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In der Stammburg derer von Aufseß

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Textdaten
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Autor: Friedrich Zenk
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Titel: In der Stammburg derer von Aufseß
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 49, S. 805, 808–811
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1872
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[805]

Burg Aufseß.
Nach der Natur aufgenommen von Lorenz Ritter in Nürnberg.

[809]
In der Stammburg derer von Aufseß.[1]


Von Friedrich Zenk.


„Heute wollen wir zu unserer Cousine nach Liebfrauen fahren,“ pflegte die Frau von Dalberg zu sagen, wenn sie von ihrem weißen Schlosse nach Worms zur Mutter Gottes beten gehen wollte. Denn von Niemandem anders als dem Hause David haben die stolzen Kämmerer von Worms ihren Ursprung abgeleitet, und in der alten Taufcapelle am Wormser Dome steht noch heute ein Steinbildwerk, der Stammbaum Christi und der – Dalbergs.

Im Schloßhofe der Burg Aufseß.

Auch das alte reichsfreiherrliche Geschlecht der Aufseß ist mit der Bibellegende verwebt: in Auerbach’s Volksbüchlein, zweiter Theil Nr. 29, „von altem Adel“, ist zu lesen, sie hätten ihren Namen daher bekommen, weil sie unsern Heiland beim Einzuge in Jerusalem auf die Eselin gehoben hätten. Die Familie selbst that nichts dazu, diesen Glauben an ihre testamentarische Herkunft zu unterstützen; vielmehr hat der verstorbene Hans von Aufseß selbst die Mähr für eine ehrliche deutsche Schnake erklärt.

Der Name Hans von Aufseß führt uns in seinen Erinnerungen nothwendig zur Burg seiner Väter. Ist diese es doch, wo er geboren und begraben, wo er seines Jugend- und Mannesalters größten Theil hindurch gelebt und geschaffen, wo sein Forscherdrang jene tiefe deutsch-historische Richtung zuerst einschlug und in deren ehrwürdigen Hallen er nach und nach jene Schätze anhäufte, die, später nach Nürnberg übergesiedelt, den Grundstein bildeten für den späteren herrlichen Bau des Germanischen Museums.

In einem reizvollen Seitenthale der vielbekannten fränkischen Schweiz hebt sich auf mäßigem Felshügel hart am Aufseßflüßchen über das ansehnliche Dorf gleichen Namens die Burg Aufseß. Mitten in die grünen, das Ganze wie ein verjüngender Gürtel umfassenden Anlagen strecken sich die theilweise zwiefachen Ringmauern. Die Süd- und Ostseite der innern Burg wird von dem Hauptbau umschlossen. Runde Eckthürme flankiren seine Seiten; die bis sieben Schuh dicken Mauern, nur von wenigen hoch angebrachten Fenstern durchbrochen, zeugen noch von altwehrhaftem Reckenthum. Auf der entgegengesetzten, der Westseite, isolirt von den übrigen Burggebäuden, ragt der auf der Abbildung höchste Punkt von Unteraufseß gleichfalls aus Gebüschen hervor, der Rabenthurm. An diesen lehnt sich gegen Norden, gleich einem Adlerhorste kühn auf steil abfallendem Felsen gewurzelt, der älteste Theil der Veste, die von Meingotz Aufseß schon 1149 gebaute steinerne Kemnate, im Burgfrieden von 1395 „Meingots-Steinhaus“ (Megingotz Stainhavs) genannt.

Man gelangt durch einen wohlerhaltenen Thorbogen zur linken Hand vom Hauptbau in den geräumigen, lindenbeschatteten Schloßhof, in dessen Mitte von außen bisher unbeachtet ein schmucklos, im Stile des vorigen Jahrhunderts erbautes Kirchlein auftaucht. Neben der Kirchenthür außen an der weißen Wand hängt ein grüner Kranz mit einem Trauerflor; darunter steckt im Boden eine junge Fichte. Das sind die vergänglichen Wahrzeichen, daß darunter in der seit 1733 von den Aufseß benutzten Gruft der Gründer des Germanischen Museums schlummert.

[809]

Die Hauscapelle auf Burg Aufseß.

Das Studirzimmer Hansens von Aufseß.

