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Im Weltengarten

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Textdaten
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Autor: Dr. Hermann J. Klein
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Titel: Im Weltengarten
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aus: Die Gartenlaube, Heft 36, S. 580–582
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1874
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Im Weltengarten.


Von Dr. Hermann J. Klein.


Es liegt tief in des Menschen Natur begründet, daß er gern und oft den Blick emporwendet zu der nächtlich leuchtenden Sternenschaar an der weiten Himmelsdecke, und daß er sehnsüchtig eindringen möchte in Natur und Wesen der funkelnden Himmelslichter, die da droben schweigend ihre uralten Kreise ziehen. Wohl Niemand giebt es, der, aufblickend zu den Sternen, nicht schon gedacht hätte, was das englische Volksliedchen in den Versen ausdrückt:

Funkle, funkle, schöner Stern,
Was du bist, wie wüßt’ ich’s gern!

Was du bist, wie wüßt’ ich’s gern! Das haben Millionen von Menschen Jahrtausende hindurch gedacht, wenn sie das sternbesäete Himmelsgewölbe betrachteten und sehnsüchtige Blicke hinüberschweifen ließen in jene hohen Regionen, deren Durchforschung auf ewig dem Menschengeiste entzogen schien. Aber im Laufe der Zeiten und mit dem Fortschritte der Wissenschaften ist das Unmöglichscheinende zur Wirklichkeit geworden. Von der engen kleinen Warte Erde aus, auf die ihn ein freundliches Geschick gestellt, ist der menschliche Geist emporgestiegen bis in jene entlegenen Regionen, wo die Sonnen wandeln, welche den Gürtel des Orion bilden und wo in dem schimmernden Streifen der Milchstraße „wie Gras der Nacht Myriaden Welten keimen“. Und nicht allein die Gegenwart im Baue des uns sichtbaren Theiles der Welt hat der Mensch erkannt, sondern auch die Vergangenheit liegt vor seinen Blicken. Jahrmillionen hat er durchmessen und gefunden, daß es einst eine Zeit gab, wo die Milchstraße, welche heute ihren mildleuchtenden Gürtel um den Himmel zieht, nicht vorhanden war, und daß eine Zeit kommen wird, in der die Sternenbilder zerrissen sind, die uns noch leuchten, wie sie einst den sidonischen Seefahrern den einsamen Pfad auf den graulichen Wogen des Oceans zeigten.

Die Alten haben, wie bereits bemerkt, von der Natur der Sterne und ihrer Stellung zu einander sowie der Erde gegenüber nichts gewußt. Die Schriften der größten Pilosophen des Alterthums enthalten meist nur thörichte Aussprüche über den Sternenhimmel. So hielt Anaximenes das scheinbare Himmelsgewölbe für eine krystallartige Sphäre, also für eine Art Glasglocke, die über die Erde gestülpt ist. Aristoteles meinte, die Fixsterne seien der Himmelskugel eingeheftet, Ptolemäus glaubte sie dort angewachsen und Demokritus nebst seinem Schüler Metrodarus lehrten, die Fixsterne wären wie Nägel am Krystallhimmel befestigt. Die Kirchenväter gingen noch weiter und nahmen sieben bis zehn wie Zwiebelhäute übereinander liegende gläserne Himmelsschichten an. Diese Meinung hat sich fast während des ganzen Mittelalters erhalten, in einigen Klöstern des südlichen Europa’s sogar noch bis heute, wo selbst ein ehrwürdiger Kirchenfürst, nach dem so viel Aufsehen erregenden Meteorsteinfalle von Aigle, gegen Alexander von Humboldt äußerte, diese Meteorsteine seien nicht Theile des gefallenen Steines selbst, sondern Stücke des durch denselben zerschlagenen krystallenen Himmels.

Die Idee von festen Sphären, an denen die Fixsterne wie Nägel befestigt sein sollten, war bei den Alten dadurch entstanden, daß sie, dem unmittelbaren Eindrucke folgend, alle Sterne für gleich entfernt annahmen, sowie weiter glaubten, daß sie gegeneinander völlig unbeweglich seien und nur gemeinsam täglich um die Erde herumgeführt würden. Diese beiden Annahmen sind aber grundfalsch. Schon Kepler, der unsterbliche deutsche Astronom, rühmte sich, daß er mit dem Nachweise, die Kometen durchschnitten die Bahnen der Planeten, die kugelförmigem Glassphären der Alten zertrümmert habe.

