Ist das Rasiren des Bartes der Gesundheit nachtheilig oder nicht?

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Autor: Burghard
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Titel: Ist das Rasiren des Bartes der Gesundheit nachtheilig oder nicht?
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aus: Die Gartenlaube, Heft 28, S. 439–441
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1862
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Ist das Rasiren des Bartes der Gesundheit nachtheilig oder nicht?

Die obige Frage ist von einem Edinburger Arzte neuerlich aufgestellt, da in seinem Vaterlande die Bartmode mit unerwarteter Raschheit sich ausbreitet und schon die nationalglatten Untergesichter auch in der fashionablen Welt zu verdrängen droht, darob aber eine bartlose und barthassende Partei großes Geschrei erhebt und sogar Gefahr für die Gesundheit im Nichtrasiren gewittert hat. Lächerlich ist die Frage nicht, davon hat uns die Motivirung überzeugt, welche jener Arzt derselben gegeben, und mir hoffen, auch der Leser werde ihre ernste Bedeutung, sobald er uns gehört, nicht verkennen.

Fragen wir zunächst: Weshalb sollen wir uns rasiren? Weshalb das Kinn entblößen und den Kopf ungeschoren lassen? Oder, um mit einem Schriftsteller zu reden, sollen wir „den Kinnbacken weniger in Ehren halten als den Schädel, oder David’s Bart nicht so verehrungswürdig finden als Absalom’s Haarlocken“? Lassen Sie uns die Sache in Ruhe ergründen.

Rasiren ist sicherlich nicht durch das Alter des Brauches geheiligt. Die Bärte sind Altersgenossen der Schöpfung, denn jüdische Gelehrte erklären: „wir glauben mit Recht, daß unser Aeltervater Adam in der Frische des Mannesalters geschaffen wurde und in der ersten Stunde seines Lebens dastand im Schmucke eines üppigen schwarzen Bartes.“ Im Morgenlande schwört man noch heute bei Mosis Bart, und verweilt nicht der Psalmist mit Vorliebe bei dem ehrwürdigen Barte Aaron’s, welcher „herabreichte bis zum Saume seines Gewandes“? Die levitischen Priester ließen ihre Bärte wachsen, und eine bestimmte Verordnung verbot das Abstumpfen der Kanten des Bartes.[1] Lange Bärte und schleppende Gewänder wurden von den Juden der Vorzeit als Zeichen der Ehrenhaftigkeit betrachtet, und Kürzung der letzteren wie Abschneiden der ersteren waren Merkmale tiefer Erniedrigung.[2]

Alle heidnischen Götter, mit Ausnahme des Apollo, trugen buschige Bärte. Im ersten Buche der Iliade wird erzählt, Thetis habe, als sie Jupiter gewinnen wollte, mit der Rechten sein Knie, mit der Linken seinen Bart umfaßt. Gleicher Brauch wurde bei den Juden ausgeübt, wenn es galt, eine Gunst zu erwerben. So „faßte Joab mit seiner rechten Hand Amasa bei dem Barte, daß er ihn küssete.“[3] Die Zierde des Bartes zu erhöhen, durchflocht man ihn im Alterthum mit Goldfäden, und Jünglinge opferten als ihr höchstes Gut den ersten Flaum von ihrem Kinne auf dem Altare. Der Trauernde gab seine Verzweiflung durch Abschneiden seines Bartes kund. – Homer sagt den Griechen nach, sie seien wohlgeübt gewesen in der Kunst, den Bart zu pflegen: er selbst verabscheute die Vernichtung desselben, denn sein „rauhes Antlitz“ war versteckt „im alterstarrenden Gewand des Winterschnees“. Nach Athenäus trugen alle Griechen Bärte bis zur Zeit des Alexander, welcher seinen Macedoniern das Bartabschneiden anbefahl, weil der Feind im Kampfe sie am Barte ergreifen könnte. Die Athener schoren sich auch ohne diesen Zwang den Bart, bis Justinian die struppige Staffage der Gesichter wieder in Mode brachte. Die Philosophen des alten Griechenlands waren der Länge ihres Bartes [440] halber berühmt, und Lucian erzählt von einem derselben, welcher um eine Professur sich bewarb, jedoch der Kürze seines Bartes wegen zu solchem Amte untauglich befunden wurde. 400 Jahre lang, sagt [Cicero]], gab es keine Barbiere in Rom; sie kamen, wie Plinius meldet, zuerst 454 v. Chr. von Sicilien nach Rom, und Scipio rasirte sich täglich. Verfeinerte Cultur, aber auch verweichlichende und schließlich die Nation verderbende Sitten entstanden und wirkten fort mit der Bartlosigkeit der Römer.

