Hans Hopfen (Die Gartenlaube 1887/26)

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Autor: Rudolf von Gottschall
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Titel: Hans Hopfen
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aus: Die Gartenlaube, Heft 26, S. 425–426
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1887
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Hans Hopfen.

Neben den Modeschriftstellern, den Lieblingen des Tages, die in rascher, oft unbegreiflicher Weise die Gunst der Menge sich erobern, giebt es auch eine Zahl von Dichtern, deren Eigenart so rasche Erfolge ausschließt: sie haben vielleicht etwas Sprödes, Schwerflüssiges, das sich nicht so leicht dem Geschmack des großen Publikums einschmeichelt, oder sie haben mehr Tiefe gegenüber dem flachen alltäglichen Niveau; sie kommen dem Lesepublikum nicht entgegen; sie wollen von ihm ausgesucht sein. Die Wirkung ihrer Schriften ist keine glänzende für den Augenblick, aber sie ist desto nachhaltiger für die Zukunft. Wohl giebt es darunter auch eigensinnige Eremiten, die sich in einem literarischen Schmollwinkel absichtlich von der Gegenwart absperren und sich in irgend einer ungenießbaren Schale verkrusten, welche davon abschreckt, dem genießbaren Kern nachzuspüren; doch eben so finden sich unter dieser Zahl tüchtige Talente, welche reichlich die Mühe lohnen, sich in ihre Schöpfungen vertieft zu haben.

Eine eigenartige Dichterphysiognomie zeigt Hans Hopfen, der sich in der Litteratur Stellung und Geltung erworben hat, ohne daß seine Werke jemals im gewöhnlichen Sinne des Wortes Mode gewesen sind, er hat sich auf den verschiedensten Gebieten versucht, ist aber als Lyriker und Romanschriftsteller am bekanntesten geworden. Geboren wurde er am 3. Januar 1835 zu München, einige Züge des bayerischen Volksnaturells sind in seiner schriftstellerischen Physiognomie unverkennbar; gelegentliche Derbheit und ein gewisser behaglicher Zecherhumor, der natürlich vergeistigt und veredelt ist. Dabei durchweht es wie frische Bergluft aus den oberbayerischen Alpen viele seiner Erzählungen. Hopfen studirte in München bis zum Jahre 1858 die Rechte; doch schien die Rechtsgelehrsamkeit ihn so wenig zu fesseln, wie Viktor von Scheffel, der aber wenigstens eine Zeit lang ein juristisches Amt bekleidete. Hopfen wandte sich ganz literarischen und künstlerischen Studien zu: er ging 1862 nach Venedig, 1863 nach Paris, wurde im Jahre 1864 Generalsekretär der deutschen Schiller-Stiftung in Wien. Hier wurde ihm der ältere Dichter Friedrich Halm ein in jeder Hinsicht fördernder Freund, und diese Freundschaft war um so merkwürdiger, als jeder von ihnen mit Bewußtsein andere Wege ging. Halm hat seinem jungen Freunde zwei Gedichte gewidmet, die im Nachlaß des Wiener Dichters abgedruckt sind und von denen das erste in seinen Anfangsstrophen ein charakteristisches Bild des jugendlichen Dichters giebt:

 „Wenn ich vor mir dich sehe
Mit freiem stolzen Blick,
Wie hoch die Fluth auch gehe,
Trotz bietend dem Geschick,

Ein dreister Freund den Frauen
Vor keinem Gegner bang,
Die Brust voll Selbstvertrauen,
Die Seele voll Gesang ...“

In Wien verheirathete er sich mit einer anmuthigen und vermögenden jungen Dame. Auf einer Reise nach Paris lernte ich zufällig im Eisenbahnkoupé das junge Ehepaar kennen und verbrachte mit demselben in der französischen Hauptstadt manche interessante und fröhliche Tage. Die Anmuth unnd Frische der jungen Frau und der behagliche Humor des Poeten gaben dem Pariser Leben ein echt deutsches Relief.

Im Jahre 1866 siedelte Hans Hopfen nach Berlin über, er hatte das Unglück, seine Lebensgefährtin am 11. März 1878 durch den Tod zu verlieren; sie starb in Rom. Etwa vor fünf Jahren hat er eine neue Ehe geschlossen mit einer jungen Künstlerin. Er hat ausschließlich seiner dichterischen Produktion gelebt und erfreut sich in den schriftstellerischen und geselligen Kreisen Berlins allgemeiner Achtung und Anerkennung.

