Georgien. Natur, Sitten und Bewohner/Mzchet
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In ganz Georgien giebt es keinen zweiten Ort, der so reich an historischen Erinnerungen wäre wie Mzchet, welches schon in der heidnischen Zeit, also vor fast zwei Tausend Jahren die Hauptstadt des Landes war. Hier residierten die ersten georgischen Könige, hier liegen auch die letzten begraben; gleichfalls wohnten hier im Laufe mehrerer Jahrhunderte Katolikosse oder Patriarchen der georgischen Kirche, denn Mzchet war die Wiege derselben. Hier nahm nämlich König Miriam den christlichen Glauben an und gründete das erste Gotteshaus. Tausend Mal wiederholt sich in der Geschichte Georgiens der Name dieser Stadt, deren Schutzmauern gewissermassen der Obelisk sind, an dessen Wänden die Zeit alle wichtigeren Ereignisse der Geschichte Georgiens eingegraben hat. Ein solcher Ort besitzt einen hohen Reiz, besonders für den Fremden, welcher hier viele Denkmäler der Vorzeit zu finden glaubt. Dergleichen Erwartungen sind jedoch teilweise eitel, und schon bei dem ersten Anblicke der Stadt wird man sich seiner Täuschung bewusst. Anstatt einer grossartigen Königsburg und anderer umfangreicher Gebäude, findet hier der
[75][76] Wanderer nur einen elenden Flecken, dessen einzige Zierde die wirklich prächtige Domkirche ist, während die zwei anderen Kirchen, welche sich gleichfalls durch ihr Alter auszeichnen, nichts Grossartiges besitzen. Ausser diesen drei Gotteshäusern besteht im heutigen Mzchet kein anderes aus der Vorzeit erhaltenes Gebäude mehr und nur zerstreute Mauerreste deuten noch die Stellen an, wo einst die Schlösser der georgischen Grossen gestanden haben. Das bescheidene und fast elende Aussehen dieser Stadt entspricht in keiner Weise der Rolle, welche sie in der Vergangenheit spielte und noch unangenehmer berührt den Wanderer ihr gegenwärtiger Zustand, wenn er die Naturschönheiten ihrer nächsten Umgebung betrachtet. Diese ist höchst malerisch, denn hier mündet in einem engen von hohen Felsen eingeschlossenen Tale die reissende Aragwa in den Kur, der gleichfalls in einem tiefen Felsenthale dahinrauscht.
In dieser romantischen Gegend lebte und wirkte die heilige Nina, deren erstes Glaubenswerk die Bekehrung des Königs Miriam war. Von hier aus verbreitete sich dann die christliche Lehre über ganz Georgien und zahlreiche Legenden, die noch heute im Munde des Volkes leben, haben diese Bekehrungsgeschichte in höchst poetische Farben gekleidet. Es ist allerdings schwer zu bestimmen, wieviel Wahrheit an diesen Überlieferungen haftet, aber da alle des Namens der heiligen Nina erwähnen, so scheint es eine Thatsache zu sein, dass sie die erste Bekehrerin der Georgier war. Vom fernen Georgien soll sie schon in Jerusalem vernommen haben und zwar von Juden, deren Verwandte in Mzchet wohnten. Von Jerusalem nach Rom gewandert, musste sie bald von hier entfliehen, um den Verfolgungen des Kaisers Diokletian zu entgehen. Sie kam nun nach Armenien, wo ihr gleichfalls von dem noch heidnischen Könige Trdat Gefahr drohte. Sie verliess also Armenien und begab sich nach Georgien, um [77] in Mzchet Zuflucht zu suchen. Als sie hier ankam, wurde gerade zu Ehren des Gottes Armas ein Opferfest begangen und auf der römischen, noch von Pompejus erbauten Kurbrücke, begegnete sie dem Könige Miriam, welcher sich mit seinem Gefolge zur Opferfeier begab. Während diese vollzogen wurde, betete Nina zum Christengotte und bat ihn um Beistand zu ihrem Unternehmen. Ihr Gebet ward erhört, denn während die heidnischen Priester das Opfer darbrachten, entstand ein Sturm, welcher das Götzenbild umstürzte, das bis jetzt für die Georgier der Gegenstand der höchsten Verehrung gewesen war. Von diesem Augenblicke an begann Nina ihr Bekehrungswerk, aber lange waren ihre Bemühungen erfolglos. Wie vielen anderen Verbreitem der christlichen Lehre werden auch ihr manche Wunder zugeschrieben, in Folge deren erst die Georgier dem Heidentume entsagt und den neuen Glauben angenommen haben sollen. Auch vom Könige Miriam wird erzählt, dass er sich erst durch ein Wunder bewegen liess, Christ zu werden. Als er sich nämlich einmal auf der Jagd des dichten Nebels wegen verirrte, gelobte er dem Heilande, wenn er ihm beistände, mit seinem ganzen Volke seine Lehre anzunehmen. Sogleich erhob sich der Nebel und Miriam vermochte in die Stadt zurückzukehren, wo schon ein zahlreicher Volkshaufe, unter welchem sich auch Nina befand, seiner wartete. Hier wiederholte Miriam sein Gelübde und von nun an ging die Bekehrung Georgiens ohne Hindernisse von statten. An Stelle der umgestürzten Götzenbilder errichtete Nina ein Kreuz aus Weinreben, welches ihr die heilige Jungfrau im Traume überreicht haben soll.