Was unsere Altvordern anbetrifft, so steht es fest, daß langes Haar und langer Bart das Ehrenzeichen der Freien und Edlen war. Die Angelsachsen schoren sich niemals; Druiden und Barden waren langbärtig, so berichtet Julius Cäsar.[4] Die Langobarden erhielten ihren Namen von ihrem Barte, wie Friedrich den des Barbarossa (Rothbart, später Robert). Die stolzen Bärte deutscher Ritter verschwanden, mehr und mehr, als die Kreuzzüge sie über die vaterländischen Grenzen und Interessen hinauslockten und in fremden Sitten verkommen ließen. Als in Frankreich zwei Monarchen, Ludwig XIII. und XIV., herrschten, welche beide während ihrer Minorennität den Thron bestiegen, schoren die Hofleute aus Kriecherei sich das Kinn glatt, und unser Volk in elender Nachahmungssucht that ebenso. Doch deutsche Bärte gingen so wenig verloren, als deutsche Kraft und deutscher Freiheitssinn; sie tauchten, sobald die Zeit dazu kam, wieder auf, und des Kraft- und Turnvaters Jahn Silberbart erschien bei dem neuen Aufschwunge des Volkes verjüngt und den Zopfträgern zum Schrecken wieder auf den Gesichtern der Demokraten und der patriotischen Jugend.

Wir wollen die Geschichte der Bärte nicht weiter verfolgen, nicht an ihre politische Bedeutung erinnern, nicht daran, daß Peter der Große wohl die Russen, aber nicht ihre Bärte bezwang; es ist genügend bewiesen, daß der Gebrauch des Scheermessers nicht durch das Alterthum geheiligt ist und nur als ein die nationale Entwicklung und den Freiheitssinn störendes Element sich einbürgerte.

Entbehrlich scheint es, weitläufig zu beweisen, daß ein bärtiges Gesicht der männlichen Schönheit weit mehr entspricht, als ein mönchisch glattgeschornes. Was giebt es Ehrwürdigeres als das Bild des Homer, welches Tennyson also zeichnet:

„In’s Antlitz eingekerbt der Runzeln tausend,
Einhundert Winter hingeschneit auf seine Brust,
Herab von Wange, Hals und Kinn.“

Welche würdige Ruhe, welche tiefe Weisheit schwebt um den goldnen Bart des Aesculap! Die Väter unserer Kirche waren sich der Würde eines Bartes wohl bewußt. Clemens von Alexandrien sagt: „der Bart erhöht die Schönheit eines Mannes ebenso viel, als dies ein reiches Kopfhaar bei dem Weibe thut.“ Selbstverständlich können wir in ästhetischer Beziehung nicht alle Bärte empfehlen. Es giebt solche, welche das Gesicht nicht verschönern, z. B. der des Hudibras –

„Der ob’re Theil von ihm war milchig blau,
Der untere orangegelb mit grau.“

Wir denken nur an einfarbige, wohlerhaltene, nicht an schmutzige Judenbärte, an die Bärte der Abrahams und Isaaks und Jacobs, welche bis auf den Gürtel Herabreichen. Wir bewundern die reizende Form der Bärte in den Bildern des van Dyk, ihre bezaubernde Schönheit bei G. Dow und Anderen. Wir staunen den Bart des Ritters Räuber aus Maximilian’s Zeit an, welchen er

„– – um einen Stab gewickelt,
Gleich dem Paniere in die Lüfte flattern lies;.“

Die Allgewalt und Allmacht bekleidet der Künstler mit dem Schmucke des reichsten Bartes. Am bartlosen Kinne erkennen wir Knaben, Weiber, Eunuchen. Wir mißtrauen der Vollkommenheit der Mannheit, wenn der Bart sich lichtet und ergraut, aber wir fühlen uns hingezogen zu der männlichen Kraft des Antlitzes, in welchem

„– des Auges Feuer hebt gebräunter Wangen Roth
Und schwarzen Bartes schattige Umrahmung.“

Ein lachender Philosoph (Democritus) meint, das Wegputzen des Bartes habe dieselbe Bedeutung wie das Stutzen des Geweihes und der Sporen bei Hirsch und Hahn, und die Fruchtbarkeit der Juden und Orientalen hänge vielleicht von ihren Bärten ab. Soweit gehen wir nicht in unserer Behauptung, aber wir machen darauf aufmerksam, daß, so lange man Bärte trug, mehr Männlichkeit unter Männern, mehr Gehorsam bei den Weibern herrschte.

