Zum Inhalt springen

Hinter den Koulissen des Berliner Opernhauses

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Paul Lindenberg
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Hinter den Koulissen des Berliner Opernhauses
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 8, S. 701–703
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1886
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[701]

Hinter den Koulissen des Berliner Opernhauses.

Aber pünktlich, meine Herren, pünktlich um sechs Uhr melden Sie sich morgen Abend beim Kastellan; er wird Sie dann hinaufweisen. Drei Treppen links ist die Garderobe; Sie finden Alles dort, was Sie gebrauchen. Sie sind natürlich ‚Volk‘, einfache Tunika, Beinkleider, Schuhe, na, es wird sich schon Alles machen. Herr S., die Herren hier melden sich also morgen bei Ihnen. Sie sorgen für sie! Adieu, meine Herren – wollen Sie etwa noch der Probe beiwohnen? Nicht, na dann auf morgen, aber pünktlich um sechs Uhr!“

So lautete die kurze Ansprache, welche uns jungen Leuten der in Dienst und Eifer ergraute, stets unermüdliche und stets freundliche Statisten-Inspicient des Opernhauses gehalten, allerdings nicht ohne vielfache Störungen; denn jeden Augenblick stürmten auf ihn die verschiedensten Anfragen der verschiedensten Menschen ein, und Jedem gab er eine präcise, trotz der Kürze erschöpfende Antwort. So waren wir denn entlassen, wir „königlich preußische Statisten“! Einen flüchtigen Blick warfen wir noch auf den mächtigen, trotz des hellen Vormittags durch hundert und aber hundert Gasflammen erleuchteten Bühnenraum, auf welchem gerade die Generalprobe zu der letzten neuen Oper in vollem Gange war, stießen dann beim Fortgehen den eifrig dahineilenden, noch jugendlich-lebhaften Direktor der Oper fast um, stolperten über einige Koulissen-„Beine“, klopften den im Vorraume stehenden, für die heroische Oper gebrauchten Pferden des königlichen Marstalls kollegialisch-vertraulich den Rücken und verließen stolz im Gefühl der neuen Würde die kleine Pforte des Musentempels, wohl bemerkend, daß „uns Schauspielern“ einige halbwüchsige Straßenjungen mit neidischen Blicken nachsahen.

Die Frühlingssonne beschien noch warm und klar den Opernhausplatz, auf dem Kinder und Spatzen um die Wette lärmten, als wir uns den nächsten Abend Punkt sechs Uhr wiederum an der für so Viele mit geheimnißvollem Zauber umsponnenen schmalen Pforte einfanden. Für uns war ja dieser Zauber gebrochen; wir gehörten für heute zu den Berufenen – wenn auch nicht, wie wir uns trotz aller Künstlereitelkeit nicht verhehlten, zu den „Gerufenen“ – uns scholl nicht das energische „Zurück!“ des Portiers entgegen, der an seinem Glasguckfenster saß und uns, als wir uns bei ihm zum spesen- und steuerfreien Amte meldeten, lakonisch zurief: „Drei Treppen links!“

Die Bühne, deren Rücksaum wir passirten, lag noch in mystisches Dunkel gehüllt: wenige Flämmchen verbreiteten einen schwachen Schein, welcher die Schatten einiger verfrühter Ritter und Mönche in gewaltigen dunklen Umrissen an die Koulissenwände zeichnete. Desto heller beleuchtet waren die in den unteren Räumlichkeiten gelegenen Garderoben der Solokräfte, und da bereits durch eine Thürspalte die in ein blaues Sammetwams gehüllte Figur des Herrn Betz sichtbar ward, eilten auch wir, um – wir drückten uns bereits ganz theatralisch aus – „in unser Kostüm zu schlüpfen!“ Wahrlich, wir sollten es gleich am Anfang unserer neuen Karriere merken, daß der Pfad zum Bühnenruhme schwer zu erklimmen ist. Drei steile, ausgetretene Treppen ging es empor; vorbei an mehreren nach rechts und links abzweigenden Gängen mit den Ueberschriften „Damen-Garderoben“, aus welchen wir das lustige Kichern und Plaudern fröhlicher Mädchenstimmen vernahmen, bis uns endlich eine brunnentiefe Baßstimme entgegenscholl: „Aha, neues ‚Volk‘, hier herein! – Da, in der Ecke, können Sie sich ausziehen! Hier sind Ihre Kostüme! Die Schuhe holen Sie sich nebenan!“

