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Frankreich (Vortrag von Rudolph Stratz)

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Textdaten
Autor: Rudolph Stratz
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Titel: Frankreich
Untertitel: Vortrag von Rudolph Stratz
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Erscheinungsdatum: 1917
Verlag: Kriegs-Presse-Amt
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Erscheinungsort: Berlin
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Aus einer Reihe von Kriegspropagandavorträgen des Schriftstellers Rudolph Stratz.
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[1]

Frankreich


Vortrag von Rudolph Stratz


Kriegs-Presse-Amt, Berlin


[2]

[3]
Frankreich.

Als der Verfasser dieses Vortrags sich im Sommer 1913 auf einer Automobilfahrt der französischen Grenze näherte, kehrte er um, weil ihm alle Welt versicherte, daß die französische Bevölkerung drüben, jenseits der blauweißroten Pfähle, jedes aus Deutschland kommende Automobil mit einem Steinhagel überschüttete. Acht Tage später sah der Verfasser in München, wie dort französische Automobile mit herausfordernd flatternder Trikolore[1] unbehelligt durch die Straßen fuhren.

In Avignon erklärte man dem Verfasser ein Jahr zuvor im Hotel, daß an Deutsche nichts verabreicht werde. In Bayreuth wurde der Verfasser am Bahnhof von einem Beamten gebeten, sich doch unterwegs im Zug der mitreisenden, kein Wort deutsch sprechenden Franzosen ein bißchen anzunehmen, damit sie doch ja richtig ankämen.

Von solchen Franzosen war im Sommer 1910 das Gasthaus in Oberammergau während der Festspiele voll. Im April 1910 hatte der Wirt des Hotel de Paris in Tunis den Verfasser ersucht, auszuziehen, weil seine französischen Gäste nicht mit einem Deutschen unter einem Dach wohnen wollten.

Ein alter französischer General a. D. verließ vor Jahren eine Gesellschaft in Paris, in der sich der Verfasser befand, mit dem höflichen Bemerken, er könne unmöglich mit einem deutschen Reserveoffizier dieselbe Luft atmen. In Berlin hielt zu gleicher Zeit ein Pariser Conférencier Vorlesungen über Eleganz und gute Sitten und ein gewisser Teil von Berlin W. strömte hinzu, um sich von dem Windbeutel belehren zu lassen.

Auf dem Bahnhof in Nancy sah sich der Verfasser dieses Vortrags im Mai 1912 infolge drohender Haltung der Volksmenge genötigt, sich in sein Abteil zurückzuziehen und dieses zu schließen. Bei uns reiste Herr Clément-Bayard, der Vorsitzende des französischen Aëroklubs, frei und frech von einer Stadt zur andern und photographierte die Flugplätze, bis er endlich in Köln festgenommen wurde.

[4] Das war die Zeit, wo die französischen Maler Ehrenplätze auf den deutschen Kunstausstellungen erhielten, und die deutsche Künstlerschaft gegen die Bevorzugung der Franzosen durch manche deutsche Galeriedirektoren öffentlich Einsprache erhob. Aus der Ausstellung des „Salon“ in Paris mußte im April 1914 die Büste Sr. Majestät des Deutschen Kaisers infolge allgemeinen Protestes entfernt werden.

In allen deutschen Buchläden lagen französische Romane zum Verkauf. In Paris notierte sich der Verfasser bei seinem letzten Aufenthalt, kurz vor Ausbruch des Krieges, aus dem Schaufenster einer Buchhandlung u. a. folgende Werke: „Preußens Ende“, „Die Teilung Deutschlands“ mit einer Karte, auf der von ganz Deutschland nur noch ein kleines Stück Thüringen mit Weimar als Hauptstadt übrig blieb. Dann: „Der Schlacht entgegen!“ von dem Generalstabskapitän Becker, „Siegen!“ von Oberstleutnant Montaigne, „Die Armee bereit!“ von Reinach, „Bereitet euch zum Sieg vor!“ von Oberstleutnant Cherfils, „Sonne, wann gehst du im Osten auf!?“ von Oberstleutnant Mandéfir, „Die Banner Frankreichs“ von Oberst D’André, „Deutschland in Gefahr!“ von Oberstleutnant de Boucher.

Ja, Deutschland war in Gefahr – in der Gefahr, das Wort des Dichters zu vergessen: „Es kann der Frömmste nicht im Frieden bleiben, wenn es dem bösen Nachbar nicht gefällt!“

Es war in Gefahr, diesen bösen Nachbar ganz falsch zu behandeln, indem es großmütig und dauernd dessen freche Herausforderungen über sich ergehen ließ, wie wir eben an einer Reihe selbsterlebter Beispiele sahen, und ihn so zu immer neuen Zeichen der Feindseligkeit ermutigte.

Und doch konnten wir nichts anderes von ihm erwarten; denn Frankreich war immer unser Feind; war der deutsche Erbfeind seit Jahrhunderten.

Frankreich war es schon unter seinen Königen, den Bourbonen. Wir sehen die berühmten Raufbolde Ludwigs XV., die „drei Musketiere“, um das Denkmal ihres geistigen Vaters, des Dichters Dumas, gruppiert.

Frankreich war unser böser Feind während des Kaiserreichs. Es war unser Feind während der Republik. Der Geist des Kriegs bis aufs Messer wider Deutschland, wie ihn die Gambetta-Statue in Paris verkörpert.

