MKL1888:Schiffahrt
[460] Schiffahrt, das Transportwesen zu Wasser und zwar: Binnenschiffahrt, die S. auf Flüssen (s. Flußschiffahrt), Kanälen (s. Kanäle) und Landseen, Küstenschiffahrt längs der Meeresküsten und Seeschiffahrt auf hoher See. Die Anfänge der S. in dem heute gebräuchlichen Sinn sind bei den Phönikern zu suchen. Die hohe Stufe, welche die S. in spätern Jahrhunderten zur Blütezeit des altrömischen Reichs und der griechischen Staatenbildungen erreicht hatte, ist aus den Überlieferungen der damaligen Schriftsteller bekannt. Auch bei den nordischen Völkern hatte die S. in den ersten Jahrhunderten nach Christo einen bemerkenswerten Aufschwung zu verzeichnen. Die Wikinger von den Küsten Englands, Norwegens und Dänemarks hatten zu jenen Zeiten wahrscheinlich schon die Gestade Nordamerikas entdeckt. Sie fanden auch den Weg zum Mittelmeer und waren an allen europäischen Küsten, von Island bis Konstantinopel, wohl bekannt. Ihre schnellen und kühnen Reisen durch große und stürmische Meere zeigen eine Geschicklichkeit in der Seefahrt, welche die frühern Schiffer, die ihre Fahrten meist nur entlang den Küsten ausführten, bei weitem übertrafen. Im Mittelalter übernahmen Portugiesen und Spanier die Führerschaft unter den seefahrenden Nationen. Schon vom Beginn des 14. Jahrh. ab war der Handel zwischen dem Königreich Aragonien und den afrikanischen Küsten in steter Entwickelung begriffen, und trotz der religiösen Spaltung hatten die christlichen Nationen des Westens und die Mohammedaner schon von jeher volle Gegenseitigkeit in ihren Schiffahrts- und Handelsbeziehungen zugelassen. Den Ausgangspunkt zu den wichtigen Schiffahrtsunternehmungen, welche den Aufschwung der S. in den letzten Jahrhunderten herbeiführten, bildeten die Bestrebungen zur Auffindung eines direkten Seewegs nach Ostindien. Schon die Seereisen Marco Polos hatten im 13. Jahrh. den europäischen Völkern die weite Ausdehnung des asiatischen Festlandes gezeigt und klare Begriffe von seiner Gestaltung geliefert; die Handeltreibenden des Mittelmeers waren jedoch zu eifersüchtig auf die Erhaltung des in ihren Händen befindlichen Monopols des indischen Handels, als daß sie ihre Aufmerksamkeit mehr auf die bloße geographische Erforschung der unbekannten Meere gerichtet hätten. Erst dem portugiesischen Prinzen Heinrich, mit dem Beinamen „der Seefahrer“, war es vorbehalten, die Anregung zu den Entdeckungsexpeditionen zu geben, welche im 15. Jahrh. und besonders gegen Ende desselben einen völligen Umschwung in der bisherigen Richtung und Ausdehnung der S. hervorriefen. Unter dem Prinzen Heinrich wurde 1418 Madeira entdeckt, 1441 erreichten portugiesische Seefahrer das Cabo Blanco; 1446 und 1449 entdeckten portugiesische Expeditionen die Kapverdischen Inseln, und 1471 wurde der Äquator überschritten und der Grund zu Handelsniederlassungen an den Küsten von [461] Guinea gelegt. 