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Karl Goldmark und seine Oper „Das Heimchen am Herd“

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Textdaten
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Autor: Richard Heuberger der Ältere
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Titel: Karl Goldmark und seine Oper „Das Heimchen am Herd“
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 21, S. 346–347
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1896
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[353]

Scene aus Goldmarks Oper „Das Heimchen am Herd“.
Das Heimchen erscheint dem wieder versöhnten Ehepaar.
Nach der Aufführung im Hofopernhaus zu Wien gezeichnet von W. Gause.

[346]

Karl Goldmark und seine Oper „Das Heimchen am Herd“.

(Mit dem Bilde S. 353.)

Am Herde des Herrn Goldmark, der vor sechzig, siebzig Jahren die Stelle eines Gemeindeschreibers im kleinen ungarischen Städtchen Keszthely bekleidete, fehlte meistens weit mehr als nur ein – Heimchen.

Vierundzwanzig Kinder waren dem braven Manne nach und nach erwachsen. Das sagt alles! Der drittälteste aus der Schar, Karl Goldmark, ist der heutzutage weltbekannte Komponist. Dieser ist entweder 1830 oder 1832 geboren. Zwei Familienpapiere machen nämlich über das Datum verschiedene Angaben. Von den Mühen und Anstrengungen geregelten Schulunterrichtes fast gänzlich verschont geblieben, verlegte sich der Knabe schon frühzeitig auf das Violinspiel, nahm dann in Oedenburg – wohin er mit Geige und Noten zwei Stunden weit zu laufen hatte – ordentlichen Unterricht und konnte 1843 bereits als der beste Schüler in einem Musikvereinskonzerte daselbst öffentlich auftreten, bei welchem Anlasse er auch etwas ihm bisher völlig Unbekanntes sah – ein Klavier (Pirkhert aus Wien hatte ein Konzert gespielt). Bald nach diesem Ereignisse erhielt Goldmark auch die ersten, großen [347] theatralischen Eindrücke, indem er auf der damals unter Pokornys, des bekannten Wiener Theaterdirektors, Leitung stehenden Oedenburger Bühne Raimunds „Verschwender“ und Weigls „Schweizerfamilie“ zu hören bekam. 1844 berief der in Wien Medizin studierende, bald darauf durch seine Anteilnahme an der Wiener Revolution bekannt gewordene älteste Bruder Goldmarks den Jungen zu sich. Hier wurde der künftige Meister in die Geheimnisse des Schreibens, Lesens und Rechnens eingeweiht und konnte eine Zeit lang bei Jansa Violinstunden nehmen, deren Fortsetzung jedoch wegen Geldmangels bald unterbleiben mußte. Eine Zeit härtester Entbehrungen begann (1846). Der Bruder erklärte, für Karl nur dann wieder etwas thun zu wollen, wenn dieser die Absicht, Musiker zu werden, aufgebe und die zum Eintritte in das Technikum nötige Prüfung aus den Mittelschulgegenständen mache.

Alsbald stürzte sich der wißbegierige Junge auf die realen Studien und bestand glücklich im Jahre 1847 in Wiener-Neustadt die Prüfung, worauf im Oktober desselben Jahres der Eintritt in das Technikum und gleichzeitig ins Konservatorium erfolgte. So hörte der junge Musikus bei Prof. Spitzer Algebra, geigte, und studierte Harmonielehre bei Preyer, dem noch lebenden Wiener Domkapellmeister. Die Wirren der Revolution, welche den Abgang Dr. Goldmarks von Wien zur Folge hatten und eine Zeit lang auch unseren geigenden Techniker in ihren gefährlichen Wirbel zogen, machten allem Studium ein Ende und Goldmark sah sich gezwungen, im Winter 1848 bis 1849 eine Violinistenstelle am Oedenburger Theater anzunehmen. Hier trat er auch einmal mit Erfolg als Konzertsolist auf. 1849 bis 1850 finden wir ihn als Violinspieler am Theater in Ofen, in einer Stellung, welche er, ohne anderweitige bestimmte Absicht auf Gründung einer Existenz, aufgab, um sich nach Wien zu wenden. Im Winter 1850 bis 1851 zuerst durch etliche Monate Mitglied des Josefstädter Theaterorchesters, vertauschte er diese Stellung im Sommer 1851 mit einer gleichen am Carl-Theater und behielt dieselbe durch sieben Jahre inne.