Dies ist die Legende von der Entstehung des Christentums in Georgien und jedenfalls ist sie nicht ganz erfunden, denn höchst wahrscheinlich ist Nina keine erdachte Persönlichkeit, zumal ihre Wirksamkeit nur einige Jahrzehnte vor der Kirchenversammlung zu Nicäa statt fand, also in [78] einer Zeit, von welcher sich ziemlich sichere Nachrichten erhalten haben.
Das Grab dieser begeisterten Jungfrau befindet sich in Signach, einem Städtchen der Provinz Kachetien, in einer der ältesten Kirchen von ganz Georgien. Hier ruht sie im Schatten schöner Pappeln, an einem Orte, von wo sich eine herrliche Aussicht auf das Alasansche Thal und die Schneegipfel des Kaukasus aufthut. Auf einer Strecke von mehr als zehn Meilen zieht sich hier ein ununterbrochener grüner Garten hin, in dessen Mitte die Silberwellen des Flusses Alasan glitzern. Dieses Thal ist wohl das schönste in ganz Kachetien, was eben viel sagen will, da ganz Kachetien reich an entzückenden Landschaftsbildern ist. In einer wahrhaft paradiesischen Gegend hat sich also die Bekehrerin Georgiens ihre Grabstätte gewählt, denn auch jenseits des grünen Thales entzücken tausend Gegenstände das Auge. In nicht weiter Ferne erheben sich die Schneegipfel des Kaukasus, die teils in Wolken gehüllt sind, teils im herrlichen Sonnenscheine glänzen. Alles atmet hier Poesie und eine biblische Feierlichkeit, von der auch die gesamte mittelalterliche Geschichte Georgiens durchdrungen ist. In diesem Lande verfolgte die Kirche wirklich einen erhabenen Endzweck und die Geistlichkeit stand oft mit Opferwilligkeit für die Verteidigung des Glaubens ein, anstatt wie anderswo nach weltlicher Macht zu streben. Zwischen Kirche und Volk gab es hier keine Kluft, sondern es herrschte im Gegenteil eine fast beispiellose Eintracht, die häufige Male das von den Mahomedanern bedrohte Christentum rettete.
Allerdings war die georgische Kirche nicht immer frei von religiösem Fanatismus, aber dieser musste sich natürlicherweise aus den Umständen, die ihre Existenz so oft erschütterten, entwickeln. Am meisten bedroht war sie zu Anfang des siebzehnten Jahrhunderts, als Schach Abbas von Persien ganz Georgien mit Feuer und Schwert [79] verwüstete und seine Bewohner durch Anwendung der grausamsten Gewaltmittel zur Annahme des Islams zwingen wollte. Wie grauenhaft seine Gewaltthaten waren, zeigte die Niedermetzlung der Mönche im Klöster zu Garedscha. Nach uralter Sitte versammelten sich hier jedes Jahr die Mönche aller Nachbarklöster zur gemeinschaftlichen Feier des Auferstehungsfestes. Auch an jenem Tage, da diese Gräuelthat vollbracht wurde, waren hier an sechstausend Klosterbrüder erschienen. Schach Abbas wusste gar nichts von der Existenz des Klosters von Garedscha, welches einige Meilen von Tiflis auf einem Berge in der Karaischen Steppe stand, allein gegen Morgen bemerkte er in der Ferne einen ungewöhnlichen Lichterglanz, denn eben verliessen die Mönche in Prozession die Kirche und das Gefunkel von sechstausend Kerzen strahlte weit in die Nacht hinaus. Sofort befahl Abbas seinen Reitern aufzusitzen und zum Kloster hinzusprengen, wo sie unter den wehrlosen Brüdern ein grauenvolles Blutbad anrichteten, denn fast keiner derselben wurde im Gemetzel verschont. Derselbe Usurpator verwüstete noch viele andere Klöster und Kirchen und Tausende von Männern und Frauen liess er in die Gefangenschaft nach Persien abführen, wo sie den Islam annehmen mussten. Noch heute bestehen in der Umgegend von Isfahan georgische Niederlassungen, die zur Zeit des Schach Abbas entstanden sind.