Heute wissen wir, daß die Fixsterne in sehr ungleichen Entfernungen von der Erde sich befinden, und daß man im Großen und Ganzen ihren Abstand von uns in dem Maße bedeutender annehmen kann, als sie uns zahlreicher und lichtschwächer erscheinen. Die hellsten Sterne des Himmels, wie Sirius, die glänzenden Sterne im Orion etc., befinden sich demnach weit näher bei der Erde, als die zahllosen kleinen, lichtschwachen Sternchen, die man eben noch mit bloßem Auge wahrnehmen kann. Es ist natürlich von großem Interesse, die genaue, etwa in Meilen ausgedrückte Entfernung der hervorragenderen Fixsterne zu kennen, und in der That haben sich die Astronomen sehr viele Mühe gegeben, in dieser Beziehung zu sichern Resultaten zu gelangen; allein lange Zeit hindurch ohne allen und jeden Erfolg. Diese Entfernungen erwiesen sich nämlich als so groß, daß es mittelst der feinsten Meßinstrumente nicht möglich war, sie zu bestimmen. Der Entdecker des wahren Weltsystems, Copernikus, versuchte es zuerst, die Entfernung eines Fixsternes zu messen. Mittelst seiner Instrumente sondirte er den Weltraum bis zu einer Distanz von siebentausend Millionen Meilen rings um die Erde herum, allein die Fixsterne erwiesen sich als weiter abstehend. Fünfzig Jahre später beobachtete Tycho de Brahe mit weit vollkommneren Instrumenten, aber selbst in einer Entfernung von sechszigtausend Millionen Meilen war noch kein Fixstern zu erreichen. Nach weiteren hundertfünfzig Jahren war die Kunst, astronomische Instrumente zu bauen und damit zu beobachten, soweit gediehen, daß der große englische Beobachter Bradley Entfernungen im Weltraume bis zu viertausend [581] Milliarden Meilen sicher bestimmen konnte, aber auch dieses Senkblei reichte nicht bis in die Regionen der Fixsterne. Doch kam es ihnen nahe, und Deutsche waren es, denen endlich die Lösung des Problems gelang.

Fraunhofer, ursprünglich ein armer Glasschleiferlehrling, dem der König von Baiern, als er einst unter dem zusammengestürzten Häuschen seines Lehrherrn halb todt hervorgezogen wurde, aus Mitleid einige Goldstücke schenkte, hatte diese Hand voll Thaler so gut zur Ausbildung seines großen Talentes verwandt, daß er ein paar Jahre später an der Spitze eines optischen Instituts stand, aus welchem astronomische Werkzeuge von einer solchen Vollendung hervorgingen, wie sie die Welt bis dahin nie gesehen hatte. Er stellte ein Instrument her, welches zehnmal stärkere Messungen gestattete, als jenes, dessen sich Bradley bedient hatte. Freilich war damit nur nach einer Seite ein Fortschritt erzielt worden, denn das Instrument bedurfte auch eines Astronomen, der es verstand alle Vorzüge desselben gehörig zu benutzen. Auch der war da.

Friedrich Wilhelm Bessel, früher Handlungslehrling im Hause Külenkamp und Söhne in Bremen, hatte sich der wissenschaftlichen Welt durch Arbeiten bekannt gemacht, welche ein bedeutendes Talent verriethen, und war durch Humboldt’s Vermittelung als Director der neuen Sternwarte nach Königsberg berufen worden. In seine Hände kam das neue Instrument Fraunhofer’s. Bessel wandte es in den Jahren 1837 bis 1840 zu Messungen der Fixsternentfernung an. Aus seinen Beobachtungen geht hervor, daß der Stern Nr. 61 im Sternbilde des Schwans achttausend Milliarden Meilen von uns entfernt ist.