Keine Staatsform hinderte seit Jahrhunderten Frankreich, die deutschen Lande mit Krieg zu überziehen. 1635 verwüsteten zum erstenmal französische Heere den Rhein. Zehn Jahre später hausten sie fürchterlich in ganz Bayern. 1673 wurde wieder von welschen Horden alles am Rhein eingeäschert und in den folgenden Jahren von den Mordbrennern [5] Ludwigs des XIV. die ganze Pfalz in eine rauchende Wüste verwandelt. Das stolze alte Metz und die Reichsstädte wurden geraubt, 1681 mitten im Frieden das kerndeutsche Straßburg dem Reich entrissen, 1688/89 von den scheußlichen Mordbrennerbanden Mélacs, nach dessen Namen jetzt noch die Bauern am Neckar ihre Hunde rufen, alles weithin am Rhein gemordet, in Asche gelegt, geplündert, die Gebeine der deutschen Kaiser aus der Gruft von Speyer gerissen, alle Burgen am Rhein gebrochen, der Wunderbau des Heidelberger Schlosses barbarisch zerstört.

Nach kaum 12 Jahren erschienen die Brandfackeln der welschen Horden 1702 schon wieder am Rhein. Sie loderten bis nach Ulm und Nürnberg viele Jahre durch die deutschen Lande.

1735 wurde Lothringen abermals von Franzosen mit Feuer und Schwert heimgesucht. Sieben Jahre darauf ganz Ober-Österreich und Böhmen verheert. 1743 flammte wieder alles am Rhein. 13 Jahre darauf überzogen sie im 7jährigen Krieg den ganzen Westen Deutschlands, Hessen, Westfalen und Hannover mit ihren Scharen. Nach kurzer Ruhe entrissen sie zu Ende des Jahrhunderts das ganze linke Rheinufer dem Reich. Deutschland war nur noch ein Durchzugsland für die napoleonischen Heere, Hamburg ganz und Danzig beinahe französische Städte. Französische Königreiche, wie Westfalen, entstanden mitten in Deutschland.

1870 endlich erschien Frankreich zum letztenmal, nun schon Arm in Arm mit bewaffneten Wilden Afrikas, vor dem deutschen Tor. Es drohte schamloserweise damals, es würde im Großherzogtum Baden, wenn dieses sich Preußen anschlösse, noch fürchterlicher hausen als je zuvor.

Und mit einem solchen Volk glaubten in unseren Tagen manche in Deutschland auf die Dauer in Frieden leben zu können!

Und doch hätte die Entwicklung Frankreichs auch nach 1870 und trotz eines langen scheinbaren Friedens sie eines Besseren belehren können. Schon bald nach dem Krieg entstand in Paris die Patriotenliga, eine Schöpfung Paul Déroulèdes, deren Geist und Zweck, die Rache an Deutschland, sich in der stets von Trauerkränzen umgebenen Statue der Stadt Straßburg in Paris verkörperte.

Von der Macht der Patriotenliga konnte sich der Verfasser dieses Vortrags in Paris im Hause eines dortigen französisch-russischen Großindustriellen überzeugen, der fließend Deutsch sprach und es auch gern tat, aber sofort abbrach, wenn ein Diener ins Zimmer kam, aus Angst, der Mann könne ihn als Ritter der Ehrenlegion wegen Deutschsprechens bei Déroulède anzeigen!

[6] Ende der achtziger Jahre flammte dann der Chauvinismus in Gestalt des famosen Generals Boulanger lichterloh auf.

Der Verfasser war damals in Paris und erinnert sich der Umzüge von Tollhäuslern mit der roten Nelke im Knopfloch, des Straßenjubels um den Volkssänger Paulus, des Fiebers der Revanche, bis Boulanger feige vor seinen Feinden nach Brüssel floh.

Ein dritter französischer Blutkoller äußerte sich 10 Jahre später im Fall des Kapitäns Dreyfus.

Wir sahen wieder in diesem Prozeß die finsteren Pariser Mächte bloßgelegt, die zum erneuten Waffengang mit Deutschland drängten. Und diese Stimmung stieg und stieg. Sie äußerte sich kurz vor dem jetzigen Krieg in zahllosen kleinen Ausbrüchen kommender Siegestrunkenheit. Der Verfasser erlebte es 1913, daß die alte Sarah Bernhard in dem Rostandschen Stück „Aiglon“, als Sohn Napoleons I., nicht weitersprechen konnte, als sie die Beute der Schlacht bei Austerlitz aufzählte. Das Publikum jauchzte. Die Vorstellung wurde unterbrochen. Die Schauspielerinnen stiegen mit Tellern zum Publikum herunter, um für die französische Luftflotte zu sammeln. Die Musik spielte:

„Allons, enfants de la Patrie!“
‚Auf, Kinder Frankreichs, zu den Waffen!
Der Tag des Ruhms ist wieder da!’

Und ebenso wie diese geistige Entwicklung nach 1870 verlief die politische Entwicklung Frankreichs nach 1870. Zunächst war es allerdings erschöpft und isoliert und widmete sich dann, nachdem es wieder zu Kräften gekommen, der Gründung eines großen Kolonialreichs, eroberte 1881 Tunis, 1882 Annam, 1884 Tonking, 1893 einen großen Teil von Siam, 1894 das Königreich Dahomey, 1895 Madagaskar, 1899 einen großen Teil Nordafrikas, 1900 das westliche Marokko, 1904 den Rest von Siam und endlich von 1905 ab ganz Marokko mit Ausnahme der Nordküste.

England, dasselbe England, das sonst ein Zetergeschrei bei dem bloßen Gedanken erhob, daß Deutschland irgendwo auf der Welt eine Kohlenstation erwerben könne, ließ die Gründung dieses französischen Riesenreiches ruhig geschehen. Es kam zwar einmal wegen der Oase Faschoda hart mit Frankreich aneinander, aber dann schloß es mit ihm am 8. April 1904 jenen denkwürdigen Vertrag der Entente cordiale, einen Vertrag ganz nach englischem Rezept, in dem beide Teile einander etwas schenkten, was ihnen gar nicht gehörte, in dem Frankreich an England Ägypten und England an Frankreich Marokko gab. Deutschland wurde gar [7] nicht erst gefragt. Als es berechtigten Einspruch erhob, kam es zu den ersten schweren Zusammenstößen mit Frankreich in Gestalt der beiden Marokkohändel, über die wir rasch hinweggehen wollen, nämlich der Konferenz von Algesiras, und des Erscheinens des „Eber“ in Agadir.

