Friedrich Kreyssig (Die Gartenlaube 1880/5)

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Autor: Fritz Wernick
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Titel: Friedrich Kreyssig
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aus: Die Gartenlaube, Heft 5, S. 76–79
Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1880
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
siehe Friedrich Kreyssig
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[76]
Friedrich Kreyssig.
Ein Lebensbild von Fritz Wernick.

Zur Classe derjenigen Berühmtheiten, welche durch unablässige, eifervolle Arbeit, durch treues Festhalten hoher Ideale, durch begeistertes Streben nach der Erreichung eines erhabenen Lebenszieles sich den Boden zu erobern hatten, auf dem sie dann weithin durch Anregung und Lehre, durch Wort und Schrift für die Entwickelung des nationalen Lebens Bedeutung gewannen, gehört Friedrich Kreyssig, der am 20. December des vergangenen Jahres mitten aus einer an Erfolgen reichen Thätigkeit als Schulmann, als Schriftsteller und Redner durch den Tod abgerufen wurde. Kreyssig’s Leben ist, fast von Kindheit an, ein harter, heißer Kampf mit dem Schicksal gewesen, in dem der Verstorbene immer Sieger geblieben ist, der seine Elasticität gesteigert, seinen Geist geschärft, seine Arbeitskraft unglaublich gestärkt, der nun indeß auch bittere Stunden bereitet, ihn um das ruhige, behagliche Lebensglück gebracht hat, das der Entschlafene immer ersehnt, immer in der Ferne vor sich gesehen, ohne es jemals erreichen zu können: ein armer Mann, von dessen Reichthum viele tausend Andere Schätze gesammelt haben. Ein Trost, eine Hülfe, eine Zuflucht versagte ihm niemals: die Arbeit! In ihr hat er Alles gefunden; zu ihr zog er sich zurück, wenn das Leben ihn arg umwetterte, im Hause, im Berufe, in der Oeffentlichkeit.

[77] In der Provinz Ostpreußen auf dem Gute Gottesgabe bei Mohrungen, war Kreyssig’s Vater Verwalter, als dieser geboren wurde. Zwar hat der Vater sich um die Erziehung des Knaben wenig kümmern können, dieser aber, aufgeweckt, lebhaft, anstellig und praktisch, wußte sich überall in der Wirthschaft nützlich zu machen. Er begleitete die Leute in Feld und Wald, lebte in und mit der Natur, half mit, wo er konnte. Seine Freude an der Natur, seinen scharfen Blick für alle Erscheinungen in derselben, seine fröhliche Wanderlust – all dies hat jene Kinderzeit in ihm geweckt. Gewiß hat das Leben in der Natur aber auch beigetragen, die hervorragendsten Gaben in ihm zu entwickeln, denen er später so Vieles danken sollte: den weiten Horizont seines Anschauens und Denkens, die leichte, bestimmte Erfassung aller Verhältnisse, das schnelle, selten irrende Urtheil.

Friedrich Kreyssig.
Nach einer Photographie auf Holz gezeichnet von Adolf Neumann.

