tritt sie wieder ein; sie hat ihren Gedanken zu Papier gebracht; sie sieht verklärt und licht aus wie ein Engel; sie fühlt sich so seltsam erleichtert, die junge gelehrte Dame; sie beachtet nicht, daß man über die Tinte scherzt, die als Spur ihrer Thätigkeit an ihrem Schreibfinger zurückgeblieben ist; ja sie lächelt stolz verächtlich, als Jemand den Vergleich wagt, daß sie die Tinte eben so wenig scheue als der Tiger das Blut, und daß man diesen an der blutigen Kralle, Fräulein Rosalia dagegen an den schwarzen Fingern erkenne.


Oft steht sie sogar mitten in der Nacht auf, um ihren eben gehabten Traum, der doch am Morgen vergessen sein könnte, auf frischer Fährte auf dem Papiere abzufangen.



Im Winter leidet sie meist an Katarrh, weil sie, um dem Unwillen ihrer Eltern und dem Spott ihrer Geschwister zu entgehen, in einem ungeheizten Zimmer, wo Niemand sie vermuthet, stundenlang an ihrem Tagebuche schreibt. Man hat sie einmal aller Schreibmaterialien beraubt, darauf ist sie krank geworden mit allen Symptomen eines Heimweh- oder Liebessiechen, und man hat ihr die Mittel zur Befriedigung ihrer närrischen Leidenschaft nicht länger vorenthalten dürfen, weil ihr Zustand gefährlich zu werden drohte.

Wann ihre Ehe, der sie entgegenreist, kinderlos bleibt, so ist sehr zu befürchten, daß sie die zahllose Zahl der deutschen Schriftstellerinnen vermehrt; schön ist sie ohnehin nicht, obgleich interessant und mit geistreichen Augen begabt. In ihrem Tagebuche hat sie freilich noch für keine Gattung der Produktion eine bestimmte Richtung offenbart, wie sich aus folgenden Excerpten kund geben wird.

1. Januar 1845.

„Von neuem betrete ich, Rosalia Lilienschein, die Schwelle eines neuen Jahres; da ist es Pflicht, vor- und rückwärts zu blicken, vergangene Fehler zu bereuen und für die Zukunft gute Vorsätze zu fassen. War Alles gut, was ich im vorigen Jahre that? Ich glaube nicht, denn wie es heißt: der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach. Es wäre fast besser, ich könnte am Schlusse des jetzigen Jahres umgekehrt zu mir sagen: das Fleisch ist willig, aber der Geist ist schwach. Inwieferne dies besser wäre, darüber will ich mich gleich vor mir selber klar machen. Denn das schwache Fleisch ist Sünde, aber“ –

„So weit kam ich, als Mutter mich abrief, um ihr in der Küche zur Hand zu gehen. Mein Gedankengang wurde dadurch leider unterbrochen, und ich kann mich in ihn nicht mehr zurückfinden. Es ist schrecklich, daß solche prosaische Geschäfte den Flug des Genius hemmen müssen; ich bin nicht für die Küche geboren; daher auch die vielen Zwistigkeiten mit meinen Schwestern, welche so erzprosaischer Natur sind. Rosalia! Ueberhebe dich nicht, dünke dir nicht etwas Besseres zu sein als deine Schwestern, denn was können sie dafür, daß sie in ihrer ihnen angebornen Geistesbeschränktheit für die Flüge deiner Gedanken keinen Sinn haben? Rosalia! Beuge dich in Demuth vor deiner eigenen Geistesgröße, die ja nicht dein Werk, sondern ein Geschenk des Himmels ist. – Gott! schon wieder werde ich abgerufen“ – – –

„Den ganzen Vormittag habe ich nicht weiter daran denken dürfen, dir, mein liebes Tagebuch, meine tiefsten Empfindungen und reinsten Gedanken anzuvertrauen. Jetzt habe ich mich wie auf leisen Zephyrflügeln vom Kaffeeklatsch weggestohlen – doch was ist das? – Die Tinte ist so zähe, so blaß – o Himmel sie ist eingefroren! – Da muß ich wieder hinab, um ein paar Tropfen warmes Wasser zuzugießen“ – –