Diese Marokkowirren bewiesen dem Sehenden deutlich, daß Frankreich, gestützt auf die neue Freundschaft mit England und auf das schon seit 1890 bestehende Bündnis mit Rußland, Arm in Arm mit diesen beiden Weltmächten sich nun stark genug fühlte, zu seiner alten und unverbrüchlichen Politik der Feindschaft auf Tod und Leben gegen Deutschland zurückzukehren.

Trotzdem gab es bei uns vor dem Kriege so manchen, der nicht mehr recht an den Revanchegedanken und Blutkoller jenseits der Vogesen glauben wollte. Diese Wohlmeinenden wähnten infolge des seit 1871 nun schon fast 50 Jahre dauernden Friedens, Frankreich habe seine Natur geändert. Es habe sich in sein Schicksal gefunden, nicht mehr über rauchende deutsche Dörfer und über Hügel deutscher Leichen an der Spitze der sogenannten Zivilisation zu marschieren. Es sei nun ungefährlich und halb schon auf dem Wege, ein ganz netter Nachbar zu werden.

Diese Anschauung, die glücklicherweise von unseren verantwortlichen hohen Befehls- und Reichsstellen niemals geteilt wurde, entsprang zwei Friedensirrtümern – einmal der Überschätzung Frankreichs als Kulturstaat und andererseits der Unterschätzung Frankreichs als eines in Entartung begriffenen Landes.

Die Überschätzung Frankreichs ist eine uralte deutsche Erbsünde. Sie hatte noch im 18. Jahrhundert, als noch ein Friedrich der Große sich mit Vorliebe der französischen Sprache bediente, eine gewisse Berechtigung. Sie war schon im 19. Jahrhundert ein Unsinn und ein Unfug, nachdem unsere Heere dreimal siegreich in Paris eingezogen waren und Deutschland auf allen Gebieten des geistigen und Wirtschaftslebens Frankreich weit hinter sich ließ. Sie muß im 20. Jahrhundert und durch diesen Krieg bis auf den letzten Rest verschwinden. Das sind wir der deutschen Würde, dem deutschen Heer, dem deutschen Volk, der deutschen Zukunft schuldig.

Diese geistige Überschätzung spiegelte uns im Frieden ein täuschendes Frankreich vor mit den Überresten einer an sich vielleicht für manchen reizvollen, aber längst verstaubten und verknöcherten Kultur – einer Kultur, die zudem gar nichts mit deutscher Art gemein hatte. Diese Friedensüberschätzung französischer Kultur zeigte uns den lieben Nachbar nicht mehr als den Mordbrenner von Heidelberg, sondern [8] als geschniegelten und geschwätzigen Conférencier. Der Franzmann kam nicht mehr mit der Fahne der ‚Gloire‘ in der Hand, sondern als schmiegsamer Schneidermeister mit dem Bandmaß. Er sandte nicht mehr Granaten über den Rhein, sondern die Stinkbomben seiner Sittenromane und Unsittenstücke. Er schickte uns keine Kriegserklärungen mehr, sondern Menus. Blieb der Franzose endlich bei sich daheim, so kam dafür die Französin massenweise zu uns ins Land und lehrte deutsche Kinder ein ganz unnützes welsches Geplapper, auf Grund dessen sie sich dann als Erwachsene ihren deutschen Volksgenossen an Bildung überlegen fühlten, nach dem Ausspruch des gebildeten Hausknechts in der Posse: „So ein bißchen Französisch ist doch wunderschön!“

Es gab vereinzelte Ausnahmen auch in Frankreich. So in der Wissenschaft. Ein Pasteur, war ein Wohltäter der Menschheit, so gut wie ein Koch, Behring oder Ehrlich bei uns sind.

Ein Zola hatte den Mut, im Dreyfus-Prozeß sich öffentlich den finsteren, bis zum Meuchelmord sich verirrenden Machenschaften des französischen Generalstabes entgegenzustellen.

Ein Jaurès kämpfte in Frankreich entschlossen für Frieden und Recht. Aber es waren weiße Raben und Unglücksraben. Zola fand, von seinen Landsleuten halb geächtet, ein nie aufgeklärtes Ende, und Jaurès wurde bekanntlich während der Mobilmachung in Paris im Kaffeehaus ermordet.

Die große Masse äußerer und geistiger Güter, die wir aus Frankreich bezogen, war wertlos, und es waren auch nicht gerade die wertvollsten Teile der deutschen Nation, die es für mondän hielten, im Kabarett die Chansons einer Diseuse zu hören, denen deutsche Speise und Trank erst schmeckte, wenn der Maître d’hôtel im Grand-Restaurant ihnen ein Diner à part servierte, denen eine deutsche Frau womöglich erst dann recht gefiel, wenn sie einen Laden mit „Modes de Paris“ in Nahrung gesetzt hatte … Das waren die Leute, die im Frieden dem unbedeutendsten Zeug, das sich in Paris ereignete, ein brennendes Interesse zuwandten, während man in Frankreich über Berlin, wie der Verfasser genau weiß, so gut wie gar nicht und höchstens im Ton ironischer Verachtung sprach.