Das fröhliche Land- und Waldleben endete, als der Vater sich genöthigt sah, an die Zukunft des Knaben zu denken, und ihn deshalb seinem Schwager, dem Seminardirector Kawerau in Jenkau, anvertraute. Mit diesem kam Kreyssig nach Königsberg, um daselbst zum Volksschullehrer ausgebildet zu werden. Das war hart für den lebhaften, hochstrebenden Geist, aber ohne Nutzen für ihn sind diese Jahre nicht gewesen. In der strengen Schule ist sein Geist pädagogisch erzogen worden; er hat das Handwerk seines Berufes, das auch in diesem den goldenen Boden bildet, kennen gelernt. Der neunzehnjährige Seminarist erhielt dann nach bestandener Prüfung die magere Versorgung in einer Elementarschule nahe der russischen Grenze. Ein gewöhnlicher Mensch wäre da in dem engen Kreise seiner Berufspflichten, in dem bescheidenen Leben dieser Träger der Massenbildung aufgegangen wie Hunderte und Tausende. Zu solchen Naturen gehörte Kreyssig indessen nicht. Er hatte Königsberg, die Universität gesehen, hatte erkannt, daß seine begrenzte Ausbildung ihm ewig eine Schranke ziehen, ihn hindern müsse, das Höchste in seinem Berufe zu erreichen. Dagegen revoltirte Geist und Temperament. Das Blut kochte in seinen Adern, und wie der Löwe gegen das Eisen des Käfigs, empörte er sich gegen die unerträglichen Fesseln, die ihn hier in enges Berufsleben bannten. Eifrige Beschäftigung mit der Wissenschaft, Selbststudien, die seine Nächte füllten, waren weit entfernt, ihn zu befriedigen; sie vermehrten noch den Drang, diese Fesseln zu sprengen. Das geschah. Er, der sonst so Pflichtgetreue, brach den Bann, verließ die masurische Dorfschule ohne einen Groschen in der Tasche und wanderte, glücklich wie ein dem Tode Entsprungener, nach Königsberg. Hier gab er Privatstunden am Tage und arbeitete für sich während der Nacht. In kaum zwei Jahren ward das Ziel erreicht, der Jüngling reif für die Universität befunden.

Diese Jahre mögen die gewaltige Arbeitskraft, die Energie des Willens, die Sicherheit des Vollbringens in Kreyssig erzogen und ausgebildet haben, die Jeder bewundern mußte, der jemals zu ihm in näheren Beziehungen gestanden hat. Das Leben setzte die Erziehung des Einundzwanzigjährigen nun nach anderer Richtung hin fort. Der Student, der Burschenschafter stand bald im Mittelpunkte des akademischen Lebens. Er hat das Arbeiten niemals gering geachtet, auch jetzt sich nicht dem süßen Taumel hingegeben, hat in den meisten Fächern, in alten und neuen Sprachen, in den historischen Wissenschaften, in der Religion etc. die Berechtigung zum Unterricht in den obersten Classen des Gymnasiums erworben. Dennoch wurde das Studentenleben gründlich genossen und mit den Commilitonen, zu denen von Keudell, unser Botschafter in Rom, Hobrecht, der ehemalige Finanzminister, Ferdinand Gregorovius, Julian Schmidt, Rudolf Gottschall gehörten, geistig und bei frohen Gelagen verkehrt. Der Fechtboden, die Reitbahn wurden nicht vernachlässigt, und wenn bei Festen und Versammlungen, bei feierlichen Anlässen und Ansprachen durch zündende Rede gewirkt werden sollte, so wurde damit gewiß meist Kreyssig betraut.

Die Mittel zum Leben mußten auch jetzt noch erworben werden. Der alte Graf Lehndorf-Steinort betraute den jungen Studenten mit der Aufsicht und Unterweisung seiner Söhne, die das Königsberger Gymnasium besuchten. Er wohnte mit diesen zusammen, begleitete sie während der Ferien hinaus auf Schloß Steinort, an die waldigen Ufer des Spirdingsees. Hier schwelgte der Jüngling nach langer Entbehrung wieder in Naturgenüssen. An die Ritte und Wanderungen durch die Forste, an das ungezwungene Landleben hat er noch bis zuletzt mit hoher Freude gedacht. Graf Lehndorf, der bekannte Adjutant und Günstling des Kaisers Wilhelm, gehörte damals zu Kreyssig’s Zöglingen.

Das Schicksal schien diesem jetzt Alles gewähren zu wollen, was ihm erwünscht erscheinen konnte. Er war gern gesehen in den Kreisen der Professoren und verkehrte viel in deren Häusern. Besonders liebte der alte Lobeck den geistesverwandten Schüler und zeichnete ihn vielfach aus. Lobeck, selbst kinderlos, hatte zwei Pflegetöchter, und die jüngere ward später Kreyssig's Gattin. Durch scharfen Verstand, treffendes, wenn auch oft bitteres Urtheil, gewandte, schlagfertige Rede, geistige Lebhaftigkeit mag sie den jungen, zum ersten Mal in Damengesellschaft verkehrenden Mann gefesselt haben. Sein bis zum Ungestüm lebhafter Sinn, sein überreiches, reges Gedankenleben, seine warme enthusiastische Natur hätte vielleicht weniger eine kritisch angelegte Lebensgefährtin bedurft, als ein sorgsames Hausmütterchen, das den Lärm und die Störungen des Alltagslebens von ihm fern gehalten, ihm Haus und Umgebung behaglich gemacht hätte. Und doch wird man kaum bestreiten dürfen, daß auch das Zusammenleben mit einer solchen Frau anregend und belebend aus manche seiner Fähigkeiten, auf seine Arbeits- und Erwerbskraft gewirkt hat.