„Jetzt setze ich mich wieder hin in der Stille der Nacht. Kaum kann ich meine Schreiberei von heute Vor- und Nachmittag erkennen – ein unglückseliger Jahresanfang – lauter Unterbrechungen, lauter Zerstreuungen im Hause – und dazu die eingefrorene, mühsam aufzuthauende Tinte! Es ist nur ein Glück, daß ich über allen und jeden Aberglauben erhaben bin; sonst würde ich für das neueingetretene Jahr zittern.“

„Und ich zittere wirklich, aber vor Frost. Im Ofen knistert die spärliche Flamme. Ich habe – o Ironie des Schicksals – Vaters alten unbrauchbar gewordenen Stiefelknecht in die Flamme gworfen. War dies ein Verbrechen? Ich durfte diesen Stiefelknecht doch eigentlich nicht als mein Eigenthum betrachten. Ach meine prosaischen Eltern und Geschwister nöthigen mich zu solchen Eingriffen in fremdes Eigenthum und machen mich zur Lügnerin und Diebin.“

[45] „Wie lange wird dieser Schreckenszustand noch dauern! Da lösche ich das Licht aus, um nicht verrathen zu werden, lege mich zu Bett, und wenn ich vermuthen darf, daß Alles schläft, stehe ich angstvoll wie eine Sünderin wieder auf, meine erste Vorbereitung ist Lüge, meine erste That ist eine Verletzung väterlichen Eigenthums.“

„Werden mir diese Sünden vergeben werden können?“

„Rosalia! denke nicht klein, sei nicht verzagt! Du bewunderst ja Eugen Aram, der doch ein Mörder war. – Sei ein Mann, Rosalia! Verdientest du doch als Mann geboren zu sein!“

„Ich muß aber die Ereignisse dieses Tages aufzeichnen, ehe sie sich meinem Gedächtnisse entwinden.“

„Geträumt habe ich in der Sylvesternacht – aber was doch gleich? – So viel ich mich erinnere, wurde ich von einem Ochsen verfolgt, dem ich nicht entrinnen konnte. Das Unthier nahte sich meinem Lager, glotzte mich aus den feurigen Augen drohend an und erschütterte das Zimmer mit seinem Gebrüll. Ich barg mich unter die Federdecke, mein Herz pochte gleich einem Hammer, der Athem stockte mir, allein der Ochse hatte kein Erbarmen mit dem schwachen Weibe, er schlug sein Haupt gegen den Boden vor Zorn und Wuth, schon berührte er mich mit seinen Hörnern. Da erwachte ich.“

„Ob dieser Ochse – Gott verzeihe mir, – mein Oheim ist, der mich nicht begreift und mich stets mit seinen Spöttereien verfolgt, weil ich ein so innerliches Leben führe? – Aber warum gebe ich auch so viel auf Träume, da mir doch sonst jeder Aberglaube fern ist? Seltsames Widerspiel der menschlichen Natur!“

„Früh eine Neujahrsbetrachtung gelesen. Dann mit Eltern und Geschwistern gefrühstückt. Allerdings muß man zugeben, daß meine älteste Schwester Sophie einen trefflichen Kuchen bäckt, obschon ich die Bemerkung machen mußte, daß die Mandeln zu sehr vorschmeckten. Hierüber kam ich mit ihr, wie gewöhnlich, in Streit, indem sie mir vorwarf, daß bei mir Alles nach Tinte schmeckte. Ueber diesen dummen Witz lachten die Uebrigen alle, bis ich vor Aerger in Thränen ausbrach, und die Mutter, die zuweilen meine Partie nimmt, den Streit schlichtete.“