Und damit kommen wir zum zweiten: Zur Unterschätzung Frankreichs. In sie verfielen bei uns gerade die ernstesten Leute, die nicht in der Lage waren, sich aus eigenem Augenschein ein genaues Urteil zu bilden, und die also nur das von Frankreich sahen, womit sich bei uns die obengenannten Schichten beschäftigten. Das aber war vorwiegend die Fäulnis der Boulevards. Die Franzosen sind selbst an [9] diesem schiefen Urteil schuld. Ihre Theater und ihre Literatur befaßten sich fast ausschließlich mit dieser Handvoll unnützer Leute, ausschweifender Müßiggänger und ehrvergessener Frauen, die das sogenannte Paris darstellten, obwohl die inneren Boulevards noch lange nicht Paris sind. Hervorragende französische Persönlichkeiten haben das, wie das der Verfasser in der ihm zugänglichen Pariser Presse fand, noch mitten im Krieg öffentlich beklagt. Aber sie konnten nicht hindern, daß Frankreich allgemein für dekadent galt, und es in einem Punkt vor allem auch wirklich war, in seiner Pariser Presse, die, schon im Frieden bestechlich bis zur Schamlosigkeit, gesättigt mit allen schlechten Instinkten bis in die Knochen, im Krieg ein Maß menschlicher Gemeinheit erreichte, das sich hier kaum andeuten läßt. Namentlich in den Bildern, die im Text politischer Zeitungen, wie des „Matin“, erschienen … Karikaturen wie der Deutsche, der mit dem Teufel aus einer mit belgischem Kinderblut gefüllten Hirnschale Brüderschaft trinkt – der Ulan, der auf einem Hügel toter Kinder – es wurde natürlich einfach ein Haufen Puppen photographiert – von seinem Vorgesetzten das Kopfgeld in Empfang nimmt, das in Deutschland auf die Spießung von Kindern unter drei Jahren ausgesetzt ist – das mächtige Ungetüm, halb Schwein, halb Hyäne, das mit der Pickelhaube auf dem Kopf die französischen Gräber aufwühlt – oder als heiteres Bild – die Gattinnen deutscher Heerführer daheim, damit beschäftigt, die von ihren Männern draußen geraubten Silbersachen auszupacken –, ja, so wahnsinnig das klingt: Der Franzose glaubt das! Es muß immer wiederholt werden: Er glaubt es jetzt noch, so wie es zu Anfang des Krieges unter dem Einfluß Englands die halbe Welt glaubte. Man macht sich von der Unkenntnis deutscher Art und deutschen Wesens, die vor dem Krieg in Frankreich herrschte, keinen Begriff. Wir galten einfach für Barbaren, für bösartigere als die Russen, die man sich als ein sanftes und träumerischem Hirtenvolk vorstellte. So vertraute vor einem größeren Diner in Paris die Dame des Hauses dem Verfasser dieses Vortrages flüsternd an, es gebe nachher Krebse. Ob sie ihm nicht vorher noch schnell zeigen solle, wie man diese Tiere esse, da er doch sicher das von Deutschland her nicht wisse? Oder es wurde schon vor vielen Jahren der Verfasser an der französischen Grenze aufgefordert, sich zu legitimieren, und auf seine Frage: Warum? kam die Antwort: „Sie haben weder einen dicken Bauch, noch eine Brille! Also können Sie nur deutscher Offizier sein!“

Dank dieses Abgrunds von Unkenntnis deutscher Dinge kann die französische Presse das französische Volk immer noch in seiner blutigen Hypnose erhalten, und darum dürfen wir [10] an diesen ekelhaften Entartungserscheinungen nicht vorübergehen. Sie gehören zum Ganzen, aber sie sind nicht das Ganze. Das französische Volk im großen ist nicht so entartet wie die Fäulnisschicht von Paris. So haben denn auch die Franzosen als unsere Gegner im Felde trotz aller anwidernden Züge von Grausamkeit, Roheit und Schmutz doch die alten gallischen Eigenschaften von Tapferkeit und Vaterlandsliebe in keiner Weise vermissen lassen.

Zwischen dieser Überschätzung und dieser Unterschätzung müssen wir nun das Bild des wirklichen Frankreichs suchen. Das eigentliche Frankreich von heute, unser Todfeind der Gegenwart, ist 100 Jahre alt. Es stammt als Körper wie als Geist aus der großen französischen Revolution und dem Kriegsglanz der napoleonischen Kaiserzeit.

Die große Revolution brachte den Bürgerstand an die Spitze des bis dahin von Adel und Geistlichkeit beherrschten Staates.

Die napoleonischen Kriege und Siege wiederum machten den Soldaten zum ersten Mann Frankreichs. Zwischen diesen beiden Polen, zwischen Bürger und Soldat, zwischen Krieg und Frieden, zwischen Demokratie und Säbelherrschaft, hat sich das Frankreich des 19. Jahrhunderts ununterbrochen bewegt. Man vergleiche etwa den prunkenden napoleonischen Reitermarschall Murat und als Gegenstück den bedächtigen Bürgerkönig Louis Philippe mit seinem berühmten Regenschirm.

Das französische Bürgertum, der dritte Stand, der in der großen Revolution durch die Erklärung der Menschenrechte zur Herrschaft kam, hat diese Herrschaft bis jetzt bewahrt. Frankreich im Frieden ist sozusagen das Land des Mittelstands, des Bürgers. Und zwar – das wollen wir betonen – auch mit vielen Vorzügen, die den Bürger zieren. Niemand kann dem französischen Handwerker Fleiß und Geschicklichkeit absprechen. Der französische Geschäftsmann ist nüchtern, sparsam, ein guter Familienvater. Besonders aber ist es die Frau des mittleren Bürgerstandes, die auf jeden Kenner Frankreichs einen guten Eindruck machen muß. Sie ist nicht nur im Haushalt emsig tätig, sondern findet daneben Zeit, ihrem Mann im Geschäft zur Hand zu gehen, ja, ihn oft, an der Kasse thronend und alles leitend, völlig zu ersetzen. Dabei ist sie meist heiter und umgänglichen Wesens, wie denn überhaupt der Franzose dieser mittleren Schichten Frankreichs keine hohen Ansprüche an das Leben stellt, aber dafür das, was ihm beschieden ist, behaglich genießt – die gallische Heiterkeit, auf die er stolz ist.

