Das erste deutsche Bundesschießen in Frankfurt a. M.

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Autor: Karl Wagner
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Titel: Das erste deutsche Bundesschießen in Frankfurt a. M.
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 28, 31, 33–34, S. 441–44, 461, 492–494, 521–528, 542–544
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1862
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Das erste deutsche Bundesschießen in Frankfurt a. M.[1]

1. Die Vorbereitungen.
Von Dr. Karl Wagner.

Uns Deutschen ist es von der Vorsehung absonderlich schwer gemacht worden, frei, einig und mächtig nach innen und außen zu werden. Unsere ganze geschichtliche Entwickelung, vierunddreißig souveraine Häupter und der durch sie genährte königlich, großherzoglich, herzoglich etc. privilegirte Localpatriotismus, der lose Zusammenhalt unserer bundesstaatlichen Organisation, religiöse Verschiedenheiten, Particularismus an allen Ecken und Enden, das Interesse des Auslandes an unserer Zerstückelung und viele sonstige, hundertmal besprochene Ursachen haben alle dazu gedient, uns von einander zu entfernen, anstatt uns zusammenzuführen. Der tiefe Riß zwischen Nord- und Süddeutschland oder – damit wir lieber das Kind beim Namen nennen – zwischen den Cabineten von Wien und Berlin, die Eifersucht zwischen den dort herrschenden Dynastien, denn die Abneigung zwischen den nord- und süddeutschen Volksstämmen wäre in der That leichter auszugleichen – sie tragen die Hauptschuld an diesen unseligen Zuständen, ihnen fällt manche unheilvolle That zur Last. Muß es nicht das Herz eines jeden Deutschen mit Wehmuth und Zorn erfüllen, wenn er ruhig zusehen muß, wie die Diplomaten zweier Großstaaten jetzt wieder mit einem braven und biedern Stamme, der schwergeprüft mit unsäglicher Langmuth das fast Unerhörte getragen hat, ihr Ballspiel spielen und dessen unglückliches Land zum Schauplatz ihrer Absichten machen, wenn in einem andern Staate, nachdem der Fortschritt sich kaum einen Fuß breit neuen Boden erobert, die Reaction wieder drohend ihr Haupt zu erheben wagt? Angesichts dieser und ähnlicher Thatsachen möchte man fast den Muth sinken lassen und an allem Besserwerden, wenigstens auf dem bisher betretenen Wege, verzagen, – wenn nicht zwei Großmächte, die den anderen Großmächten heutzutage gewaltig zu schaffen machen, mit uns im Bunde wären, der Geist der Zeit und der zum Bewußtsein seiner selbst erwachte Geist des Volkes.

Der Geist der Zeit, der die Völker aller Zungen zum friedlichen Austausch ihrer materiellen und geistigen Erzeugnisse auf einen Punkt zusammenruft, der über kurz oder lang die Vorurtheile zwischen den Nationen schwinden machen wird, er duldet es nicht, daß Volksstämme, die eine Sprache reden, sich feindlich gegenüber stehen, er kann es nicht dulden, denn er würde sich selbst untreu werden. Und ebenso ist mit diesem Geiste, der auch die leuchtende Fackel der Wissenschaft schwingt, jeder Anklang an mittelalterliches Feudalwesen und an dumpfe Verfinsterung der Gemüther durch religiösen Wahn unvereinbar. Als einen Ausfluß dieses vereinigten Volks- und Zeitgeistes dürfen wir wohl mit Recht die Gründung des deutschen Schützenbundes und das von demselben veranstaltete erste deutsche Bundesschießen betrachten, welches in diesen Tagen vom 13. bis 20. Juli in der freien Stadt Frankfurt a. M. stattfinden wird.

Das deutsche Schützenwesen, ein so bedeutsames Culturmoment es auch in unserer Geschichte in früheren Jahrhunderten war, hatte längst aufgehört, einen wesentlichen und fördernden Einfluß auf unsere nationale Entwickelung zu äußern. Es fehlte ihm ganz und gar jede höhere Bedeutung und jene einheitliche Tendenz, welche z. B. das schweizerische Schützenwesen zu einer so tief in das nationale Leben der Schweiz eingreifenden, heilsamen Einrichtung gemacht hat. Es gab und giebt zwar heutzutage noch an vielen Orten sogenannte Schützengilden, auch werden von den meisten derselben alljährlich noch „Schützenfeste“ veranstaltet. Aber das ganze Auftreten und Gebahren dieser Gesellschaften ist mit wenigen Ausnahmen – dahin gehört z. B. das Schützenthum von Bremen – eher eine Persiflage auf die fortgeschrittene Schießkunst unserer Tage, als eine ernstliche Uebung in den Waffen zu nennen. Man schießt auf ganz kurze Distancen (250–400 Fuß) und meistens aufgelegt. Die Schützenfeste in den Provinzialstädten sind zu einer lächerlichen Komödie, zu einem niedern Jahrmarkt mit Volksbelustigungen herabgesunken. Der großmächtige Federbusch auf dem Hute, die von der Schulter bis zur Ferse Herabwallende breite Schärpe, der rasselnde Säbel an der Seite und die Sporen an den Füßen spielen eine Hauptrolle. Das Ganze läuft auf nicht viel mehr als auf Befriedigung kleinlicher Eitelkeit und Soldatenspielerei hinaus. In den Schießständen ist der Vogel das Hauptziel, dessen einzelne Stücke auf ganz kurze Distancen abgeschossen werden. Wer das Glück hat – denn die Kunst ist bei diesen Schießen wahrlich nicht entscheidend – den Rumpf vom Pfahl zu schießen, wird zum Herrn und König ausgerufen und mit schweren güldenen Ketten und Schildern behängt. Daß von solchen Helden im Fall der Noth kein Heil für das Vaterland zu erwarten sei, bedarf keines Nachweises. Man hat bei dem vorjährigen Schützenfeste in Gotha das Unnütze und Zweckwidrige der gegenwärtigen Einrichtungen sofort erkannt und mit rückhaltloser Offenheit diese Seite des deutschen Schützenwesens, welche es bei den Gebildeten der Nation in Mißcredit gebracht hat, gegeißelt. Soll das deutsche Schützenwesen wirklich zu neuem Leben erstehen und als ein die vaterländischen Interessen thatkräftig förderndes Institut, Anspruch auf die Theilnahme der Nation machen dürfen, so ist eine durchgreifende Reform desselben dringend geboten. [442] Dem im Herbst vorigen Jahres zu Bremen gegründeten Schützenbunde gebührt das Verdienst, die ersten Schritte auf dieser Bahn gethan zu haben. Die Vertreter von mehr als hundert Schützengesellschaften, welche den Ausschuß für die Berathungen zu Bremen constituirten, haben als leitende Gesichtspunkte bei der Gründung des deutschen Schützenbundes aufgestellt: „die Vervollkommnung in der Kunst des Schießens und dadurch Hebung der Wehrfähigkeit des deutschen Volkes und die Verbrüderung aller deutschen Schützen“. Diese Ziele wird man von nun an unverrückt im Auge behalten und damit dem Vaterlande eine gut verbreitete und leicht bewegliche Wehrkraft zuführen, welche gleichsam als Ergänzung der stehenden Heere in den Tagen der Gefahr dienen soll und wird. Zu diesem Behuf war vor Allem auf eine einheitliche, leichte und handliche Waffe Bedacht zu nehmen, und man hat daher den Schweizer Ordonnanzstutzen als Bundeswaffe[2]angenommen. Dieselbe darf nur zwölf Pfund wiegen. Auf die Feldscheiben sollte eigentlich schon beim diesjährigen ersten Bundesschießen nur mit der Schützenwaffe geschossen werden, doch hat man diese Bestimmung in Anbetracht, daß sich die Einheit der Waffe nicht so rasch herstellen lasse, und um nicht dadurch Theilnehmer vom Feste abzuhalten, nachträglich für diesmal wieder aufgehoben. Aus ähnlichen Rücksichten hat man die ursprüngliche Bestimmung der in Bremen vereinbarten Schießordnung, daß nur aus freier Hand geschossen werden dürfe, dahin modificirt, daß auf 10 von den 100 aufgestellten Scheiben das Aufgelegt-Schießen gestattet ist. Der freie Handschuß soll jedoch natürlich bei Weitem vorwiegend bleiben. Die Schußlänge der Standscheiben beträgt 175 Meter (1 Meter ungefähr – 3 Fuß), die der Feldscheiben (Mannsscheiben) 300 Fuß. Man sieht also, daß der Schütze, der sich auf diese Entfernungen tüchtig eingeschossen hat, seine Kunst auch anderswo als auf dem Schießplatz, d. h. im Felde und wo er ihrer ernstlich bedarf, verwerthen kann. Aber auch bei Feststellung der Schützenkleidung hat der Ausschuß des Schützenbundes bewiesen, wie sehr ihm zeitgemäßes Vorgehen und Zweckmäßigkeit am Herzen liegt. Die dunkelgraue Joppe (mit Zündhütchentäschchen, grünem Kragen und Passepoil), weit genug, um nöthigenfalls noch einen Rock unterzuziehen, sowie der dunkelgrüne Filzhut haben den Sieg über die buntscheckigen Schützenuniformen davon getragen, denen man beim Schützenfeste in Gotha noch in ziemlicher Menge begegnete.

Mit Beseitigung alles veralteten Plunders und unnützen Trödelkrams, mit gänzlicher Aufgebung des alten Schlendrians hat der deutsche Schütze fortan seine Ehre nur in der geschickten Behandlung der Waffe zu suchen. Diesen Gedanken, diese Gesinnung sollen die alle zwei Jahre stattfindenden deutschen Nationalschießen überall im Vaterlande zum Durchbruch und zur Ausführung bringen helfen. Ob sie ihre Aufgabe erfüllen? Wir wollen es wünschen und zugleich hoffen, daß an kleinlichen Bedenken nicht wieder große Ziele scheitern. Jedenfalls aber werden sich durch das persönliche Zusammentreffen auf diesen Festen die verschiedenen Volksstämme näher rücken, mit erweitertem Gesichtskreis und befruchtet mit neuen anregenden Anschauungen in die Heimath zurückkehren und so zur allmählichen Ausgleichung vieler Vorurtheile und Gegensätze beitragen. In diesem Sinne heißen wir das erste deutsche Bundesschießen willkommen und ersuchen den Leser, mit uns eine Wanderung auf den Schauplatz desselben, die alte, echt deutsche Stadt Frankfurt am Main, anzutreten.

Bei dieser Wanderung durch die berühmte Krönungsstätte des weiland heiligen römischen Reiches deutscher Nation wird er auf Schritt und Tritt die Spuren einer im großartigsten Maßstabe angelegten vorbereitenden Festthätigkeit treffen. So mag es einst in dieser Stadt hergegangen sein, da man sich zum würdigen Empfang und zur Krönung der deutschen Kaiser rüstete, nur daß der zu erwartende Fremdenzudrang in keinem annähernden Verhältniß mit dem damaligen steht, denn – selbst die Kaiser fuhren damals noch nicht auf Eisenbahnen. Zehn Festcomités, welche sich in förmlich und genau organisirter Verwaltung in die verschiedenen technischen, finanziellen, künstlerischen, literarischen etc. Geschäftszweige theilen, haben alle Hände vollauf zu thun. Sitzungen folgen auf Sitzungen, viele Hunderte von Arbeitern sind seit Monaten für das Fest thätig, die Annoncen in den Zeitungen, die Auslagen in den Erkern, Alles weist darauf hin; es bildet den Ein- und Ausgangspunkt aller Gespräche und greift tief in die ganze bürgerliche Thätigkeit der Stadt und in viele Privatverhältnisse ein.

Die Betheiligung der Behörden und der Bürgerschaft ist im Allgemeinen eine sehr rege, mit Ausschluß der sogenannten Crème der Gesellschaft, welche dem Nationalfeste keinen angenehmen Geschmack abzugewinnen scheint. Nicht die leichteste Ausgabe ist dem Wohnungscomité zugefallen, denn es ist keine Kleinigkeit, in einer großen Stadt wie Frankfurt, in der jedes Eckchen Raum von hohem Werth ist und die, wie andere große Städte, auch ein Lied von der Wohnungsnoth zu singen weiß, eine Schaar von 5–6000 Schützen und die gewiß fast doppelte Anzahl von Verwandten und Freunden, die in den Familien zum Besuch des Festes eintreffen, gastfreundlich unterzubringen. Man hat sich deshalb genöthigt gesehen, Schulen und andere öffentliche Gebäude für die Unterkunft der Schützen herzurichten und das Bettwerk zum Theil von außerhalb zu verschreiben. So hat der Großherzog von Baden, der als echt deutscher Fürst alle nationalen Bestrebungen befördert und unterstützt, dem Festcomité 1800 ganz neue Betten aus den badischen Militairdepots zur Verfügung gestellt. Man hatte anfänglich höchstens auf 4000 Festtheilnehmer gerechnet. Nachdem aber jetzt der bekannte Conflict wegen des Erscheinens italienischer Schützen beim Feste glücklich beigelegt ist, laufen die Anmeldungen aus Süddeutschland, besonders aus Baiern, massenhaft ein und wird die oben genannte Zahl von 5–6000 Schützen ohne Zweifel erreicht werden, worunter sich allein 600 Schweizer befinden. Viele deutsche Eisenbahnen befördern die Schützen zu ermäßigten Fahrpreisen, eine österreichische sogar ganz umsonst. So ist auch der baierische Staatstelegraph dem Festcomité zu freier Benutzung überlassen.

Der großen Betheiligung von Einzelnen und Vereinen entspricht auch die Masse und der Werth der angemeldeten und einlaufenden Ehrengaben, die sich bis jetzt schon auf annähernd 200 belaufen und einen Gesammtwerth von ungefähr 45,000 Gulden darstellen; die geringste derselben ist 18 Gulden werth. Aus einer einzigen Stadt z. B. (Stuttgart) kommen zwölf Gaben in Silber und Gold, Hanau sendet das Hermanns-Denkmal, vier Fuß hoch, in Silber, Gold und Bronze; Pokale und Trinkhörner im Werthe bis zu 600 Gulden, kostbare Büchsen, Pistolen und Revolver, in Silber ausgelegt, Uhren in Gold und Silber, Pendules, silberne Bestecke und dergl. sind in Fülle vorhanden. Viele Buchhändler Deutschlands senden ihre besten Verlagswerke in Prachteinband, Oelgemälde von vorzüglichen Meistern sind aus München, Frankfurt, Lemberg beigesteuert, darunter ein Morel aus dem Jahre 1681. Aus allen Theilen Deutschlands sind Gaben edlen Weins eingetroffen, und die Fässer, in denen derselbe verwahrt ist, sind fast alle Meisterwerke feiner Arbeit. Kurz, die Ausstellung sämmtlicher Preise wird eine deutsche Industrieausstellung im Kleinen bilden. Die bedeutenden von der Stadt Frankfurt, von Vereinen und Einzelnen ausgesetzten Geldpreise sind in einer früheren Nummer der Gartenlaube bereits erwähnt worden.

