Georgien. Natur, Sitten und Bewohner/Kutais
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In einer herrlich grünen Gegend, auf beiden Ufern des Rionflusses liegt die Hauptstadt der georgischen Provinz Imeretien, Kutais. Ringsumher erstreckt sich mehrere Meilen weit eine gesegnete, mit üppigen Wiesen und Gärten bedeckte Ebene, aus deren Grün zahlreiche Landhäuser und Dörfer hervorblicken. Auf zwei Seiten dieser Ebene, im Norden und im Süden, erheben sich lange Gebirgszüge, nämlich der grosse und der kleine Kaukasus. Beide Bergrücken sind nicht besonders entfernt, so dass man mit blossem Auge deutlich die schönen Wälder ihrer ersten Vorsprünge erkennen kann. Bei hellem Wetter ist die Aussicht auf den grossen Kaukasus sehr umfangreich, denn da treten auch seine höchsten Schneegipfel hervor und mit Pracht hebt sich ihr Glanz vom Azurblau des Himmels ab. Es sind das schon andere Gipfel als die, welche das Auge aus den Thälem Kachetiens oder Kartaliniens erreicht; dort ragen der Kasbek und der Beschtau über die Wolken empor, hier aber ist es vor allen der mächtige Elborus, dessen Schneehaupt im hellen Äther glänzt. Die Berge, welche Imeretien von Norden begrenzen, [83] sind auch viel höher und schwerer zugänglich als die der beiden östlichen Provinzen und ihre Landschaftsbilder sind imposanter und grossartiger.
In ihrem Bereiche erhebt sich der Chomli, auf welchem der Sage nach Prometheus an einen Felsen angeschmiedet war. Doppelt empfindet man hier den Sinn dieser herrlichen Göttersage, denn ein wahrhaftiges Paradies prangt rings umher, dessen Anblick dem Märtyrerhelden die Qualen der Gefangenschaft unsäglich erhöhen musste. Die Schönheit der sich in der Ebene ausbreitenden Landschaft spottet jeglicher Beschreibung und die farbenreichste Schilderung würde nur ein schwaches Bild derselben liefern. Vor Allem ist es der üppige Pflanzenwuchs, welcher der Gegend einen so hohen Reiz verleiht, denn in den verschiedensten Schattierungen prangt hier das Grün einer mächtigen, südlichen Vegetation, die fast keinen Winter kennt. Neben herrlichen Buchen und Eichen wiegt sich die schlanke Cypresse und immergrüne Myrten- und Lorbeerhecken bekränzen die zwischen Gärten und Hainen hinlaufenden Wege und Stege. Jedes Haus, jede Laube ist umrankt von üppigen Schlingpflanzen und duftige Blumenteppiche bedecken jede von Bäumen und Sträuchern freie Stelle. Die zartesten Gewächse und Blumen des Südens wachsen hier ohne Pflege im Freien, denn die warme Sonne und der milde Hauch eines fast ewigen Frühlings begünstigen sie zur Genüge. Imeretien und seine Nachbarprovinz Mingrelien haben auch das mildeste Klima in ganz Georgien, denn während in Kartalinien und Kachetien die Hitze im Sommer oft die Höhe von vierzig Grad erreicht und der Winter, obwohl kurz, doch frostig ist, geht hier der Sommer ohne allzu grosse Hitze vorüber und Winterfröste sind eine nur seltene Erscheinung.
Wie andere Provinzen Georgiens litt auch das schöne Imeretien viel von den mahomedanischen Nachbarn, aber nicht weniger hatte es durch den langwierigen Kriegsstreit [84] seiner eigenen Bewohner auszustehen. Seine Hauptstadt Kutais hatte wie Tiflis seine Glanzepoche und war im Mittelalter während mehrerer Jahrhunderte die Metropole von ganz Georgien. Später jedoch, nach der Überführung der Königsresidenz nach Tiflis sank Kutais und wenn auch später wieder ein ziemlich reges Leben in seinen Mauern erwachte, so war dies doch nur ein Todesringen, denn es wurde nun der Herd unaufhörlichen Waffengetöses.