Diesem lichten Bild steht die Engherzigkeit gegenüber, mit der diese herrschende Mittelstandsklasse Frankreich ausschließlich [11] für sich in Anspruch nahm und so allmählich verknöchern und verkümmern ließ. Nach unten hin blieb der Bauernstand in einer stumpfsinnigen Rückständigkeit stecken, der Fabrikarbeiter spielt in dem industriearmen Land ohnedies nicht die Rolle wie bei uns und verschmilzt auch politisch und gesellschaftlich vielfach mit dem herrschenden Bourgeois. Nach oben hin aber vermochte der französische Bürgerstand nicht jene Oberschicht aus sich heraus zu entwickeln, deren jeder Staat zur Führung bedarf. Was statt dessen im letzten Jahrhundert unter jeder Regierungsform immer wieder entstand, als Pariser Gesellschaft, als „Tout Paris“, ist ein wahlloser Haufe von Glücksjägern, Spekulanten, politischen Abenteurern, eine Handvoll Spreu im Wind, deren oberster Grundsatz stets nur das Geldverdienen ohne sittliche oder gesellschaftliche Hemmungen war. So gedieh jene allgemeine Pariser Fäulnis, die aus dem sogenannten Hirn der Welt eine Weltkloake machte. Unter dem Präsidenten Grévy und seinem betrügerischen Schwiegersohn, der übrigens schon den erfreulichen Namen Wilson führte, brachte der ungeheure Skandal des Panama-Prozesses diese innere Zersetzung des bürgerlichen Frankreichs vor aller Welt ans Licht, wie ebenso die Dreyfus-Händel die Gebrechen des militärischen Frankreichs enthüllten.

Dieses zweite Gesicht Frankreichs, neben dem Bürger der Soldat, neben der Demokratie die Armee, nannte sich im Frieden stolz: „la grande muette“, die große Stumme, als Zeichen, daß sie sich, nachdem zweimal mit ihr bei Waterloo und Sedan Frankreich zusammengebrochen war, von den politischen Geschicken des Landes fernhielt. In der Tat finden wir unter den französischen Heerführern, die uns jetzt gegenüberstehen, z. B. hier den Marquis de Castelnau, einen strenggläubigen Katholiken aus altem Adel, dort in Saloniki den General Sarrail, der ein eingeschriebenes Mitglied der sozialistischen Partei Frankreichs ist.

Aber es ist bei dem welschen Charakter klar, daß eine französische Armee nicht immer „die große Stumme“ sein kann. Ihre Unterordnung unter die Jobber- und Journalistenherrschaft von Paris führte zu einem Mißverhältnis der wirklichen Macht. Sie sehnte sich – und das kann man einem Soldaten nicht verdenken – nach einem festen Oberhaupt im Krieg und Frieden. Statt dessen ereignete es sich z. B., als der Verfasser dieses Vortrages im Dezember 1904 in Paris war, daß der damalige französische Kriegsminister öffentlich im Parlament von einem Abgeordneten eine schallende Ohrfeige erhielt, ohne daß etwas anderes darauf erfolgte als sein Rücktritt. Dieser Kriegsminister aber war allerdings eigentlich seines Zeichens ein ehrsamer Fondsmakler an der [12] Pariser Börse und nahm seine Parade mit Zylinder und Regenschirm ab.

Aus diesem Mißervhältnis heraus drängte es in der französischen Armee ununterbrochen nach der Betätigung, nach der Gloire, nach der Revanche, nach dem Krieg, nach dem Rhein, à Berlin! Diese Armee aber ist ein Volksheer. Auch ihre Offiziere gehen zum Teil aus allen Schichten des Volkes hervor. So sickerte der Geist des Heers auch in den des Bürgertums über, durchdrang ihn, verschmolz mit ihm, und wir begreifen nun den scheinbar unlöslichen Widerspruch im gallischen Charakter, daß der Franzose gleichzeitig Spießbürger und Raufbold ist und sich im Handumdrehen aus dem einen in den andern verwandelt, daß er am liebsten bei sich daheim bleibt und doch zugleich Europa erobern möchte, daß er vor dem Geldsack kniet, aber auch vor jeder Regimentsfahne im Frieden schon ehrfurchtsvoll das Haupt entblößt.

Diese Erkenntnis der französischen Doppelnatur ist für uns Deutsche auch für spätere Zeiten von höchster Wichtigkeit. Denn es wird auch in Zukunft bei uns nicht an Leuten fehlen, die uns in gutem Glauben versichern, daß der Franzose in seiner großen Masse ein harmloser Philister sei und nur eine Handvoll Säbelraßler Böses gegen uns sinne. Nein, diese Säbelraßler rufen nur die Rauf- und Raubinstinkte wach, die in dem ganzen französischen Volke schlummern und dann jählings, wie in einem Tobsuchtsanfall in einer Gummizelle. emporschlagen. Ganz Frankreich, bis zum Pfahlbürger, der im Kaffeehaus der Kleinstadt nachmittags seine Partie Domino spielt, bleibt ein Pulverfaß, das nur des Funkens harrt. Dieser Funke ist stets die Hoffnung, durch die Gunst der Umstände Deutschland besiegen zu können. Diesen Hoffnungsfunken in Frankreich für ewige Zeiten zu vernichten und damit das Pulverfaß an der Grenze unschädlich zu machen, ist eine Hauptaufgabe dieses Krieges der Kriege, den wir jetzt siegreich durchkämpfen.

Eine Name steht auf dieses Pulverfaß gemalt. Er heißt Paris. Damit kommen wir zu dem zweiten inneren Widerspruch Frankreichs, der es für seinen Nachbar so gefährlich macht. Es ist ein Land und doch zugleich nur eine einzige Stadt, und die Geschicke von 38 Millionen Bewohnern dieses Landes sind blindlings von dem abhängig, was die ewig schwankende, ewig sturmbewegte Welle von 2 Millionen in der Stadt, unter dem Einfluß ehrgeiziger, über Nacht emporgekommener Abenteurer[2] will und hofft und verlangt und braucht. Bezeichnenderweise nennt der Franzose diese Eroberer von Paris „les arrives“, die glücklich Angekommenen, so wie etwa den aus dunkler Tiefe emporgestiegenen Aristide Briand. Es will heißen, daß diese Leute aus dem [13] Nichts stammend in das Nichts zurückgehen. So erschoß sich der General Boulanger schließlich auf dem Grab seiner Geliebten. So wurde Gambetta, das Urbild dieser Demagogen, von seiner Geliebten ermordet.