Hans Hopfen
Originalzeichnung von C. W. Allers.

Hans Hopfen wurde zuerst durch Emanuel Geibel, dem er vielfache Anregungen verdankte, im „Münchener Dichterbuch“ (1862) in die Litteratur eingeführt: in den Dichterkreisen der Isarstadt war er heimisch und hatte in fröhlicher Jugendlust mit gleichgesinnten Genossen verkehrt. Seine Beiträge zum „Münchener Dichterbuch“ waren nur spärlich; aber es hieß hier: ex ungue leonem (Aus der Kralle erkennt man den Löwen). Das Gedicht „Die Noth“ war im Freskenstil gehalten; doch es war keine trockene Allegorie; es war eine lebensvolle Verkörperung, und es ging durch diese Verse wie ein eherner dröhnender Ton, wie der Marschtakt jener Millionen, die sich unter dieser Fahne gesammelt. Außer einzelnen anmuthenden Liedern hatte Hopfen jahrelang keine Gedichte veröffentlicht, ja erst nach zwanzig Jahren erschien die erste Sammlung derselben (Berlin 1882).

Doch eine kleine epische Dichtung „Der Pinsel Ming’s“ (1868) war ein Lebenszeichen, daß der Dichter nicht in der Novellenprosa aufging, sondern den Pegasus zu tummeln verstand. Diese Dichtung, die in China spielt, ist nicht etwa einem chinesischen Original nachgedichtet, wie man aus der Lokalfarbe des Reichs der Mitte vermuthen sollte, sondern sie ist nur eine weitere Ausführung einer Ballade von Ellissen. Ein chinesischer Dichter Sche-hu-gung kann mit seinen Poesien nicht den geringsten Erfolg erringen; im Theehause schlafen die Hörer ein, denen er sie vorliest: da begiebt er sich in die Wüste, wo es ihm gelingt, durch Vorlesen eines sechsaktigen Trauerspiels ein Krokodil zu einem ungeheuern Gähnen zu bringen. Aus dem Rachen des Krokodils erscheint ein Geist, den ein feindlich gesinnter Hexenmeister in einen hohlen Zahn des Unthiers gebannt hatte. Zur Belohnung für die Erlösung giebt ihm der Geist den Pinsel Ming’s, wodurch er ihn zum wirksamsten aller Poeten machte, schon nach einem Jahre gehörte er zu den Beknöpften und Betreßten und schmückte mit goldnen Spangen seinen Zopf:

 „Man sah sein Bild vor jedem Laden hangen,
Die Damen trugen es in winzigen Kästen,
Die Stutzer auf den Hemd- und Westenknöpfen
Und die Studenten auf den Pfeifenköpfen.“

Doch leider war dem so berühmt gewordenen Dichter der Pinsel nur auf Zeit verliehen worden, nach Ablauf der Frist muß er ihn zurückgeben und hegt selbstmörderische Gedanken aus Verzweiflung über den unersetzlichen Verlust, doch der Geist tröstet ihn:

 „Der Pinsel Ming’s – unsinniges Begehr,
Was soll er dir? Du brauchst ihn ja nicht mehr.
Schreib’ mit dem nächsten besten Besen frei
Nun deine Lieder, Märchen oder Dramen;
Schreib’ sie, so dumm du willst – ’s ist einerlei,
Denn, liebes Kind – jetzt hast du einen Namen.
Mag auch das Flügelroß der Poesei
Dir unterwegs zum Karrengaul erlahmen –
Nun bleibst im Bett, in Wirthshaus und Pagode
Du, der du bist: der Klassiker der Mode.“