Im fünfzehnten Jahrhunderte zerfiel nämlich Georgien in drei Königreiche, in das imeretische, das kachetische und das kartalinische oder das eigentliche Georgien und diese Trennung war in der Folge der Grund endloser Thronstreitigkeiten und Erbfolgekriege. Die Teilung wurde im Jahre 1455 unter Bagrat I., einem der Nachkommen der zügellosen Königin Russudan, der Tochter Tamarens vollzogen. Schon Bagrat I., begann den Kampf mit dem Könige von Kartalinien und sein Nachfolger Alexander führte ihn weiter. Im Jahre 1509 fielen die Tataren in Imeretien ein und zerstörten Kutais, doch Bagrat II., der Sohn Alexanders besiegte sie und schloss mit ihnen Frieden. Unter Alexander III. ruhten die Waffen einige Jahre, rührten sich aber um so geräuschvoller während der Regierungszeit seines Sohnes und von nun an war dem Kriegslärm kein Ende mehr, denn der König der Könige, wie sich jeder Herrscher Imeretiens klangvoll nannte, hatte auch in seinen eigenen Verwandten höchst erbitterte Feinde.
Im Jahre 1660 bestieg wieder ein Bagrat den Thron von Imeretien und dieser Fürst war wohl von allen seinen Vorgängern und Nachfolgern der unglücklichste, obwohl fast keinen von ihnen das Glück besonders begünstigte. Die Geschichte seiner Drangsale ist höchst dramatisch und ist auch von dem georgischen Bühnenschriftsteller Meschi zu einer Tragödie benutzt worden. Als Bagrat kaum [85] sechzehn Jahre alt war, vermählte ihn seine Stiefmutter, die lasterhafte Nestar-Daredschan, mit der Prinzessin Ketewan. Doch bald nach Abschluss der Ehe gelüstete es Nestar-Daredschan selbst seine Gemahlin zu werden, weshalb sie von ihrem Stiefsohne verlangte, Ketewan zu verstossen. Bagrat wies ihren Antrag ab, wofür ihm das unmenschliche Weib die Augen ausstechen liess und nachdem sie sich mit dem Fürsten Wachtang vermählt hatte, bestieg sie selbst den Thron. Empört über diese Gräueltat riefen die Imeretiner den Fürsten Wamek Dadiani zu Hülfe, welcher das Heer der Königin Nestar-Daredschan besiegte und an ihrem Gatten Vergeltung übte, indem er ihn gleichfalls des Augenlichtes beraubte. Nach Dadiani erschien ein neuer Retter in der Person des Paschas von Achalzyk, Aslan, der den blinden Bagrat wieder als König von Imeretien einsetzte, ihm aber für diese Gefälligkeit seine Gemahlin entführte und ihm nur darin einen Dienst erwies, dass er die verworfene Stiefmutter mit sich in die Gefangenschaft nahm. Bald darauf wurde jedoch der unglückliche Bagrat von neuem vom Throne gestossen und zwar durch den König von Kartalinien, der Imeretien für seinen Sohn ausersehen hatte. Nach dessen Vertreibung kehrte Bagrat wiederum in seine Hauptstadt zurück und nahm eine zweite Gemahlin. Seine Stiefmutter Nestar-Daredschan verstand es jedoch in der Gefangenschaft die Gunst der Türken zu erwerben und nachdem sie sich vom Sultan Hülfstruppen erwirkt, erschien sie vor Kutais, wo sie aber nun die Nemesis ereilte, denn vor derselben Burg, in der sie einst ihre verbrecherischen Pläne geschmiedet hatte, wurde sie ermordet. Ihr blinder Gemahl Wachtang geriet dabei in die Gefangenschaft des gleichfalls blinden Bagrat, dem er einige Jahre vorher eigenhändig die Augen ausgebohrt hatte. Um sich für diese schreckliche Verstümmelung an ihm zu rächen, machte ihn Bagrat selbst nieder, indem er ihm zurief: „Du hast mir die Augen ausgerissen, [86] jetzt will ich dir das Herz ausreissen!“ Der unglückliche König sollte jedoch auch jetzt noch nicht auf seinem Throne verharren, denn bald darauf wurde er wieder vertrieben und erst nach neuen Kämpfen gelang es ihm wieder Herr Imeretiens zu werden, bis ihn endlich der Tod allen Drangsalen entriss. Das ist die Unglücksgeschichte des Königs Bagrat, eine genügende Illustration zur Geschichte Imeretiens während der letzten drei Jahrhunderte seiner Unabhängigkeit. Fast ununterbrochen waren die Kämpfe, denen dieses Land ausgesetzt war und die Gräuelthaten, die dabei verübt wurden, erinnern lebhaft an die Thronstreitigkeiten, welche zur Zeit der Nachfolger Chlodwigs das Frankenreich heimsuchten, denn auch Weiber, die Fredegunden und Brunhilden an Grausamkeit gleich kamen, fehlten hier nicht.