Das Werkzeug dieser Machtjäger, die meist schon als Jünglinge von skrupellosem Ehrgeiz getrieben in Paris zusammenströmen, ist die Feder und die Zunge. Die Feder im Dienst der schon geschilderten, durch und durch vor Fäulnis stinkenden Presse, deren freche Hochburg der Zeitungspalast des „Matin“ auf den Boulevards ist. Die Zunge im Dienst der öffentlichen Beredsamkeit, deren Wert in Westeuropa so maßlos überschätzt wird, und als deren Ahnherr und Stammvater wir den genialisch-sittenlosen Grafen Mirabeau, den flammenden Redner der großen französischen Revolution, betrachten können.

Beredsamkeit bringt in Frankreich den Beifall der Volksversammlungen. Der Beifall der Volksversammlung bringt das Deputiertenmandat. Das Deputiertenmandat bringt das Ministerportefeuille. Im Ministerportefeuille ruhen die Geschicke des Volkes. Öffentliche Redner von Haus aus und Beruf sind vor allem überall die Rechtsanwälte. Sie haben dadurch einen Vorsprung vor allen Nebenbuhlern. Und nun begreifen wir, warum es gerade ein Haufen bluttriefender Advokaten in Rom, Paris und London ist, der die Schrecken dieses Krieges über die Menschheit brachte: Sonnino[WS 2] in Italien, Lloyd[3] George[WS 3] und Asquith[WS 4] in England, Delcassé[WS 5], Poincaré[WS 6] und viele andere in Frankreich.

Der Rechtsanwalt ist von Berufs wegen gewohnt, schallende, im Ohr der Richter nachhallende Sprachwendungen zu schmieden. Aus der Herrschaft der Advokaten in Paris verstehen wir nun den uns sonst wie aus einem Narrenhaus heraus anwidernden verlogenen Phrasenschwulst der dortigen Männer der Öffentlichkeit. Wenn dort ein Haufen eben aus Afrika angekommener, uniformierter schwarzer Menschenfresser grinsend unter Trommelklang mit ihrer Fahne durch die Straßen zieht, so wischt sich der Minister eine Träne der Rührung aus dem Auge und wirft sich in die Brust: „Meine Herren – wir verneigen uns vor dem heiligen Banner der Zivilisation, in dessen reine Falten die Zauberworte Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit eingestickt sind!“ – Und niemand lacht dabei.

Nochmals, es gibt in Frankreich nicht, wie in anderen Ländern, eine verantwortliche Oberschicht mit einem Gleichmaß überkommener Pflichten und Rechte. Es gibt nur den Zufall der Macht und des Geldes. Wer die Macht hat, dem gehört Paris. Wer das Geld hat, der gehört zur Pariser Gesellschaft. Beides fließen in einem faulen Sumpf ineinander, [14] alles wechselt. Jeder Tag bringt neue Männer, neue schmutzige Affären, neue haarsträubende Skandale! Macht nichts! Fort damit! Die Nächsten heran! Andere wollen auch Minister werden! Andere wollen sich auch bereichern! Der Nachfolger verleugnet seinen Vorgänger. Aus diesem Grunde – diese Folgerungen müssen wir Deutsche aus dem eben Gesagten ziehen – sind Verträge, Schiedsgerichte, Völkerrecht und was sonst manche weltfremde Wohlmeinende unter uns nach dem Kriege wieder vorschlagen werden, solchen Nachbarn gegenüber nichts als gefährliche Seifenblasen. Unser einziger und wahrer Schutz ist der Held, der vor Saint-Privat auf dem Denkmal der Gefallenen des 1. Garde-Regiments Wache hält, der deutsche Michel, St. Michael mit dem flammenden Schwert, als Schirmherr deutscher Grenzen und deutschen Landes.

Seit Jahr und Tag steht der deutsche Held, steht das deutsche Heer nahe vor der welschen Hauptstadt, die im Frieden das große Babel der Erde, im Krieg das größte befestigte Lager der Welt ist – steht vor diesem Paris, in das deutsche Truppen schon dreimal, 1814, 1815 und 1871, durch den zum Ruhm französischer Siege errichteten Triumphbogen einzogen.

Seit Jahr und Tag vernimmt Paris den fernen Donner deutscher Geschütze, sieht es über sich in den Lüften den Zeppelin und die Taube, zu deren Abwehr der Eiffelturm Funkenstation und Maschinengewehreinbauten trägt.

Paris hat es selbst so gewollt. Noch nach dem Ausbruch des Krieges mit Rußland ließen wir Frankreich Zeit, sich zu besinnen, ob es den furchtbaren Waffengang wagen wollte. Wer den Präsidenten Poincaré, diesen eitlen und ehrgeizigen, von der Militärpartei seinerzeit eigens für den kommenden Krieg auf den Schild erhobenen französisch-lothringischen Advokaten kannte, der kannte auch seinen Entschluß zum Eintritt in den Weltkrieg, den er in seinem Regierungspalast, dem Elysée, faßte, einen Entschluß, bei dem er die französische Volksvertretung geschlossen hinter sich wußte, sowohl den Senat im Palais Luxembourg, als die Deputiertenkammer im Palais Bourbon.

So antwortete uns das, dicht daneben am Quai d’Orsay gelegene französische Auswärtige Amt, daß Frankreich sein Schicksal an das Rußlands knüpfen werde.

Die verhängnisvolle Note hatte nur einen kurzen Weg zurückzulegen. Ein paar hundert Schritte davon entfernt erhebt sich das Gebäude der deutschen Botschaft in Paris.

