Hans Makart
Hans Makart.
Am 3. October ist Hans Makart in Wien gestorben. Als er am dritten Tage darauf bei düsterem regnerischen Wetter zu Grabe getragen wurde, da waren all die langen Straßen, durch welche sich der Trauerzug zu bewegen hatte, über und über wie besäet von einer vieltausendköpfigen Menge, welche geduldig da harrte, um dem todten Meister die letzte Ehre zu geben. So dicht stand auch die Menge, als er vor einigen Jahren beim Jubiläums-Festzuge der Stadt Wien an der Spitze der Künstlergruppe ritt. Er ward bejubelt wie ein Triumphator, denn er war der Schöpfer jenes denkwürdigen Zuges, der wahrlich auch ein künstlerisches Werk vorstellte, und eines seiner besten. Wenn man heute so die Menge übersah, mußte man unwillkürlich an jenes frühere Massenaufgebot denken, das derselbe Mann veranlaßt hatte; die Staffage war dieselbe, aber in anderer Stimmung. Denn jetzt gab es einen Todtenfestzug, und der Mann, der damals von stolzem Rosse die Menge grüßte, er war jetzt ein stiller Mann geworden. Der Feuergeist war erloschen, ausgebrannt die vulcanische Phantasie, die so viele leuchtende und glühende Bilder geschaffen, es war nur mehr die todte Hülle seines Geistes, die da auf dem prunkvollen, von acht reichgeschirrten Rappen gezogenen Leichenwagen zur letzten Ruhestätte gebracht wurde.
Man kann es unbedenklich aussprechen: Hans Makart war der populärste Maler, von dem die österreichische Kunstgeschichte zu sagen weiß. Jedes Kind in österreichischen Landen wußte von ihm; aber sein Ruhm drang auch über die Grenzen des Reiches hinaus, und selbst im fernsten Auslande hatten alle Gebildeten Kenntniß von seinem Namen und von seinen Werken, und wo die Originale dieser letzteren nicht hindrangen, da mußten Nachbildungen Ersatz bieten. Alle erdenklichen reproducirenden Künste hatten sich seiner Schöpfungen bemächtigt und diesen so eine wahrhaft weltumspannende Publicität verschafft. Er galt allüberall als der glänzendste Vertreter der österreichischen Kunst, und er führte diese Repräsentanz mit königlichem Aufwande. Nun, da er dahingeschieden ist, hat er eine Lücke gelassen, die nicht so bald ausgefüllt werden wird. Noch ist die Zeit nicht gekommen zu einem letzten, abschließenden Urtheil über seine künstlerische Thätigkeit, noch kann man nicht mit derselben apodiktischen Bestimmtheit sagen, daß, wie er der populärste, er auch der größte Maler Oesterreichs gewesen sei. Die allgemeine, tiefschmerzliche Erregung, die sein jäher Tod hervorgerufen, erschwert jetzt noch zu sehr die nüchterne, ruhige, gerecht abwägende Werthschätzung und Vergleichung. Wie aber auch das Urtheil einer späteren Zeit ausfallen mag, das Eine wird auch sie jedenfalls zugeben, daß es eine seltene Begabung, eine glänzende Künstlererscheinung war, die uns der Tod so grausam und so vorzeitig entrissen.
Makart hatte sich aus kleinen, engen Verhältnissen emporgearbeitet. Im Jahre 1840 am 29. Mai zu Salzburg als der Sohn eines kaiserlichen Schloßaufsehers geboren, absolvirte er in seiner Vaterstadt die Volksschule und einige Classen der Realschule. Der schwächliche, still sinnende Knabe kam in den Classen zur Noth mit, gab aber keinerlei Proben einer besonderen geistigen Aufgewecktheit, nur beim Zeichnen that er sich hervor, und der betreffende Lehrer ward bald aufmerksam auf das Kind, dessen Geistesthätigkeit sich zumeist im Schauen offenbarte. Auch verständige Verwandte hatten die specielle Begabung des Kleinen beobachtet, und sie beredeten ihn förmlich, sich der Malerei zu widmen, obschon er selbst den Wunsch hatte, Graveur zu werden. Er gab nach und bezog als halbwüchsiger Jüngling die Wiener Akademie der bildenden Künste. Die Wiener Akademie hatte zu jener Zeit gerade keine glückliche Epoche, Makart’s Talent blieb unbeachtet, ja es wurde ihm geradezu abgesprochen, und so zog er denn weiter nach München. Doch auch da verbrachte er mehrere Jahre in unsicherem Umhertasten, er arbeitete und arbeitete, und es war doch, als könne er sich selbst nicht finden. Erst als ihn Piloty, dieser berühmteste und erfolgreichste aller Lehrer unter den deutschen Malern, in seine Meisterschule aufnahm, gewann Makart bald Klarheit über sich selbst, über sein Wollen und Können, über seine Ziele und die Wege zu denselben, und nunmehr geht er in seiner Entwickelung mit Riesenschritten vorwärts.