Seit dieser Zeit sind noch viele andere Bestimmungen von Fixsterndistanzen ausgeführt worden und man hat unter Anderen gefunden, daß der glänzende Sirius einundzwanzigtausend, der Stern Wega in der Leyer achtzehntausend, der Stern Arktur zweiunddreißigtausend und der Stern Capella neunundachtzigtausend Milliarden Meilen von uns entfernt ist. Diese Entfernungen sind so groß, daß wir uns ganz und gar keine Vorstellung davon machen können. Ich will daher nur bemerken, daß der Schall, wenn er beispielsweise bis zum Sirius hinaufdringen könnte, dazu dreizehn Millionen Jahre Zeit gebrauchen würde. Die Antwort auf eine nach dort gerichtete Frage würde also sechsundzwanzig Millionen Jahre auf sich warten lassen. Ein Baumwollfaden von größter bisjetzt erreichter Feinheit, der von der Erde zum Sirius reichte, würde ein Gesammtgewicht von fünftausend Millionen Centner besitzen. Der Lichtstrahl durcheilt in jeder Secunde einen Raum von vierzigtausend deutschen Meilen, er umkreist also in einer einzigen Secunde mehr als siebenmal die Erde. Trotz dieser ungeheuren Schnelligkeit gebraucht das Licht fast sechszehn Jahre um vom Sirius bis auf unsere Erde zu gelangen. Jeder Lichtstrahl, der beim Anblicke des Sirius in unser Auge dringt, ist demnach schon vor sechszehn Jahren von diesem Sterne ausgegangen. Weiter folgt hieraus, daß, wenn der Sirius heute aus irgend einem Grunde plötzlich seine Leuchtkraft einbüßte, wir ihn dennoch sechszehn Jahre lang leuchtend erblicken würden, weil der letzte seiner Strahlen uns erst nach Verlauf dieser Zeit erreicht hätte. Was hier vom Sirius gesagt wurde, gilt ähnlich, je nach Maßgabe der Entfernung, auch von den übrigen Fixsternen. Die schwächsten dieser letzteren, welche eben noch in mächtigen Fernrohren als aufglimmende Pünktchen erkannt werden, stehen in so großen Entfernungen, daß der Lichtstrahl drei bis vier Jahrtausende gebraucht, um von dort bis zu uns zu gelangen. Man begreift hiernach leicht, daß es richtig ist, zu behaupten, der gestirnte Himmel zeige sich unsern Blicken nicht wie er ist, sondern wie er vor vielen Jahren, Jahrhunderten und Jahrtausenden war.

Wenn man die großen Entfernungen betrachtet, in welchen sich die Fixsterne befinden, und wenn man bedenkt, daß sie uns trotzdem ein so stechend scharfes Licht zusenden, so muß man schon hieraus schließen, daß diese Weltkörper nicht von unserer Sonne erleuchtet werden, sondern, daß sie in ihrer Heimath selbst große, strahlende Sonnen sind. Dieser Schluß ist vollständig richtig, denn das Licht der Fixsterne erweist sich bei näherer Untersuchung mehr oder minder abweichend von der Zusammensetzung unseres Sonnenlichtes. Wir können sogar noch einen Schritt weiter gehen und beweisen, daß die Leuchtkraft unserer Sonne weit geringer ist als diejenige mancher Sterne. Der Sirius z. B. ist, wie ich oben bemerkt, einundzwanzigtausend Milliarden Meilen von uns entfernt oder etwas mehr als eine Million Mal so weit als unsere Sonne. Würde aber diese letztere eine Million Mal so weit entfernt, als sie wirklich ist, so müßte sie uns als ein Sternchen erscheinen, das nur den achtundachtzigsten Theil der Helligkeit des Sirius hätte. Folglich besitzt Sirius achtundachtzig Mal mehr Leuchtkraft als unsere Sonne, oder mit andern Worten, er würde, wenn er sich an Stelle unserer Sonne befände, uns achtundachtzig Mal mehr Licht und wahrscheinlich auch Wärme zuschicken, als diese. Auf ähnliche Weise hat sich gefunden, daß der Stern Capella sogar dreihundertsechszig Mal mehr Licht ausstrahlt als unsere Sonne, der Stern Nr. 61 im Schwan dagegen nur 1/200, ein anderer Stern (Nr. 34 Groombridge) gar nur 1/5000 des Sonnenlichtes. Letztere Sterne sind wahrscheinlich erlöschende Sonnen.