Im Meingotzhause liegt gegen Norden eine mittelalterlich eingerichtete Stube, das frühere Studirzimmer Hansens von Aufseß. Der berühmte Director der Nürnberger Kunstschule, A. Kreling, hat Pfingsten 1865 dieses Zimmer nebst seinem frühern Inwohner in einer Tusche höchst charakteristisch wiedergegeben. In dieser Kemnate saß Baron Hans manches Jahr, über dicken Folianten brütend oder die Kunst des deutschen Mittelalters an ihren Werken studirend; aber sein Geist verging nicht im Kleinlichen, sondern „aus den einzelnen Theilen von innen heraus“ erwuchs ihm, dem ehemaligen Burschenschafter, seine Anschauung der deutschen Geschichte und der nationalen Idee. Es war in diesem Frühjahre, kurz vor der verhängnißvollen Straßburger Reise, als der alte Herr das letzte Mal sein Stammschloß besuchte und von da, wo er so oft des deutschen Reiches Herrlichkeit geträumt, noch einmal hinaussah auf die siegreich geeinten Gauen des Vaterlandes. Wohl dachte er in diesem Augenblicke nicht an das nahe Ende, denn er sprach die Hoffnung aus, in zehn Jahren seine schon lange begonnene Familiengeschichte und Lebensbeschreibung zu beendigen. Das Meingotzhaus, von Hans in allen Theilen stilgerecht restaurirt, ist für die Familie Aufseß eine gewaltige Steintruhe von Hausreminiscenzen: das von Hans musterhaft geordnete Familienarchiv, ferner alte Abbildungen, Christoph Ludwig’s Jagdbüchse und des Freiherrn Hans Studirflaus à la Faust, sodann Haken-Büchsen und Blechharnische füllen in geregelter Unordnung Wand und Schrein, Ecke und Winkel.

Quer über den Hof an der Gruft-Capelle vorüber gelangt man vom Meingotzhause durch die Thurmwendeltreppe in den Hauptbau, ausgezeichnet durch einen reichen Ahnensaal und alterthümliche Corridore, ausgezeichnet aber auch durch die Familiengemächer. Man thut diesen keine Ehre an, wenn man sie Prunkgemächer hieße. Im Gegentheil, sie sind in Ausstattung einfach, im Ganzen im Zustande, wie sie Hans von Aufseß 1848 nach Nürnberg übersiedelnd beließ, die Möbel meist aus den dreißiger Jahren, aber Alles gewissermaßen altritterlich. Es schwebt etwas in dieser Luft, das auf die alten Burggeister hinweist; in jenen Erker kann man sich nur die Burgfrau, auf diesen Söller nur das Fräulein denken. Wollte man dem hier herrschenden Geschmacke und Eindrucke einen Namen geben, man müßte ihn „romantisch“ nennen.

In diesen Räumen ward Hans von Aufseß am 1. September 1801 geboren, dahin führte er im Jahre 1824 die Freiin Charlotte von Seckendorf als Gattin heim, dort lebte er patriarchalisch im Kreise seiner sich mehrenden Familie, bis er nach den märzlichen Stürmen all’ das reiche auf dem stillen Bergschlosse gesammelte Material in die alte Reichsstadt übertrug. Zwar alljährlich, aber nie mehr ständig, und dann meist in Umgebung von Familienangehörigen und Geistesverwandten brachte er von jetzt an einige Zeit in Aufseß zu, bis er nun für immer da eingekehrt ist.

Wir verlassen auf derselben Wendeltreppe den Hauptbau, hier dargestellt nach einer Zeichnung Kreling’s. Auf der gegenüber liegenden freien Wand eines Nebengebäudes springt uns ein, wenn auch unvollendetes, doch meisterlich hingeworfenes Frescobild desselben Künstlers in die Augen. Ein junger Ritter, dem zwei Knappen den Aufseß’schen Helm mit den Büffelhörnern und dem Pfauenschweife vortragen, hat den Feind im Turney besiegt und schreitet zum hohen Throne der Königs-Tochter. Sie wirft ihm zum Danke eine Rose herab, die der wackere Kämpe mit dem [810] Schilde auffängt. Dies der Sage nach der Ursprung der Rose im Geschlechtswappen; aber auch die Geschichte erzählt früh von diesem Geschlechte.

