Hellenisches Mädchen am Brunnen
[163] Hellenisches Mädchen am Brunnen. (Mit Illustration S. 153.) Wir sehen das griechische Alterthum ganz unwillkürlich mehr, als die nüchterne Forschung erlaubt, im Licht seiner Kunstschätze. Die Männer und Frauen sind uns die Modelle jener Bildwerke, welche eine unvergleichliche Schönheit verkörpern. Mag das Volk von Attika ein wenig mehr mit Schönheit gesegnet gewesen sein, als viele andere Völker – wir besitzen Zeugnisse genug, daß es ebenso unter dem Himmel Griechenlands Häßlichkeit gegeben hat, und die breite Mittelschicht wird weder schön noch häßlich gewesen sein, ganz wie überall. Aber das vermag die Kunst: die Schönheit, welche sie schafft, strahlt zurück auf ihren Ursprung, so sehr, daß heute nicht leicht ein Künstler es über sich gewinnen würde, ein Griechenmädchen der alten Zeit anders als schön zu bilden. So wie in unserer Illustration steht die Griechin vor unserer Phantasie: mit dem „klassischen“ Profilschnitt, der kleinen verdeckten Stirn, der einfach kleidsamen Haartracht – den blühenden Leib von der schönfaltigen, schmiegsam leichten Gewandung einer südlichen Zone verhüllt, welche ein „ewig blauer Himmel“ verstattet. Lassen wir dem klassischen Ideal seinen Tempel; es hat eine Welt zur Schönheit erzogen, und der Realismus der Gegenwart würde uns nie zu ersetzen vermögen, was wir verlören, wenn wir eines Tages aufhörten, „das Land der Griechen mit der Seele zu suchen“.