Das war kurz und bündig, und im selben Augenblick hatte auch bereits Jeder von uns ein Kleiderpacket im Arm, bestehend aus Rock, Trikots und Gürtel, und wir bezogen unser Quartier dicht am mächtigen Kachelofen, der für diesen Raum gewiß seinen Beruf verfehlt hatte; denn die Gasflammen sorgten wohl auch im strengsten Winter allein für die allen Künstlern angemessene hohe Temperatur. Flimmernd und flirrend flackerten die unruhigen Flämmchen unter der niederen Decke und beleuchteten mit zitternden Lichtern die Wände, an denen sich die reichhaltigsten Kleiderlager des gesammten Mühlendammes ein gemüthliches Rendezvous gegeben zu haben schienen. Lieber Himmel, was war hier nicht Alles aufgespeichert! Die wahre Kostümchronik der gesammten Geschichte vom grauen Heidenthume an bis zur letzten Razzia im Thiergarten, und scheinbar Alles in unentwirrbarem Knäuel durch einander, aber nur scheinbar; denn mit sicherem Blicke griffen die Garderobiers in die Rock- und Hosenknäuel hinein und theilten ihre Gaben für die „Herren Statisten“ aus. Von diesen war bereits eine stattliche Anzahl vorhanden, welche sich aber noch immer vergrößerte und in beständiger Bewegung war: Jedem sollte beim Anziehen geholfen werden, Jeder wollte sich vor den Spiegel drängen, Jeder noch immer „schöner“ werden, und das rief und fragte und suchte und probirte durch einander, daß man nur stets von Neuem die Geduld und Ruhe der Garderobiers bewundern mußte. Es war eine buntgemischte Gesellschaft hier oben, schwer im Einzelnen zu definiren, im Ganzen jedoch vollständig demokratisch, denn mit den an den Nagel gehängten Civilkleidern wurden auch zugleich die Standesunterschiede an denselben Riegel gehängt. Dort der schlanke Student, mit dem sorgsam gescheitelten Haare und dem aufgewirbelten blonden Schnurrbarte, unterhielt sich gemächlich mit seinem Nachbar, der vielleicht den Tag über muthig das Rasirmesser geschwungen hatte und jetzt am Abend dem „dunklen Drang in seiner Brust“ Folge leistete, und unser Nachbar, von unseren Begleitern als Graf D. erkannt und begrüßt, plauderte beim Anziehen vertraulich mit seinem Vis-à-vis, einem ehrbaren Tischlergesellen, der erstens die Kunst liebte und zweitens auch die 40 Pfennig Statistengeld. Selbst an Stammgästen hier oben fehlte es nicht; sie waren mit den Garderobiers befreundet, kamen bequem angeschlendert, suchten sich ihre Kostüme selbst aus und nahmen beim Ankleiden keinerlei fremde Hilfe in Anspruch. In dieser ihrer Stellung konnten sie sich denn auch mancherlei prophetische Aussprüche erlauben: „’s wird heut’ ein volles Haus!“ – „Die Partie ist für die Beeth wie geschrieben!“ – „Fricke wird famos sein!“ – [„]Passen Sie auf, die kleine Ghilany singt ihr Röllchen sehr hübsch!“ – „Der Chor im ersten Akt wirkt ausgezeichnet!“ – „Nein, mir gefällt das Spinnerlied im zweiten am besten!“ – „Aber der dritte Akt ist viel zu lang!“

So schwirrten die Stimmen der Habitués durch einander, und einer der letzteren erzählte uns, daß er seit drei Jahren Abend für Abend zu seinem Vergnügen hier mitwirke. Eine seltsame Begeisterung von ihm! Wir waren froh, als wir endlich fertig waren, oder es wenigstens zu sein glaubten; gerade als wir aber den heißen Raum verlassen wollten, musterte uns einer der Garderobiers. „In dem Zustand wollen Sie [702] runter? Da werden Sie ooch keene Lichter ausstecken.“ Und nun ging es an ein Zupfen und Zerren, Ziehen und Spannen, bis der Brave sich endlich befriedigt erklärte. Aber nun schnell! Das erste elektrische Signal ertönte schrill durch alle Räume; rasch wollten wir das Zimmer verlassen, aber ein energisches „Halt!“ scholl uns am Ausgang entgegen. Da stand zwar kein Erzengel Gabriel mit dem feurigen Schwert vor der Thür, aber an seiner Stelle ein wohlgenährter Mann, in der Linken einen offenen, mit rothem Puder gefüllten Cigarrenkasten, in der Rechten eine Hasenpfote. Ritsch, ratsch ging’s mit derselben in die Kiste und dann über unser Gesicht; „damit Sie nich das Lampenfieber bekommen,“ meinte der Herr mit der Hasenpfote vertraulich.