1486 entdeckte B. Dias das Kap der Guten Hoffnung, wagte sich aber nur eine kurze Strecke jenseit des Wegs, und erst zehn Jahre später gelang es Vasco da Gama, den Seeweg nach Ostindien aufzufinden. Inzwischen hatten die Versuche Kolumbus’, Indien durch eine Fahrt nach dem Westen zu erreichen, 1492 zur Entdeckung Amerikas geführt. Damit waren der S. ganz neue großartige Bahnen eröffnet, und es war damit der Grund zu der hohen Entwickelung gelegt, welche sie in der Neuzeit, unterstützt durch die Anwendung der Dampfkraft auf den Wassertransport (s. Dampfschiff und Dampfschiffahrt) genommen hat. In welchem Maß die Segelschiffahrt zur Zeit durch die Dampfschiffahrt verdrängt ist, ist in dem Art. „Dampfschiffahrt“ (S. 492 f.) näher ausgeführt. Auf den englischen, nordamerikanischen, deutschen, französischen, italienischen, skandinavischen und andern Schiffswerften wurden 1883 vom Stapel gelassen: 1370 Dampfer mit 994,797 Ton. Gehalt und 2811 Segelschiffe mit 403,983 T. Gehalt. In den spätern Jahren ist jedoch im Bau der Dampfer ein starker Rückgang eingetreten, während der Bau der Segelschiffe seit 1881 eine fortwährende Steigerung zeigt. Während die Segelschiffahrt von den Flüssen und Kanälen immer mehr verschwindet, wird sie auf offener See für voluminöse und minderwertige Güter vermöge ihrer billigern Betriebskosten dauernd am Platz bleiben. Die Gesamtzahl aller Seesegelschiffe wurde 1879 zu 118,800 mit einem Raumgehalt von 15,130,351 Nettoregistertonnen angegeben. Über den Bestand der deutschen See- (Kauffahrtei-) Schiffahrt und den Binnenschiffahrtsverkehr in Deutschland geben die nebenstehenden Tabellen Aufschluß (s. auch die Textbeilage zu „Marine“).
Die Größe und Tragfähigkeit der Schiffe wird in Registertonnen ausgedrückt. Wenn aber der Tonnengehalt zur Angabe der Leistungsfähigkeit einer aus Segel- und Dampfschiffen gemischten Flotte dienen soll, so trägt man dem Umstand, daß die Dampfer infolge ihrer Unabhängigkeit vom Wind in derselben Zeit mehr Reisen machen, dadurch Rechnung, daß man von dem Tonnengehalt derselben ein Vielfaches, und zwar in der internationalen Statistik das Dreifache, in Rechnung zieht; eine solche Angabe nennt man den berechneten Tonnengehalt. Die Vermessung der Schiffe geschieht bei allen seefahrenden Nationen amtlich, und jedem Schiff wird ein amtliches Attest (Schiffscertifikat oder Meßbrief) über seinen Raumgehalt ausgestellt. Mit demselben wird es in die Schiffsregister eingetragen, und danach richten sich die Abgaben des Schiffs in Häfen etc. (weiteres s. Schiffsvermessung).
Die Gesamtheit der Schiffsbesatzungen zählt gegenwärtig gegen 900,000 Köpfe, von denen 200,000 auf die Dampfschiffe, über 500,000 auf die Segelschiffe kommen. Die deutsche Handelsflotte hat eine Besatzung von 39,000 Köpfen, die englische gegen 270,000; in einzelnen Flotten zeigt die Zahl der Besatzung trotz der Zunahme des Tonnengehalts infolge zunehmender Durchschnittsgröße der Schiffe in den letzten Jahren eine Abnahme. Die deutsche Flotte z. B. hatte die höchste Zahl von Mannschaften 1875, d. h. 1600 Mann mehr als jetzt; 1887 betrug zwar die Dampferbesatzung derselben Flotte gegen 9000 Mann mehr, die Segelschiffsbesatzung aber 10,000 weniger als 1875, was, abgesehen von der Vermehrung der Dampferflotte auf Kosten der Segelflotte, auf die Außerdienststellung zahlreicher kleinerer Fahrzeuge und die Ersetzung durch wenige größere Schiffe zurückzuführen ist.