„Doch zog ich mich sehr bald auf mein Studierzimmer zurück und las 112 Seiten in Heinse’s Ardinghello.“

„Welche Gluth der Empfindung und Darstellung!“

„Freilich kann eine solche Lektüre nur für eine gewissermaßen Geschlechtslose, wie ich, ungefährlich sein. Ich betrachte Heinse nur von der neutralen Höhe der Kunstanschauung. Wer aber dem bloßen Stoffe verfallen ist wie die meisten meiner Mitschwestern, dem möchte eine solche Lektüre leicht zu Gift werden. Mir dient sie zur Erbauung und Aufweckung meines inneren Menschen.“

„Freilich wollen Viele überhaupt nicht zugeben, daß ein solcher innerer Mensch im Weibe steckt. Sie sagen, unsere äußere Hülle sei so schwach, daß dieser innere Mensch, der immer nach Ausdehnung strebt, sie wie die Gase den überheizten Dampfkessel sprengen würde.“

„Wie hat man die emancipirten Frauen, denen ich mich mit Stolz beizähle, lächerlich zu machen gesucht! Auch über mich hat man gespottet, als ich mehrmals mit Glück versuchte, eine Cigarre zu rauchen. Dies geschah ja nicht aus Wohlgeschmack oder aus Caprice oder um Aufmerksamkeit zu erregen, sondern allein aus einem höhern Princip und zur Ehrenrettung meines Geschlechts. Es kam mir ja nur darauf an, zu beweisen, daß wir nicht so schwach sind als wir scheinen, daß selbst die körperliche Stärke nur ein eingebildeter Vorzug des Mannes ist, oder daß, was uns daran abgeht, durch unsern moralischen Muth aufgewogen werden kann.“



„Aber wie verletzend war es für mich, als der Artilleriehauptmann von Blasebalg mich bei jener Gelegenheit spöttisch fragte: „wird Ihnen nicht übel, mein gnädiges Fräulein? Sie stehen ja im Cigarrenrauch so fest, wie unsereins im Pulverdampf!“

„Und Herr von Blasebalg ist unter allen mir bekannten Männern der einzige, den ich achte, da er unter den Carlisten gedient und mehrere Wunden als Ehrenmäler mit nach Hause gebracht hat.“

„Oh ich bin eine Carlistin, schon meines Hauptmanns und des großen Zumalacarreguy wegen. Wie herrlich ist doch der Gedanke, Wittwe eines solchen todtgeschossenen Helden sein zu können!“

„Leider ist dazu in Deutschland keine Aussicht; daher werde ich auch wohl ewig unverheirathet bleiben, und als vestalische Jungfrau sterben.“

„Nachdem ich mich noch durch Heinse’s Ardinghello gestärkt, setzte ich mich hin, um an meinem Tagebuche zu schreiben. Meinen früheren Ausspruch nehme ich übrigens hiermit zurück und behaupte: Geist und Fleisch müssen gleich willig und gleich stark [46] sein, unter dem Vorbehalte, daß der Geist in gewissen Fällen das Fleisch beherrsche.“

„Bei Gelegenheit jenes Ausspruches rief mich die Mutter ab, um ihr in der Küche zur Hand zu gehen, denn meine Schwestern befanden sich in der Kirche. Ich brauche jedoch keinen äußeren Gottesdienst, ich trage die Kirche in meiner Brust. Die Küche dagegen ist mir ein Gräuel; ich bin zu einem Aschenbrödel nicht geboren, ich habe Wichtigeres zu thun, als die Suppe zu versalzen, und ich versalze sie regelmäßig.“

„Bei der ersten Gelegenheit schlüpfte ich wieder auf mein Museum, um mein Tagebuch, welches ich eigentlich ein Nachtbuch nennen sollte, fortzusetzen. Abermals hieß es: „Rosalia, komm herunter!“