Verfügen wir uns vor das Friedberger Thor auf den Schauplatz des Schießens selber, so stoßen wir auch hier auf jenes buntbewegte und anregende Treiben, welches einem großen Feste vorauszugehen pflegt und das Ergötzen aller Flaneurs bildet, die sich halbe Tage lang mit neugieriger Betrachtung und Kritik aller Einrichtungen auf dem Festplatze unterhalten. Zwischen Bergen von Hobelspähnen, Bretern, Balken und Moos rennen geschäftig und schaffend die Zimmerleute, Schreiner, Decorateure, Maler und Gärtner hin und her, um die großartigen Baulichkeiten ihrer Vollendung zuzuführen. Die Entwürfe zu den Festgebäulichkeiten sind von Herrn Architekten Pichler. Mit den Localitäten des Festplatzes ist der Leser im Allgemeinen schon in einer früheren Nummer der Gartenlaube bekannt gemacht worden. Der Vollständigkeit halber seien hier die Hauptdata nebst einigen Ergänzungen nochmals in Kürze angeführt. Der Festplatz ist ein 480,000 Quadratfuß großes, mit [443] einer Holzwand eingefaßtes Feld, zu dessen Decoration 600 Tannen, 300 Fichten und 100 Birken aus unserm Stadtwalde wandern. Er wird mit einer Gaseinrichtung, Wasserleitung und Springbrunnen versehen. An seiner Nordseite ziehen sich die 1170 Fuß langen und 50 Fuß breiten (ungefähr ebenso lang, freilich viel breiter, ist das Londoner Ausstellungsgebäude) Schießstände hin, an der Ostseite eine große, für 100 Personen eingerichtete Badeanstalt, die Festhalle und hinter derselben die 180 Fuß lange und 80 Fuß breite Küche mit vielen geräumigen Nebenlocalitäten zum Anrichten, Tranchiren, Spülen etc. Es lohnt der Mühe, einen Blick in die großartigen Einrichtungen der Küche zu werfen, die nun beinahe vollendet ist. Sie ist mit eigener Dampfmaschine und laufendem Wasser versehen. Vier kolossale Heerde, von denen einer zwanzig Riesenkessel und acht Bratöfen enthält, sind im Stande, täglich fünfundzwanzig Kälber und vier schwere Ochsen nebst fünfzehn Centner Kartoffeln und grünem Gemüse zu braten und zu kochen. Eine kleine Beilage auf das Gemüse erfordert drei bis vier Centner Bratwürste, dürres Schweinefleisch, Häringe oder dergleichen. Salat werden ungefähr 30,000 Köpfe bestellt. Ein Conditor hat sich verpflichtet, täglich 400 Stück große Torten zu liefern. Der Mittagstisch, zu dem die Karten jedesmal bis um zehn Uhr Vormittags gelöst sein müssen, ist warm und kostet mit einer halben Flasche Schützenwein 1 fl. 24 Kr. Die Küche ist im Stande, am Abend 10,000 Portionen, wovon ein Fünftel warm, abzugeben. Das Bäckerhandwerk hat die tägliche Lieferung von 16,000 Stück Brödchen, sowie 1000 dreipfündigen Broden übernommen. Das Metzgerhandwerk wird für den Consum der Festhalle 300 Kälber aus der Ferne kommen lassen, um die Preise in der Umgegend nicht in die Höhe zu treiben. Im Keller soll ein täglicher Umsatz bis auf 30,000 Flaschen Wein, sowie einer ebenso großen Anzahl Seidel Bier möglich gemacht werden. Diesen Zahlen entsprechend ist natürlich auch das aus beinahe 500 Personen bestehende Bedienungspersonal (Beamte des Beimanns, der Controle und der Cassa, Köche, Kochfrauen, Sectionschefs, Aufwärter, Metzger, Küfer, Mädchen für Zurichten der Gemüse und Reinigen der Tafelservice, Tagelöhner etc.), für welches ein vorzüglich organisirter Dienst mit streng vorgeschriebener Hausordnung eingerichtet und bereits publicirt ist. Und diesem Riesentreiben sehen die Wirthe der eidgenössischen Schießen, welche die Festwirthschaft in Frankfurt übernommen haben, laut eines früheren Schreibens derselben „in der Hoffnung auf günstiges Wetter und heitere Feststimmung mit aller Ruhe entgegen.“ Man sieht also, für die materielle Seite des Festes ist glänzend gesorgt – möchte ihm auch die geistige entsprechen!

Kehren wir jedoch von der Küche in die Festhalle zurück, welche dem Leser in nächster Nummer in Abbildung vorgeführt wird. Ein imposanter und stolzer, schon von Weitem sichtbarer, sehr hoher Holzbau, besteht sie aus einem Längsschiff von 400 Fuß und einem Mittelschiff von 100 Fuß, welche zusammen eine Kreuzesform bilden. Dem Hauptschiff entlang laufen niedrigere Seitenhallen. Das ganze Holzwerk ist von innen und außen dicht mit Moos, Laubwerk, Festons und Blumen verkleidet. Die Tragsäulen sind mit schwarz-roth-goldenen Fahnen und den Wappen sämmtlicher Bundesstaaten decorirt.

Die ganze innere Halle ist in einen blühenden Garten mit rauschenden Cascaden und kühlenden Springbrunnen verwandelt. Von ihrer offenen, nur mit leichten Leinwandhüllen versehenen Hauptfronte aus übersieht man bequem den ganzen Festplatz. An der innern Seite des Längsschiffes laufen Gallerien hin, während an den beiden Enden des Mittelschiffes weite Tribünen für die Orchester, die Productionen der Gesangvereine etc. angebracht sind. Unter denselben befinden sich vier vom Historienmaler Lindenschmitt ausgeführte Gemälde, welche vier Hauptschlachten darstellen, in denen die Deutschen den äußeren Feind zurückschlugen: die Schlacht im Teutoburger Wald gegen die Römer, die Schlacht im Lechfeld gegen die Ungarn, die Schlacht bei Wien (1683) gegen die Türken und die Schlacht an der Katzbach gegen die Franzosen. Die zwischen diesen Schlachtgemälden angebrachten Bilder von Armin, Karl dem Großen, Otto I., Prinz Eugen, Stein und Blücher sollen außerdem die Hauptrepräsentanten der Freiheitskämpfe der Deutschen darstellen. Im äußeren Giebelfelde des Mittelschiffes ist Germania, unter ihre Söhne die Waffen vertheilend (von Maler Hausmann) abgebildet.

Setzen wir unsere Wanderung über den Festplatz fort, so finden wir auf der Südseite desselben die 300 Fuß lange Bierhalle, den Verkaufsbazar, die Post- und Telegraphenbureaux, Localitäten für die Feuerlösch- und Wachmannschaften, Zimmer für die Aerzte und das Preßbüreau. In der Mitte des Platzes erhebt sich der in gothischem Styl ausgeführte 64 Fuß hohe, mit den Fahnen sämmtlicher Schützenvereine und der von Bildhauer Nordheim in Gyps ausgeführten Statue der Germania gezierte Gabentempel. Ihm gegenüber an der Westseite öffnet sich die in reichem schwarz-roth-goldnem Fahnenschmuck wie alle Festgebäulichkeiten prangende Eingangspforte. Auf einem zweiten, viel größeren und ohne Eintrittsgeld Jedermann zugänglichen Festplatze, welcher dicht an den ersten stößt, auf der sogenannten Bornheimer Haide, werden der Circus Suhr und Hüttemann und die sämmtlichen Volksbelustigungen, sowie eine große Anzahl von Restaurationen und Gartenwirthschaften concentrirt sein.

Haben wir den Leser der Gartenlaube sonach mit dem Schauplatze des ersten deutschen Bundesschießens, das am Sonntag den 13. Juli mit einem glänzenden Festzuge beginnt, einigermaßen bekannt gemacht und ihn auf dasselbe vorbereitet, so können wir demselben jetzt, wie die Schweizer Festwirthe, „in der Hoffnung auf günstiges Wetter und heitere Feststimmung in aller Ruhe entgegensehen“ und werden nicht verfehlen, ihm später alles weiter Wissens- und Mittheilenswerthe und den ganzen Verlauf des Festes zu referiren. Möge der Geist, der es in’s Leben gerufen, über dem ersten Bundesschießen segnend walten!



[461]

Die Schützen-Festhalle in Frankfurt.

[492]
2. Der Einzug der Gäste.

Unser Schützenfest hat eine ganze Geschichte, eine Leidensgeschichte, deren Abschluß freilich jetzt, nachdem ein Theil desselben verlaufen ist, ein recht glücklicher und segenverheißender geworden ist. Zuerst hatten wir mit den Menschen zu kämpfen und dann mit den Elementen. Es schien sich Alles wider das Fest verschworen zu haben, und daß es dennoch so herrlich zu Stande gekommen, beweist nur, wie sehr es dem deutschen Volke, wie sehr unserer Vaterstadt an’s Herz gewachsen war und welch eine große Rolle es in der Culturgeschichte Deutschlands zu spielen berufen ist.

Das deutsche Bundesbanner.
Vordere Seite.

Der erste Unfall, welcher das Fest betroffen, war der bekannte und auch in der „Gartenlaube“ schon kurz berichtete Zwist, welcher wegen der angeblichen Einladung der Italiener zum Nationalschießen auszubrechen gedrohte hatte. Als diese Schwierigkeit beigelegt war, traf ein viel schwererer Schlag das Fest.

Schon war in der Woche vor dem Feste Alles auf’s Beste gerüstet und zum Empfange der Gäste vorbereitet. Am 5. Juli ward die von den Schweizer Gastwirthen Guggenbühl und Hafner übernommene Festwirthschaft mit einem für die Comitémitglieder und deren Familien arrangirten Probebanket eröffnet. Dieser Abend erregte die schönsten Hoffnungen für das Gelingen des Festes. Obgleich die Einrichtung noch nicht ganz vollendet war, machte die Festhalle doch einen überaus freundlichen und angenehmen Eindruck. Dazu war das bisher regnerische und unbeständige Wetter gewichen, und eine herrliche, laue Sommernacht, wie sie schöner in diesem Jahre kaum da war, hielt eine heitere Gesellschaft bis nach Mitternacht vereinigt. Da kam der verhängnißvolle Sonntag, der 6. Juli. Den ganzen Vormittag über war noch das herrlichste Wetter von der Welt. Glühend heiß brannte die Sonne vom Himmel und lockte Tausende hinaus auf den Festplatz. Um halb zwei Uhr fand ein großes öffentliches Probebanket statt, zu dem Jedermann aus der Stadt Zutritt hatte. Ueber 2000 Personen wohnten demselben bei. Es war eben beendet, als gegen 4 Uhr ein kleiner Regenschauer einen Theil der auf dem Festplatze Versammelten in die Halle trieb. Nicht lange dauerte es, so verwandelte sich der Regen in einen förmlichen Wolkenbruch, der ganze Himmel überzog sich tiefschwarz und ein furchtbarer orkanartiger Sturm brauste über die Fläche hin, rüttelte an den Säulen der Halle, verfing sich in den Segeltüchern, welche zum Schutze wider die Sonne angebracht waren, zerriß die ängstlich hin und her flatternden Fahnen und jagte Hüte, Schirme und Kleidungsstücke [493] über den Köpfen der dichtgedrängten Menge in tollem Wirbel umher. Zugleich strömte der Regen mit solcher Gewalt und in solcher Masse zu den offenen Seiten der Halle herein, daß diese alsbald in einen wogenden See verwandelt war und die hülferufenden Frauen und Kinder und die erschrockenen Männer auf Tischen und Bänken Schutz suchen mußten. Auf allen Gesichtern malte sich tödliche Angst und Verzweiflung, welche ihren höchsten schreckenerregenden Ausdruck in einem aus tausend Kehlen gleichzeitig ertönenden Schrei des Entsetzens fand, als plötzlich die Halle sichtbar zu schwanken und zu wanken anfing, als Breter, Balken und Kronleuchter niederstürzten und mit furchtbarem Krachen ein Theil des Daches des südlichen Flügels der Halle verschwand und den mit dickem Hagel untermischten Wasserfluthen nun auch von oben freien Zugang verschaffte. Nun stürzte und drängte Alles dem Ausgang zu, aber der vom Winde wüthend hin- und hergepeitschte Regen, das Heulen des Sturmes und das Wimmern der Verzweifelten verwirrte den ineinander fest verschlungenen Menschenknäuel nur noch mehr.


Das deutsche Bundesbanner.
Hintere Seite.


Alles fiel über den Haufen, und erst nach unendlichem Ringen und durch den Trieb der Selbsterhaltung vorwärts getrieben, erreichte die zerstörte Menge das Freie. Hier löste sich das Bild des Jammers in einzelne Schreckensscenen auf. Viele wurden von dem entfesselten Sturme zu Boden geworfen und lagen nun halb bewußtlos in dem Schlamme des kothigen Morastes, in den der Festplatz im Nu verwandelt war, während noch immer die Regenmassen herniederstürzten und sie zu ertränken drohten. Andern wurden die Kleider vom Leibe gerissen, und Zusammengehörige, die in dem entsetzlichen Durcheinander getrennt worden waren, suchten sich händeringend.

Nach wenigen Minuten lachte die Sonne wieder so hell von dem theilweise gelichteten Himmel, als wenn nichts geschehen wäre. Jetzt erst ließen sich die Verwüstungen übersehen. Das vom südlichen Flügel der Halle herabgestürzte Dachwerk war vom Winde auf die Spülküche geschleudert worden, hatte diese zertrümmert und dabei zwei Küchenmädchen erschlagen. Der südliche Flügel der Halle war theilweise abgedeckt, stand ganz schief und war überall arg beschädigt und zerrissen. Alle anderen Gebäude auf dem Festplatze trugen Spuren der Verheerung des furchtbaren Orkans an sich, der auch in der Stadt und deren näherem Umkreise wüthend gehaust, die ältesten Bäume entwurzelt und viele Dächer abgedeckt, ja eine kolossale, noch gut erhaltene Scheune in der Stadt in tausend Trümmer geschlagen hatte. Bei allem Unglück ist es ein Wunder der Vorsehung zu nennen, daß außer den genannten zwei Personen, welche augenblicklich getödtet wurden, und einer dritten, welche in Folge erhaltener Verwundungen später starb, fast nur unerhebliche Verletzungen vorgekommen sind.

Nur den vereinten Anstrengungen des Festcomités, des Handwerkerstandes, der Bürgerschaft und der Behörden gelang es, das Fest dennoch zur bestimmten Zeit zu ermöglichen. Mit Aufgebot aller Arbeitskräfte der Stadt schritt man sofort zur Reparirung des Schadens, dessen ganzen Betrag (ungefähr 20,000 Gulden) der Senat auf das Aerar übernahm. Am Freitag derselben Woche war jede Spur der Verwüstung getilgt, und die Festgebäulichkeiten waren wieder zur Aufnahme der erwarteten Gäste bereit.

Durch diesen traurigen Zwischenfall war nur ein erneuerter Schwung in die Festesvorbereitungen gekommen. Galt es doch jetzt die Ehre der Stadt zu wahren durch Einlösung des von dem Festcomité vor ganz Deutschland gegebenen Versprechens: „daß das Fest unverändert am bestimmten Tage beginne.“ Ein edler Wetteifer entstand. Jeder wollte es dem Andern zuvorthun, um dem Festcomité durch Opfermüthigkeit seine schwere Aufgabe zu erleichtern. Freiquartiere wurden dem Comité noch in den letzten Tagen in großer Anzahl zur Verfügung gestellt, so daß es in den Stand gesetzt war, die größte Anzahl der Schützengäste bei den Bürgern einzulogiren. Die große Theilnahme der Stadt an dem Nationalfeste sprach sich aber vorzüglich auch in dem wahrhaft glänzenden und blendenden Festschmucke aus, den sie schon einige Tage vor dem Feste anlegte.

So nahte der Empfangstag, der Samstag. Welch ein Gewühl herrschte schon am frühen Morgen in der Stadt! Alles bewegte sich in erwartungsvoller Stimmung auf den Straßen. Die Bahnhöfe waren von Menschen dicht belagert, so daß die Fiaker nur mit Mühe sich eine Gasse brechen konnten. Die Hotels waren bereits von Fremden, die Privathäuser von Verwandten und Freunden, die zum Feste auf Besuch gekommen waren, überfüllt. Ueberall standen Gruppen auf der Straße, mit jener sichtbaren Spannung und Aufregung in den Mienen, welche jedem festlichen Ereigniß vorauszugehen pflegen. Die Meisten tauschten ihre Besorgnisse über das Wetter aus, denn es hing ein bleigrauer Himmel über der von frischem Grün duftenden und von zahllosen Fahnen, die aus Fenstern und von Dächern und Thürmen wehten, überschatteten Stadt.