Wie sinnreich ist diese drollige Legende! Welche schneidende Satire auf die Poeten der Mode, die gefeiert werden, auch wenn sie das haltloseste Geschwätz zu Tage fördern! Der Name ist die Flagge, welche das Gut deckt – und wie oft ist dieser Name ohne den Pinsel Ming’s erworben worden! Dieses Gedicht ist ein kleiner Juwel, der von geistigem Schimmer funkelt; die Form ist von einem Schliff, der den satirischen Ecken und Kanten eine wohlthuende Rundung giebt. Aus den Arabesken der Dichtung kichern die ironisch-satirischen Geisterchen hervor; sie ist ausgeführt in kecken Reimen, und man könnte sagen, in bezopften Stanzen, die uns in das Reich der Mitte versetzen, es herrscht darin ein barocker, pagodenhafter Humor mit neckischen, gleichsam mit dem Kopfe nickenden Einfällen. Das Gedicht ist in die Sammlung aufgenommen worden, und mit Recht, denn es behauptet noch immer seine Frische, da von eintägigen und mehrjährigen Berühmtheiten auch im neuen Deutschland sehr viel mit dem Pinsel Ming’s geschrieben wird.

In Hopfen’s Gedichtsammlung finden sich noch andere humoristische Gedichte, wie „Die falsche Gräfin“ und „Münchener Todtentanz“, in denen der Humor aber die lachende Thräne im Wappen trägt. Unter [426] den Liebesgedichten giebt es einige, die überaus stimmungsvoll sind, darunter die Klage über die Geliebte, die ihn verlassen. Das Gedicht beginnt mit den schönen Strophen:

„Wenn du verrathen mich am Tage
Und wenn du nimmer mein gedacht:
Was kommst du weinend dann, o sage,
Im Traume zu mir jede Nacht?

Was streichst du mit den kleinen Händen
Mir durch das Haar wie dazumal,
Als deiner Augen süßes Blenden
Mein Glück, mein Herz, mein Leben stahl?

Wenn’s wahr, was deine Briefe stammeln,
Daß du mich lassen kannst und mußt,
Warum aufs Haupt mir Kohlen sammeln
Und Dornen auf die wunde Brust?

Laß mich in meinem Gram versinken,
Laß mich in meinem Schmerz vergehn!
Laß ab, ans Ufer mir zu winken,
Wo meiner Hoffnung Gräber stehn!“

Die Perle der Sammlung ist das Sonett „Traurige Weihnachten“, der Erinnerung an die erste anmuthige Gattin geweiht, kein bloßer Gefühlserguß, sondern ein Familien- und Lebensbild von ergreifender Wirkung :

„Am Markt erstand ich eine von den Föhren;
Die schmückt’ ich, wie’s der Mutter sonst gelang,
Mit Lichtern, Aepfeln, allerlei Behang
und baute drum, was jedem soll gehören.

Dann ließ ich laut wie sonst die Klingel hören,
Und fröhlich stürmten sie den Flur entlang,
Doch als die Lust am allerlautsten klang,
Schlich ich hinaus, die Freude nicht zu stören.

Die Arme hab’ ich um die Marmorbüste,
Die ihre schönen Züge trägt, geklammert
Und leise weinend auf den Stein gejammert,

Da fühlt’ ich, daß man meine Kleider küßte.
Sechs Aermchen hielten plötzlich mich umfangen;
Die Kinder waren’s, die mir nachgegangen.“

Als Erzähler nimmt Hopfen eine eigenartige Stellung ein: er gehört keiner der tonangebenden Richtungen an und man kann ihn überhaupt nicht mit anderen Romandichtern in Reih und Glied stellen. Unverkennbar ist sein Talent für originelle Erfindung und Charakterzeichnung: sein Stil ist eben so knorrig derb, wo es darauf ankommt, wie in weichen Linien malend, nirgends verleugnet er die Gabe satirischer Arabeskenmalerei und dichterischen Tiefblick, aber manches spielt bei ihm ins barock Wunderliche und doch schließt seine moderne Denk- und Empfindungsweise jeden Vergleich mit Dichtern der romantischen Schule aus, an welche sonst seine Manier anklingen mag.