Mitten zwischen das fürstbischöflich bambergische, burggräflich nürnbergische und brandenburgisch-baireuthische Gebiet eingeschoben, konnte es nicht fehlen, daß die Aufsässer, obschon des Reiches freie Ritter, bald von diesem, bald von jenem mächtigeren Nachbarn Lehn und Dienst nahmen. Schon 1114 kommt Herolt von Ufsaeze im Gefolge des Pommernapostels Bischofs Otto von Bamberg vor, unter seinen Nachkommen finden sich wohlbestallte Bamberger Fürstbischöfe, Prälaten und Canonici, denn zu jener Blüthezeit der Kirchen und Klöster „gabt’s gut wohnen unter’m Krummstab und zumal das Amt der Erbschenken des Stifts Bamberg, das die Aufsesser bekleideten, war fürnehm und lustirlich zugleich“. Unter Otto dem Ersten von Aufseß tritt ein Wendepunkt ein in der Hauspolitik, „es ward durch freie Verbindung mit dem burggräflichen Hause der Zollern der Grund gelegt für das Jahrhunderte fort bestehende, immer enger sich ziehende Band der Treue“, denn ein gleichnamiger Sohn desselben war es, der, als Burggraf Friedrich der Vierte sich gegen den Oesterreicher Friedrich für den Papstfeind Ludwig, den Baiern, erklärt, sich am 24. August 1315 verbriefe, „für den Burggrafen als Burgmann und Diener zu kämpfen ob besonderer Gnade, die er ihm erzeigt“, und stritt er auch wirklich, da es am 28. September 1322 bei Mühldorf daran war, unter dem Burggrafen Schweppermann mit den fünfhundert fränkischen auserlesenen Rittern, die durch Umgehung die Schlacht entschieden. Otto war dann auch mit König Ludwig und dem Burggrafen in Rom, als Jener, kein Mann von Canossa, sich ketzerischer Weise am 17. Januar 1328 von dem römischen Bürger Sciarra die Kaiserkrone auf das von zwei gebannten Bischöfen gesalbte Haupt setzen ließ. Da erhielt auch Otto’s Sohn Ulrich auf der Tiberbrücke vom Kaiser selbst den Ritterschlag, wovon der alte Poet Suchenwirt singt:

„Der edel auf der Teyfer bruck machet stolzer ritter vil.“

Nachdem der Burggraf ihn noch um zweitausendsechshundert Pfund Haller für treue Dienste gelohnt, legte sich der rührige Mann Otto im Jahre 1338 in seiner Burgcapelle zu St. Pancratii und Blasii zur ewigen Ruhe nieder. – Es ginge zu weit, wollte ich die Stammgeschichte der Freiherren von Aufseß in engerer Genealogie verfolgen, aber noch eine Richtung muß bei denselben hervorgehoben werden – es ist die religiöse.

Ein solcher tiefer Zug geht von Beginn durch das ganze Haus, ein Zug, edel christlich und wohlthätig, dabei von gewaltiger Kraft und Ausdauer, ein Zug, der am stärksten, fast fanatisch vorleuchtet, sobald im Hause selbst die Gegensätze, Protestantismus und Katholicismus, weniger sich berühren, als aufeinanderplatzen. An diesem Schauplatz auf der unvermarkten religiösen Grenze zwischen lutherischem Markgrafenthum und päpstlichem Bischofthum lag der Conflict nahe. So gute Katholiken die alten Aufsesser gewesen als Prälaten und Bischöfe, Meß- und Klösterzustifter, so offen hatten sie die Augen gegen die Mißbräuche von Rom, und bereits Wolf Heinrich von Aufseß, Zeitgenosse Luther’s, trat der Augsburger Confession bei. Damals war ja selbst Bischof Georg von Bamberg kein Widersacher der Reformation, ließ offen die Grundsätze derselben in seinen Kirchen predigen und ungehindert Schriften für die Reformation drucken. Kein Wunder, wenn auch Peter von Aufseß, Domdechant in Würzburg, der jedoch schon 1523 starb, mit Luther und Ulrich von Hutten in persönlichem Verkehr stand. So waren denn die Herren von Aufseß gute Protestanten geworden und geblieben.

Da gab’s Ende des siebenzehnten Jahrhunderts zwei Brüder im Schlosse zu Aufseß, Friedrich und Karl Heinrich, so spinnefeind, daß sie zuletzt aufeinander schossen. Karl Heinrich, der Friedlichere, wanderte um eine Viertelstunde das Aufseßflüßchen aufwärts und baute auf einem Hügel das Castrum Carolsburg, als Ober-Aufseß, heute noch von einem Zweige der Familie bewohnt, obschon es Friedrich einmal mit bewaffneter Hand stürmte.