Im Verlaufe von 370 Jahren hatte Imeretien dreissig Könige, von denen sieben eines gewaltsamen Todes starben, dreien wurden die Augen ausgestochen und zwei und zwanzig vom Throne gestürzt, den mancher von ihnen mehrere Male bestieg.
Die ganze Geschichte Imeretiens nach seiner Trennung von den übrigen Provinzen Georgiens ist nichts weiter als ein ununterbrochenes Drama, und zwar waren die Urheber desselben oft die Landesbewohner selbst, denn die Ideale von Glauben und Freiheit, für die einst alle Georgier gemeinschaftlich mit äusseren Feinden gekämpft hatten, waren geschwunden und eitle Herrschsucht war der Endzweck alles Strebens geworden.
Seit dem Ende dieser blutigen Kämpfe sind nun schon fast hundert Jahre verflossen und während dieser Zeit hat sich in Imeretien viel geändert, ja in seiner Hauptstadt Kutais sind fast die Spuren der Vergangenheit verschwunden. Zwar hat diese Stadt mehr als andere Orte Georgiens den örtlichen Charakter bewahrt und ist bedeutend weniger russifiziert als Tiflis, aber grössere geschichtliche [87] Denkmäler giebt es auch hier nicht, da die ehemalige Königsburg und alle bedeutenderen Gebäude längst in Trümmern liegen. Dem ungeachtet ist Kutais heute der eigentliche Mittelpunkt des georgischen Lebens, denn die Georgier bilden die Mehrheit seiner Bevölkerung, während sie in Tiflis in der Minderheit sind. Seine Strassen und Häuser tragen noch in Allem den georgischen Charakter und die Menschenmenge, die besonders des Abends hier herumwogt, spricht lebhaft dafür, dass Kutais noch eine georgische Stadt par excellence ist. Auch die Nationaltracht der Männer und Frauen hat sich hier noch mehr bewahrt als in Tiflis und besonders ist es das imeretinische Kostüm, welches unter den verschiedenen Trachten vorwiegt. Die kartalinische Pelzmütze vertritt hier meistens der Baschlik oder ein mit einem Gummibande an den Haaren befestigter Deckel aus Silberschnürchen. Anstatt des kurzen schwarzen Rockes sieht man hier auch kurze bis an die Hüften reichende Jacken oder lange weite Röcke, die durch einen Gürtel in Falten gelegt sind. Die Bewaffnung der Imeretiner ist gleichfalls so glänzend und prunkhaft wie die anderer Bewohner Georgiens, denn nie fehlt der lange Dolch oder Kinschal und oft stecken im Gürtel zwei Pistolen und gar noch ein kurzer Säbel. Das heisst wirklich bis an die Zähne bewaffnet sein!