Daß sein Geschick den Rastlosen zu ewigem Kämpfen und Ringen bestimmt, zeigt wieder die Berufung des fünfundzwanzigjährigen Lehrers an eine Realschule, zuerst nach Wehlau, bald darauf nach Elbing. Wieder waren da die höchsten Ziele, wenn nicht ihm, so doch seinen Schülern, durch eine Schranke verschlossen. Gekämpft und gerungen mußte da werden in Wort und Schrift, mit Energie, aber lange ohne Erfolg, um den Realschulabiturienten den Besuch der Universitäten zu eröffnen. [78] Kreyssig hat stets in der ersten Reihe dieser Streiter gestanden, hat bewiesen, daß der Geist nicht nur durch die alten Sprachen geschult, erzogen und zu höherem Studium tüchtig gemacht werde, sondern daß Mathematik, Naturwissenschaft und neuere Sprachen dies ebenfalls vermögen. Durch die That hat er es bewiesen, durch Erziehung von Schülern, die heute noch dankbar erkennen, daß sein Unterricht sie denken gelehrt, ihnen die Grundlage zur Erreichung der höchsten geistigen Ziele gegeben.

Als Lehrer mag Kreyssig nur von Wenigen übertroffen worden sein. Die Gesammtheit seiner Fähigkeiten, sein Wissen nicht nur, sondern auch seine Begeisterungsfähigkeit, seine geistige Schwungkraft, die Weite seines Blicks, sein klares, logisches Denken und die seltene Begabung, jedem Stoffe plastische Gestalt zu verleihen, ihn als ein Ganzes zu formen und so den Schülern faßlich darzubieten, rüsteten ihn dazu aus. Nichts von Pedanterie, kein Pochen auf Buchstabenwissen war ihm eigen. Die geistige Kraft der Schüler zu erwecken, ihre Köpfe zu klären, sie für das Lernen zu begeistern, aus Knaben selbstdenkende Männer zu machen, das verstand er meisterhaft.

Seinen älteren Schülern stand er nahe wie ein Freund. Wenn er während der Sommerzeit mit seiner Prima die bewaldeten Bergreviere tagelang durchstreifte, so ward für die verlorene Halbtagslection des Sonnabends reichlich Ersatz geboten durch geistvolle Unterhaltung, durch jenen werthvollen Unterricht, den er in seinen ersten Lebensjahren empfangen hatte: durch Erkennung der Natur, durch Darlegung ihrer Kräfte, ihrer Reize. Vierundzwanzig Jahre hindurch hat Kreyssig in Elbing die Jugend nicht nur unterrichtet, sondern auch erzogen, zu sich emporgehoben. Was aus dem verschiedenartigen Menschenmaterial zu entwickeln und menschlich herauszubilden war, das hat er geschaffen. Und wie hier, so hängen heute in Kassel, in Frankfurt am Main, wo er unter schwierigen Verhältnissen gearbeitet, die ehemaligen Schüler mit treuer Liebe an ihm, dem sie die innere Befreiung, die geistige Selbstständigkeit verdanken.

Groß ist die Schaar dieser ehemaligen Schüler, aber dieselben sind nicht die Einzigen, die von Kreyssig's seltener Lehrfähigkeit Nutzen gezogen haben. Wo er weilte, in Elbing, in Kassel, in Frankfurt am Main, hing an ihm eine Gemeinde von Freunden, die ihm mehr danken, als sie vielleicht selbst wissen. Alle die oben genannten Eigenschaften, besonders die lebhafte Phantasie, auch wenn dieselbe ihre Flüge manchmal schrankenlos ausdehnte und dadurch Manchen irre machte, der den Mann nicht genau kannte, wirkten mächtig auf die Umgebung. Verschlossenheit, Rückhalt, dünkelhafte Schulweisheit waren dem lebhaften Manne fremd. Er gab Alles, was er hatte, und gab es in einer Form, die fesseln und hinreißen mußte.