Frankfurt hatte sich in der That bis in seine kleinsten Straßen glänzend herausgeputzt. Auch die Vorstadt Sachsenhausen war nicht zurückgeblieben. Die Brücke, die sie verbindet, war zur Fichtenallee geworden. Es war dasselbe Gewand, das die Stadt in den Tagen des Vorparlaments trug, nur daß damals das geschriebene Wort zur Auslegung der Bedeutung der Fahnen und Kränze mehr zu Hülfe genommen war, als heute. Inschriften bemerkten wir nur wenige und unter diesen wenigen wieder mehrere, welche schon zu Zeiten des Vorparlaments verwandt worden waren, wie z. B.:

„Des Vaterlands Größe, des Vaterlands Glück,
O schafft sie, o bringt sie dem Volke zurück!“

Der Schmuck der Stadt zeichnete sich im Ganzen mehr durch Reichthum und Pracht, als durch besonders geschmackvolle und künstlerische Verwendung gegebener Anhaltspunkte in der Decoration [494] aus. In dieser Beziehung hatte Nürnberg im vorigen Jahre das Herrlichste geleistet. Was jedoch als für den Geist, in dem die Bewohner Frankfurts das Nationalfest feierten, besonders charakteristisch hervorzuheben wäre, ist der Umstand, daß die schwarz-roth-goldene Farbe in den Fahnen und Dekorationen fast die ausschließliche, die roth und weiße Landesfarbe dagegen nur in entschiedener Minorität vertreten war. Die Straßen selbst waren in einen Wald verwandelt, da vor jedem Hause eine Reihe von Fichten und Tannen ausgepflanzt war, welche von dem Forstamte zur Ausschmückung der Stadt unentgeltlich zur Verfügung gestellt worden waren. Mehrere Straßen hatten kolossale Triumphbögen erbaut und Festons von einem Hause quer über die Straße zu dem gegenüberliegenden geschlungen. Die meisten Fahnen waren von riesiger Länge und Breite, was sich jedoch der auf dem Portal des Bundespalais zwischen zwei schwarz-gelben abgestellten schwarz-roth-goldenen nicht nachsagen läßt. Auch das preußische Gesandtschaftshotel trug das deutsche Zeichen zwischen zwei schwarz-weißen Landesfahnen. Ueber allen erhaben aber wehte die deutsche Fahne von dem höchsten Punkte der Stadt, von dem Pfarrthurme.

An dem Ostbahnhofe und an den Westbahnhöfen waren Kanonen aufgestellt, welche von Mitgliedern der früheren freiwilligen Bürgerwehr in hellgrauer Schützentracht bedient wurden. Auch Musikcorps harrten der sehnsüchtig erwarten Gäste. Da brauste ein unabsehbarer Bahnzug zur Halle herein. Es waren nicht blos Schützen, sondern auch eine Unmasse sonstiger Gäste, die zum Feste gekommen waren und des feierlichen Empfanges mit theilhaftig wurden. Kanonensalven erdröhnten, und die Musik spielte das „deutsche Vaterland“. Jubelnder Zuruf in die Wagen und aus den Wagen. Die Herren vom Empfangscomité in weißen Schärpen traten an die Waggons und begrüßten herzlich die aussteigenden Gäste. Die versammelte Menge rief ihnen ein Hoch entgegen. Nachdem sich der erste Sturm gelegt hatte, sammelten sich die Gäste um die schwarz-roth-goldene Fahne und ließen sich von einem Mitgliede des Empfangscomites mit einer kurzen Ansprache officiell begrüßen. Dann ging’s mit klingendem Spiel durch die Straßen der Stadt nach dem Wohnungsbüreau. Während des ganzen Weges hatten sich rechts und links dichte Spaliere aufgestellt, welche mit den vorbeiziehenden Gästen ein beständiges Kreuzfeuer von donnernden Hochs unterhielten. Die Fenster waren geöffnet, und zu den bunten Fahnen gesellten sich noch zahllose weiße Fähnlein, deren jede Dame wenigstens eines unaufhörlich schwenkte.

So ging’s den ganzen Tag. Schon in aller Frühe waren die Nürnberger und die Bewohner der benachbarten Städte eingetroffen. Sie kamen noch trockenen Fußes auf das Wohnungsbüreau und wurden von da mit Hülfe der jugendlichen Turnermannschaft, welche die freiwilligen Fremdenführer abgab, in ihre Quartiere geleitet.

Als aber um 11 Uhr die thüringischen Schützen und mit ihnen der Herzog Ernst von Coburg aus dem Waggon traten, strömte der erste Platzregen vom Himmel, um von da an mit kurzen Unterbrechungen bis in die sinkende Nacht nicht mehr aufzuhören. Das veranlaßte aber die auf den Straßen wandelnde Menge keineswegs, nach Hause zu gehen, sondern mitten in dem dicksten Regen und trotz der durchnäßten Kleider harrte sie geduldig aus, bis die letzten Gäste spät Abends in Empfang genommen und herzlich begrüßt waren.

Da wir uns nicht zertheilen konnten, um alle Einzelnheiten des Empfangs mitzumachen, so müssen wir uns auf die Hauptscenen desselben beschränken. Die erste derselben ist die Ankunft des Herzogs Ernst. Schon als er unter die Eisenbahnhalle trat, ward er mit lebhaften Zurufen begrüßt. Dr. S. Stern, Oberlehrer an der hiesigen israelitischen Realschule, hielt darauf an die Thüringer Schützen und an den ersten derselben eine kurze und gehaltvolle Anrede. Als der Herzog daraus in offenem Wagen nach der Stadt in das Siefferheld’sche Haus fuhr, wo er seine Wohnung aufgeschlagen hatte, da war des Jubels in der versammelten Menge kein Ende, und zu Hause angekommen, mußte er mehrmals auf den Balcon treten, um für die herzliche Aufnahme zu danken.

Der zweite Haupteinzug, welcher am Samstag stattfand, waren um 6 Uhr Abends der der Schweizer. In einer imposanten Masse, über 1000 Mann stark, waren sie erschienen, und ihr Erscheinen rief begeisterten Enthusiasmus hervor. Sie trugen alle die Alpenrose und das Schweizer Kreuz auf dem Hute. Militärisch organisirt, ordnete sich die Heeresschaar unter der Anführung der jugendlichen Trommler und Pfeifer des Baseler Cadettencorps sehr rasch in dem weiten Bahnhofe der Main-Neckar-Bahn.

Von dem Perron der Eisenbahn aus redete sie Dr. Sauerländer folgendermaßen an:

„Der Festort Frankfurt ruft den Schützenbrüdern aus der Schweiz ein herzliches Willkommen zu. Dank Euch, daß Ihr dem Ruf gefolgt seid und heute zum ersten Mal an den Ufern des Mains jenes glorreiche Banner aufpflanzt, welches die Helden von Morgarten, Sempach und der Melzerheide, von Murten und St. Jakob geführt haben. Wenn unsere Jugend das flammende Kreuz noch nicht kennt, so kennt sie doch die Tage des Ruhms, verherrlicht in den unsterblichen Gesängen unserer Dichter; sie kennt das Land der Alpenrosen, die Felsenburg der Freiheit, das Brudergeschlecht der Eidgenossen, und diese begeisterte Jugend ruft Euch heute zu: Seid willkommen auf deutscher Erde, Ihr treue Boten aus dem Schweizerland, Gruß und Handschlag zum ewigen Bündnis;, liebwerthe Eidgenossen. Unsere Schweizer Brüder leben hoch, hoch, hoch!“

Darauf erwiderte Oberst Kurz aus Bern einige herzliche Worte und forderte schließlich seine Landsleute auf, mit ihm ein donnerndes Hoch auszubringen auf „Deutschland, das Gesammtvaterland unserer Freunde, es lebe, es gedeihe, es erstarke, ruft mit ganzer Schweizer Kehle aus, ruft: Deutschland hoch!“

Und aus voller Seele und aus voller Kehle fielen die Schweizer ein. In ähnlicher Weise fand der Empfang der Baiern, Oesterreichs und Tyroler statt. Unter nicht enden wollendem Jubel zog diese Truppe, in deren Mitte selbst die freudigste Stimmung herrschte, mit ihrer Musik und ihren Fahnen durch die Stadt.

[521]
3. Die ersten Festtage.
Das erste Nachtquartier – Die Lederhalle – Physiognomie der Stadt - Der Festzug und seine Gestalten - Das Riesenbouquet – Die Tyroler -

Das erste Banket - Der Herzog – Der Tyroler und sein Himmel – Die politische Bedeutung des Festes – Die Thätigkeit in der Schießhütte -

Tyroler Hochenegger und Schweizer Knutti – Nachts auf dem Festplatz – Das Räderwerk der Küche – Metz und Wildauer.


Schon während des Verlaufs des anderthalbwöchigen Festes, dessen Dimensionen sich von Tag zu Tag vergrößerten, sind wir von der ursprünglichen Absicht, jeden einzelnen Festtag für sich zu beschreiben, zurückgekommen, indem wir bald einsahen, daß eine solche Festbeschreibung die uns gesteckten Grenzen überschreiten würde. Wir haben daher absichtlich das ganze Fest bis zu seinem letzten officiellen Act, dem Schluß der Festhalle und der Übertragung der Fahnen in den „Kaisersaal“, an uns vorüber gehen lassen, um die vielen einzelnen Bilder, die während der letztvergangenen Woche unser Auge entzückt, unser Herz und unseren Kopf fast ausschließlich beschäftigt haben, wieder in ein gemeinsames Gemälde zusammenzudrängen und für dieses Bild einen passenden Rahmen zu finden. Denn so verführerisch es ist, so recht „mitten aus der Stimmung heraus“ Festberichte zu schreiben, so bedenklich ist dies in dem Falle, wo wir voraus wissen, daß sie nicht an demselben Tage gedruckt und gelesen werden. Dann thun wir besser daran, wir lassen die hochgehende Fluth der Feststimmung, die uns umbrauste und den festen Halt unmöglich zu machen drohte, verlaufen und warten die Ebbe der Entnüchterung ab. Wir sind dann objectiver und zuverlässiger geworden, und durch die Meinung Anderer, die unterdeß laut geworden ist, hat sich das eigene Urtheil geklärt. So gern wir nun in dem Folgenden den Geist, dem das Fest seinen Körper verdankte, möglichst getreu wiedergeben möchten, so gerne verzichten wir auf eine diplomatisch genaue Darstellung aller Einzelnheiten und können dies mit um so ruhigerem Gewissen, als angenommen werden darf, daß den meisten Lesern der Gartenlaube die hierher gehörigen Thatsachen schon bekannt sind. Wir geben daher den äußeren Verlauf des Festes mehr in allgemeinen Zügen und verweilen nur bei den Momenten und Stellen, welche charakteristisch für das Ganze oder als vereinzelte Episoden weniger bekannt sind.

Als ein solcher Lichtpunkt des Ganzen ist gewiß der erste Sonntag nach dem Empfangstag zu betrachten, als ein Lichtpunkt in mehr denn einer Beziehung. An ihm heiterte sich der bisher trübe Himmel auf, an ihm gingen auch die Herzen so recht auf, an ihm entfaltete sich der größte äußere Glanz des ganzen Festes. Noch in der Nacht vom Samstag auf den Sonntag strömte eine gewaltige Regenfluth vom Himmel nieder. Es sah merkwürdig unfestlich in der Stadt aus, die eher einem Feldlager als einem Festlager glich. Um zwei Uhr in der Nacht trafen noch die letzten versprengten Ankömmlinge, Schützengäste und Fremde, ein. Wer nicht ein ganz sicheres Quartier hatte – und leider hatten nicht alle Schützen durch rechtzeitige Anmeldungen dafür gesorgt – der fiel lieber, ehe er in Wind und Wetter von Thür zu Thür anklopfen ging, in das erste beste noch offene Wirthslocal ein und wenn er einen Stuhl oder eine Sophaecke erobert hatte, so sank er bald darnach auch dem Schlummergott in die Arme, der ihn mit den übrigen todtmüden Reisenden, die das Gleiche thaten, bis zum anbrechenden Morgen an seiner Scholle gefesselt hielt. Des andern Morgens sollen denn da allerlei komische Scenen vorgefallen sein, als die Schlaftrunkenen sich die Augen rieben, nach ihren Kopfkissen suchten und statt dessen Reisesäcke oder fremde Köpfe fanden und ihrer ganzen eigenthümlichen Situation gewahr wurden. Da waren die noch glücklich zu preisen, die ein improvisirtes Strohlager in irgend einem Gewölbe gefunden hatten. Am folgenden Tage glich sich das Alles aus. Es waren Wohnungen genug da, ja durch den Gemeinsinn der Frankfurter Bürgerschaft deren über Bedarf zur Verfügung gestellt worden. Außerdem waren ja auch große Locale, öffentliche Säle, Schulen und dergleichen zur Massenaufnahme von Schützen hergerichtet worden, so z. B. die Lederhalle, in der allein 350 Schweizer untergebracht waren. So unbehaglich eine solche Art der Einquartierung auf den ersten Augenblick erscheint, so erträglich, ja gemüthlich war sie durch den praktischen und vorsorglichen Sinn, welcher das ganze Fest geleitet hatte, gemacht worden. Werfen wir einmal einen flüchtigen Blick in einen solchen Schützenfest-Schlafsaal. – Die Lederhalle ist ein großer, sehr hoher Raum mit breiten Gallerien an den Seiten und queer durch die Mitte. Rings an den Wänden herum und oben auf den Gallerien standen in einiger Entfernung von einander die Betten, ohne Sprungfedermatratzen zwar, sehr einfach, aber Alles ganz neu und noch nicht vorher gebraucht, Bettstellen wie Bettzeug. Jede Schlafstelle hatte ihre Nummer, welcher eine zweite an einem langen Tisch, ferner an einem Stuhl und ebenso an einer an der Wand hinlaufenden Kleiderhänge entsprach. Aus dem Tische fand der Träger der betreffenden Nummer die zur Waschtoilette gehörigen Gegenstände, wieder Alles ganz neu und frisch, auf der Kleiderhänge einen Doppelhaken für seine Kleider. Der ganze innere Raum war neu angestrichen und mit den Fahnen und Wappen der Schweizercantone ausgeschmückt worden, wie auch die Halle von außen bekränzt, fahnengeschmückt und mit Bildern (u. A. ein großer Carton „Tell’s Apfelschuß“) geziert, so daß das Ganze einen recht freundlichen Eindruck machte. Außerdem waren in den Seitenflügeln Conversations-, Lese- und Schreibzimmer, sowie Krankenzimmer eingerichtet, ein Arzt kam jeden Tag und erkundigte sich nach dem Wohlergehen der Schweizergäste, jeden Morgen um fünf Uhr rückten 25 Mann Soldaten zum Kleiderreinigen und später ein entsprechendes Contingent Mägde zum Bettmachen und Reinigen ein, es waren Tag-, Nacht- und Gaswächter, Hausmeister etc. angestellt – kurz Alles auf’s Beste versehen und eingerichtet, daß die Schweizer, denen dabei ihr eigener, von zu Hause mitgebrachter Organisationssinn zu Statten kam, sich in ihrer idealisirten Caserne äußerst heimisch fühlten und sie aus Dankbarkeit beim Abschied den „Schweizerhof“ tauften, welchen Namen sie behalten hat.

In ähnlicher Weise waren andere Massenlocale eingerichtet, selbst in den benachbarten Ortschaften. Die Werthheimer Schützen hatten es am Praktischsten eingerichtet. Sie hatten nämlich ein Schiff gemiethet, in dem sie nach Frankfurt fuhren und auf dem sie zugleich während des Festes die Nacht verbrachten und des Morgens gemeinschaftlich frühstückten.