Alle Niederlagen, welche den Georgiern im Laufe der Jahrhunderte von ihren mahomedanischen Gegnern beigebracht wurden, liessen Spuren an ihren Kirchen zurück und an dem Schicksale des Domes zu Mzchet kann man gewissermassen die Geschichte anderer georgischer Gotteshäuser ermessen.
Die ursprüngliche Kirche entstand gegen Ende des fünften Jahrhunderts zur Regierungszeit des Königs Wachtang, welcher hier auch gleichzeitig die Residenz der georgischen Patriarchen errichtete. Im Jahre 1318 wurde sie [80] durch ein Erdbeben zerstört, aber König Georg VI. baute sie von neuem auf. Bald darauf fiel sie der Wut der Mongolen zum Opfer, erstand jedoch wiederum aus ihren Trümmern durch die Fürsorge des Königs Alexander. Schach Abbas, dessen Horden wie die Vandalen in Georgien wirtschafteten, verschonten die Mzcheter Domkirche aus besonderen Rücksichten, wogegen sie in späteren Zeiten die Lesgier bei ihren häufigen Einfällen in Georgien mehrere Male zerstörten, so dass sie noch zwei mal restauriert werden musste.
Ihr kolossaler Bau hat wirklich etwas Imposantes an sich und auch ihre Architektur ist nicht minder grossartig, obwohl die strenge Einfachheit des georgischen Stils im Allgemeinen wenig packend ist. Der Gesamtbau dieser Kirche ist mehr als dreissig Klaftern lang und in drei Schiffe geteilt, deren Gewölbe auf mächtigen Pfeilern ruhen. Die an den Wänden noch erhaltenen Fresken sind teils sehr alt, teils stammen sie aus neueren Zeiten und stellen ausser biblischen Szenen auch Episoden aus der Urgeschichte des Christentums in Georgien dar. Verschiedenen Epochen gehören auch die die Wände und Pfeiler zierenden Gemälde an, denn manche von ihnen sind das Werk griechischer Maler, andere wurden von den Genuesen ausgeführt, mit denen die Georgier einen ziemlich lebhaften Handelsverkehr unterhielten. Früher befanden sich noch an den Wänden die Freskobilder mehrerer georgischer Könige, doch da die Farben schon ziemlich gewichen waren, wurden sie vor einigen Jahrzehnten übertüncht. Nicht minder vom Zahne der Zeit verwischt sind die Grabinschriften. Die Mzcheter Domkirche war nämlich in früheren Zeiten die Begräbnisstätte der georgischen Könige und Patriarchen, doch während der häufigen Verwüstungen wurden auch die Grüfte zerstört und heute ist ausser mehreren halb verwischten Steinplatten nichts mehr von ihnen übrig. Der vorletzte König Georgiens Heraklius II., welcher [81] im Jahre 1798 starb, ruht gleichfalls in der Mzcheter Domkirche und zwar neben seiner Tochter Thekla, welche erst in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts das Zeitige segnete. Seitdem sind auch andere Sprossen dieser alten Dynastie entschlafen und das einst mächtige Haus der Bagratiden, welches viele Jahrhunderte über Georgien herrschte, ist von der Erde verschwunden.
Still und öde ist es heute in den Strassen des alten Mzchet, wo einst Tausende von Rittern ein lustiges Leben führten.
Alles ist hin, aber die grossartige Domkirche wird noch lange als Denkmal jener Zeit bestehen, denn ihre Riesenmauern können noch Jahrhunderte überdauern.