Allein nicht nur durch ihre sehr verschiedenen Helligkeiten unterscheiden sich die Fixsterne von unserer Sonne, sondern ein ziemlich bedeutender Theil davon strahlt dazu ein Licht aus, das nicht weiß, sondern intensiv gefärbt ist. Es giebt blaue, rothe, grüne, gelbe, goldfarbene Sterne. Besonders bei den sogenannten Doppelsternen erscheinen die Farben sehr ausgeprägt. Die hierhin gehörigen Fixsterne bilden ganz eigenthümliche Sternsysteme, in welchen sich zwei leuchtende Sonnen umeinander bewegen. In sehr vielen Fällen strahlen die beiden Sonnen, welche ein solches Doppelsternsystem bilden, ein ungleichfarbiges Licht aus; so kennt man weiße und blaue, grüne und blaue, goldfarbige und purpurrothe, weiße und rothe Doppelsterne. Dieselben gewähren im Fernrohre einen reizenden Anblick. Aber ein ganz anderes muß es in der Heimath dieser Doppelsterne sein, wie muß es auf den Planeten aussehen, welche zu diesen Sternsystemen gehören! Wir können uns hiervon eine allgemeine Vorstellung machen. Suchen wir uns zunächst einmal die magische Beleuchtung zu versinnlichen, welche am Firmamente und auf unserer Erde herrschen würde, wenn unsere Sonne statt weiß etwa purpurroth oder glänzend grün erschiene. Denken wir uns jetzt diese Sonne hoch am Himmel stehend; die ganze Natur ist von ihrem purpurfarbenen Lichte übergossen, statt eines blauen Himmels erblicken wir ein schwarzes Firmament; ebenso dunkel und schwarz erscheint das saftige Grün der Auen. Da plötzlich erhebt sich über den Horizont eine zweite goldgelbe Sonne. Mit einem Schlage verwandelt sich der ganze Anblick der Gegend. Ganz verschiedene Farben entstehen und tausendfach gebrochen und zurückgeworfen erscheinen die farbigen Strahlen, allenthalben tausenderlei Abstufungen bietend. Das sind in der That bunte Verhältnisse. Und gleich wie wir Menschen auf unserer Erde uns auf einen klaren, schönen Sonntag freuen, so erwarten vielleicht die Bewohner der Planeten jener Fixsterne mit gleicher Sehnsucht den Aufgang ihrer blauen oder goldgelben Sonne, um eine Landpartie zu machen, oder einen Berg zu besteigen, während die dortigen Maler jedenfalls den heillosen Mischmasch verschiedenfarbiger Beleuchtung verwünschen, oder noch gar in zwei Classen getheilt sind, von denen die eine Bilder malt, welche nur während des ausschließlichen Leuchtens der rothen oder blauen Sonne aufzustellen sind, während die andere auf die Erleuchtung der grünen oder gelben Sonne speculirt.

Doch ich will mich nicht weiter über Dinge verbreiten, von denen ich speciell ebenso wenig weiß, wie der Jesuit Kircher von den Leuten auf dem Planeten Mars oder wie Fontanelle von den Bewohnern des unserer Sonne so nahen Planeten Mercur, die nach der Meinung dieses berühmten Schriftstellers ein ziemlich verbranntes Hirn haben sollen. Uns kann es genügen zu wissen, daß es Systeme giebt, in welchen statt einer Sonne, wie bei uns, zwei und sogar drei und vier Sonnen sich befinden, daß diese Sonnen in vielen Fällen ganz verschiedenfarbiges Licht ausstrahlen, und daß für uns unter diesen Umständen recht bunte und recht schwarze Zustände eintreten würden.

Die nähere Untersuchung der Doppelsterne ist in diesem Jahrhunderte von mehreren Astronomen eifrig betrieben worden; zu welchen interessanten Resultaten man dabei gelangt ist, will ich hier nur an einem einzigen Beispiele zeigen. Im Sternbilde des Schlangenträgers befindet sich unter vielen anderen ein unansehnliches Sternchen, das sich im Fernrohre als doppelt erweist, [582] bestehend aus einem gelben Hauptsterne und einem purpurrothen Begleiter. Dieser Doppelstern ist zuerst von Herschel im Jahre 1779 beobachtet worden und die weiteren Messungen haben ergeben, daß der purpurne Begleiter seinen Hauptstern in sechsundneunzig Jahren einmal umkreist. Ferner hat die Beobachtung gezeigt, daß dieses Sternenpaar fünfundzwanzigtausendfünfhundert Milliarden Meilen von uns entfernt ist, daß der Hauptstern nur ein Fünftel der Leuchtkraft unserer Sonne besitzt, beide Sterne zusammen aber unsere Sonne an Gewicht zwei und drei Viertel Mal übertreffen. Und nun vergegenwärtige man sich die ungeheure Kluft, welche der menschliche Verstand überbrückt hat, indem er von dem bloßen Anblicke dieser Sterne als zweier kleiner Lichtpünktchen bis zu solchen Resultaten sich emporschwang!