Sie verließ Paris. Aber auch in der Nachbarschaft war bald darauf großes Kofferpacken. Beim Nahen der deutschen Heere stob, was dritte Republik hieß, all dieser Klüngel von [15] Ministern, Deputierten, Finanzmännern, Großjournalisten, politischen Agenten und Abenteurern Hals über Kopf in wirrer Flucht davon und wählte sich wieder, wie 1870, Bordeaux zum Aufenthalt.

Damit sind wir in der französischen Provinz und abermals in dem Zwiespalt französischen Lebens, zwischen erstickender Enge und Ausschweifung in jedem Sinn, dem Zwiespalt zwischen der Hauptstadt und dem Land. Diese französischen Provinzstädte haben etwas Trostloses in ihrer Totenstille, ihrem Staub über allen Dingen, ihrer Rückständigkeit, ihrer Abgeschlossenheit gegen das draußen brausende Leben der Zeit. Sie leben aus zweiter Hand. Sie empfangen, wie der Mond sein Licht von der Erde, ihr Licht von dem fernen Paris, der Stadt der Städte, dem leuchtenden Wunder, zu dem es die hoffnungsvolle Jugend des Landes zieht, um dort das Glück zu erjagen, wie das ruhebedürftige Alter – beim Franzosen beginnt es oft schon mit 50 Jahren –, das dort seinen Lebensabend in Frieden beschließen möchte. „Diese guten Leute aus der Provinz“, nennt der Pariser mitleidig die 38 Millionen seiner Landsleute, die nicht das Glück haben, in dem Mittelpunkt der Welt, an der Seine zu wohnen. Er weiß, daß das Leben in der Provinz immer eine Art Verbannung von Paris bedeutet, ein Dasein zweiten Ranges, eine Ungerechtigkeit des Schicksals. Nirgends zeigt sich der Unterschied deutschen und französischen Wesens so deutlich wie in dieser Stellung der Mittel- und kleinen Städte zum Ganzen. Welche Fülle von Licht und Leben strömt überall bei uns von den einzelnen Städten aus, bereichert ringsum das Land, durchsetzt ganz Deutschland gleichmäßig mit Bildung und Wissen. Was liegt für uns in den Namen Weimar oder Bayreuth, welcher Zauber in Alt-Heidelberg, der feinen? Unsere stolzen Hansestädte bilden eigene Staaten. Jede unserer Großstädte ist wie eine Hochburg deutschen Geistes für sich und trägt solch ehrende Bezeichnung, ob wir nun von München als Isar-Athen oder von Dresden als Elb-Florenz sprechen, von Straßburg der wunderschönen Stadt, von Königsberg als der Stadt der reinen Vernunft, vom goldenen Mainz, vom alten heiligen Köln, ob wir sagen: „Mein Leipzig lob’ ich mir“, oder mit dem Lokaldichter fragen: „Wie kann nur ein Mensch nicht aus Frankfurt sein?“ – Überall der unerschöpfliche Born deutschen Lebens! Und dagegen Frankreich: Es ist immer dasselbe eintönige verschlafene Bild, ob wir nun das jetzt in deutschen Händen befindliche Lille sehen, oder Rouen, die Hauptstadt der Normandie, oder Orléans, oder das alte südfranzösische Toulouse, oder einmal betrachten, wie trübselig Tarascon, die Heimat des berühmten Tartarin, in Wirklichkeit ausschaut.

[16] Selbst Lyon, die Seidenstadt, macht, so glänzend und reich sie ist, doch in der Nüchternheit und Farblosigkeit ihres Lebens kaum eine Ausnahme.

Eine solche gilt höchstens von Marseille, der großen Hafenstadt am Mittelmeer. Hier ist man schon unter der Sonne des Südens, in einer lärmenden Welt für sich. Und hier in der Provence haben sich auch die Reste früherer Romantik erhalten, wie bei uns am Rhein.

Man muß, wie der Verfasser dieses Vortrags, ganz Frankreich zwischen Wasgenwald und Pyrenäen selbst bereist haben, um zu wissen, was Frankreich ist. Denn gewiß: Paris ist Frankreich. Aber Paris lebt zugleich von Frankreich. Es ist Frankreichs Wasserkopf. Es saugt aus der Provinz alles, Menschen, Geist und Geld an sich. Und diese Menschen bringen ihre Eigenart mit nach Paris, dem großen Menschenfresser, der ja nur durch ihren fortgesetzten Zustrom sich vor dem Aussterben bewahrt. So gibt es gewisse Eigenschaften, die jedem Franzosen, sei er Pariser oder nicht, gemeinsam sind, und die wir zum Schluß dieses Vortrags in ihrer Einwirkung auf uns betrachten müssen.

Da ist als Erstes für jeden, der Frankreich kennt, der grenzenlose Schmutz! Kein Volk badet und wäscht sich so wenig bei aller äußeren Eitelkeit wie das französische. Das geht vom unglaublichen Dreck französischer Dörfer bis in die Intimitäten der Millionärswohnungen in den Champs-Elysées von Paris. Der Schmutz spiegelt sich auch in der Sprache wieder. Der Franzose und auch die Französin aller Stände gebraucht Ausdrücke und spricht unbefangen von Dingen, deren Erwähnung in jedem anderen Lande Europas unmöglich wäre. Dieser Schmutz erfüllt auch als Bodensatz die Seele Frankreichs. Nicht nur im bürgerlichen Leben. Auch der Franzose im Felde zeigt gegen seinesgleichen eine Roheit, gegen den Feind eine anwidernde Grausamkeit, die sich nur aus einem Fehlen der einfachsten sittlichen Empfindungen erklären läßt. Über diese Kloake des Herzens täuscht kein geistiges Gegacker und keine Eleganz der Boulevards hinweg, so sehr einzelne törichte Leute bei uns das auch im Frieden bewunderten.