Das erste Bild, das er unter der Leitung Piloty’s malte, war „Lavoisier im Gefängnisse“; es war noch eine conventionelle und unfreie Arbeit, die jedoch schon in coloristischer Hinsicht zu schönen Hoffnungen berechtigte. In den folgenden Arbeiten wich die conventionelle Befangenheit immer mehr, und immer deutlicher machte sich ein großer, auf decorativen Effect gerichteter Zug geltend, und ein Bild „Der Ritter und die Nixen“ wies schon solche Vorzüge auf, daß es von dem bekannten Dichter und Sammler, dem kunstsinnigen Grafen Schack für würdig erachtet wurde, seiner berühmten Gallerie einverleibt zu werden. Aber auch dieses Bild gehört noch in die Periode der Einleitung. Seinen eigentlichen Ruhmes- und Siegeslauf begann Makart mit seinen beiden folgenden cyklischen Werken, den „Modernen Amoretten“ und den „Sieben Todsünden“, letzteres später umgetauft in „Pest in Florenz“.
Diese beiden Schöpfungen machten den Namen des Künstlers sofort zu einem weltberühmten. Ein wahrer Sturm der Begeisterung einerseits und andererseits laute Proteste erhoben sich gleichzeitig. Die Künstler, das Publicum, die Kritik theilten sich in zwei Lager, und aus beiden heraus tönte lautes Feldgeschrei. Je glühender die Begeisterung der Einen sich geberdete, desto erbitterter wurde der Widerspruch der Anderen, aber so laut auch der Widerspruch war, über die Thatsache konnte er nicht wegtäuschen: Makart war der Held des Tages geworden, und vielleicht ist es nicht übertrieben, wenn man sagt: er ist es geblieben bis an sein Lebensende. Und noch Eines darf man aussprechen, wohl ohne dem dahingeschiedenen Künstler Unrecht zu thun: es wäre besser für ihn und für die deutsche Kunst gewesen, [710] wenn nicht diese seine ersten Erfolge so phänomenal glänzende gewesen wären. Seit jenen Tagen ist kein Bild auf Makart’s Staffelei trocken geworden. Händler und Liebhaber kämpften um seine Werke. Es war einerlei, was und wie es war, nur „ein Makart“ sollte es sein. Der Künstler kam nicht dazu, sich zu vertiefen, nicht dazu, die Kinder seines Genius reif auszutragen. Wäre er nach jenen ersten Bildern durch den harten Kampf um’s Dasein gezwungen worden, seine späteren Bilder mit Ernst und Bedacht und gediegen durchzuarbeiten, hätte er sonst keine Hoffnung und keine Aussicht gehabt, sie an den Mann zu bringen, so hätte sich der Segen einer solchen ernsten Arbeit auch an seinen späteren Schöpfungen offenbart, und es hätte sich heute mit derselben Sicherheit, mit der Makart als der populärste Maler unserer Tage bezeichnet wird, behaupten lassen, daß mit ihm auch der größte Maler der Gegenwart zu Grabe gegangen sei.
Ueber jene beiden Werke ist Makart künstlerisch nicht mehr hinausgewachsen. Sie zeigen in vollkommen scharfer Ausprägung seine künstlerische Individualität und das Bild dieser seiner Besonderheit blieb dasselbe, ob auch späterhin noch einige blendende Zuthaten dazukamen. Makart war von seinem ersten Auftreten an in seinen Vorzügen, wie in seinen Schwächen nicht nur einer auserlesenen Gemeinde von Forschern und Kennern zugänglich, sondern gleich den breitesten Schichten des Volkes verständlich, und darin liegt wohl auch der Schlüssel zu dem Geheimniß seiner außerordentlichen Popularität. Um einen Menzel oder Lenbach vollkommen würdigen und verstehen zu können, bedarf es der Sachkenntniß und eines gut geschulten Auges, während Makart’s Kunstweise sich im Guten, wie im Schlimmen sofort auch dem Auge des Laien entschleierte. Vor seinen Werken verstand auch der Laie sogleich, daß ihm da eine Gluth und ein Glanz der Farbe entgegenleuchte, wie sie seit der goldigen Glanzzeit der Renaissance noch nicht wieder gesehen ward, auch der Laie begriff die decorative Pracht, die ihm da entgegenlachte, und auch er spürte den gluthvollen Hauch einer verzehrenden Sinnlichkeit, und auch sein Auge reichte aus, um zu erkennen, daß all dem berückenden Farbenzauber nicht überall der rechte und volle künstlerische Ernst zugesellt sei, daß neben dem holden Spiele der Phantasie nicht immer auch die Strenge der besonnenen, auf die Durchbildung aller Theile gleichmäßig bedachten Arbeit in Action getreten sei.
Nach dem ersten so verheißungsvollen Auftreten Makart’s bot der Kaiser von Oesterreich dem Künstler in großherziger Munificenz ein würdiges Heim in Wien an. Makart erhielt ein Wohnhaus inmitten eines Gartens angewiesen und daneben ein Atelier, das nach seinen Angaben erbaut wurde, und zu welchem sich später, als dieses Atelier nicht mehr ausreichte, ein zweites gesellte, in welchem all die großen Gemälde entstanden, welche der Welt so reichen Stoff zum Gespräche und der Kritik stets neue Anregung zu Lob und Tadel bieten sollten.