Im Jahre 1869 ging Kreyssig nach Kassel, 1871 nach Frankfurt am Main, der Altpreuße in die neuen Provinzen, um aus kleinen Anfängen, unter erschwerenden Umständen, mit einem Lehrerpersonal, das an das preußische Schulwesen, an die preußische Strammheit nicht gewöhnt sein konnte, höhere Lehranstalten zu begründen. Kreyssig war selbst keiner von den reglementsmäßig Strammen, Gedrillten unter den Schulmännern, aber er freute sich dieser Aufgabe um so mehr, je mehr sie seine Energie, seine Elasticität, seine staunenswerthe Arbeitskraft herausforderte, und er hat sie mit dem Aufgebote dieser seiner geistigen Kräfte glänzend gelöst. Schwerer wurde dies in Frankfurt, als in Kassel. In Frankfurt fand er ein System von Schulen, die einer Privatgesellschaft gehörten, eine Handels-, eine Gewerbeschule und eine noch in den Anfängen befindliche Bürgerschule, kein geschlossenes Lehrerpersonal, sondern zum Theil Kräfte, die nur für einzelne Stunden Vertrag mit der Anstalt geschlossen hatten, kurz Zustände, die man in Preußen nicht kannte. Freilich fand er zugleich den redlichen Willen der Bürgerschaft vor, aus ihrer Schule etwas Tüchtiges zu schaffen. Und das hat Kreyssig ihnen geleistet. Die Schulen sind vor wenigen Jahren an die Stadt übergegangen, und der neue Director hat sie verschmolzen, umgestaltet und zu einer Realschule erster Ordnung organisirt. Er war fast am Ziele. Nach langem Ringen und Kämpfen, nicht nur nach oben hin, sondern auch gegen einige Strömungen innerhalb der Bürgerschaft, wurde das Recht der Entlassung zur Universität bewilligt; nächste Ostern wird die Schule zum ersten Male von diesem Rechte Gebrauch machen; der Schöpfer und Organisator hat das nicht mehr erleben sollen.

Das eigentliche Werden und Wirken des Verstorbenen, die Entwickelung und Gestaltung seiner geistigen Individualität ruht in den vierundzwanzig Jahren seines Aufenthaltes in Elbing. Oft hat er dieses Fernsein von dem Mittelpunkte geistigen Lebens als ein hartes Schicksal beklagt, aber wohl nicht mit vollem Rechte. Ein so lebhaft sprudelnder Kopf, ein so heißblütiger Gelehrter, ein so scharf kritisirender Geist, ein so hinreißender, zündender Redner wäre dort sofort in die Bande einer Coterie, einer literarischen und politischen Clique gekommen, und solche Einschnürungen in bestimmte Programme, in schriftstellerische Verbände mit ausgesprochener Tendenz waren dem in absoluter geistiger Freiheit Erzogenen unerträglich. Er hätte es nicht aushalten können innerhalb derselben, und außerhalb, neben denselben stehend, noch weniger. In Elbing gehörte er ganz sich selbst und dem Kreise seiner zu ihm aufblickenden, von ihm lernenden Freunde an. Das erhielt ihn selbstständig und gab ihm doch die menschliche Umgebung, deren er bedurfte. Seine größten Arbeiten, die drei Bände „Shakespeare-Vorträge“, die „Abhandlungen über hervorragende Persönlichkeiten der französischen Literatur- und Culturgeschichte“, vielleicht sein allerbestes Buch, dann die „Vorträge über Faust“ sind hier entstanden und von dem damals noch ziemlich Unbekannten in die Welt geschickt worden. Man hat die Bücher beurtheilt, nicht den Mann, der sie geschrieben, und daß diese Urtheile nahezu einstimmig in hohem Maße anerkennend ausfielen, mag der Verfasser zum Theil seiner selbstständigen Stellung außerhalb der Coterie zu danken haben, andernfalls hätten die Einen ihn sicher in den Himmel gehoben, die Andern zerfleischt, und beides ging ihm arg an die Nerven.