Hatte man am Samstag Abend wenig Hoffnung auf das Gelingen des Zuges, so veränderte der Sonntag Morgen die ganze Sachlage. Der Regen hatte aufgehört, und hie und da stahl sich ein Sonnenblick durch die Wolken und gab den Fahnen und Kränzen erst das rechte Relief. Schon früh Morgens füllten sich die Straßen mit einer hin und her wogenden Menge, welche der Dinge, die da kommen sollten, geduldig harrte. Zu allen Thoren strömte die Masse des Landvolks schaarenweise herein, jeder Eisenbahnzug brachte Tausende von Fremden aus Nah und Fern. Allein auf der Offenbacher Bahn wurden an diesem Tage 17,000 Fahrkarten ausgegeben. Mit Mühe drängten sich die Schützen durch den Menschenknäuel nach ihrem Aufstellungsplatz, wo sie theilweise Gegenstand der eingehendsten Neugierde wurden, so besonders die hier zu Lande ganz neuen Erscheinungen der uniformirten norddeutschen Schützengilden, deren gravitätische Abgesandten reich gestickte und mit Fangschnüren, silbernen Epauletten und dergleichen versehene Uniformen, schwere, aus einzelnen Schildchen bestehende Ehrenketten, Generalshüte mit wallenden Federbüschen, gewaltige Schlagsäbel etc. trugen. Diese Gestalten, sowie nicht minder die Tyroler in ihren verschiedenen pittoresken Nationaltrachten, dazwischen durch einzelne costümirte Abtheilungen des Zuges, Musikcorps, Turner, Fahnenträger, Festordner zu Fuß und zu Pferde, dazu die eigenthümliche Physiognomie der Häuser, die aus Fahnen, Blumen und daraus hervorlugenden Köpfen aufgebaut schienen, – das Alles machte das ganze Treiben zu einem so bunten, farbenreichen, ganz von dem gewöhnlichen Lauf der Dinge abweichenden, daß auch die kühlste Phantasie angeregt werden mußte.

Der Festzug, der im Ganzen, wie in allen seinen Einzelheiten, von Herrn Maler Ernst Schalk (dem Zeichner unseres heutigen Bildes) arrangirt und geleitet war, setzte sich um 11 Uhr in Bewegung. Ein Bild der Herrlichkeit, das sich während seines beinahe fünfstündigen Ganges [522] durch die Straßen der Stadt nach dem Festplatz entfaltete, läßt sich kaum mit Worten malen. Wahrlich war es nicht nur die glänzende Außenseite, das Imposante und Massenhafte desselben, was einen gewaltigen Eindruck auf die hingerissenen Zuschauer machte, sondern vor Allem der in jedem Einzelnen zu vollem Leben erwachte Gedanke, daß hier eine große und zu großen Zwecken berufene Nation unter einem weithin leuchtenden Banner in Einigkeit und Liebe zu gemeinsamem Thun und endlich vergessend des kleinlichen Haders, der die Zusammengehörigen so lange getrennt, sich zusammengeschaart habe, um den heiligen Schwur der Treue an das gemeinsame Vaterland abzulegen. Diesem Gedanken galt der unendliche Jubel, der von den Straßen und aus den Häusern dem Zuge entgegenbrauste, dieser Gedanke hatte die sonst sehr zurückhaltende und nach Ständen gegliederte Frankfurter Bevölkerung in eine enthusiasmirte, jauchzende Gemeinschaft umgewandelt. Jeder fühlte, daß es sich hier nicht um einen gewöhnlichen festlichen Aufzug, sondern um einen Triumphzug deutschen Geistes, deutscher Kraft und deutscher Würde handle.

Diesem Gedanken entsprach auch die äußere Form des Zuges. Sie war würdig, sinnig und – dem deutschen Wesen entsprechend – die strenge Wirklichkeit mit der Kunst und der heitern Poesie verwebend, das Reelle mit dem Ideellen versöhnend.

Es lag seinem decorativen Theil die Idee zu Grunde, in ganz allgemeinen Zügen eine Entwicklungsgeschichte der Waffen zu geben. Demgemäß kamen nach seiner Eröffnung durch elegante Frackreiter Turner von allen Altersstufen, berittene Musiker in Schützentracht, fünf Gruppen der verschiedenen Bewaffnungsarten von den alten Germanen mit Bärenfell und Lanze bis zu den modernen Turnerschützen, dazwischen Bogenschützen aus dem 11. Jahrhundert in blauweißen Wämmsern, bauschigen kurzen Hosen und enganliegenden Strümpfen, dann in Grau und Roth gekleidete Armbrustschützen aus dem 13. Jahrhundert, ferner Luntenschützen aus dem 15. Jahrhundert in braun und grünen Röcken und gelben glänzenden Pickelhauben, mit unendlich langen und schweren Feuerrohren, und darauf die Feuerschloßschützen aus dem dreißigjährigen Krieg, eine stattliche Truppe in gelben Röcken mit schwarzen Aufschlägen, in großen Hüten mit wallenden Federbüschen, zuletzt die leichtbewegliche und rüstige Schaar der Turnerschützen. Nachdem verschiedene Zwischengruppen von Reitern mit dem Stadt- und Reichsbanner, Turnern und Sängern vorübergezogen waren, fielen uns zunächst die Sachsenhäuser Jäger auf mit ihrer Fahne, auf der ein ausgestopfter Adler thront, und die ganz in Roth gekleideten Zeiger, welche die zerschossenen Scheiben der aus dem 14. Jahrhundert stammenden Frankfurter Urschützengesellschaft, die sich selbst im Zuge befand, trugen, und dann die ehrwürdigen Gestalten der Freiwilligen aus dem Jahr 1813. Der Darstellung des Kampfes folgte die Symbolisirung des schönen Lohnes durch ein mit Ehrengaben tragenden Jungfrauen umgebenes Riesenbouquet. Diese Gruppe war die verkörperte Poesie: ein riesenhaftes, von frischem Laub durchwobenes Bouquet, aus dem nach allen Seiten himmelblaue Seidenschleifen niederfielen, deren Enden von kleinen lieblichen Mädchen getragen wurden, das Ganze umgeben von rosigen Jungfrauen, welche bekränzte silberne Ehrenpokale, und von Knaben in blauen Blousen, welche Preisstutzen trugen.

Dem zweiten Theil des Zuges schritten die sämmtlichen Vereinsfahnen voraus, an ihrer Spitze das Banner des deutschen Schützenbundes; so war ein schönes Symbol für den stets betonten Gedanken der Einheit gefunden und eine imposante, Herz und Augen erfreuende Gruppe im Zug geschaffen. Ungefähr 150 Fahnen in allen Größen, Formen und Farben hatten sich zu einem blendenden Ganzen vereinigt, das besonders von der Höhe aus gesehen einen imposanten Eindruck machte.

Dem Fahnenbouquet folgte die militärisch organisirte, über 1000 Mann starke Heerschaar der Schweizer, jeder die Alpenrose und das Schweizerkreuz auf dem Hute und den Ordonnanzstutzen im Arm. Ihnen voraus schritt die jugendliche Trommler- und Pfeifermannschaft des Baseler Cadettencorps im schwarzen Kittel und Käppi, das Ränzlein auf dem Rücken und die große Trommel an der Seite. Ihr Tambourmajor zog durch die Gewandtheit, mit der er seinen Stock haushoch in die Lüfte schleuderte, die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich. Die Schweizer führten ihren Schützenkönig und als Fahnenträger drei Hünengestalten mit riesigen Bärten im Costüm der drei Männer vorn Rütli mit sich.

Den Stammverwandten aus der Schweiz schloß sich das Volksheer der deutschen Schützen an in einer Stärke von 6000 – 7000 Mann. Mittel- und Süddeutschland waren bei Weitem stärker vertreten als Norddeutschland. Viele der norddeutschen Schützen waren, wie oben bemerkt, in ihren altertümlichen Gildentrachten erschienen, Viele jedoch auch in der modernen Schützenjoppe oder in anderen praktischen Trachten, wie z. B. die Bremenser in dunkelgrünen, bis oben zugeknöpften Blousenröcken.

Eine äußerst belebte, bunte und interessante Gruppe war die der Tyroler, die Wipper- und Pusterthaler voran, dann die Passeyrer, Ober- und Unterinnthaler, Oetzthaler, Vintschgauer, Botzener, Meraner etc., in der besonderen Tracht jedes der einzelnen Thäler, unter ihnen viele alte verwitterte Gestalten neben schmucken, jugendfrischen Burschen, meist mit schwerfälligen Waffen, die sie auf der Achsel trugen, die Mündung nach vorn, den ausgeschweiften Kolben nach hinten, auf dem Schützenhut eine grün und weiße Schützenkokarde, darauf einen kleinen rothen Schild mit dem goldenen Tyroler Adler, Alpenrosen, Edelweiß, Spielhahnfedern und sonstigen Schützenschmuck. In ihrer Mitte entfalteten sich drei Fahnen, die alte, von Kugeln ganz zerfetzte, mit Feldehrenzeichen geschmückte Fahne der Landesvertheidiger, die seit 1796 in allen Kämpfen der Tyroler geweht, links eine Fahne in den österreichischen Farben mit dem Doppelaar in der Mitte und rechts die Tyroler Schützenfahne, grün und weiß, mit dem rothen einköpfigen Adler darin. Unmittelbar darauf folgten Trommler, Querpfeifer, das Musikchor der Münchner Schützengesellschaft und Sänger, welche in den Pausen des Zuges heimathliche Lieder vortrugen, während die Schützen jodelten und sprangen.

Als um 12 Uhr die Spitze des Zuges in den völlig vom Publicum geräumten und abgesperrten Roßmarkt einbog, wo die Uebergabe der Bundesfahne stattfand, die bisher noch nicht im Zuge mitgegangen war, da zertheilte sich das bis dahin drohende Gewölk und warf seinen goldenen Schein auf das herrliche Schauspiel, das sich jetzt hier entfaltete. In schönster Ordnung gruppirte sich der kolossale über 10,000 Theilnehmer zählende Zug in dreifachen Reihen um den Roßmarkt, in dessen Mitte eine Tribüne für den Vorstand des deutschen Schützenbundes errichtet war. Gegenüber auf dem Balcon des englischen Hofes befand sich der Herzog von Coburg, von den vorbeiziehenden Gruppen jubelnd begrüßt. Nachdem die Aufstellung erfolgt war, ergriff Herr Dr. Sigmund Müller, der Vorsitzende des Gesammt-Festausschusses, im Namen der Stadt Frankfurt das Wort und hieß alle zur Verherrlichung des ersten deutschen Nationalfestes herbeigekommenen Gäste auf’s Herzlichste willkommen. Er schloß mit einem Hoch auf „unser ganzes, großes, hohes, einiges Deutschland“. In brausendem, vieltausendstimmigen, begeisterten Wiederhall pflanzte sich dieses Hoch durch die dichtgeschaarten Reihen von Glied zu Glied fort bis zu den entferntesten Punkten und hinein in alle Seitenstraßen und hinauf bis zu den höchsten Giebeln der von tiefbewegten Männern und freudestrahlenden Frauen dichtbesetzten Häuser. Nachdem es in der Ferne wie ein dumpf grollendes Echo verrauscht war, trat der Herzog im Geleit der imposanten, von drei kräftigen Männern getragenen Bundesfahne auf die Tribüne zu. Als sich sämmtliche Vereinsfahnen im Halbkreis um die Bundesfahne geschaart hatten, sprach er mit fester, klarer, weithin tönender Stimme die Worte, welche wir bereits in Nr. 31 mitgetheilt haben.

Der Enthusiasmus, der darauf in edlem Wetteifer zwischen den Zugtheilnehmern und den in den Häusern, auf den Dächern, auf Gerüsten, Laternenpfählen und allen möglichen erhöhten Standpunkten postirten, aus Nah und Fern in unzähliger Menge herbeigeeilten Menschen in brausenden Tonwellen hinauf und herunter, herüber und hinüber wogte, entzieht sich aller Beschreibung. So etwas muß man erlebt haben, um sich eine Vorstellung davon zu machen. Der Herzog trat jetzt in den Zug ein, welcher nun unter den stets sich steigernden Zeichen der hingebendsten Begeisterung von Seiten der ihn umdrängenden Menschenmassen seinen Gang durch die Stadt fortsetzte. Wahrhaft enthusiastisch wurde der Herzog und die dicht hinter ihm befindliche Bundesfahne begrüßt. Von den einzelnen Volksstämmen schienen besonders die Schweizer, die Kurhessen, die Schleswig-Holsteiner, welche hinter ihrer umflorten Landesflagge einherschritten, vor Allem aber auch die Tyroler unter den Berufenen die Auserwählten zu sein. Sie wurden mit einem Regen von Blumen und Kränzen überschüttet, unzählige Male angehalten und mit Erfrischungen aller Art bewirthet, und dankten dafür durch unablässiges Hochrufen und Schwenken der [523] Hüte. Sollen wir noch hinzufügen, daß der Eindruck dieses Festzuges, in dem jeder einzelne Gau des großen deutschen Vaterlandes in seinen Vertretern verkörpert war, ein überwältigender, daß das Gemeingefühl der Zusammengehörigkeit aller deutschen Stämme, wie es sich in seiner Aufnahme aussprach, etwas unendlich Ergreifendes und Erhabenes hatte?

Auf dem Festplatze selbst fand noch eine Feier am Gabentempel statt, bei welcher Herr Dr. Passavant in kurzer Rede den Festgenossen den Platz mit allen seinen Gebäulichkeiten zur Verfügung stellte. Wieder erschallten dem „einigen, freien, deutschen Vaterland“ tausendstimmige Hochs, und ein Chor, wie er vollzähliger wohl noch nie gewesen, sang die deutsche Nationalhymne. Diese Feier erhielt dadurch einen besonderen Reiz, daß ihr die Festjungfrauen, welche auf den Stufen des Gabentempels Platz genommen hatten, gleichsam präsidirten und von jedem der vorüberpassirenden Schützen- und Sängerzüge mit feurigen Hochs und kurzen Ständchen gefeiert wurden. Vor der Pforte des Gabentempels war inmitten der um sie geschaarten Vereinsfahnen die kolossale Bundesfahne aufgestellt, die wir bereits in vorletzter Nummer beschrieben haben.