Der feindlichen Brüder Söhne traten sich nicht näher, vielmehr sprangen Christian Ernst, Karl Dietrich und Johann Philipp, die drei Söhne Friedrich’s, noch bei dessen Lebzeiten 1725 zum Katholicismus über. Der älteste Sohn als Senior begnügte sich nicht mit dem Hausgottesdienste seiner neuen Confession, sondern nach dem Grundsatze „wie der Ritter, so der Knecht“ wußte er gütlich und zwangsweise das protestantische Dorf Aufseß zum guten Theil katholisch zu machen, während er die evangelische Kirche verfallen ließ. Ja, in der eigenen Familie machte er Mortaras; im Dorfe Sigrizberg paßte er mit sieben bewaffneten Leuten die Chaise ab, in der sein neunjähriger protestantischer Neffe Christoph Friedrich mit seiner Mutter Gottliebe, einer gebornen Berlichingen, daherfuhr, und nahm den Knaben der sich widersetzenden Mutter ab. Der Junge schwur auch wirklich mit neun Jahren als Domherr in Bamberg feierlich auf, ließ aber alsbald wieder davon und blieb Protestant.

Christian Ernst war unterdeß bambergisch-würzburgischer General geworden; des nach Ober-Aufseß verdrängten Karl Heinrich Sohn, Christoph Ludwig, hatte es zum markgräflichen Geheimrath und Oberforstmeister gebracht. Der war ein Mann, protestantisch fromm, markig und so abgehärtet, daß er sein Lebtag nur einen Rock trug und darin, die stets getreue Büchse im Arm, ganze strenge Winternächte im Walde zubrachte. Neben dem einen Rock hatte er nur ein Ziel, das der Wiederherstellung des evangelischen Gottesdienstes in Unter-Aufseß. Ludwig Christoph sang sein Lieblingslied „Eine feste Burg ist unser Gott“, als er gen Thurnau ritt, den Vetter Christian Ernst im blutigen Zweikampf zu treffen. Pistolen hatte der General ausgeschlagen, denn Ludwig war der beste Schütze seiner Zeit. So entschieden Degen, aber nicht gar viel, da am Brustharnisch, den Ernst unter der Weste trug, des Gegners Degenspitze brach. Trotzdem brachte ihm Ludwig eine Wunde bei und, sei’s durch diese Lection, brachte er’s mit vieler Mühsal endlich durch, daß 1742 im Aufsesser Schloßhofe die evangelische Kirche neu erstanden war.

Im Jahre 1800 starb der österreichische General Veit Karl als letzter Sprosse der katholischen Familie; er hinterließ glänzend dotirte wohlthätige Stiftungen, wie das Aufseß’sche Seminar in Bamberg für arme Studirende.

Ludwig’s einziger Sohn, der königlich preußische Regierungsrath Friedrich Wilhelm, zog nun in das alte Stammschloß Aufseß wieder ein. Von ihm überkam es dessen Sohn, Hans von Aufseß, zugleich mit der inzwischen wieder evangelisirten „Hauscapelle“. Diese blieb bis jetzt unerwähnt. Sie liegt im Erdgeschoß des Hauptbaues. Man gelangt zu ihr durch eine Thür rechts vom Wendeltreppenthurm. Geheimnißvolles Düster umfängt den Besucher in der kühlen Halle, die von einem einzigen, glasbemalten Fenster, gothisch wie die ganze Capelle, beleuchtet wird. Neben vielerlei Familiendenkmälern sieht man hier auch den grauen Stein, aus dem so viele junge Aufsesse getauft wurden, und den uralten gestickten Teppich, auf dem sie später den Trauring wechselten.

Auf dem Lesepult der Capelle liegt noch Luther’s Originalbibel von „1543 zu Wittenberg, deudsch Auffs New zugerichtt“, aufgeschlagen Buch Sirach. Vor Jahren hatte Freiherr Hans hier selbst sämmtlichen Schloßbewohnern den täglichen Morgensegen vorgelesen; seitdem blieb die Burgcapelle unbenutzt. Eine kleine Nebencapelle wird fast ausgefüllt von einem Sarge, den sich Freiherr Hans, gleich Kaiser Karl dem Fünften, vor bald dreißig Jahren hat anfertigen lassen. Vielleicht gedachte er damals einst auf seiner Väter Burg sanft und selig hinüberzuschlummern; übrigens war das hölzerne Memento mori in der Seitencapelle eher wurmstichig geworden, als der Alte selber; jetzt soll der erst-alte Mann im Dorfe, der nach ihm stirbt, statt seiner im Sarge begraben werden. –