Blieb Kreyssig in Elbing vor den angedeuteten Gefahren bewahrt, so strömten ihm dort andrerseits Anregungen in Fülle zu. Eine kleine Stadt gestattet es ihren hervorragenden Bürgern nicht, ihre Kräfte gemeinsamen Zwecken zu versagen. Wer viel hat, von dem wird da viel gefordert. Wenn Kreyssig mit bewundernswürdiger Vielseitigkeit und nie versagender Kraft fast gleichzeitig als Redner, Schriftsteller, Politiker und Lehrer hat erfolgreich thätig sein können, so hat er das nicht zum kleinsten Theil in den engen Verhältnissen Elbings gelernt. Hier mußte er immerwährend herhalten, und schöne werthvolle Früchte sind aus diesem Treiben und Drängen erwachsen. Wenn man die Jubiläen Schiller's und Shakespeare's, das Andenken Uhland's feierte, wenn Vorstellungen für die deutsche Flotte veranstaltet, Fahnen geweiht, zum Feste einziehende Sänger begrüßt, Sammlungen für Schleswig-Holstein veranstaltet wurden – eine zündende Rede Kreyssig's gab Allem Inhalt und Bedeutung; um sie gruppirte sich das ganze Programm; die Anderen hatten es leicht, wenn er die Menge hingerissen und in Begeisterung versetzt hatte. Die Gabe des Wortes besaß der Verstorbene wie selten Einer. Mochte er augenblicklich angeregt oder lange vorbereitet sein, immer stand der Gedanke dem Ausdruck, der Ausdruck dem Gedanken zur Verfügung, immer strahlte die Rede schöne Wärme, edle Begeisterung aus. Elegante Aeußerlichkeit, kühles Maßhalten durfte man nicht erwarten. Hingerissen, gefesselt, in die richtige Stimmung versetzt hat Kreyssig seine Zuhörer aber immer, über welchen Gegenstand er auch sprechen mochte. Seine Arbeiten über Shakespeare, die französische Literatur, Justus Möser, Faust sind aus solchen Vorträgen hervorgegangen.

Was in dieser Beziehung in Elbing begonnen, ward später in Kassel und Frankfurt fortgesetzt. Süd- und Westdeutschland erwies sich als der günstige Boden für solche Thätigkeit. Seinen Ruhm in den großen Kreisen des deutschen Volkes hat der Entschlafene vielleicht mehr noch diesen Vorträgen, als seinen schriftstellerischen Arbeiten zu danken. Freilich gehörten körperliche und geistige Kräfte, wie er sie besaß, dazu, um neben den aufreibenden Pflichten und Beschwerden des Amtes noch weite Reisen zu machen, öffentlich zu sprechen und in der nächsten Nacht heimzukehren. Eingeladen von Gesellschaften, Vereinen, größeren Verbindungen ist Kreyssig nach Hamburg, Köln, Elberfeld, nach Augsburg, Chemnitz, Leipzig, nach Kassel, Darmstadt, Mainz gegangen, um über literarhistorische, politische und culturgeschichtliche Stoffe zu sprechen. Er gehörte zu den beliebtesten Vortragsrednern Deutschlands, und das dankte er nicht nur seinem umfassenden Wissen, der Macht seines Wortes, sondern ebenso der geistigen Frische, der hinreißenden Begeisterung, der gedanklichen Klarheit, die ihn selbst dem bescheidenen Fassungsvermögen verständlich machte.