Nun waren wir ja endlich für unseren Beruf glücklich vorbereitet! Auf der Treppe wimmelte es von buntfarbigen Gestalten; Edelleute mit wehenden Mänteln, Pagen in enganschließenden Wämsern, Knappen mit klirrendem Schild, Kapuziner mit flatterndem Skapulier, Bauernmädchen mit bunten, weitschichtigen Röcken, Edeldamen mit rauschenden Schleppen, lockere Stadtmusikanten und ernsthafte Bürger, und dazwischen „wir Volk“: all dies drängte wie zum Jahrmarkt nach Plundersweilern hinunter zur Bühne. Dieselbe strahlte bereits in hellem Licht, denn das zweite Signal war soeben ertönt, und die Ouverture mußte sofort beginnen. Auf der Bühne und hinter den Koulissen herrschte noch lebhaftes Getümmel: ein Chor von Bürgermädchen stand eifrig plaudernd zusammen; einige „Ratten“, kleine vier- bis fünfjährige Mädchen, zeigten sich gegenseitig ihre neuesten, in der letzten Ballettstunde gelernten Pas; mehrere Kriegsknechte setzten die Tische und Stühle für ihr späteres Gelage zurecht und klapperten vernehmlich mit den, leider leeren, Humpen; Mönche, Edelfrauen, Ritter und Pagen drängten sich um die winzigen Ausschaulöcher im Vorhang. Rrrrr – das dritte Signal erklang, und zu gleicher Zeit setzte schmetternd das Orchester ein; auf der Bühne fügten sich die Gruppen zu den ersten Scenen zusammen; in fliegender Hast eilte der Direktor überall umher, hier selbst ordnend, dort befehlend, da wünschend und bittend, dann immer von Neuem prüfend, unermüdlich und rastlos in seinem schwierigen Amte. Noch ein letzter Blick – Alles in Ordnung! Es konnte losgehen! Gleich darauf rauschte auch der Vorhang in die Höhe, und der Chor der Bürger und Bürgerinnen, den Frühling begrüßend, erscholl.

Hinter und neben den Koulissen ging unterdessen das lebhafte Treiben weiter; immer andere Gestalten tauchten auf. Theaterarbeiter liefen eilends hin und her, die für den zweiten Akt bestimmten Koulissen wurden zurechtgestellt, und nun raschelte und flatterte es auch heran, wie eine weiße, duftige Woge: die ersten Ballett-Tänzerinnen erschienen und stellten sich hinter den Koulissen auf, immer wieder das Kleidchen zurechtzupfend und immer von Neuem prüfende Blicke auf die Kolleginnen werfend; die Solisten und Solistinnen wandelten auf und nieder, halblaut diesen und jenen Ton anschlagend oder sich noch einmal über diese und jene Scene, die sie mit einander zu spielen hatten, verständigend; die Garderobenmütter spähten umher, ob nicht noch im letzten Augenblick etwas an den Kleidungen ihrer Schutzbefohlenen zu ändern wäre, und die nie pausirenden Inspicienten eilten von der einen Seite der Bühne zur anderen.

„Wir Volk“ standen in unseres Nichts durchbohrendem Gefühle hinter den ersten Koulissen, von denen aus man die hohe Gestalt des Kaisers in seiner kleinen Loge erblicken konnte. „Lampenfieber“ hatten wir nicht, aber „Lampenhitze“, denn die kleinen Gasflammen, in deren unmittelbarer Nähe wir uns befanden, strömten eine afrikanische Wärme aus. Doch wir sollten bald in Bewegung kommen, unser Debüt stand bevor. „Wenn ich sage ‚raus!‘, gehen Sie auf die Bühne und räumen die Tische und Stühle fort; aber um Gotteswillen drehen Sie doch die Siegelringe um, nehmen Sie die Klemmer ab! Sie sind ja altes lothringisches Volk!“ lautete der Zuruf des Statistenführers. Und gleich hinterher erscholl sein: „Raus!“ und unmittelbar darauf: „Donnerwetter, die Klemmer ab!“ – Glühend vor schauspielerischem Thatendrang stürzten wir wie die Wölfe auf die Bühne, ergriffen mit nerviger Faust den nächstbesten Stuhl oder Tisch, so fest, als ob wir den schlimmsten Theaterbösewicht an der Kehle packten, und schleppten den Gegenstand unserer ersten künstlerischen Leistung hinter die Koulissen, um dann schnell von Neuem auf die Bühne eilen zu können. O trügerischer Wahn! „Hinter mit den Sachen!“ schrie uns einer der „Obertheaterarbeiter“ an, „vorwärts, nicht lange zögern!“ Und wir stolzen Kunstjünger mußten wie prosaische Lastträger keuchend und schwitzend die Tische und Stühle bis zum letzten Bühnenraum tragen. Als wir zurückkehrten, hatten natürlich Andere unsere Erfolge eingeheimst; das Publikum applaudirte, und der Vorhang rasselte herunter!