Durch diese Capelle führt ein böser Weg: der zum Verließ im anstoßenden Eckthurm. Draußen zwitschern die Vögel, und da unten aus den dicken kalten Quadern quillt gruftige Oede. Vor dem Burgthore lacht uns aus den Blüthenbäumen der helle Mai zu. Ich wandere den Hügel hinauf, vor den nächsten Häusern schäkern geputzte Leute unverkennbaren Idioms: es ist heute Sabbath. Im Jahre 1730 nahmen die Herren von Aufseß hier eine aus dem bambergischen Burgellern vertriebene Judencolonie gegen allerlei Reichniß auf in eigens von der Herrschaft erbauten Judenhäusern, die man den Inwohnern nach und nach gegen geringe Summen käuflich überließ. Ein Theil davon ist jetzt „großer Mann“ und Privatier und lebt in Städten, die Meisten wohnen noch eng beieinander in der Judengasse nächst der Burg. Ob wohl die alten Aufsesser, als sie ihren Schutzbefohlenen den nachbarlichen Platz anwiesen, eine Vorahnung hatten, daß bald die Herren Barone Wolf und [811] Löwenthal ihren Schild neben dem der alten Reichsfreiherren aufhängen würden?

Unweit auf luftiger Höhe liegt der Pfarrhof. In ihm wohnt Pfarrer Meißner, ein ebenso liebenswürdiger als verständnißreicher Custos der Sammlungen des Meingotzhauses. Seine Vorgänger hatten gewöhnlich zwei Leidenschaften, die des Feldpredigens und des Schriftstellerns, beide wohl herrührend von kargem Mangel, denn der macht Geist und Leib beweglich. Steht’s auch jetzt nicht mehr so, vor Zeiten war die Aufsesser Pfarrei gar oft ein Hungerpastoramt, namentlich nach den schweren Leiden des dreißigjährigen Krieges. Da hatte denn Christian Kropfmüller aus Wunsiedel Recht, als er, der als Festprediger manches Jahr nach eigenem Geständniß geschlampampt und allerlei Ueppigkeit gebraucht hatte, zu seiner Reu dann „vom Saul’schen zum Paul’schen Leben“ bekehrt, zur Pön als Aufsesser Pfarr aufzog. Dagegen ging ein Pfarrherr Christian Piccart 1683 von Aufseß weg auf die fettere Weide mit den Sachsen gen die Türken. Ein anderer gewesener Feldprediger, Magister Johann Heinrich Deinel aus Plauen eröffnet den Reigen der Schöngeister als poeta laureatus; sein Nachfolger Georg Malzer konnte es auch nicht ohne Dichterlorbeer thun; 1742 kam auch noch der Pfarrer Johann Gottfried Biedermann aus Plauen als ganz artiger Schriftsteller hinzu. Den Schluß des Kranzes macht Pfarrer Lorenz Kraußold, 1831 installirt, jetzt Consistorialrath in Bayreuth, ein feiner Kopf und tüchtiger historischer Forscher. So vertragen sich Ghetto und Parnaß in dem kleinen Aufseß nahe zusammen in Frieden, gleich der aus Protestanten, Juden, Alt- und Neukatholiken gemischten Bevölkerung.

Die Zeiten liegen nicht gar ferne, da streckte sich der dichte Tann bis zu den Burgthoren hin, so daß der Burgherr mitunter bequem vom Fenster aus wohl ein frisches Wildschwein oder ein beutesuchendes Wölflein erlegen konnte. Wie der hohe Wild- und Blutbann, so schwand von der Burg der Wald, der aber immerhin in einer kleinen Viertelstunde erreicht werden kann. Trotz der alten hier und da versteckten Wolfsgruben ist seine Urwäldlichkeit dahin auf Rechnung einer geregelten Forstwirthschaft, auf die Freiherr Hans hielt. Aber einen Fleck gab’s in seinen Wäldern, da durfte die Axt nie nivellirend säubern, da wuchs Waldmeister und Farrn unter Buchen und Eichen; die Birke ragte in den Tannenbestand hinein, verschlungene Wege führten zu einfachen Sitzen unter den malerisch durcheinandergeworfenen Dolomitfelsen, an denen eine Eremitenhütte, aus Rinden gefügt, klebte. Dafür gab’s weit und breit im Revier keinen lauschigeren Schatten, dafür drang nirgends so anmuthig das Echo durch die dichten Baumkronen, dafür lohnte an keinem Orte lustiger der Amselschlag. Der Romantiker Hans nannte die waldgrüne heilige Insel die Einsiedelei.