[79] Das Jahr 1848 fand Kreyssig als jungen, noch nicht dreißigjährigen Lehrer an der Elbinger Realschule. Kurz vorher hatte ihn eine Studienreise nach Paris geführt und in nahen persönlichen Verkehr mit den Männern gebracht, von denen später die Februarrevolution ausging. Um praktische Politik zu spielen, den modernen Staat aus den Ueberlieferungen der Geschichte organisch herauszuentwickeln als ein bestimmtes Einzelwesen mit bestimmten Einrichtungen und bestimmtem Charakter, dazu waren wir als Volk damals noch zu unerfahren, zu jung. Kreyssig hat allen Begeisterungsrausch mitgemacht, von dem damals die ganze Welt, nicht nur die deutsche, ergriffen war – aber nicht lange. Zu den Menschen, die immer mit dem Strome schwimmen, gehörte er durchaus nicht. Auch dem reißendsten vermochte er zu widerstehen, wenn seine Erkenntniß, sein selbstständiges Urtheil ihm dies gebot.

Den innersten Kern seines politischen Wesens bildete ein starker deutscher Patriotismus. So neigte er, bald nachdem die Stürme von 1848 vorüber gerauscht waren, zu den Altliberalen und Gothanern. weil diese den nationalen Gedanken hochhielten; so löste er sich bereits 1864 innerlich von der großen Fortschrittspartei, als er in Schleswig-Holstein wahrnahm, daß Bismarck nationale Politik zu treiben entschlossen war; so sprach er sich noch kurz vor seinem Tode aus, daß Steuer- und Handelsfragen uns nimmermehr in Opposition mit den Kräften bringen dürften, mit deren Hülfe allein der Ausbau und die Vollendung des nationalen Staates möglich sei. Der starke nationale Zug, der sein ganzes Denken und Fühlen bestimmte, hat seine außeramtliche Stellung in Frankfurt oft erschwert, die amtliche nicht gerade erleichtert. Doch hat andererseits diese bewußte, gemäßigte Politik überzeugend und fruchtbar gewirkt in den Kreisen Süd- und Westdeutschlands, mit denen er durch mannigfache Thätigkeit in Berührung kam.

So war der Mann vom Schicksale auf eine rauhe Lebensbahn gewiesen, von Kämpfen immer in Anspruch genommen, ohne ruhigen Glücksgenuß gewachsen und geworden, ohne sich jemals selbst aufzugeben, ohne jemals zu verzagen. Das harte Leben hatte seine Kraft gestählt; ein Körper, der niemals versagte, den Geist an Spannkraft fast noch übertraf, unterstützte den eisernen Willen des Mannes. Für den Verzicht auf gemächlichen Lebensgenuß konnten ihn seine Erfolge wohl entschädigen. Bis 1869, wo er Elbing verlassen hat, war es die Reihe seiner Bücher und Schriften, die ihm diesen Erfolg brachte. Sie sind früher hier bereits erwähnt worden. Sie alle zeichnet die Kunst der feinen Modellirung, der plastischen Darstellung, eine Fülle von Gedanken und originellen Gesichtspunkte aus. Nicht ausschließlich kritisch beleuchtet und zersetzt er die Gestalten der Dramen Shakespeare’s. Jede einzelne erschafft er wieder, läßt sie vor uns hintreten, losgelöst von der Umgebung, in voller, lebenswahrer Gestalt. Sein Richard der Zweite, sein Falstaff, Hamlet, Antonio sind meisterhaft entworfene und durchgeführte Charakterbilder. Ein noch vollendeteres enthalten die Abhandlungen aus der französischen Literar- und Culturgeschichte dieses Jahrhunderts. Da stellt er Napoleon den Dritten als Schriftsteller vor uns hin, dabei den ganzen Menschen mit allen Fältchen des Charakters und Wesens, mit allen Licht- und Schattenseiten dieses merkwürdigen Mannes. Später, als Kreyssig nach Kassel und dann nach Frankfurt berufen ward, hat ihm leider die Muße zu größeren schriftlichen Arbeiten gefehlt. Die Organisation der Schulen, die von allen Seiten begehrten öffentlichen Vorträge nahmen seine Zeit und Kraft völlig in Anspruch. Schmerzlich hat er diesen Verzicht stets empfunden. Mit einer größeren tüchtigen Arbeit auf dem Gebiete der Literar- und Culturgeschichte hervorzutreten, war Jahr für Jahr sein heißester Wunsch. Massenhaft häufte sich das durch die Vorträge gewonnene Material. Aber es fehlte ihm an Ruhe und Sammlung, um es zu einem einheitlichen Ganzen zu verarbeiten. Einem Verleger hatte er bereits eine große französische Literaturgeschichte zugesagt, zu deren Vollendung er nicht hat kommen sollen. So boten denn die Schule, das Lehren und Organisiren, der Unterricht, den er auch außerhalb derselben einem großen Kreise Frankfurter Damen ertheilte, und der geistige Verkehr mit guten gesinnungsverwandten Freunden ihm hauptsächlich die innere Befriedigung, deren er bedurfte.