Die Fahnen wurden nun in die Festhalle getragen und dort zwischen den Bannern der deutschen Bundesstaaten und den schwarzrothgoldnen Flaggen aufgesteckt. Welch ein zauberisches Bild entfaltete sich da vor den Augen der entzückten Festgenossen, als die weite Halle, reich und geschmackvoll geziert mit Grün und Blumen, beschattet von dem wehenden Fahnenwalde, von der Abendsonne, welche durch die gemalten Papierfenster einfiel, mit magischem Lichte übergossen ward! Das erste Banket, welchem der Herzog beiwohnte, begann. Es ging nicht mit der Ruhe und Ordnung von Statten, wie die späteren. Glücklich Der, welcher zu seiner Banketkarte auch einen Platz erobert hatte, denn bald drängte von außen ein gewaltiger Menschenstrom herein und versperrte die Gänge. Alles wollte den Herzog, welcher an der Tafel des Centralcomités unter der Rednerbühne Platz genommen hatte, sehen und die Reden hören. Das Letztere ward nur äußerst Wenigen zu Theil, denn das Wogen und Summen der zwischen den Tischen auf und ab wandelnden Menschenmenge, das Plätschern der Springbrunnen, das Knallen der Büchsen draußen an den Schießständen, der Lärm, der vom Festplatze her eindrang, das Alles vereinigte sich zu einem betäubenden Getöse und rief in Dem, der sich mitten darin befand, ein Gefühl hervor, ähnlich dem, das man empfindet, wenn man sich dicht unter den Rheinfall bei Schaffhausen stellt. Die Töne des starken Orchesters, das auf der Musikgallerie spielte, waren kaum über den Mittelpunkt der Halle hinaus zu vernehmen. Trotzdem wurden Reden gehalten und auch stenographirt, und Letzteres war gut, denn so konnte man doch wenigstens des andern Tags nachlesen, was zu hören unmöglich gewesen war. Die beiden officiellen Toaste wurde von Dr. S. Müller auf das Vaterland und von Dr. Reinganum auf das Volk und seine Bestrebungen ausgebracht. Die schweizerischen Cadettenknaben brachten indessen mitten in diesem unbeschreiblichen Tumult den mitspeisenden Ehrenjungfrauen ein Hoch mit Trommelwirbeln. Später wurde eine reiche Anzahl von allerwärts her eingelaufenen Telegrammen theils verlesen, theils angekündigt. Während es draußen in der Schießhütte schon lange lustig knatterte, denn die eifrigen Schützen schossen sich schon am Sonntag ein, sprach man drinnen in der Festhalle noch fleißig dem trefflichen und feurigen Schützenwein zu, auf dessen Etikette die Firma P. A. Mumm, welche eine Lieferung von nicht weniger als 60,000 Flaschen übernommen hatte, die hübsche Devise angebracht hatte: „Deutsche Frau’n und deutsche Treue, deutscher Wein und deutscher Sang – sollen in der Welt behalten ihren allerschönsten Klang.“ Mitten in dem allgemeinen Treiben aber bildeten sich wieder einzelne Gruppen in buntem Durcheinander aus Tyrolern, Schweizern, Bremensern, Schwaben und allen möglichen Stämmen zusammengesetzt, machten sich mit einander bekannt und tranken zusammen Brüderschaft. Dazwischen durch tönten die schrillen „Juch-Schroa“ der Tyroler, die sich vor Vergnügen kaum zu fassen wußten. Einer in Kurzhosen und Ledergurt um den Leib, ein prächtiger schlanker Bursche, war von dem Empfang und der Aufnahme in Frankfurt so außer sich, daß er überselig ausrief: „Wönn nit glabet, daß i erst in Himmel kimm, nacher hätt i gmoant, es war dös der Himmel gwös’n.“ Die Tyroler wurden aber auch nicht wenig gefeiert, von allen Tischen reichte man ihnen die Wein- und Champagnergläser entgegen. Sie redeten Jedermann mit ihrem gemüthlichen Du an, und wenn sie im Vorbeigehen an irgend einem Tische zum Verweilen eingeladen wurden, so hieß es vor Allem: „Wanns D’ nit Du sagst, nacher trink i nit mit Dir!“

So schloß unter allen Zeichen der herzlichsten Verbrüderung aller Stämme schon der erste Festabend. Man erzählt sich eine Masse kleiner Züge, welche an demselben in der Festhalle und auf dem Festplatz vorgefallen sein sollen. Wenn sie auch nicht alle wirklich und getreu so geschehen sind, wie man sie erzählt, so galten sie doch unter den Festgenossen allgemein für glaubwürdig, und das beweist schon, daß Keiner sie unter die Unmöglichkeiten rechnete, wie z. B. die folgende Episode überall Gläubige fand. Auf dem Festplatz fällt ein Schütze einem anderen, der ihm grade in den Weg kommt, um den Hals und ruft voller Freude aus: „Das freut mich, Bruder, daß Du auch da bist!“ Der Umarmte tritt einen Schritt zurück und bemerkt, daß er im Augenblick sich nicht erinnere, wen er vor sich habe. Der Andere aber umhalst ihn auf’s Neue und sagt: „Was thut das, ich kenne Dich ja auch nicht.“ Jetzt kannten sich die Beiden und schlenderten Arm in Arm weiter.

Wir haben den ersten Tag ausführlicher behandelt, weil er für den ganzen Geist und Verlauf des Festes entscheidend war, weil wir durch ihn in die Stimmung der nun folgenden Festwoche eingeführt werden. Diese Stimmung, sie war eine in jeder Beziehung vortreffliche, echt patriotisch gehobene und für die Zukunft unseres Vaterlandes gewiß bedeutungsvolle. Es war ohne Zweifel ein politisches Fest, was wir gefeiert haben. Laßt nur erst das Bewußtsein der engen Zusammengehörigkeit aller Theile des deutschen Volkes recht lebendig werden in Tausenden und Abertausenden, und es wird auch seine praktischen Früchte tragen. Hat es nicht schon Früchte getragen? Hat es nicht die Lauen und Zagenden aufgerüttelt und sie zur Theilnahme an der großen nationalen Frage herangezogen? Hat sich nicht im Volke der Drang nach freiheitlicher Einigung des Vaterlandes energischer ausgesprochen denn je? Und wird man diesem Drange, wenn er immer und immer wieder als ausgesprochner Gesammtwille des Volkes auftritt, der seine Rechte verlangt, auf die Dauer widerstreben können? Sind wir nur erst einmal darüber einig, daß wir einig sein wollen, so wird auch die Frage über das Wie? – allerdings die bei Weitem schwierigere – ihrer Lösung näher rücken.

Das Fest hat nach allen Seiten hin gute Lehren gegeben, zunächst dem Volke selbst, es hat ihm gezeigt, welche reiche, der Entwickelung fähige Kraft, welche Wehrkraft es besitzt. Es hat aber auch den Regierungen gezeigt, wie ungefährlich die Bewegungen im Volke sind, denen man nicht voreilig einen Hemmschuh anzulegen sucht. Es ist mit der größten Freisinnigkeit, ja von Einzelnen ganz radical, gesprochen worden, und doch bewahrte das Publicum im Ganzen die größte Mäßigung. Das Schützenfest hat weder zu einem staatsgefährlichen Congreß, noch zu einem Putsch Veranlassung gegeben. Es ging Alles in der schönsten Ruhe und Ordnung ab, und dazu trug nicht wenig der Umstand bei, daß man das Volk seiner eigenen Oberaufsicht überließ, die es mit größerem Geschick auszuüben weiß, als man in den höheren Regionen zu ahnen scheint. Die Achtung vor dem Rechte und vor dem Gesetze ist auch dem deutschen Volk tief eingepflanzt. Eine Handvoll Turner genügten, Hunderttausende von Menschen in aufgeregter Stimmung in bester Ordnung zu halten!

Aber noch etwas weit Bedeutenderes müssen wir als eine positive Errungenschaft des Festes bezeichnen, wir meinen die Achtung, die es mit Ausnahme einzelner gehässiger Stimmen, die auch im Inland nicht fehlen, dem Auslande abgenöthigt hat, und die innige Stammesverbrüderung, die wir wieder mit den Schweizern angeknüpft haben. Mit welcher herzlichen Aufrichtigkeit haben sie dem sich offenbarenden deutschen Volksgeiste ihre ganze Hochachtung gezollt, wie schienen mit einem Male die Vorurtheile gewichen, welche diese beiden Völker bisher stets in einiger Entfernung von einander gehalten hatten! Mußte ihnen nicht schon die festliche Aufnahme, die sie bei der Reise nach Frankfurt allüberall in Deutschland fanden, Kunde davon geben, daß wir sie für unsere natürlichsten und ersehnenswerthesten Bundesgenossen halten? Und wie haben ihre Redner, ein Kurz aus Bern, ein Brönner aus Basel, ein Curti aus St. Gallen, uns in’s Herz geredet, wie haben sie uns ermuthigt, unsere „Völkerpracht“ und unsere „Völkerherrlichkeit“ zu pflegen und einheitlich zusammenzufassen, mit Hinweisung auf das Beispiel ihres kleinen, aber geeinigten Landes!

So haben wir also allerdings thatsächliche Errungenschaften

[524]

Allgemeines deutsches Schützenfest in Frankfurt am Main am 13. Juli 1862.

[526] vom Feste zu berichten, von einem Feste, auf dem alle Seiten des deutschen Volkscharakters wieder so recht hervorgetreten sind, seine großen Eigenschaften sowohl, seine Liebe zum Vaterland, seine Herzlichkeit und Gemüthlichkeit, wie seine Schwächen, seine Ueberschwänglichkeit, sein „Idealismus“, seine Neigung, das Erstrebte mit dem Erreichten zu verwechseln oder vielmehr in der Kraft der Begeisterung es mit vorahnendem Auge als erreicht zu schauen.

Von ganz unberechenbarem Einfluß müssen solche Feste auch auf die heranwachsende Jugend sein. Sie gewöhnt sich daran das als selbstverständlich zu betrachten, was uns so unendlich viel Mühe und Kampf gekostet hat.

Und damit wir bei unserem Rückblicke auf die verschiedenen Eindrücke, welche das Fest hinterlassen hat, nicht eines ganz wesentlichen Momentes vergessen, so sei hier schließlich noch seiner Verherrlichung durch die Anwesenheit des Herzogs Ernst gedacht. Ein Fürst, der sich mitten im Volke als ein Theil des Volkes bewegt, der seine Zeit und ihre Forderungen so vollkommen begriffen hat, ja ihr so vorausgeeilt ist, der so selbstthätig fördernd in die große nationale Bewegung eingreift, das ist eine Erscheinung, wie wir sie in Deutschland nicht alle Tage vor Augen haben.

Dem Leben während des weiteren Verlaufs des Festes können wir nun nicht mehr in seinen einzelnen Aeußerungen folgen. Es concentrirte sich auf die Schießhütte, die Festhalle und den Festplatz.

Werfen wir zunächst einen Blick auf die in der Schießhütte entwickelte Thätigkeit. Hier wurde an 100 Scheiben (70 auf eine Entfernung von 175 Meter, 30 auf eine Entfernung von 300 Meter) von Morgens früh 6 Uhr bis Abends 8 Uhr, mit einer Unterbrechung von 11/2 Stunde während des Mittagsessens, ununterbrochen geschossen. Auf jede Stunde kamen 6000–7000 Schüsse. Nur auf 10 Scheiben wurde aufgelegt geschossen. Für die Festscheiben waren 7 Stände eingerichtet.

Auf die Festscheiben bis 175 Meter Entfernung (Standfestscheibe) hatte jeder Schütze nur je einen Schuß, auf diejenigen von 300 Meter Entfernung (Feldfestscheibe) je zwei Schüsse. Bei den ersten war die Entfernung vom Mittelpunkt des 30 Centimeter haltenden schwarzen Kreises auf weißer Fläche oder des weißen Kreises auf schwarzer Fläche maßgebend, die Manns- oder Feldscheibe dagegen bildete ein Nummerfeld von 20 Punkten. Die geschossenen Punkte wurden zusammengezählt. Auf den übrigen 78 Ständen durfte Jeder so viel Schüsse (der Schuß zu 10 Kreuzer) thun, als er wollte, d. H. so oft er an den Schuß kam, worüber im Anfang manchmal eine halbe Stunde verging. 58 dieser sogenannten Kehrscheiben waren Standkehrscheiben (deren 8 zum Auflegen) auf 175 Meter Entfernung, 20 Feldkehrscheiben auf 300 Meter. Für die Feldkehrscheiben war das Schwarz, welches Kopf, Hals und Rumpf repräsentirt, in zwei Felder getheilt, sodaß Kopf und Hals und die deren Breite entsprechende, durch senkrechte Linien bezeichnete Fläche des Rumpfes zwei Punkte, das übrige Schwarz einen Punkt zählte. Bei den Standkehrscheiben hielt das Trefferfeld für Freihandschießen 15 Centimeter, für Aufgelegtschießen 71/2 Centimeter im Durchmesser.

Auf den Kehrscheiben sollten gar keine Geldpreise gegeben werden. Wer einen Treffer oder einen Punkt geschossen hatte, erhielt dafür einen Vorweis, den er gegen eine Karte einzutauschen hatte. Für sechs Treffer (beim Auflegen für zehn) und für zwanzig Punkte war ein Festthaler ausgesetzt, für die zweiten sechs, resp. zwanzig ein zweiter Festthaler, für die weiteren 12, resp. vierzig abermals ein Festthaler, für noch weitere 12, resp. 40 ein Becher. Von einem Gewinn konnte auf diesen Scheiben somit keine Rede sein. Um einen Thaler (1 fl. 45 kr.) zu gewinnen, mußte wenigstens ein Gulden, resp. 1 fl. 40 kr. verschossen werden. Trefferkarten und Festthaler zu gewinnen, war deshalb nur als Ehrensache zu betrachten. Auf die Festscheiben „Deutschland“ und „Heimath“ durften nur Mitglieder des deutschen Schützenbundes schießen.

Die Schießhütte war ein 1150 Fuß langes, 50 Fuß breites loses und luftiges Viereck. Jeder Schießstand war 10 Fuß breit, die Ladebänke standen quer durch die ganze Hütte. Vor dem Stand lief, durch die ganze Hütte eine lange Tafel zum Auflegen der Büchsen. Im hinteren Raum der Schießhütte befanden sich auf Estraden die Tische der Secretäre. Auf den Feldscheiben war der Andrang der Schützen viel größer als auf die Standscheiben. Dort lagen anfänglich überall 25-30 Büchsen auf, so daß im glücklichsten Fall in der Stunde nur etwa 4–6 Schüsse möglich waren. In den letzten Tagen des Festes hatte der Zudrang sehr nachgelassen, und man konnte schießen, soviel man wollte. Theils waren viele Schützen schon abgereist, theils hatte manche die Ausdauer, die anfänglich nöthig war, ganz vom Schießen entfernt. Sie fanden bessere Rechnung im Genuß der sonstigen Freuden, die das Fest reichlich bot. Von heldenmüthiger Ausdauer zeigten sich vor Allem die Schweizer Und die Tyroler, die geborenen Schützen. Sie standen vom frühen Morgen bis zum späten Abend und vergaßen darüber Banket und Alles, was um sie her Sehenswerthes und Interessantes vorging. Die Tyroler und die Schweizer leisteten natürlich auch am meisten in der Kunst des Treffens. Es waren etwa 250 der besten Schützen Tyrols, Vorarlbergs und Steiermarks unter der Oberaufsicht von vier Feldkaplänen, welche übrigens auch der edlen Schießkunst mächtig waren, zum großen Schützenfeste gezogen. Bekanntlich hatte die Regierung durch Vermittlung des Erzherzog Statthalters eine Summe von 5000 Gulden ausgesetzt, um auch den Armen die Reise nach Frankfurt am Main zu ermöglichen. Die Tyroler schienen es besonders darauf abgesehen zu haben, sich mit den Schweizern zu messen. Als nun die Schweizer die ersten Becher im Stand und im Feld gewonnen hatten, entstand zwischen ihnen und den Tyrolern, welche letztere hie und da ihrem Unmuth Lauf ließen, ein etwas gereiztes Verhältniß, welches jedoch später, als in der bekannten Schmerzenskind-Affaire Oberst Kurz aus Bern so versöhnend eintrat, eine Wendung zu bester Cameradschaft nahm.

Die Schweizer waren besonders zahlreich aus den Cantonen der östlichen und nördlichen Schweiz erschienen. Was die renommirten Schützencantone Zürich, Glarus und Appenzell, was Basel, Aargau, Luzern, Bern, St. Gallen und Thurgau an guten Schützen besitzt, war ziemlich vollständig auf dem Platz. So groß der Vorsprung jedoch auch ist, den die Schweizer selbst in Berücksichtigung der Zahlenproportion erreicht haben, so erkannten sie doch selbst an, daß die Tyroler dennoch die gefährlichsten Rivalen für sie seien. Daß sie das, was sie auf dem Schießstand geleistet haben, mit solchen, zum Theil sehr schlechten und veralteten Waffen geleistet, ist in den Augen der Kenner das glänzendste Zeugniß für sie.