Dabei ist der Typus der Imeretiner einer der schönsten in ganz Georgien und besonders zeichnen sich die Frauen durch ihre Körperreize aus. Kutais selbst ist durch die Schönheit seiner Töchter in ganz Kaukasien berühmt, hat aber auch den Ruf eine schwelgerische Stadt zu sein. Vor einigen Jahrzehnten, als in Georgien das Schlaraffenleben noch in voller Blüte stand und der heute teilweise heruntergekommene Adel in üppigen Schwelgereien sein Vermögen vergeudete, war es vor allen anderen Orten Kutais, welches Vergnügungslustige anzulocken verstand.
Was die Architektur dieser Stadt anbetrifft, so unterscheidet [88] sie sich nur wenig von der anderer georgischer Städte und grössere aus der Vorzeit erhaltene Gebäude fehlen fast gänzlich. Die Kirchen, welche aus einer entlegeneren Epoche stammen, sind wenig bemerkenswert und die prächtige Kathedrale, die einst die grösste Zierde von Kutais war, liegt längst in Trümmern. Gleichfalls in Schutt zerfallen sind der grosse Palast der Königin Tamara, Tamarziche und die Burg der imeretinischen Könige, Uchimerion. Schöne Weissbuchen beschatten die Ruinenreste und ihr Schatten sowie die prächtige Aussicht locken noch manchmal die Kutaiser an diese öde und verlassene Stelle, an der einst ein reges Ritterleben pulsierte. Am Fusse des Berges, auf welchem ehemals die Zinnen der prächtigen Königsresidenz in der Sonne glänzten, rauschen wie früher die Wellen des Rion und in der Ferne lacht dieselbe unveränderlich herrliche Gebirgslandschaft. Eben so still und öde ist es in Tamarziche, wo in längst vergangenen Zeiten der Palast der Königin Tamara stand. Dichte Epheuranken umschlingen die letzten Mauerüberreste, als ob sie sie vor gänzlichem Schwinden schützen wollten wie die Lieder, die dieser Königin nachklingen, noch für lange Zeit die Erinnerung an sie bewahren werden.
Nur ein grosses Denkmal der Vergangenheit hat sich in der Umgegend von Kutais erhalten und besteht noch bis heute unversehrt. Es ist das die Kathedrale in Gelat, welche vom Könige David, dem Erneuerer und dem Katholikos Eudemon im elften Jahrhunderte erbaut wurde. In ihrem Äusseren ist vor Allem die kolossale Grösse der Bausteine Staunen erregend, denn manche von diesen Riesenquadern haben über eine Klafter im Durchmesser.
Ihr Inneres ist geradezu prachtvoll und die zahlreichen mit Gold und Edelsteinen verzierten Heiligenbilder sind ein glänzender Beweis für den einstigen Reichtum Georgiens. Der Ikonostas oder die Altarwand blendet fast die
[89][90] Augen des Beschauers mit seinen prächtigen Goldverzierungen und blinkenden Edelsteinen ohne Zahl; hier hat wirklich der Orient gezeigt, dass er in Gold zu arbeiten versteht. Auch an Fresken ist diese Kirche reich und zwar sind ihre Wandgemälde teilweise von hohem Wert, besonders die, welche im italienischen Renaissancestil ausgeführt sind.
Neben der Kirche befindet sich eine Schatzkammer, in welcher zahlreiche mit kostbaren Perlen geschmückte Priestergewänder sowie der Krönungsmantel, die Krone und andere Schmuckgegenstände der imeretinischen Könige aufbewahrt werden. Die Krone ist eine hohe Mütze aus kostbarem Stoff, die oben kleine aus Perlen bestehende Kreuzchen zieren. Der ganze obere Teil ist mit winzigen, aber kunstvoll aus Perlen gestickten Bildern versehen, die Szenen aus der biblischen Geschichte darstellen.
In Gelat ruht auch der grosse König David, der Erbauer der Kathedrale. Auf seinem Grabsteine soll einst folgende Inschrift gestanden haben: „Sieben Könige waren einst bei mir zu Gaste; Türken, Perser und Araber habe ich aus meinem Reiche gejagt.“
Diese Inschrift hat die Zeit längst verwischt, aber das Andenken an den grossen König lebt noch immer unter den Georgiern.