Dahin führte er, wenn draußen der gelbe Sommer brannte, im Kreise seiner Familie liebe Gäste. Der liebenswürdige Wirth war selbst tüchtiger Musiker, auch Söhne und Töchter wurden es alle in frühen Jahren, und da gab’s denn unter den Bäumen oft prächtige Instrumental- und Vocalconcerte. Wohl huschte auch Einer der Gesellschaft plötzlich als Waldgott hinter den Felsen hervor und mit beweglichen Worten führte er einen Mummenschwank ein oder eine Komödie, die zwischen den Waldcoulissen auf einem erhöhten Felsvorsprunge meisterlich agirt wurde. Und da setzte sich denn auch der anwesende Meister Kaulbach oder sein Schwiegersohn Kreling in das Moos, und bald verkörperte sich auf dem Blatte die Gesellschaft zu einem Kreise hellenischer Götter oder noch öfter lustiger Carricaturen. Kaulbach und Kreling kehrten oft in die gastlichen Hallen ihres Freundes Hans von Aufseß ein, sie weilten darin gegenseitig anregend und angeregt. Wie manche mittelalterliche Figur, wie manche Gestalt und Idee aus der Reformation, an deren einschneidende Wirkung in Aufseß fast jeder Stein gemahnte, mag hier vor des Titanen Kaulbach stets schaffendem Geist und Griffel erstanden sein; und umgekehrt wie mag die form- und farbenreiche Phantasie Kaulbach’s den studienstrengen Ernst des torystischen Burgherren erfrischt und durchglüht haben! Noch bewahrt die Familie Aufseß ein Album wohl einzig in seiner Art, Zeichnungen Kaulbach’s und Kreling’s, die sie allein der Freundschaft und Erinnerung, dem Herzen und der Laune schufen. Die enge fruchtbare Berührung Kaulbach’s und Kreling’s mit dem Schöpfer des deutschen Nationalmuseums gäbe genug des Stoffs zu einem Buche.

Wie’s an so manchem Abend geschah, ist im Vordergrunde des Bildes (S. 808) von der Hand Kreling’s, den wir den Hausillustrator nennen dürfen, im Schloßhofe Vater, Mutter und Kind der freiherrlichen Familie an der Seite Kaulbach’s und Kreling’s vereinigt. Kaulbach, die Hauptfigur links, spricht mit kunstbegeisterten Worten, während Freiherr Hans an der Seite Kreling’s aufmerksam zuhorcht.

So wären wir nun wieder angelangt in der interessanten Burg, unter den fränkischen Ritterschlössern einer wohlerhaltenen Perle. Wir rufen ihren Zinnen Ade zu, auf den Lippen einen Wunsch, der übrigens hier wohl beherzigt wird, den Wunsch, den einst Freiherr Hans als Vermächtniß seinen Nachkommen anpries: „Erhaltet in Einigkeit die altersgraue Stammveste Aufseß und Das, was ich in Mangel größerer Mittel aus Achtung für dieselbe that, und zerstört nicht schnell in Uebermuth, was fromme Voreltern mit Mühe und Fleiß erwarben und auferbauten!“



  1. Bildniß und Lebensskizze des bekannten Freiherrn Hans von Aufseß brachte die Gartenlaube im Jahrgang 1859, S. 109 ff. Wenn wir jetzt unsere Leser in die Stammburg des Aufsessischen Geschlechts führen, so werden wir zunächst dazu veranlaßt durch den Schatten, welchen leider der Name Aufseß auf das Straßburger Universitäts-Weihefest werfen sollte, und durch seinen so plötzlichen Tod. Ist dadurch auch ein Trauerflor auf das „Germanische Museum“, das unvergänglichste Denkmal, das er sich selbst aufgerichtet, gefallen, so ist die Größe seiner Schöpfung, wie der Blick auf die helle, heitere Vergangenheit des Mannes doch recht gut geeignet, Schatten und Flor in Vergessenheit zu bringen und nur den Eichenkranz um seinen Namen zu erhalten.
    Die Redaction.