Eine interessante Episode in der Schießhütte war der Zweikampf des Tyrolers Hochenegger und des Schweizers Knutti, zweier der besten Schützen ihrer Länder. Das Wettschießen hat sich zwar zu Gunsten des Schweizers entschieden, aber ganz besonders in Folge der schweizer Waffe, und Knutti selbst gestand gerne zu, daß sein Rivale um kein Haar schlechter geschossen, als er selbst. Das Ende dieses Zweikampfes war ein recht gemüthlicher Act. Als Knutti am ersten Tage desselben 180, Hochenegger aber nur 106, am zweiten Knutti gar 238 und Hochenegger 191 Nummern geschossen hatte, trat dieser zu Jenem, klopfte dem Gegner auf die Schulter und sagte: „Schweizer, wir woll’n uns nit weiter plog’n; mei Waff’ hält’s nit aus. Du bist der Erst’ und i der Zweit’; aber wenn i Dein’n Stutzen g’habt hätt’, hätt’ i Dir heißer g’macht.“ Nun beschlossen sie, beiderseits aufzuhören und sich mit den errungenen Resultaten zu begnügen. Zum Vergnügen thaten sie noch ein paar Schüsse, wobei Einer dem Andern lud, dann spazierten sie Arm in Arm zum Banket. Die Schweizer, welche den Knutti begleiteten, zogen den Hut ab vor dem flotten Kaiserjäger, und die Tyroler im Gefolg ihres Schützenkönigs wiederholten: „Jo, jo, d’Schweizer sind Schützen, guote Schützen.“

Die Schießordnung – welche, beiläufig gesagt, in der Höhe die Kleinigkeit von 6 Fuß 2 Zoll und in der Breite 2 Fuß 5 Zoll mißt – wies eine Gabensumme aus von 108,390 Gulden. Durch die in Verlauf des Festes noch eingelaufenen Gaben stellte sich diese Summe auf annähernd 150,000 Gulden. Die Hälfte der Einlagen auf den Festscheiben (sie betrug 3 Thaler im Stand für 1 Schuß und ebenso viel im Feld für zwei Schüsse) ward zu Prämien verwandt.

Verlassen wir nun die Stätte der ernsten Thätigkeit, der das Fest seine Entstehung verdankt, und treten im Geiste eine Wanderung über den Festplatz an, über den Platz, der eine Reihe von Tagen der Sammelpunkt der Söhne des Landes war, dessen Sinnbild in seiner Mitte hoch oben auf dem Gabentempel thronte, und über den in Kurzem wieder die Pflugschar gehen wird. Der Festplatz bot ein gar reizendes, buntgestaltetes, nach den verschiedenen Tageszeiten verschiedenes Bild. Ein großes unregelmäßiges Viereck, auf dem sich bequem 20 – 25,000 Menschen bewegen konnten, war er rings von Bretern eingefaßt, von [527] denen viele Hunderte von schwarz-roth-goldenen Fähnlein herunter grüßten. Springbrunnen und Bosquets verliehen ihm ein heiteres Ansehen. An seiner einen Seite erhob sich die stattliche Festhalle, imposant und zierlich zugleich mit dem Bilde der Germania. An einer andern Seite wieder liefen die Schießstände hin und ihnen gegenüber eine lange Reihe von Läden und Büreaux. Da hatten die einzelnen Comites ihre Sitze aufgeschlagen, da gab es Post- und Telegraphenbüreaux, dazwischen aber auch Cabinets zum Rasiren und Frisiren, Niederlagen aller möglichen kleinen Gegenstände für den täglichen Bedarf, bei denen allen auf irgend eine Weise die Festhalle, der Gabentempel etc. im Bilde angebracht war. Sogar eine Presse befand sich auf dem Festplatz, durch welche die beim Banket gehaltenen Reden nach den Aufzeichnungen der Stenographen gedruckt wurden und so wenige Stunden nachher in Aller Händen waren. Dieselben werden jetzt in Frankfurt von Redacteur J. A. Hammeran in einem Hefte herausgegeben. Da wogte es nun vom frühen Morgen bis zum späten Abend von Tausenden von fröhlichen und begeisterten Menschen. Da war kein Unterschied des Standes und Ranges mehr, und alle einzelne Sorge wurde über der großen und allgemeinen Freude vergessen.

„Seid umschlungen, Millionen!
Diesen Kuß der ganzen Welt!“

das war die Devise, welche uns aus all den tausend freudestrahlenden Gesichtern entgegenleuchtete. Und nun erst am Abend, wenn es anfing, in der Stadt allmählich auszusterben, wenn Jeder und Jeder, der nicht durch Krankheit oder Alter abgehalten war, beflügelten Schrittes hinauseilte auf die heilig-frohe Stätte, wo ein ganzes Volk versammelt war! War das ein Schauspiel für Götter, wenn die feurige Himmelskugel sich nur zögernd von dem Orte wandte, den sie mit ihrem reinsten Glänze übergossen hatte, wenn sie, ein glühender Ball, hinter den blauen Höhen des aus der Ferne schimmernden Taunus niedersank und die Spitzen der Thürme vergoldete, die von des alten und des neuen Reiches vergangener Herrlichkeit singen und sagen – des Domes und der Paulskirche! Allmählich verschwammen sie im Schatten der Nacht, und dann gingen die Sterne auf, die Sterne oben und unten, die Sterne am klaren Himmelszelte und die Sterne auf dem Festplatze und in dem Feenpalaste, der Halle. Da ergoß sich ein flammendes Lichtmeer über den Häuptern der Arm in Arm Dahinwallenden, die sich zum ersten Male im Leben gesehen hatten und doch alle miteinander so vertraut waren, als wären sie nur eine große Familie. Es war ein wunderbares Treiben – ein Märchen aus Tausend und Einer Nacht zu Fleisch und Blut geworden.

Während des Abends in der Halle bei dem Scheine von 5000 Gasflammen sich 10,000 und mehr Menschen an den unzähligen Tischen zusammenfanden, zusammen tranken und sangen, in den Gängen hin und her drängten und im Vereine mit der schmetternden Musik ein Riesenconcert von Tönen aufführten, ging es beim Mittagstische, mit Ausnahme des ersten Bankets, geregelter und gemäßigter zu. Um halb Zwölf wurde die Halle von den Frühstückenden geräumt – um halb Eins begann das Banket. Ohne Banket-Karte durfte Niemand mehr passiren. Der Kanonendonner, welcher den Schluß des Vormittagsschießens kündete, ertönte, und herein strömte es in die Halle. War das eine bunte Tischgesellschaft! Dort die ordonnanzmäßige Schützenjoppe und der mit einem Wall von Trefferkarten und mit Sträußen, Trophäen vom Festzuge, reichgarnirte Hut – wir behielten den Hut natürlich auf dem Kopf –, hier der Bremenser grüne Kittel, dort wieder die Tyrolerjacke in allen Farben, dazwischen der officielle Frack mit der Comiteschleife und – daß wir die schönste Würze des Bankets nicht vergessen – in duftiger Sommertoilette der Damenflor Frankfurts und die auswärtigen Schützenschwestern, Schützencousinen und Schützenfreundinnen. Blumenmädchen, Blumenknaben und Blumengreise wandelten zwischen den Reihen, und wo sie eine Schöne erblickten, da erfolgte ein Sturmangriff auf den männlichen Nachbar und Schützencavalier.

Noch ein internationaler Verkehr ganz eigener Art zwischen Deutschland und der stammverwandten Schweiz war hier in der Halle angebracht: Appenzeller in rothen Westen und blendend weißen Hemden und Appenzellerinnen waren mit der Schweizer Völkerwanderung herübergekommen und boten Alpenrosen feil, wirkliche, echte und frische Alpenrosen und keine von der Blumenmacherin künstlich verfertigte, wie sie die Schweizer Schützen selbst auf ihren Hüten trugen. Vor der Halle stand eine riesige Kiste, der sie ihren Bedarf entnahmen. Eine solche Kiste kam jeden Tag frisch gefüllt aus Appenzell an, und jeden Abend war ihr Inhalt in tausend schönen Händen. Man sieht, die Schweizer verstanden sich so gut auf die industrielle Ausbeutung des Festes, als unsere Landsleute; auch viele Büchsenmacher aus der Schweiz waren da.

Während man sich in der Halle noch rangirte, die Nummer des Tisches aufsuchte, an dem man sich mit seinen Bekannten Stelldichein gegeben hatte – denn das war der einzige Ort und die einzige Gelegenheit, wohin man sich in dem unendlichen Gewühl mit einiger Aussicht auf Erfolg verabreden konnte – während sich also die essende Welt ordnete, war die kochende, anrichtende und servirende in voller Thätigkeit. An den kolossalen Heerden, deren einer 21 große Kessel hatte, stand bereits die von ihren Chefs angeführte Legion der Spülmädchen mit ihren leeren Suppenterrinen zur Entgegennahme ihrer Portionen bereit. Sie marschirten vor den Kochfrauen auf, die mit ihren kolossalen Aufschöpfern in einem Griff eine große Suppenterrine gefüllt hatten, und trugen sie dann auf die Anrichtetische, wo sie von den Aufwärtern in Empfang genommen wurden. Diese, 135 an der Zahl und erkenntlich an den roth und weißen Kappen, die sie trugen, stellten sich jetzt an den Eingängen in Reih und Glied auf und harrten des Zeichens mit der Trompete, das sie zum Vorrücken ermächtigte.

Es ward gegeben, und nun stürmten sie zu den vier Eingängen der Küche heraus, wo vier Wachtposten aufgestellt waren, welche den ersten Angriff überwachten. Man bedenke, daß für 4000 Speisende eingerichtet war, wenn auch durchschnittlich nur 3000 jeden Tag am Banket Theil nahmen. Während die Suppe gegessen wurde, wurden in der Küche das Ochsenfleisch und die Braten in Zuber ausgezogen, die letzteren aus Bratöfen, die für 200 Pfund Fleisch berechnet und deren Pfannen sechs Fuß lang waren. Zwanzig Trancheurs standen nun an ihren Posten zum Vorschneiden bereit, die Besteckmädchen nahmen das tranchirte Fleisch weg und stellten es auf die Tische, von denen es die Kellner abzuholen hatten. Es waren zu jeder Speise ungefähr 300 Platten zu füllen. Waren die Trancheurs und die Gemüsefrauen, die unterdessen auch das Gemüse anzurichten hatten, auf die Hälfte ihrer Arbeit vorgeschritten, so rief die Trompete die Kellner wieder herein für das Auftragen von Fleisch und Kartoffeln.

So trieb das große Räderwerk in der Küche deren sämmtliches Personal (Oberkellner, Sectionschefs, Aufwärter, Küferkellner, Köche, Kochfrauen, Trancheurs, Spülmädchen u. s. w.), aus beiläufig 500 Personen bestehend, rüstig weiter, bis die ganze, aus Suppe, Rindfleisch, Gemüse, Braten und Torte bestehende Riesentafel in bester Ordnung abgewickelt war. Das ging jedoch nicht so rasch, als es bei dieser ganz auf die Massenverhältnisse berechneten Organisation auf den ersten Blick erscheinen möchte. Die Herren Guggenbühl und Hafner waren zwar immer bereit, einen Gang rasch auf den andern folgen zu lassen, nicht so der Trompeter in Schützentracht mit der hochwallenden rothen Feder, der nach jedem Gang auf die Tribüne marschirte und ein weithin schallendes Aufgepaßt! in die summende Menge hinein schmetterte.

Dann folgte ihm ein Herr in einer Lila-Schärpe auf dem Fuße (ein Mitglied des Preßcomités, unter dessen Oberaufsicht die Banket-Beredsamkeit stand) und verkündete mit lauter Stimme einen Namen. Beim letzten Banket war gar manche dieser lauten Stimmen eine heisere geworden, die den Namen des betreffenden Redners mehr krähte, als ausrief. Darauf begab sich der also Ausgerufene auf die Tribüne und sprach nun zum versammelten Volke. Sprach er laut und vernehmlich, sehr laut und sehr vernehmlich, so ließ das Tellergeklapper und Gläsergeklinge nach, und die Leute hörten dem Manne aufmerksam zu, wenigstens so lange, bis er sie langweilte; sprach er aber nicht mit voller, durchdringender Stimme, so war sein Urtheil von vornherein schon gefällt, und wenn er die schönsten Gedanken und die kühnsten Metaphern ausgesprochen hätte. Man ließ ihn reden, applaudirte auch und rief Hoch, wenn er ausgeredet hatte, im Uebrigen aber ließ man sich im Einzelgespräch und in sonstigen geräuschvollen Beschäftigungen nicht stören und tröstete sich über den Verlust einer Rede im Hinblick auf die emsig schaffenden Stenographen, welche jedes Wörtlein, das da von der dicht über ihrem Sitze angebrachten Tribüne auf ihre Häupter herabfiel, auffingen und zur Kunde der Mit- und Nachwelt brachten. Die Zahl der Redner war unabsehbar. Obgleich sich gerade in den Tischreden der eigentlich geistige Gehalt der Feier, der ernste politische Hintergrund derselben und die Tendenzen, [528] von denen das Fest getragen ward, am besten spiegeln und deshalb gerade eine Blumenlese aus den Reden hier sehr am Platze wäre, so sind wir doch in einiger Verlegenheit, wo anfangen und wo aufhören. Am meisten Aufsehen und am meisten Geschrei haben die beiden Reden von Metz und Wildauer gemacht. Der ganze Conflict hat in der Entfernung und durch das Hetzen der Zeitungen eine Bedeutung angenommen, die er wahrlich nicht verdient. Metz gedachte bekanntlich in seiner Rede der „Schmerzenskinder“ Deutschlands und führte dabei neben Kurhessen und Schleswig-Holstein auch Deutsch-Oesterreich an, aber wie? Man höre seine eignen Worte. Er sagte:

„Meine Herren! Ich komme zu den lieben Brüdern in Wien, ich komme zu den wackern Tyrolern, zu den Männern aus Steiermark, ich komme zu den Deutschen in Oesterreich. Meine Herren, sie gehören zu uns durch Bande des Bluts, durch Bande der Geschichte. Leider sucht manches anscheinend nicht, wenigstens kaum besiegbare Hinderniß uns entgegen zu treten. Man will von uns zurückhalten die lieben Brüder in Oesterreich, aber, meine Herren, ich denke, die drei Schmerzenskinder, die Kurhessen, die Schleswig-Holsteiner und auch die wackern deutschen Brüder in Oesterreich, sie können und werden uns erhalten werden (Bravo!), wenn jeder Stamm, wenn jeder Mann die letzten Tröpflein seines Herzbluts hergiebt mit unbedingter Hingebung an’s deutsche Vaterland (lebhafter Beifall), wenn jeder Mann rücksichtslos schafft für die gute Sache des Vaterlands, wenn jeder Mann nicht blos im Moment aufjubelt hoch zum Himmel, nein, wenn er bereit ist, Leid und Freud zu tragen für die Sache des Vaterlandes, wenn er bereit ist, Freud und Leid zu tragen für die gute und heilige Sache des Vaterlandes. Meine Herren, in diesem Moment beschwöre ich Sie, betrachten Sie diesen herrlichen Prachtbau, betrachten Sie ihn als deutschen Rütli. Schwören Sie treu der heiligen deutschen Sache, hinauszutragen die Idee der deutschen Freiheit, hinauszutragen die Sache der deutschen Einheit, hinauszutragen in alle Kreise. Schwören Sie – der Moment wird nicht ausbleiben, unsere Feinde bürgen uns dessen, an welchem man versuchen wird, an welchem man allen Muth zusammenraffen wird, um von Neuem die Freude des Volks, die Einigung des Volks zu hintertreiben – für diesen Moment schwören Sie gleich unsern Schweizer-Brüdern, welche dadurch frei und einig wurden, treue Hingebung für dieses Sinnbild (zeigt nach der deutschen Fahne) der deutschen Freiheit und Einheit! Schwören Sie Leib und Leben, Hab und Gut, Weib und Kind, Alles dahin zu geben für’s Höchste, was wir kennen, für’s Höchste, was uns noch fehlt, um ein großes, herrliches Volk zu sein. Schwören Sie, und drücken Sie den Schwur aus mit gefüllten Gläsern durch ein donnerndes Hoch auf Deutschland. Das freie, das einige, das baldigst freiheitlich geeinigte Deutschland, es lebe hoch!!!“