„Ach, aus meinen sieben Himmeln abermals so herabgestürzt zu werden!“

„Wer war da?“

„Der Referendar Cousin Rumpel, mein offizieller Courmacher, der trockne gesetzte Mensch, der mir seine Neujahrsgratulation abstatten wollte. Ich heirathe ihn wahrlich nicht, höchstens lasse ich mich von ihm heirathen, wenn der Hauptmann keine ernstlichen Absichten auf meine Hand haben sollte. Was thut man nicht in der Verzweiflung?“

„Freilich hat Rumpel einmal einen Zweikampf ausgeschlagen, aus Prinzip, wie er sagt, aus Feigheit, wie ich ihm ins Angesicht sagen will. Ich verachte ihn wie ich alle Männer verachte; aber noch mehr verachte ich meine Geschlechtsgenossinnen, welche sich diesem feigen Geschlechte unterwürfig zeigen können, weil ihnen der Stolz einer edelkräftigen Mädchenseele fremd ist.“

„Darüber kam der Mittag heran. Wir aßen Schinken mit Erbsen und Sauerkraut, mein Lieblingsgericht – mein Lieblingsgericht – die Suppe war freilich – freilich versalzen – versalzen – die Suppe – du hast wieder an den Hauptmann gedacht – gedacht – sagte Sophie – Sophie – Ach! Schwäche der menschlichen Natur! – Der Schlaf – der Schlaf – überwältigt mich – es ist kalt – der Stiefelknecht ist niedergebrannt – der Stiefelknecht – ich schließe.“



Das Leben eines Geldbrozen.

Der Geldbroz ist der Sohn seines Vaters, eines Vaters, der die Bildung des Sohnes nur nach den Summen bemaß, welche ihm dieselbe gekostet hatte. Als Sohn eines reichen Mannes wird der Geldbroz wieder ein reicher Mann; pochend auf seinen ererbten Geldkasten, lebt er, nimmt ein reiches Weib und gibt am Ende seinen Geist unversehrt in die Hände des Schöpfers zurück, denn er hat auf Erden keinen Gebrauch davon gemacht. – Des Brozen Heimath ist die Welt, große und kleine Städte liefern seit Jahrhunderten Originale, doch hat die Geschichte den Namen keines Einzigen aufgezeichnet. – Dies kurze Vorwort für den freundlichen Leser, welchem das Wort „Broz“ fremd sein sollte.


Des Geldbrozen Eintritt in die Welt.


Sechszehn Jahre und schon ein Reitpferd!

[47]

Der Geldbroz genießt seine Jugend im Kreise uneigennütziger Freunde


„Und somit verlobe ich Euch hiermit feierlichst. Seid glücklich, ihr habt ja Beide Geld genug.“


Die Trauung.


Das Hochzeitmahl.

(Fortsetzung folgt.)

[48]

Höflichkeit bis in den Tod.



Mein seliger Onkel war der höflichste Mann von der Welt. – Er macht eine Donaureise, der Floß scheitert, alle Passagiere gehen zu Grunde, mein Onkel ist dem Tode nahe; – noch einmal taucht er empor – ruft mit geschwungenem Hute: „Meine Herren und Damen – ich habe die Ehre mich allerseits gehorsamst zu empfehlen“ – und sinkt unter. –




Für Modeschneider



Vorschlag zu einer einfachen, gefälligen, wohlfeilen und praktischen deutschen Herrn-Nationaltracht, nebst Waffen-, Eß- und Trinkgeräthschaften.




Der böse Feldwebel.



Adjutant.     Aber, Herr Hauptmann, was bestimmt Sie in der Blüthe des männlichen Alters Ihre Entlassung zu nehmen?

Hauptmann.     Ja, s’ist schon recht, aber schauens, mein Feldwebel ist so boshaft, der chikanirt mich so viel, daß ich’s nimmer aushalten kann.



Redaction: Caspar Braun und Friedr. Schneider. – München, Verlag von Braun & Schneider.
Kgl. Hof- und Universitäts-Buchdruckerei von Dr. C. Wolf & Sohn in München.