Wie wir aber gesehen haben, sind die Entfernungen der Fixsterne so ungeheuer groß, daß wir uns von denselben gar keine sinnliche Vorstellung machen können. Mit diesen ungeheuren Entfernungen correspondirt die ungeheure Anzahl der Fixsterne. Wie mancher der geneigten Leser hat nicht schon bei aufmerksamer Betrachtung des gestirnten Himmels bewundernd der Schaar leuchtender Sterne gedacht, welche in den verschiedensten Helligkeitsabstufungen, bald hier bald da funkelnd, das Auge auf sich lenken! Immer neue Sternchen glaubt der schärfere Blick wahrzunehmen, die Schaar schwillt an; wer möchte sie zählen, wer ihren Ort bestimmen, wer sie alle registriren! In der That, es ist etwas Merkwürdiges um diese Anzahl, um diese dem bloßen Auge sichtbare Sternenmenge, aber nicht wegen ihrer Größe, sondern – wegen ihrer Geringfügigkeit. Es giebt Leute, welche mit großer Zuversicht behaupten, daß der aufwärts gerichtete Blick am nächtlichen Himmel Millionen von Sternen wahrnehme; diese Leute werden sich wohl nicht wenig wundern, wenn ich hier behaupte, daß noch nie ein Mensch mit bloßem Auge zweitausend Sterne gleichzeitig wahrgenommen hat. Auf Grund der genauesten wissenschaftlichen Untersuchungen, wobei alle Sterne der Reihe nach verzeichnet wurden, hat sich ergeben, daß das schärfste menschliche Auge am ganzen Himmelsgewölbe nur sechstausend Sterne wahrzunehmen vermag, wobei wohl zu bemerken ist, daß auch der südliche Himmel, den man jenseits des Erd-Aequators wahrnimmt, mitgerechnet ist. Wenn etwas an dieser Zahl überrascht, so ist es sicherlich ihre Geringfügigkeit. Vielleicht könnte man glauben, es sei doch bei dieser Zählung der eine oder andere Stern vergessen worden; ich will daher bemerken, daß die Astronomen in ihrer statistischen Aufnahme des Himmels viel weiter gegangen sind, daß sie nicht allein die dem bloßen Auge sichtbaren Sterne gezählt, katalogisirt und registrirt, sondern daß sie auch jenes große Heer von Fixsternen bestimmt haben, welches nur durch sehr lichtstarke Ferngläser gesehen werden kann. Erst auf diesem letzten Gebiete, dem der teleskopischen Sterne, fängt die Zahl der Gestirne an in’s Ungeheure zu wachsen. Ehe ich näher auf diese Verhältnisse eingehe, muß ich aber einige Erklärungen voraufschicken.

Man theilt die Sterne, wie den meisten Lesern bekannt sein dürfte, je nach ihrer scheinbaren Helligkeit in eine Anzahl von Classen oder Größenordnungen ein. Die hellsten Sterne, wie Sirius, Wega, Capella etc., gehören zur ersten Größe, Sterne, welche nur den vierten Theil dieser Helligkeit besitzen, zählen zur zweiten Größe, andere, die den vierten Theil des Glanzes der Sterne zweiter Größe haben, rangiren in der dritten Größe etc. Es hat sich nun ergeben, daß man mit bloßem Auge noch Sterne der sechsten Größe wahrnehmen kann, daß dagegen in den den kräftigsten Ferngläsern der Gegenwart noch Fixsterne sichtbar sind, welche zur sechszehnten Größe gehören. Gegenwärtig sind alle Sterne von der ersten bis zur neunten Größe, welche sich an der nördlichen Himmelshälfte befinden, gezählt, und außerdem ist der Ort jedes einzelnen so genau bestimmt, daß man ihn zu jeder Zeit mit Sicherheit finden kann. Und wie groß ist diese Summe? Sie beträgt dreihundertvierzehntausendneunhundertundzwanzig und übertrifft daher mehr als hundertmal die Anzahl der Sterne, welche dem bloßen Auge an der nördlichen Himmelshälfte sichtbar sind.