Ist Bartscheeren nun etwas Angenehmes? Der geneigte Leser mittleren Alters streicht mit Daumen und Zeigefinger bei dieser Frage über sein „grauliches Kinn“, welches er dreißig Jahre lang täglich unter Angst und Zittern mit der scharfen Klinge tractirte, stößt ein höhnisches, ingrimmiges Lachen aus und denkt, der gesunde Verstand verbiete solche Frage! Was sagt Byron?

„Dem Mann ist mit dem Sündenfall in’s Kinn
Der Bart gepflanzt als ewig tastend Erbe.“

Und behauptet nicht Martinus Scriblerus – freilich unserer obigen Annahme entgegen – Adam sei erst, nachdem er gesündigt, bärtig geworden und die Qual des Rasirens auf seine Nachkommen vererbt, damit der Mann im Laufe seines Lebens durch tägliche Abzahlung den Gesammtbetrag der Leiden erdulde, welche das Wochenbett dem Weibe bereite? Wir sind in diesem Punkte befriedigt, haben nicht nöthig, an alle die Widerwärtigkeiten zu erinnern, welche stumpfe Messer, blinde Spiegel oder unser Gesicht betastende stinkende Barbierhände, blutdürstige Jünger der Bartscheerkunst, uns bereiten. Angenehm ist das Rasiren niemals!

Die wichtigste Frage aber lautet: Ist das Bartscheeren der Gesundheit förderlich? Wir denken: Nein! und wollen unsere! Gründe nennen. Ein neuerer Dichter sagt:

„Kein Theil am Menschenkörper ohn’ zwiefachen Zweck,
Zu fest’gen hier und auszuhelfen,
Zu runden dort und zu verschönen.“

So ist der Bart uns nicht blos als ein Ornament der Manneskraft und Frische gegeben, auch gewiß nicht allein zu dem Zwecke, dem schönen glattwangigen Geschlechte gegenüber für den Mann ein mächtiger Alliirter zu sein, sondern seine Bestimmung ist auch Erhaltung der Gesundheit.

Der Schnurrbart ist ein natürlicher Respirator, das Haar an Backen, Kinn und Hals soll Wärme und Schutz den zartgebauten Nachbarorganen geben, namentlich dem Schlunde und dem Kehlkopfe als eine naturwüchsige Cravatte. Vernichten wir also nicht die Absichten der Vorsehung, wenn wir uns rasiren? Dr. Szokalski machte 1803 an 53 kräftigen Männern, zwischen 25 und 45 Jahren alt, welche früher den ganzen Bart trugen und jetzt sich denselben abschoren, folgende Beobachtungen. Alle fühlten, anfangs ein unangenehmes Frösteln, nur vierzehn gewöhnten sich schnell an den Wechsel und verspürten weiter keinen Nachtheil; die Anderen aber litten in verschiedener Weise. Siebenundzwanzig wurden von Schmerzen in den Zähnen und Kinnladen befallen, – nämlich elf von Zahnweh und Gesichtsschmerz und sechszehn von rheumatischer Entzündung des Zahnfleisches. In sechs Fällen schwollen die Unterkieferdrüsen, und in vierzehn Fällen machte der Knochenfraß bereits kranker Zähne rasche Fortschritte. Er stellte Vergleiche an bei vierzig Männern von dreißig Jahren, die eine Hälfte barttragend, die andere geschoren. Bei der ersten Hälfte waren nur acht Zähne ausgegangen, bei der zweiten nicht weniger als sechsundzwanzig. Bei Einzelnen wich das nervöse Zahnweh nicht eher, als bis der Bart wieder gewachsen war.

Es steht fest, daß das Rasiren schwächliche Personen sehr empfänglich macht für Temperaturwechsel und somit zu Krankheiten geneigter; es ist wahrscheinlich, daß Bartlose leichter von Lungenschwindsucht (tuberculösem Nachschub) befallen werden als Bärtige, und in Frankreich, wo man sehr viel Bärtige sieht, findet man diese Krankheit überwiegend bei dem weiblichen Geschlechte. Der Bart wärmt und schützt den Mund, die Zähne und die Speicheldrüsen, bewirkt also mit, daß diese für unsere Ernährung wichtigen Organe gesund und kräftig bleiben. Er entwickelt sich beim Manne eben zu der Zeit, in welcher die größte Thätigkeit und Kraft der Verdauung nothwendig ist. Es ist von Andral und Gavarret bewiesen, daß die Thätigkeit des Blutbereitungsprocesses in bestimmtem Verhältnisse steht zur Menge der in einer gewissen Zeit ausgeathmeten Kohlensäure. Wir wissen aber, daß diese Ausathmung am stärksten ist, wenn der Bart hervorwächst. Man hat gefunden, daß Frauen während ihrer geschlechtlichen Blüthe halb so viel Kohlenstoff aufnehmen, als von Männern durch das Athmen verändert wird; aber seltsam genug ist es, daß nach dieser Periode mehr Kohlenstoff von ihnen verzehrt wird und dann nicht selten Bartspuren auftreten, welche ihr Gesicht eben nicht verschönern.