Mit der Philisternatur des Franzosen hängt zum Zweiten seine geistige Unselbständigkeit zusammen. So wie bei uns etwa jeder, um nicht aufzufallen, ungefähr Rock und Hose vom selben Schnitt trägt wie der andere, so trägt der Franzose die Meinung des andern. Es ist so wenig guter Ton, seine eigene Meinung zu haben, wie z. B. bei uns, als Naturmensch mit langem Haar herumzulaufen. Man kann auch in Frankreich keine eigene Meinung haben. Denn man reist nie. Man liest nichts vom Ausland. Man hört nichts [17] von dort. Will nichts hören. Die Meinung wird von einer Handvoll skrupelloser politischer Glücksjäger in Paris gemacht, in den letzten Jahren unter dem Einfluß englischen Geldes, und als lärmende Phrase dem übrigen Frankreich in die Ohren geschmettert und gläubig wiederholt.

Mit dem Raufbold im Franzosen ist ein Drittes und Letztes, die maßlose Eitelkeit der Nation, auch der Männer, verwandt. Die unleidliche Sucht zu posieren, das rote Bändchen der Ehrenlegion im Knopfloch, das stutzerhafte Äußere selbst der ältesten männlichen Semester, der Drang, überall der Erste zu sein und aufzufallen ist Frankreich selbst, und auch das Merkmal seiner Politik durch Jahrhunderte ist ja der naive Glaube, daß Frankreichs Platz an der Spitze der Menschheit sei. So ist auch die französische Armee noch als die einzige in diesen Weltkrieg im Prunk ihrer bunten Friedensuniform gezogen und hat das schöne Rot ihrer Hosen mit viel rotem Blut bezahlen müssen.

Wir begreifen nun, daß ein Volk, das von Herzen roh und schmutzig, in Kopf und Geist unselbständig und dabei lärmend eitel ist – daß ein solches Volk ein ewiger Spielball in der Hand gewissenloser Führer und Verführer sein muß. Es kann ein solcher Spielball sein, weil es zugleich die guten Eigenschaften besitzt, die es zu unserem stärksten Gegner im Felde macht – nämlich, wie bei uns, kriegerischer Mut, vererbte Kriegskunst und aufopfernde Vaterlandsliebe. Aber es verwendet diese edlen Gaben nicht wie wir zum Schutz von Heimat und Herd. Es mißbraucht sie, von Rauflust getrieben, zu ständigen Angriffen auf den friedliebenden Nachbar. Es hat sie seit Jahrhunderten dazu mißbraucht, es wird sie dazu mißbrauchen, solange es irgend kann, und bildet so eine ewige Gefahr für deutsches Sein und Land, für deutsche Bildung und Gesittung, für deutsche Arbeit und Zukunft, eine Gefahr, die mit diesem Krieg ein für allemal, für alle Zeiten, für alle Geschlechter ihre Ende finden muß! Diese Gefahr in ihrem vollen Umfang aufzudecken, war der Zweck dieses Vortrags. Die ewig Mildherzigen unter uns zu warnen, die noch im Traum welscher Gütergemeinschaft des Geistes Lebenden zu wecken. Die Stärkeren – und das sind wir gottlob wohl fast alle – zu stählen in der Erkenntnis: „Wir haben lange genug geliebt – wir wollen endlich hassen!“

Wir haben den Haßgesang gegen England. Er spiegelt die Empfindung Alldeutschlands wieder. Aber wir dürfen daneben nicht vergessen, daß unser zweiter Nachbar im Westen ein ebenso unversöhnlicher, ebenso blutdürstiger Hasser und Gegner ist wie der Brite, und dabei schon ein Jahrhunderte alter. Daß er uns unseren Frieden stets mit neuen Mordanfällen, unsere Geduld mit neuem Brand und Raub, unsere [18] Freundschaftsversuche mit Drohungen und Schmähungen gelohnt hat. Daß es nicht an ihm lag, wenn wir jetzt nicht wieder schaudernd die Greuel früherer Jahrhunderte im deutschen Westen erlebten, sondern ausschließlich nur an der heldenhaften Tapferkeit unserer Heere.

Nicht, daß wir dem Franzosen die schmutzige und unwürdige Form des Hasses, die er uns entgegenbringt, mit Gleichem vergelten wollen. Unser Haß steht höher! Sei rein. Sei deutsch. Unser Haß heißt Tat! Tat heißt Sieg! Der letzte Sieg über Frankreich nach so viel Blut und Not der Jahrhunderte! Der Sieg, der uns und denen, die nach uns sein werden, für immer die Ruhe vor dem ruhelosen Nachbar im Westen sichert. In diesem Sieg dürfen wir uns durch nichts beirren lassen! Die härtesten Friedensbedingungen sind die menschlichsten, weil sie allein erneute Kriege von drüben verhüten können und verhüten werden.

Als unsere Väter 1870 dem Tiger überm Rhein die Krallen beschnitten hatten, da stellten sie zu Ruhm und Ehren des neuen Deutschen Reiches das Denkmal der Germania auf dem Niederwald auf.

Sie schaut nach Westen, dem Feind ins Auge, während sie sich die Kaiserkrone aufs Haupt setzt, und ihre Hand hält das Schwert. Möge das deutsche Schwert nun zum andern- und letztenmale den großen Morgen, den deutschen Frieden bringen, von dem der Dichter singt:

„Es war in diesem Kriege
Mit uns nur Gott allein!
So soll denn auch der Friede
Ein deutscher Friede sein!“

Das wollen wir! Das hoffen wir! Daran glauben wir, wie nur Menschen an etwas glauben können. In diesem Glauben werden wir siegen!


Druck: Otto Elsner A.-G., Berlin S42, Oranienstr. 140/42.



Errata (Wikisource)

  1. Vorlage: Trikolare
  2. Vorlage: Abenturer
  3. Vorlage: Llod

Anmerkungen (Wikisource)