„Das ist das Los des Mimen auf der Erde,“ trösteten wir uns, und da unsere erste künstlerische Leistung immerhin eine Belohnung verdiente, der Intendant sie uns aber vielleicht doch nicht gewährt hätte, belästigten wir ihn nicht erst, sondern belohnten uns selbst durch einen kühlen Trunk der [703] im Kellergeschoß liegenden Theaterkneipe. Sicherlich eine der originellsten Kneipen unter den zahlreichen originellen in Berlin! Ein enger gefängnißartiger Raum, mit kahlen Wänden und kahler Decke, mit wenigen Bänken und Stühlen, vollgepfropft mit einigen Dutzenden immer wieder anders kostümirter Menschen, mit schmalem Bierausschank und eben so schmalem Frühstückstischchen, Alles in Allem aber – überaus gemüthlich! Ein Maler würde hier Stoff zu manch hübschem Bildchen finden: dort der baumlange Herold, den gestickten kaiserlichen Doppeladler auf der Brust, liebäugelt mit einer schlanken „Jauer’schen“ in seiner Hand; ein Kreuzfahrer gebraucht den Knauf seines Schwertes, um ein „hartgekochtes“ Ei aufzuklopfen; dem behäbigen Bettelmönche hier scheint die „kühle Blonde“ vorzüglich zu munden, und der stolze lothringische Ritter da verzehrt mit sichtlichem Behagen eine tüchtige „Schinkenstulle“. Auch das „ewig Weibliche“ fehlt nicht; ein kleines Edelfräulein, das goldbordirte Gewand kokett aufnehmend, trippelt zum Büffet und verlangt „einen Seidel“, und der schmucke, die Füßchen graziös setzende Page holt sich „’ne Semmel, mit Cervelatwurst belegt, aber recht dichte!“

Bim bim bim bim – das elektrische Signal ertönt, der zweite Akt beginnt sogleich; hinauf also wieder zum Felde unseres Ehrgeizes! Ach, den letzteren schienen nicht Alle zu theilen – da lagen sie lang hingestreckt hinter den äußersten Koulissen, die tapferen Kämpen des Kaisers Rudolf, Schwert und Speer war ihren sehnigen Fäusten entsunken, der mit wehendem Federbusch geschmückte Helm war zur Seite geschoben, und der löwenverzierte Schild ruhte achtlos am Boden. Eine weiche Lagerstatt war es nicht, harte Bohlen und Bretter; aber für diese kühnen Helden mußten sie besser als zarte Daunenbetten sein, denn nichts störte sie in ihrem Schlaf und nichts unterbrach ihr Schnarchkoncert. Sie hatten sich diese Ruhe redlich verdient – auf dem Exercirfelde des Kaiser-Alexander-Regiments, und ihr Unterofficier paßte sorgsam auf die ihm untergebenen, braven pommerschen Grenadiere!

„Wir Volk“ wollten aber thätiger sein, wollten nun einmal auf den weltbedeutenden Brettern Ehre einlegen, wollten zeigen, daß wir Künstlerblut in unseren Adern hatten! Da kam uns auch bereits der Statisteninspicient entgegen, wahrscheinlich suchte er uns schon. „Hier sind wir, kommen wir jetzt wieder vor?“ Ein etwas mitleidiger Augenaufschlag traf uns, dann zog der Gefragte einen Zettel hervor, sah auf diesen und dann auf uns. „Sie sind ja ‚Volk‘,“ rief er, „hatten nur im ersten Akt zu thun, können jetzt gehen!“

Ein unter uns ausgetauschter Blick sagte mehr als lange Reden. Still und in uns gekehrt wendeten wir dem undankbaren Reiche der Koulissen den Rücken – wir in unserem glühendsten Thatendrange gestörtes „altes lothringisches Volk“! Paul Lindenberg.