Die Eingeborenen kalter Länderstriche haben dickere, stärkere Bärte, als die der warmen Klimate, weil in nördlichen Breiten die Natur eine besondere Thätigkeit der Speichel- und Kauorgane erfordert, damit eine Menge Nahrung verdünnt und in das Blut aufgenommen werden kann, groß genug, die mit der Blutbereitung [441] sich entwickelnde thierische Wärme dem Körper in genügendem Maße zu erhalten. Als Respirator nützt uns der Bart, wie keine Kunst mit Drahtgeweben dasselbe leisten kann, und dazu sitzt dieser Respirator nicht wie ein schwarzes Siegel im Gesichte, ähnlich dem Stempel eines Passes mit dem Visum in das Reich der Leiden und des Todes. Das Haar des Schnurrbartes nimmt nicht nur Nässe und Miasmen der Atmosphäre auf und hindert mechanisch das Eindringen von Staub und Rauchschmutz in unsere Luftwege, sondern wirkt auch strengwissenschaftlich, aus der ausgeathmeten Luft Wärme aufnehmend und solche der in die Brust einströmenden wiedergebend. Und wie bequem ist dieser Respirator zu tragen! Er wird niemals zu Hause gelassen, wie Schirm und andere Dinge, welche immer fehlen, sobald man ihrer bedarf. Professor Alison beobachtete schon vor vielen Jahren, daß die Steinhauer nur zum kleinsten Theil das vierzigste Jahr überschritten, weil sie in Folge des steten Einathmens feiner Staubtheilchen schwindsüchtig wurden; er empfahl diesen Leuten, den Bart auf der Oberlippe stehen zu lassen (wir athmen vorzugsweise durch die Nase), und es bewies sich der Schnurrbart äußerst wirksam.

Niemand wird die wärmende Eigenschaft des Halsbartes bezweifeln. Die afrikanischen Entdeckungsreisenden Livingstone, Moffat und Andere behaupten, für eine Nacht im Freien komme keine Umhüllung dem Barte an Werth gleich. Merkwürdig aber ist es, daß der Bart gleich dem Kopfhaare auch gegen die Sonnenhitze schützt. Hier wirkt er wie das Strohdach des Eishauses, aber noch besser, denn die ihn durchdringenden Schweißtropfen kühlen, indem sie verdunsten, die Haut. Wer diesen Schutz der Natur annimmt, kann dem rauhen Sturme und dem strengsten Winter Trotz bieten; er kann ungestraft aus heißem Zimmer in die Winterkälte hinaustreten. Deshalb sollen Locomotivführer, Eisenbahn-Couducteurs, Postillons, Nachtwächter, Polizisten Bärte tragen. Verkehrt ist das Verbot, daß Matrosen und Soldaten den vollen Bart nicht führen sollen. Es liegt die Erfahrung vor, daß Soldaten mit Schnurrbart von katarrhalischen Uebeln weit mehr verschont blieben, daß bartlose Rekruten am häufigsten wegen Brustentzündung in die Hospitäler wanderten.

Wem also Gott ein bärtiges Gesicht gegeben, der wahre diesen Schatz als Manneszier und seinem körperlichen Wohle zum Schutz und Trutz, und wer von uns erst heute überzeugt wurde von dem Werthe eines Bartes, welchen er als nutzlos bisher vernichtete, er verlache unbärtiger Moden Zwang und barterschrockener Reactionäre politische Bedenken; er schleudere hinaus zum Fenster Scheermesser, Streichriemen, Pinsel, Seifenbüchsen und wie die Folterwerkzeuge alle heißen!

Burghard.



  1. 3. Buch Mosis, Cap. 19, 27.
  2. 2. Buch Samuelis, Cap. 10, 4.
  3. 2. Buch Samuelis, Cap. 20, 9.
  4. Gallischer Krieg, Buch 5, Cap. 14.