Am meisten stilvoll und zwar im Stil der Heyse’schen Novellen gehalten war seine erste Erzählung „Peregretta“ (1864). Der Roman „Verdorben zu Paris“ (2 Bände 1868) enthält sehr geistreiche Studien über den Pariser Chik. Die Heldin des Romans ist eine Elsässer Gouvernante, die an diesem Chik und in Folge mehrerer resolut erzählter Abenteuer in der Weltstadt zu Grunde geht. Dagegen bewegt sich der Roman „Arge Sitten“ (2 Bände 1869) in deutschen kleinbürgerlichen Kreisen, in denen es indeß ebenfalls an pikanten Abenteuern nicht fehlt. „Der graue Freund“ (4 Bände 1874) ist ein Held, dessen Herz zwischen zwei Frauen hin- und herschwankt und zuletzt die Hand der einen erstritt, die inzwischen Wittwe geworden ist. Eine ganze Kolonie von Sonderlingen hat sich in dem Roman „Die Heirath des Herrn von Waldenberg“ (3 Bände 1879) angesiedelt: der alte ausgesungene Tenorist Vater Bolle, der Organist und Komponist Orlando Hunzelsperger, gewesener Gemahl einer Fürstin ohne Fürstenthum, der abgeschabte, fabelhaft genügsame Litterat Fridolin Löwe. Es sind dies seltsame Gestalten, wie sie den Erzählern der romantischen Schule vorschwebten. „Juschu, aus dem Tagebuche eines Schauspielers“ (1875) ist die Geschichte einer Wiener Grisette, mit tragischem Abschlusse: der Schauspieler, der sie niederschreibt, ist nicht der Held derselben. Daß sich ein junger Arzt, ein geistreicher Egoist, der in dem Verhältniß zur Heldin lange Zeit nur einen Aufputz seines Lebens sieht, zuletzt von ihr lossagt, drückt ihr den Revolver in die Hand. Auf das Theaterleben fallen in dieser Erzählung manche interessante Streiflichter. Aus echtem Kernholz geschnitzt sind die Figuren in Hopfen’s „Bayerischen Dorfgeschichten“ (1878), auch der einsiedlerische Praktikant in der Erzählung mit gleichem Titel. Den Reichthum seiner Erfindungskraft bewährt er in zahlreichen Erzählungen, wie in der Sammlung „Kleine Leute“ (1880) und „Erzählungen eines Majors“ (1879). Wir können hier nicht alle Blumen aus dem Blüthenstrauß von Hopfens erzählender Muse einzeln betrachten; wir erinnern unsere Leser nur noch an die Erzählung „Ein wunderlicher Heiliger“, welche unsere Zeitschrift brachte und welche durch den interessanten Charakterkopf des Titelhelden und durch lebendige Schilderungen des Wiener Treibens fesselte, und an die überaus frische, an farbigen Bildern des akademischen Lebens reiche Studentengeschichte „Der letzte Hieb“. Beide Erzählungen sind im Verlage von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig erschienen (1886). Auch als Dramendichter hat sich Hopfen mehrfach versucht, „Aus der Mark“ ist ein historisches Genrestück, das mit großer Frische ausgeführt ist. Dasselbe gilt von „Aschenbrödel in Böhmen“, welches zur Zeit der Laube’schen Direktion in Leipzig mit Erfolg gegeben wurde: ein dramatisches Bild, gezeichnet auf dem Hintergrunde der dortigen nationalen Zerwürfnisse, die in neuester Zeit noch heftiger entbrannt sind. Wie sich seine Bühnenkenntniß in diesen Stücken bewährte, so auch in den „Dramaturgischen Aufsätzen“ in „Streitfragen und Erinnerungen“.

Hans Hopfen ist ein Dichter von scharfem Blick für Welt und Leben, ein feinspüriger Seelenmaler, welcher besonders das Gemüth des Menschen auf seinen geheimen Schleichwegen belauscht. Aehnlich wie Paul Heyse liebt er es, Ausnahmezustände des Seelenlebens zu schildern, aber er liebt nicht die feingeistigen Haarstriche wie dieser Dichter: die derben Grundstriche wiegen vor. Er packt das Leben resolut an mit fester Hand und seine Muse findet sich am dinglichsten und wohlsten, wenn sie absonderliche Charaktere schildern kann, unter deren barocker Hülle ein echt menschliches Herz schlägt. Soviel krankhaftes sie schildern mag, sie selbst hat einen gesunden Herzschlag, ein sinnlich frisches, nicht überreiztes Leben, und ihre eigenartigen Schöpfungen, welche die übliche Schablone verschmähen und nach kerniger Naturwahrheit trachten, verdienen den Vorzug vor den Romanen, deren Helden dem in der Retorte künstlich erzeugten Homunculus gleichen.
Rudolf von Gottschall.