Herr Professor Wildauer von Innsbruck entgegnete darauf:

„Meine Herren! Wir haben in einem Trinkspruch auf das große deutsche Vaterland drei Schmerzenskinder der deutschen Nation nennen gehört, die Kurhessen, Schleswig-Holsteiner und die Oesterreichs. Bei der Nennung der ersten Brüder haben wir Oesterreichs so kräftig in das Hoch mit eingestimmt, wie irgend ein anderer deutscher Stamm. Als der dritte Name genannt wurde, da zeigte die lautlose Stille, die bang über der Versammlung lag, daß Oesterreich nicht mit diesem Namen zu bezeichnen sei. Wir sind keine Schmerzenskinder und sind als solche nicht hierhergekommen; in Oesterreich giebt es keinen Schmerzensschrei. Wir hängen treu an unserem Kaiser und sagen es auch unverhohlen. Wir haben ein Vaterland und haben Ursache es zu lieben, aber deßwegen geben wir keinem deutschen Stamme und Lande das Privilegium, von sich zu sagen, daß es deutscher fühlt als wir. Wir wetteifern mit jedem deutschen Lande und Stamme an redlichem Willen, treuem Sinn, möglicher Thatkraft, wo Thatkraft nothwendig ist. Wir haben einen Kaiser, der bei Villafranca es vorgezogen hat, sein Reich zu verkleinern, um keinen Fuß breit deutschen Landes am Rheine hinwegzugeben.“

Hier entstand allerdings einige Minuten lang ein kleiner Tumult. Diese gewaltsame und unwahre Zurechtlegung eines Stückes Geschichte, das wir alle miterlebt haben, wollte nicht Jedermann behagen. Als die Ruhe wieder hergestellt war, fuhr Wildauer fort:

„Wir sind hierhergekommen als voll- und ebenbürtige Kinder des großen deutschen Vaterhauses; wir grüßen Sie Alle mit brüderlicher Herzlichkeit als Angehörige einer und derselben Familie. Wir haben zu Hause Friede, bei uns ist Eintracht zwischen unserm Herrn und dem Volk. Wir sind keine Schmerzenskinder. Oesterreich hat so gut wie Andere mitgewirkt, das gefallene Recht in Kurhessen wieder aufzurichten, und seien Sie überzeugt, in Zukunft wird dasselbe Oesterreich auch mitwirken, daß das zertretene Recht wieder aufblühe, wo das Land liegt gleich einer Doppeleiche: Schleswig-Holstein. Wir sind keine Schmerzenskinder, wir stehen auf deutschem Boden. Wir sind hierhergekommen, um unser Recht zu üben, als Angehörige derselben Familie; wir sind nicht Gäste, wir gehören hierher. Wir sind auch nicht mit leeren Händen hierhergekommen; nicht daß ich damit die Besten meine, die wir mitgebracht, ich meine nicht den Fahnenschwur Tyrols, der eben so der Fahne Deutschlands als der Fahne Oesterreichs gilt, wir haben noch etwas Anderes in die Wagschale zu legen, das was wir gethan zum Schutz der deutschen Grenzen. In kurzer Frist von einigen Jahren sind wir, wie wir jetzt zum friedlichen Wettkampf nach Frankfurt gezogen, auch an die Grenzmarken Deutschlands geeilt. Auch dort haben wir Schützenfeste gefeiert, aber freilich Schützenfeste von blutigem Ernst, echte Nationalschießen, wo es dem deutschen Boden gegolten hat. Es waren keine Schmerzenskinder, die dort den frechen Angriff zurückgewiesen haben; wie es unsere Väter gehalten, so werden wir’s auch in Zukunft wieder treiben, wir werden Wache halten an den Grenzmarken deutschen Gebiets und im Süden dafür sorgen, daß der Feind kein deutsches Gebiet entreißt. Wir werden sorgen, daß er nicht einmal eine Alpenrose stiehlt, die deutschem Boden entkeimet. Nehmen Sie die volle Versicherung, wenn einst der Erbfeind deutschen Namens nach anderem Gebiete greift als nach dem, was an den Alpen liegt, an der Etsch oder dem Mincio, wenn er seine Hände nach den Rebenhügeln des Rheins ausstreckt: dann werden die Oesterreicher und Tyroler auch am Platze sein, wir werden nicht glauben damit eine Pflicht zu erfüllen, nein, wir nehmen das Recht dazu in Anspruch. Wollen wir doch den Riesenleib der erhabenen Mutter Germania nicht durch moderne Heilkunst bei lebendigem Leibe seciren, wollen wir nicht gesunde Glieder hinwegschneiden, bewahren wir den Riesenleib im Besitz all’ seiner Glieder, und weiter, lassen wir diesen Riesenleib angethan mit dem weiten reichen Mantel seiner Herrschaft in Süd, Ost und überall. Heiliger Boden ist überall, so weit die deutsche Zunge klingt, soweit die deutsche Herrschaft reicht. Auf diese große und versammelte ungeschwächte mächtige deutsche Nation ein dreifaches Hoch!“

Wir haben diese beiden Reden absichtlich genauer mitgetheilt, um die durch die Parteibeleuchtung so vielfach verschobene Affaire Metz-Wildauer wieder auf ihren ursprünglichen Standpunkt zurückzuführen, und damit sich Jeder selbst ein Urtheil bilden könne, wer hier mehr deutsch und dem Geiste des aus dem Volksthum hervorgewachsenen Festes entsprechend gedacht und gesprochen habe, und wer weniger. Ob Metz diesen häkeligen Punkt, da es doch weiter keinen Zweck hatte und er im Voraus wissen konnte, daß er hier oder dort verletzen werde, überhaupt hätte berühren sollen, wollen wir hier nicht untersuchen. Genug, der Streit wurde durch die vermittelnden Worte des Oberst Kurz aus Bern und Streit’s aus Coburg in taktvoller Weise beigelegt und hinterließ factisch keinen dauernden Mißton in der Versammlung oder außerhalb derselben. Herr Wildauer ist Ritter der eisernen Krone geworden, hat eine reiche Sammlung von Visitenkarten und Dankschreiben erworben, und damit sollte man die Sache auf sich beruhen lassen. Es wäre in der That gewiß ersprießlicher gewesen, wenn viel bedeutsamere Worte, wie die eines Schultze-Delitzsch, eines Karl Grün, eines Curti aus St. Gallen und so vieler Andern, deren Namen wir nicht einmal alle aufführen können, einen solchen Wiederhall in der Presse und im Publicum gefunden hätten.



[542]
4. Der Schluß des Festes.
Der Schweizer Curti, seine Rede und der deutsche Mädchen-Dank – Das Schreiben aus Amerika – Ein umflortes Banner – Die Wacht am Rhein – Schluß und Abschied.

Die Reden, der ernste Gehalt des heiteren Festes, in denen sich die Hoffnungen, die Wünsche, aber auch die Forderungen des deutschen Volksgeistes manifestirten, gaben hier und da Veranlassungen zu Scenen, die das Gemüth tief ergreifen und den phantasiereichen Beschauer hinreißen mußten. Wir wollen nur eine erwähnen. Auf dem letzten officiellen Banket hatte Curti aus St. Gallen, Mitglied des Schweizer Nationalraths, uns die Grüße seiner in die Heimath zurückgekehrten Landsleute überbracht. Er hatte glänzend gesprochen, mit attischer Beredsamkeit. Doppelt wirksam waren seine Worte, weil er ein ehrwürdiger Greis mit jugendlichem Feuer ist, weil er gleichsam in officieller Eigenschaft den Ausdruck der Stimmung des schweizerischen Nationalrathes wiedergab. „Seid Ihr nicht Eine Nation?“ hatte er begeistert ausgerufen. „Und habt Ihr nicht Ein Land, Eine Sprache, Eine Wissenschaft und Kunst, Eine Gesittung, Eine Geschichte, Eine Zukunft? Habt Ihr nicht miteinander gekämpft in ernsten, großen Tagen, und habt Ihr nicht miteinander Euch frei gemacht? und die Interessen selbst, verlangen Eure Interessen nicht die Größe Deutschlands? Und darf ich nicht in Euere Herzen greifen, um herauszufragen: Ist es nicht bei Euch eine gemeinsame Ueberzeugung, daß Deutschland eine große Mission geworden ist, Schwerpunkt zu sein in Europa für alle großen Interessen der Humanität und des Fortschrittes? des reinen makellosen Fortschreitens eines geläuterten Humanismus? Was gilt es aber nun? Ausdauer, Beharrlichkeit für die höchsten Güter des Lebens, für die Ehre einer Nation und für ihr Voranstehen auf dem Punkte, auf dem Platze, den ihr die Vorsehung angewiesen hat. Da darf man wohl etwas aushalten und bestehen! Und sind nicht die alten Wahlsprüche die Eueren? Hier stehe ich, ich kann nicht anders! und eine Idee, zehntausendmal vereitelt, darf nicht aufgegeben werden; ein richtiger Gedanke, richtig einmal ausgesprochen, ist des Erfolges sicher; der Wahrheit der Natur der Dinge kann nichts widerstehen. Darum hinaufgeschaut und auf Gott vertraut und auf den Genius in Euch, auf den Genius Europa’s, auf den Genius der Menschheit. Sie sind in Italien auch nicht verzagt und sie haben Großes errungen, und wenn sie noch in schwierigeren Verhältnissen stehen, sie werden Mehreres erringen; Deutschland kann nicht hintan sein! Also auf den glücklichsten Schluß und den ganzen, nachhaltigen, segensvollen Erfolg Eures Festes – wie ihn die Besten Eurer Nation unter Euch, und die Besten Eurer Nation unter den Freunden, Förderern und Theilnehmern desselben gedacht und, ich bin es sicher, ganz gewiß festhalten werden, daneben aber noch einmal auf die bleibende Verbrüderung des nachbarlichen, kleinen Ländchens mein doppeltes, dreifach donnerndes Hoch!“

Kaum hatte der edle Greis, der mit der feurigen Zunge der Wahrheit und Begeisterung geredet und wie ein gottgesandter Prophet dagestanden hatte, geendet, als sich eine Anzahl deutscher Mädchen, hingerissen von der zündenden Gewalt seiner Worte, um ihn schaarten und ihm ihre dankbaren Gefühle für seine herzlichen Worte durch Ueberreichung ihrer Sträuße ausdrückten. Der alte Mann wußte sich gut zu revanchiren. Er drückte jeder der blühenden und glühenden Jungfrauen einen väterlichen Weihekuß auf die Stirne und ermahnte sie, in ihrer Gesinnung zu beharren und, wenn sie einstens Gatten und Söhne bekommen, sie in diesem Geiste zu stählen. Es war ein erschütternder Moment, wie die athemlos lauschenden Mädchen hochklopfenden Herzens an den Lippen der ehrwürdigen Attinghausen-Erscheinung hingen, wie sich nach und nach eine andächtige Gemeinde um die kleine Gruppe sammelte. Diesen Kuß werden die deutschen Mädchen ihr Lebtag nicht vergessen, und ihre Kinder und Kindeskinder werden davon erzählt bekommen.

Aber nicht allein in der Festhalle wurden patriotische Reden gehalten, es fiel auch außerhalb derselben manches begeisterte Wort vor Tausenden von Zuhörern. Besonders waren es die Uebergaben verschiedener Fahnen am Gabentempel, welche Veranlassung zu schönen, weihevollen Feierlichkeiten und zu warmen Versicherungen der Freunde und Brüder im Auslande Veranlassung gaben. An den Deutschen im Auslande waren die bedeutungsvollen Tage nicht spurlos vorübergegangen. Beglückwünschende Schreiben und Telegramme an das Centralcomité liefen massenweise aus allen Ländern ein, wo Deutsche in größerer oder kleinerer Anzahl in freiwilligem oder gezwungenem Exil zusammen wohnen. Es ist hier am Orte zu erwähnen, daß überhaupt die eingelaufenen theilnehmenden Grüße aus der Ferne in Poesie und Prosa, von Einzelnen und Gesellschaften, eine ganze Literatur bilden und gesammelt der sprechendste Beweis für die große und allseitige Theilnahme sein werden, welche das Fest überall, auch in weiter Ferne, bei Denen gefunden, die verhindert waren persönlich in Frankfurt zu erscheinen.

Eine warme Sympathie hatte das Fest vor Allem bei den Deutschen in Amerika gefunden, welche auch in der neuen Heimath treu am Vaterlande hängen. Eine Deputation derselben war sogar über das Weltmeer gekommen, um das Fest verherrlichen zu helfen. Am zweiten Festtag überreichten [543] sie am Gabentempel dem deutschen Schützenbund das Sternenbanner in Gegenwart des Herzogs von Coburg, des Vorstandes des deutschen Schützenbundes, der Comitemitglieder und einer großen Anzahl Schützen und Festtheilnehmer. Mit der größten Hochachtung vor dem deutschen Volke, das überall voran ist, wo es die wahren Interessen der Civilisation zu vertreten gilt, das jetzt in Amerika in den Kampf für Freiheit und Recht Hunderttausende von Streitern gestellt hat, sprach Generalconsul Murphy in englischer Sprache. Der deutsche Schützenverein in Philadelphia hatte eine Adresse gesandt, die bei der Fahnenweihe verlesen wurde. Dies Schreiben ergriff alle Anwesenden durch den echt deutschen Sinn, die Herzlichkeit und Freimüthigkeit, die es durchwehte. Unter Anderem heißt es darin:

„Auch inmitten der schweren Prüfung, mit welcher jetzt unser amerikanisches Vaterland heimgesucht ist, und inmitten der schweren Pflichten, welche uns dieselbe auferlegt, vergessen wir nicht das deutsche Vaterland. Mit Jubel begrüßen wir die Stiftung eines großen deutschen Nationalschützenbundes! So ist es recht! Die Wehrhaftigkeit einer Nation ist ihr einziger Schutz, ihre einzige Macht nach innen und außen, und daß Nichts so sehr eine solche hebt, wie die Schützen-Vereine, das beweist uns die gepriesene Schlagfertigkeit der Bürger unsrer freien deutschen Städte in frühern Zeiten, und die Geschichte und die Volkswehr der Schweiz. Die Vereinigung aller deutschen Schützen-Vereine zu einem großen Nationalbunde ist uns sichere Gewähr, daß das deutsche Bewußtsein in mächtigem Voranschreiten ist. Sobald auf der Fahne aller deutschen Patrioten das Motto zu lesen sein wird: „Freizügigkeit in ganz Deutschland!“ so wird das deutsche Bürgerthum aus den Ruinen der Kleinstaaterei sich mit Macht erheben, und ihm wird Eure Fahne mit der Inschrift: „Allgemeine Wehrhaftigkeit!“ siegreich voranschreiten, zur Begründung des neuen Volksstaates der deutschen Union. Glück ans! theure Landsleute und Waffenbrüder! Voran aus der schweren Bahn, die Ihr so muthig betreten! – Möge auch für Deutschland die Zeit bald anbrechen, wo als Unterbau für ein einiges Volksreich fest begründet ist: Einheit des Maß-, Münz- und Gewichtssystems, Handels- und Gewerbefreiheit und Freizügigkeit ohne alle Paß- und Polizeibehinderung im ganzen deutschen Vaterlande. Der Staat, der aus solcher Grundlage errichtet wird, steht fest ohne Wanken – ihn erschüttert kein Sturm von außen oder innen – und Volksheer auf Volksheer erhebt sich freiwillig in der Stunde der Gefahr für seine Vertheidigung, seine Macht, seinen Ruhm und seine Größe. Denn seine Erhaltung ist die Erhaltung der Wohlfahrt Aller. Unsere Union giebt davon das Beispiel!“

Tags darauf übergaben die Schweizer das eidgenössische Kreuz an den Frankfurter Schützenverein, das jedoch Dr. S. Müller dem ganzen Deutschland gewidmet wissen wollte und es so entgegennahm. „Nicht in den Farben der Cantone erscheinen wir hier; nein, wir sind Bürger eines Landes, denn für uns giebt es nur eine Schweiz, wie es für Euch Deutsche nur ein Deutschland giebt. – – Euch, deutsche Schützenbrüder, Euch, Bürger Frankfurts, Dir, Deutschland, Du Vaterland der Denker und Dichter, Euch Allen, die Ihr aus allen Weltgegenden Germaniens zu diesem Nationalfest geeilt seid, reichen wir die Bruderhand. Die freie Schweiz ist gekommen, mit dem freien Deutschland sich zu verbrüdern.“

Das war ein offenes, aufrichtiges Manneswort und ans solchem Munde doppelt werthvoll. Die Schweizer wissen, was sie wollen. In diese dargebotene Bruderhand eines Volkes, das sich eines festen, geordneten Staatswesens und freien Bürgerthumes erfreut, dürfen wir getrost einschlagen und wir haben eingeschlagen.