Makart hat seine eminente decorative Meisterschaft nicht nur auf seinen Gemälden bethätigt, er ließ sie auch mit nicht geringerer Wirkung in die Erscheinung treten bei der Einrichtung seiner Wohnung, seiner beiden Ateliers und endlich bei der Durchführung des großen Festzuges, sowie im Arrangement jener feenhaften Künstlerfeste, die er von Zeit zu Zeit bei sich zu veranstalten liebte. Insonderheit war es sein großes Atelier, das eine Sehenswürdigkeit ersten Ranges in Wien vorstellte und das wir, anknüpfend an eine frühere Schilderung in der „Gartenlaube“[1], in der nächsten Nummer in Bild und Wort unseren Lesern vorführen werden.
Nachdem sich der Künstler solchermaßen in Wien seßhaft gemacht hatte, begann er sofort, mit genialer Leichtigkeit und lebendiger Schaffensfreudigkeit eine reiche und umfassende Thätigkeit. Es entstanden in rascher Folge die herrlichen zwei Abundantia-Bilder, die Gaben der Erde und des Meeres behandelnd, sodann der allegorische Cyclus zur Decorirung der Wohnung des österreichischen Mäcen Nikolaus Dumba, seine „Ophelia“, „Julia auf der Bahre“, „Romeo und Julia“ und „Faust und Gretchen“. In dem Weltausstellungsjahre vollendete er, nachdem er zuvor noch eine Studienreise nach Italien gemacht hatte, das imposante Bild „Katharina Cornaro“, ein Gemälde, das sich gleichfalls eines fast beispiellosen Erfolges zu erfreuen hatte. In demselben Jahre noch unternahm er eine Fahrt nach dem Pharaonenlande, aus welchem er eine reiche künstlerische Ausbeute mit heimbrachte. Dort entwarf er seine verschiedenen Kleopatra-Bilder, und dort an Ort und Stelle malte er jene zahlreichen köstlichen ägyptischen Studien, die dann in der Heimath sammt und sonders mit so ungetheiltem Enthusiasmus aufgenommen wurden. Wieder heimgekehrt, malte er in unglaublich kurzen Fristen jene grandiosen Sensationsbilder, über welche die öffentliche Meinung sich noch immer nicht völlig beruhigt hat: den „Einzug Karl’s V. in Antwerpen“, die „Jagd der Diana“, den „Sommer“, und zwischendurch eine ganze lange Reihe von kleineren Compositionen und Bildnissen.
Aus dem, was wir bisher über Makart’s Begabung und Kunstweise gesagt haben, erhellt von selbst, daß er für die Bildnißmalerei nicht der rechte Mann war, weil es nicht in seiner Natur lag, den halbversteckten Charakterzügen einer Individualität nachzuspüren, um sie sodann mit emsiger Sorgfalt auf die Leinwand zu übertragen. Nichtsdestoweniger war er mit Aufträgen für Portraits immer überhäuft. Die schönsten Frauen drängten sich, von ihm gemalt zu werden, und wenn ihm auch nur selten ein Bildniß wohlgerieth, so waren sie doch immer entzückt von seiner Leistung, denn kein Anderer gab den Bildern eine malerisch so wirksame, prächtige, blendende Anordnung, und keines Anderen Pinsel wußte so pikanten Reiz zu entfalten.
Kurz vor seinem Tode arbeitete Makart noch an den Lunetten für das neue kunsthistorische Museum und an einem großen, fast vollendeten Gemälde „Der Frühling“, der ein Seitenstück zu seinem „Sommer“ zu werden bestimmt war. Mitten aus einer reichen Thätigkeit hatte ihn der erbarmungslose Tod herausgeholt. Fast unabsehbar sind die Arbeiten, die seiner noch harrten. Viele der neuen Monumentalbauten Wiens hätten von seiner Hand den letzten Schmuck erhalten sollen, und nun stehen sie verwaist da, weil der Würdigste, sie zu schmücken, dahingegangen, von wannen keine Wiederkehr. Ein schleichendes Leiden, das seit Jahren schon den Organismus des Künstlers untergrub, hatte sich plötzlich auf den centralen Sitz aller Lebensfunctionen, auf das Gehirn erstreckt, und nach wenigen Tagen war er niedergeworfen, verloren. Makart hinterläßt eine trauernde alte Mutter, eine zweite Frau und zwei Kinder, einen Knaben und ein Mädchen, aus erster Ehe.
Eine Makart-Schule überlebt den Meister nicht. Die schulbildende Kraft war ihm nicht gegeben, und man braucht darüber nicht zu klagen. Seine Kunstweise war eine Weise für Genies, Anderen hätte sie nicht zum Segen werden können. Aber wenn er auch keine Schule gegründet hat, so haben doch Kunst und Künstler in Oesterreich starke Impulse von ihm empfangen, die ohne Zweifel noch lange und segensreich nachwirken werden.