Um zu dieser Zahl zu gelangen, hat es der fast siebenjährigen ausschließlichen Arbeit der Sternwarte zu Bonn und beinahe einer Million einzelner Beobachtungen bedurft. Betrachtet man die auf diese Weise gewonnenen langen Zahlenreihen genauer, so findet sich, daß jede folgende Sternengröße fast genau dreieinhalbmal so viele Sterne enthält, als die vorhergehende. Diese Bemerkung setzt uns nun in den Stand, annähernd die Zahl sämmtlicher Sterne bis zur sechszehnten Größenclasse, also bis zur Grenze der Sichtbarkeit in unsern Ferngläsern, zu berechnen. Es findet sich dafür die Summe von sechshundertsiebenzehn Millionen. So groß diese Zahl ist, so dürfen wir doch nicht vergessen, daß sie sich blos auf die nördliche Himmelshälfte bezieht; der südliche Himmel ist aber mindestens ebenso sternreich als der nördliche, so daß wir demnach mit hoher Wahrscheinlichkeit die Gesammtsumme aller überhaupt in den größten Ferngläsern noch sichtbaren Fixsterne auf eintausendzweihundert Millionen schätzen dürfen.

Diese Zahl wird dazu dienen, eine Ahnung von der Ausdehnung der Sternenwelt zu geben. Wir haben aber gesehen, daß es der Neuzeit gelungen ist, bei einigen Sternen directe Messungen ihrer Entfernung mit Erfolg anzustellen. Die Sterne, bei denen dies gelang, sind die uns nächsten, für die kleinen entfernten aber reichen unsere directen Messungsmittel nicht aus. Hier kann nur, wie schon Herschel gezeigt hat, die Anzahl der Sterne dazu verhelfen, annäherungsweise ihre Entfernung von uns kennen zu lernen. Man hat nämlich gute Gründe zu der Annahme, daß im Durchschnitt alle Sterne ziemlich gleich weit von einander entfernt sind; einige stehen ohne Zweifel näher bei einander, andere sind weiter entfernt, aber wenn man Hunderttausende von Sternen in’s Auge faßt, so gleichen sich die Unterschiede der Entfernungen nahezu aus und es ergiebt sich ein durchschnittlicher Abstand, den man nach Herschel „Siriusweite“ nennt. Steht dies einmal fest, so ist klar, daß der Raum, den eine Anzahl Sterne einnimmt, um so größer sein wird, je größer diese Anzahl selbst ist; kennt man letztere, so kann man auf die Größe des Raumes und die Entfernung der äußersten Sterne zurück schließen. Diese Rechnung hat man, auf Grundlage der obigen Sternzählungen, ausgeführt und gefunden, daß die äußersten Fixsterne so weit von uns entfernt sind, daß ihr Licht drei bis vier Jahrtausende gebraucht, um bis zu uns zu gelangen, wie ich bereits oben angeführt habe.

Ist nun dieser ungeheure Weltengarten das Universum oder ist er nur ein Theil davon? Diese Frage wird sich wohl den meisten Lesern aufdrängen. Ich will daher bemerken, daß dieses ungeheure Sternenheer keineswegs das ganze Universum ausmacht, sondern nur einen kleinen Theil desselben bildet, denjenigen nämlich, der in der Sehweite unserer Ferngläser sich befindet. Aus noch größeren Entfernungen schimmern neblige Gestalten zu uns herüber, die uns, wie ich in meinem Buche „Kosmologische Briefe“ auseinandergesetzt habe, allerdings wichtige Winke über die Entstehung des Sternenhimmels geben; aber im Großen und Ganzen stehen wir hier an der Grenze unseres Forschens, nicht jedoch an der Grenze der Welt! Die Wissenschaft bestätigt das Wort unseres großen Dichters Schiller:


„Steh! du segelst umsonst – vor der Unendlichkeit! – –
 Senke nieder,
 Adlergedank’, dein Gefieder!
 Kühne Seglerin, Phantasie,
 Wirf ein muthloses Anker hie.“