Zum Lehrer für Schüler und Freunde war Kreyssig doch eigentlich vorzugsweise bestimmt. Auf keinem Gebiete seines mannigfachen Wirkens hat er mehr geleistet, nachhaltiger und erfolgreicher gewirkt als auf diesem. Denn da kam zu allem Wissen und Können der mächtige Reiz seiner Persönlichkeit. Er verstand es, die Menschen seiner Umgebung über sich selbst zu erheben, ihren Blicken einen weiten Horizont zu erschließen und dabei immer mitfühlender, mitgenießender Mensch zu bleiben mit allen Unebenheiten und Schwächen, die ihm anhafteten wie jedem, der sich die Ellenbogen freihält, um große Ziele zu erreichen.

Mitten in seinem vollen Wirken hat den Unermüdlichen ein schneller Tod ereilt. Eine fast vierzigjährige Berufsthätigkeit mag doch nicht ganz spurlos an seinem herculischen Körper vorübergegangen sein. Besonders die schnellen, weiten Winterreisen, welche die Vorträge nothwendig machten, die Kälte, die mangelnde Nachtruhe und das allzulange Sprechen haben seine Lungen krank gemacht. Schon vor vier Jahren wurde er von einer heftigen Entzündung derselben auf’s Krankenlager geworfen. Er hat sich vollständig erholt, aber eine gewisse Müdigkeit war zurückgeblieben. Die Sehnsucht nach behaglicher Ruhe, nach Muße für schriftstellerische Arbeiten, nach Lebensgenuß beherrschte ihn mit fast dämonischer Gewalt. Seine Schulorganisation sollte zu Ostern vollendet werden; seine Ansprüche auf Pension wurden mit dem nächsten Jahre erheblich günstiger. Immer sprach und schrieb er davon, daß er sich dann ein stilles freundliches Nest im Grünen, in heiterer Weltabgeschiedenheit bereiten und dort mit seinen Töchtern – die Gattin war vor drei Jahren gestorben – leben und arbeiten wollte. Wer ihn kannte, hat schwerlich an die Verwirklichung dieser Träume glauben können. Die Schule, das Wirken nach außen waren ihm zu sehr an’s Herz gewachsen, als daß er dieser gewohnten Thätigkeit jemals hätte entbehren können, mit wie glänzenden Farben die Phantasie ihm jene ruhige, pflichtfreie Zukunft auch ausmalte. Zu Ostern 1881 sollte dieselbe beginnen. Ein kurzes Krankenlager, eine tödtlich verlaufende Lungenentzündung hat all seinem Hoffen und Sehnen ein jähes Ende bereitet. Einer der besten Männer Deutschlands, der glänzendsten, beredtesten, kühnsten Geister, der anregendsten, liebenswürdigsten Arbeitsgenossen, der wärmsten Vaterlandsfreunde ist in ihm von der Welt geschieden.

Ueberall, wo Kreyssig gewirkt, ist die Nachricht von seinem Tode mit Bestürzung, mit erregter Theilnahme aufgenommen worden. Die Vereine und Gesellschaften weit im Lande, die sich noch kurz zuvor an seinen Vorträgen erfreut, haben den Sarg mit Lorbeeren und Palmenzweigen geschmückt; Frankfurt, Kassel, Elbing sammeln Beiträge zu Erinnerungsmalen, die in Elbing, der Stätte seines dauerndsten und erfolgreichsten Wirkens, und in Frankfurt errichtet werden sollen. Man sucht abermals dem Todten zu zollen, was man dem Lebenden schuldig geblieben ist.