Kaum waren die preußischen Abgeordneten abgereist, am vorletzten Festtag, als gegen Abend am Gabentempel auch die Wiener dem Schützenbunde eine Fahne übergaben. Die Wiener Fahne zeigt auf der Vorderseite das reich in Gold gestickte Wappen der Stadt Wien auf weiß-rothem Seidengrunde, rückwärts aber auf dem Felde von grüner Seide eine Scheibe auf zwei Stutzen ruhend, mit goldgesticktem Eichenlaub umschlungen und auf Blättern die Namen der Schießstände in der nächsten Nachbarschaft von Wien tragend. Der Schaft endet in einer reich vergoldeten Hellebarde mit dem Reichsadler. Der Redner, der die Fahne übergab (Stuböck aus Wien), betonte besonders die Liebe, mit der die größte Stadt Deutschlands an Deutschland hänge und verwahrte sich nochmals im Namen Deutsch-Oesterreichs gegen das „Schmerzenskind“, fügte aber zugleich hinzu: „Wir Deutsche in Oesterreich haben einen schweren Stand, da wir umringt sind von verschiedenen Nationalitäten. Sind wir erst zur vollen Geltung gekommen, dann werden wir auch mit Macht eintreten.“

Noch eine Fahnenübergabe hat stattgefunden keine freudvolle, aber eine tief erschütternde. An einem düstern, regnerischen Abend zog unter Anführung eines umflorten Banners die rüstige Turnerschaar der Schleswig-Holsteiner nach dem Gabentempel. Von seinen Stufen herab sprach Graf Baudissin mit jenem heiligen Zorne, den das Bewußtsein des Rechts und das Gefühl erlittener Schmach eingiebt, von dem Schandflecke, der auf dem deutschen Namen haftet und den wir dem Geiste jenes Hauses in Frankfurt verdanken, das jetzt auch mit den deutschen Farben zu liebäugeln anfängt. „Wollt Ihr mir versprechen, diese umflorte Fahne zu ergreifen, sobald die Stunde ruft, und nicht eher zu rasten, als bis Ihr sie uns zurückgebracht habt, und bis an der Stelle des schwarzen Flores die deutschen Farben wehen werden?“ Und ein tausendstimmiges Ja machte die Lüfte erzittern. „Darf ich meinen Landsleuten die Versicherung geben, daß sie auf die deutsche Jugend zählen können?“ – „Ja, ja, das dürfen Sie!“ erschallte es wieder in begeistertem Chorus. Das war ein Schmerzensschrei in all den Jubel und die Festfreude hinein, der so lange Nachhallen möge’ bis diese große, die größte Schuld Deutschlands getilgt ist ans dem Schuldbuch der Geschichte.

Noch eines Theiles der Festgeschichte, der nicht wenig dazu beitrug, die Gemüther zu heben und dem Feste den echt deutschen Charakter zu wahren, dürfen wir nicht vergessen, des Antheiles, den die Kunst, den der Gesang an dem Feste hatte. Schützen, Turner und Sänger – diese Trias ward während des Festes in unzähligen Gedichten und in Inschriften als der wahre Mittelpunkt aller Bestrebungen der Gegenwart gepriesen – sie war beim Feste selbst in der schönsten und förderlichsten Weise verkörpert. Der Antheil, den die Turner nahmen, ohne die das erste Bundesschießen kaum zu ermöglichen gewesen wäre, ist schon früher berührt und gewürdigt worden. Aber auch die Sänger haben das Ihrige gethan und das ernste Streben und seine hohen Ziele im Liede verherrlicht. Schon am zweiten Festtage traten die verbündeten Männergesangvereine der Stadt (700 Sänger) auf einer eigens zu den Gesangesaufführungen gebauten Bühne zusammen und ließen ihre kräftigen vaterländischen Weisen über die Häupter einer Zuhörerschaft, die sich nach Zehntausenden zählte, dahinbrausen. Dem gesungenen Worte, das nicht Alle vernehmen konnten, kam das auf weite Entfernungen hin sichtbare lebende Bild zu Hülfe, zuerst die „Wacht am Rheine“.

Den Hintergrund des Tableau’s bildete die Gegend bei Caub am Rhein. Schützen stehen auf Vorposten. Da gewahrt der Posten den Feind. Es wird lebendig, die Wache verstärkt sich. Der Feind kommt näher, und man beschließt den Angriff. Mit gefälltem Gewehr ziehen die Schützen dem Feinde entgegen unter dem Klang der beiden Schlußstrophen des Liedes. Das zweite Bild, ein Barde in bengalischer Beleuchtung, erschien bei der mit Enthusiasmus aufgenommenen Hymne von Heinrich Neeb: „Frisch auf zum Siegen,“ eine Composition, die schon beim vorjährigen Nationalfeste in Nürnberg Tausende von Herzen entflammt hatte. Die verbündeten Männergesangvereine brachten dann noch an einem andern Festabend das mit vielem Beifall aufgenommene „neudeutsche Schützenlied“ von Friebel und verschiedene Chöre zur Aufführung. Wieder ein anderer Abend war durch den Frankfurter „Liederkranz“ würdig ausgefüllt. Er brachte ein Festspiel von Dr. H. Weismann mit Chören seines Dirigenten Gellert zur Aufführung, welches in hochpoetischer Weise dem Einheitsgedanken des Festes zum Ausdruck verhalf und dadurch eine besondere Weihe erhalten hatte, daß Fanny Janauschek vom Hoftheater zu Dresden, die hochgefeierte Tragödin, einst der Stolz der Frankfurter Bühne und der Liebling des Publicums, die Rolle der Germania übernommen hatte. Ihre majestätische Erscheinung, ihr machtvolles Organ und ihr schwunghafter Pathos einten sich zu einem Bilde der Germania, das einen gewaltigen Eindruck machte und einen namenlosen Jubel unter der andächtig lauschenden Menge hervorrief.

So war jeden Abend dafür gesorgt, daß die vielen Tausende, welche bis spät in die Nacht den hell strahlenden Festplatz erfüllten und nur zum kleinsten Theile in der Festhalle Platz finden konnten, Aug’ und Ohr anregende Unterhaltung fanden. Zu verschiedenen Malen wurden auch großartige Feuerwerke abgebrannt mit bengalischen Beleuchtungen des Platzes, welche von magischer Wirkung waren.

Der weite Festplatz vermochte die zahllose Menge der Festgenossen nicht alle zu fassen. Es war daher sehr gut, daß dieselbe aus einem zweiten viel größeren Raume, auf der Bornheimer Haide, wo kein Entrée erhoben wurde, sich nach Lust ausbreiten konnte. Hier war eine ganze Stadt von Wirthschafts- und Verkaufsbuden und von Sehenswürdigkeiten aller Art entstanden, und ein echt volksfestliches Treiben in großartigem Maßstabe spielte sich hier zwei Wochen hindurch vom frühen Morgen bis zum späten Abend in ununterbrochener Bewegung ab. Da fehlte auch nichts, was zu einem großen Jahrmarkt gehört, vom Kunstreitercircus bis zum Kasperle-Theater, Caroussels, Mordgeschichten, Seiltänzer, Wahrsagerinnen, Schießstände, Harfenistinnen und Riesenschweine. Vom frühen Morgen bis zum späten Abend tobte, schwirrte und sauste es auf dieser Haide wie in einem Riesenbienenkorbe.

So war unter Spiel und Ernst das Ende des schönen Festes herangenaht. Schon in der Mitte der Festwoche und noch mehr in der zweiten Hälfte derselben waren die meisten Gäste wieder von dannen gezogen, alle voll des Lobes über die treffliche Anordnung und Leitung des Festes durch das Comite, und voll des Dankes für die überaus herzliche und gastfreundliche Aufnahme, die sie gefunden hatten. Die am weitesten hergekommen waren, blieben am längsten da, – die Oesterreicher und die Tyroler. Am Abend des 21. feierten sie in der Halle ihren Abschied. Sie jodelten und sangen Alpenlieder, daß es eine Lust war.

„Frankfurt, du, du bist mei Freud’!
Da hab’n d’ Madeln sakrisch Schneid.
Zwar giebt’s keine Gamslen zu derjagen,
Aber Becher zum Vertragen.“

Und unter einem lustigen Jodler flogen die Hüte in die Luft, und die ganze Halle gerieth in freudige Bewegung.

Des andern Tages – eben hatte um 4 Uhr die Preisvertheilung stattgefunden – holten die Baiern und die Tyroler ihre Fahnen in der Halle ab. Die Scheidestunde war gekommen. Manchem schmucken Hochlandssohne stahl sich da ein salziges Tröpflein hinter die Wimpern, – aber er wischte es weg und verjubelte seinen Trennungsschmerz in desto lauteren Juchschroa’s. Eben hatten sich die Tyroler und die Oesterreicher unter ihre Fahnen geschaart und zum Abzug angeschickt, als Einer rief: „Wir begleiten die Tyroler nach der Bahn! Wer geht mit?“ Gesagt, gethan. Im Nu hatte sich ein improvisierter Zug gebildet, Comitémitglieder, Turnerschützen Turnerknaben, Publicum und – nicht zu vergessen, die Festjungfrauen die bei der Preisvertheilung noch einmal im Festornate zugegen gewesen waren, Allen voraus die Münchener Musik. Unter Gesang und Musik ging’s durch die Stadt. Die Kränze waren zwar schon verwelkt, aber die Herzen noch frisch. Die Fenster flogen auf, und manche Schöne warf „ihrem Schützen“ noch eine Kußhand und ein duftendes Sträußlein zu, das dieser mit seinem Preisbecher auffing. Wie eine Lawine vergrößerte sich der Zug, bis er endlich am bairischen Bahnhof angelangt war. Hier gab es rührende Abschiedsscenen. Das Händedrücken und Umarmen wollte kein Ende nehmen. Eine der Festjungfrauen, und noch dazu eine protestantische, gab einem Tyroler, der sie darum bat, auf Geheiß des [544] Festvorstandes Dr. Sigmund Müller einen Kuß für das ganze Land Tyrol. Was der Herr Bischof von Brixen zu diesem Ketzerkuß sagen mag, und ob sich das Land Tyrol dieses Friedens- und Versöhnungskusses erinnert, wenn die treue Heerde von den geistlichen Oberhirten wieder zu einer Protestantenhetze aufgeboten wird?

Es bleibt uns nur noch übrig, aus der langen Reihe von Preisgekrönten die Namen der ersten Preisträger auf den einzelnen Festscheiben anzuführen. Leider können wir auf eine nähere Beschreibung der herrlichen Ehrengaben, welche im Gabentempel während des ganzen Festes die sehnsüchtigen und bewundernden Blicke vieler Tausende auf sich zogen, hier nicht weiter eingehen. Die schönsten und werthvollsten derselben, wie das Nationalvereins-Trinkhorn und den Wiener Pokal, findet der Leser auf der Illustration der Gartenlaube.

Die ersten Preise gewannen: Auf der Feldfestscheibe „Heimath“ August Böllert in Düsseldorf. 1000 Festthaler, Ehrengabe der Stadt Frankfurt (Werth fl. 1750). – Auf der Feldfestscheibe „Schill“ Joseph Feldmann aus Glarus. Ein silbernes Trinkhorn, Ehrengabe von Herzog Ernst (Werth fl. 368). – Auf der Feldfestscheibe „Palm“ Kaufmann Weber in Hausen (Schweiz). Oelgemälde vom Turnerbund in Baiern. (Werth fl. 500). – Auf der Feldfestscheibe „Andreas Hofer“ Fridolin Schwitter aus Neffles (Glarus). Ein silbernes Besteck, Ehrengabe des alten Bürgervereins in Frankfurt. (Werth fl. 400). – Auf der Feldfestscheibe „Körner“ von Suri in Köln. Ein silbernes Trinkhorn von den Schützen in Wien. (Werth fl. 700). – Auf der Standfestscheibe „Deutschland“ Holzhändler Bechtel in Hanau. Elfenbeinpokal der Stadt Wien. (Werth fl. 1300). – Auf der Standfestscheibe „Rhein“ Revierförster Enslin aus Schwäbisch-Gmünd. Ein silberner Pokal vom Liederkranz in Frankfurt. (Werth fl. 400). – Auf der Standfestscheibe „Donau“ Schlosser Bergmann aus Innsbruck. Eine Whitworth-Büchse von den Deutschen in Manchester. (Werth fl. 500). – Auf der Standfestscheibe „Elbe“ Küfermeister Spamann aus Ravensburg (Würtemberg). Ein silberner Tafelaufsatz von den Deutschen in Prag. (Werth fl. 750). – Auf der Standfestscheibe „Weser“ Metzger Hausmann aus Ellen (Schweiz). 100 Ducaten vom Fürsten Thurn und Taxis in Regensburg. – Auf der Standfestscheibe „Oder“ Fabrikant Faller aus Lenzkirch (Baden). Ein goldner Pokal von der Schützengesellschaft in Coblenz. (Werth fl. 105).

Das zweite deutsche Schützenfest findet nach dem Beschluß des Schützentages in Bremen statt. Hoffen wir, daß bis dahin das erste schon seine reichen Früchte für das Gesammtleben der Nation getragen habe!




PS: Siehe auch Ehrengabe der Münchener Schützen zum Frankfurter Schützenfest in Heft 30.
  1. Wir bitten unsere Leser, nicht zu vergessen, daß die Herstellung einer Nummer der Gartenlaube jetzt drei Wochen Zeit erfordert, Text und Abbildungen also nicht gleichzeitig mit dem Feste erscheinen können.
    D. Red.
  2. Für Diejenigen, welche sich specieller dafür interessiren, möge hier die genaue Beschreibung dieser Waffe nach §. 56 der Satzungen des deutschen Schützenbundes folgen: „Die deutsche Schützenwaffe hat einen einschließlich der Patentschraube 0,84 Meter langen gezogenen Lauf, der bis hinter das Absehen achtkantig, dann bis zur Mündung rund geschliffen ist. Absehen mit Klappe und Korn sind offen. Die Waffe ist durchaus – bis 0,08 Meter vor der Mündung – geschäftet. Die Kolbennase darf höchstens 0,033 Meter, das Kolbenende höchstens 0,066 Meter von der geraden Linie abstehen, die man sich über die Oberfläche des Laufes gezogen denkt. Die Kappe darf höchstens einen Einschnitt von 0,028 Meter haben. Der Kolben hat keine Backen. Die Waffe ist versehen mit einfachem Feldstecher und Abzugsbügel mit nur einem Griff. Die Waffe ist versehen mit Vorrichtung zum Aufstecken eines Bajonnets und mit eisernem Ladestock. Das Geschoß hat einen Durchmesser von 0,010 bis 0,011 Meter. Die Waffe darf einschließlich Bajonnet höchstens zwölf Pfund wiegen.“