Um sich in weiteren Kreisen Geltung zu verschaffen, gab Goldmark 1857 ein Kompositionskonzert, das ihm allgemeine Anerkennung eintrug. 1858 zog er sich nach Pest zurück, nur seinem Schaffen lebend. Schon im nächsten Jahre finden wir ihn wieder in Wien, wo er nun Schlag auf Schlag Erfolge und eine erste Stellung als Komponist erringt. Schon die „Sakuntala“-Ouverture (etwa 1870 erschienen) hatte den Namen des Meisters weithin getragen, noch mehr aber die große Oper „Die Königin von Saba“, deren erste Aufführung in Wien am 10. März 1875 stattfand und die einen Ruhmeszug über die Bühnen der alten und neuen Welt antrat. Weniger Glück hatte Goldmark mit seiner zweiten Oper „Merlin“ (Text von Siegfried Lipiner), die am 19. November 1886 in Wien das Lampenlicht erblickte, ohne mehr als vorübergehende Wirkung zu üben. Auch eine teilweise Neubearbeitung, die am 4. März 1893 ihre Erstaufführung erlebte, gestaltete das Werk nicht lebensfähiger.

Erst mit seiner dritten Oper, „Das Heimchen am Herd“, machte Goldmark wieder einen „Treffer“. Sie ist am 21. März dieses Jahres am Wiener Hofopernhaus zuerst in Scene gegangen und hat dabei eine ungemein warme Aufnahme gefunden.

Dickens’ rührendes gleichnamiges Hausmärchen, das längst auch in Deutschland zu großer Volkstümlichkeit gelangt ist, lieferte dazu den Stoff, den Dr. A. Willner, ein genauer Kenner des Theaters, den Anforderungen der Bühne entsprechend umgestaltet hat. Der leitende Gedanke, das Heimchen als einen kleinen Hausgott aufzufassen, welcher die Vorgänge im Hause mit treuer Teilnahme begleitet, sich als Warner einstellt, wenn Unrecht geschieht, und fröhlich mit aufjubelt, wenn Freude das Herz bewegt, birgt in sich ein ergiebiges musikalisches Motiv für opernhafte Gestaltung.

Den Mittelpunkt des Märchens bildet Frau Perrybingle, von ihrem um vieles älteren Manne, dem Postillon John Perrybingle, für gewöhnlich mit dem Kosenamen „Dot“ angesprochen. Vor wenigen Monaten wurde die trotz des Unterschieds der Jahre sehr glückliche Ehe durch die Geburt eines Kindes gesegnet. Es gab nun kein seligeres Paar in Old-England als Herrn John und Frau Dot. Da will es der Zufall, daß der brave Fuhrmann eines Abends einen tauben alten Herrn mitbringt, der für ein paar Tage nur Obdach ersucht. Es ist Eduard, ein Jugendgespiele Dots, der, nach jahrelanger Abwesenheit in die Heimat zurückkehrend, in dieser Verkleidung das beste Mittel erkennt, um, von den andern unbeobachtet, ein wichtiges Geschäft, seine Verbindung mit Mariechen Fielding, zu betreiben. War er auch als erklärter Bräutigam des geliebten Mädchens von dannen gezogen, so hatte dieses inzwischen doch viel von den zudringlichen Werbungen des reichen Spielwarenhändlers Tackleton zu leiden, der von der Mutter Mariechens, einer eitlen, zänkischen Frau, als willkommener Werber begünstigt wurde. Das erfuhr Eduard in der Fremde, deshalb kehrte er zurück. Frau Dot soll ihm beistehen, ihr giebt er sich plötzlich zu erkennen. Sie schreit laut auf …. vor ihrem Manne verbirgt sie aber den Grund ihrer Erregung. John macht sich Gedanken, die aber erst dann den Charakter quälenden Mißtrauens annehmen, als er seine Frau im heimlichen Gespräche mit dem „Fremden“ erspäht, wobei dieser seine weiße Perücke in der Hand trägt … Seine Frau hält es also mit einem andern, einem jungen …! Der verzweifelte John langt nach seiner Flinte, faßt sich aber wieder und wird gar anderen Sinnes, als sein guter Hausgeist, das Heimchen, ihm zuredet und viel Süßes von der Treue seiner kleinen Frau zu sagen weiß. Es kommt zu einer Aussprache zwischen den Eheleuten, einer Scene, wie sie inniger und herrlicher kaum je ein Dichter geschrieben. Frau Dot enthüllt das Geheimnis und erklärt dem braven John, daß sie „des Wahnes Faden“ gelenkt und – Eduard und Mariechen ein Paar werden. Das geschieht denn auch, Tackleton muß auf seine Angebetete verzichten und findet sich schließlich noch ganz liebenswürdig in das Unvermeidliche.

Der Textdichter von Goldmarks Oper hat die Fabel dieser Erzählung mit praktischer Hand dramatisch gestaltet, durch heitere Volksscenen und blendende Bühnenbilder belebt und dadurch möglich gemacht, daß die zarte, intime Geschichte überhaupt in den prunkvollen Rahmen einer modernen Oper gefaßt werden konnte. Das Heimchen ist als Bühnenerscheinung zu einer Elfe geworden und diese Umwandlung wurde zum Anlaß von glänzenden Elfenballettscenen. Doch ist der Oper auch viel von dem schlichten idyllischen Charakter des Dickens’schen Märchens erhalten geblieben, so auch die rührende Versöhnungsscene des Schlusses, welche unser Bild auf S. 353 vergegenwärtigt. Sie kommt damit einer Wandlung des Geschmacks entgegen, die sich überhaupt gerade jetzt in weiteren Kreisen zu vollziehen scheint. Man lenkt nach der Seite des Einfacheren, Volkstümlichen ein, was unter allen Umständen als ein Gewinn bezeichnet werden muß.

Zu dem mit vielem Geschicke zugerichteten Buche Willners hat nun Goldmark eine durchweg effektvolle, stellenweise auch bedeutende Musik geschrieben, die vor manchen seiner früheren Sachen den stärker anklingenden Gemütston voraus hat. Eine so herzinnige Stelle wie Frau Dots Liedchen: „Hab’ Dich auch ohne Geschmeide gern“, kommt in keiner früheren Goldmarkschen Oper vor, etwas so Warmes wie das Duett zwischen Mary und Eduard im dritten Akte nur selten. Diese Stücke und noch manche andere zeigen den Meister von seiner besten Seite. Da ist er ganz Goldmark, ganz Original.

In vielen Partien der Oper, namentlich in den komischen, hat der Komponist – mit Absicht – Töne angeschlagen, die zwar dem dramatischen Zweck vollkommen entsprechen, aber nicht so sehr aus dem innersten, uns wohl bekannten Wesen des Meisters hervorquellen. Es sind altwienerische und oberösterreichische Klänge, die dem abwechselnd in Wien und Gmunden lebenden Künstler im Laufe der Zeit vertraut und lieb wurden. Von solchen Elementen sind die Ouvertüre, sämtliche Lieder Tackletons, der Entreakt und die prächtige Spottscene im dritten Akte, sowie vieles andere förmlich durchtränkt. Die Instrumentation der neuen Oper gehört zum Allerschönsten, was auf diesem in neuerer Zeit doch mit größtem Raffinement gepflegten Gebiete geleistet wurde. Ein Glanz sondergleichen strahlt vom Orchester aus, dem der Meister eine Menge bisher nicht erhörter Klänge zu entlocken weiß, von dem er aber auch stellenweise das Seltenste, Kühnste, Schwierigste verlangt. Die Gesangspartien sind dagegen verhältnismäßig leicht auszuführen und lohnen reichlich die darauf verwendete Mühe. R. Heuberger.