Die Frage, wie sich die durch S. vermittelte Warenbewegung zu derjenigen auf dem Land verhält, ist noch nicht sicher gelöst. Als ungefährer Ausdruck kann das Verhältnis der Tragfähigkeit aller Schiffe zu derjenigen aller Eisenbahnen gelten. Im J. 1882 überstieg zwar die Tragfähigkeit der Schiffe diejenige der Eisenbahnfahrzeuge um etwa 13 Mill. Gewichtstonnen; dagegen hatten sämtliche in europäischen und amerikanischen Häfen ein- und ausgelaufene Schiffe nur eine Fracht von etwa 370 Mill. Gewichtstonnen, während die Eisenbahnen der Welt 1200 Mill. Gewichtstonnen Frachten bewegten. Berücksichtigt man aber die durchschnittlich größern Strecken bei den Schiffsfrachten, so wird man die Transportleistung der Schiffe und der Eisenbahnen immerhin einander gleichsetzen können.
Bei der außerordentlichen Wichtigkeit der S. ist die Regelung der dabei in Betracht kommenden Rechtsverhältnisse im Weg der Gesetzgebung (Schiffahrtsgesetze) und die stete Überwachung der Normen der letztern (Schiffahrtspolizei) geboten. Soweit sie die Seeschiffahrt betreffen, bilden diese gesetzlichen Vorschriften das Seerecht (s. d.). Zahlreiche Schiffahrtsverträge (s. d.) regulieren dabei die internationalen Verkehrsverhältnisse, und schwere Strafandrohungen sind, insbesondere auch in dem deutschen [462] Reichsstrafgesetzbuch (§ 322 ff.), gegen gemeingefährliche Störungen der S. erlassen. Die deutsche Reichsverfassung vom 16. April 1871 (Art. 4) erklärt den Schutz der deutschen S. für Reichssache. Das statistische Material über die Schiffahrts- und Reedereiverhältnisse ist in den verschiedenen Ländern nach zu ungleichen Grundsätzen gesammelt, als daß eine Vergleichung desselben von Nutzen sein könnte. Über die Lehre von der S., die Schiffahrtskunde, s. Navigation (Nautik). Vgl. Lindsay, History of merchant shipping (Lond. 1874–76, 4 Bde.); Geistbeck, Der Weltverkehr (Freiburg 1887); Stabenow, Sammlung der deutschen Seeschiffahrtsgesetze (Leipz. 1875), und die im Artikel „Handel“ angeführte Litteratur.
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Reich und Küsten-, bez. Rheinuferstrecken | Am 1. Jan. der Jahre | Segelschiffe | Dampfschiffe | Zusammen | ||||||
Zahl | Reg.-Tons | Besatzg. | Zahl | Reg.-Tons | Besatzg. | Zahl | Reg.-Tons | Besatzg. | ||
Deutsches Reich |
1871/75 | 4316 | 81227 | 33764 | 218 | 133235 | 6925 | 4534 | 1014462 | 40689 |
1881/85 | 3894 | 919819 | 28328 | 528 | 313450 | 11137 | 4422 | 1233269 | 39465 | |
1887 | 3327 | 830789 | 23566 | 694 | 453914 | 15455 | 4021 | 1284703 | 39021 | |
Davon im: | ||||||||||
Ostseegebiet |
1871/75 | 2002 | 437524 | 17130 | 101 | 21419 | 1415 | 2103 | 458943 | 18545 |
1881/85 | 1520 | 347227 | 12335 | 260 | 85496 | 3152 | 1780 | 432723 | 15487 | |
1887 | 1200 | 275922 | 9395 | 331 | 120744 | 4055 | 1531 | 396666 | 13450 | |
Nordseegebiet |
1871/75 | 2314 | 443703 | 16634 | 117 | 111816 | 5510 | 2431 | 555519 | 22144 |
1881/85 | 2374 | 572592 | 15993 | 268 | 227954 | 7985 | 2642 | 800546 | 23978 | |
1887 | 2127 | 554867 | 14171 | 363 | 333170 | 11400 | 2490 | 888037 | 25571 |
Eigenschaften der Schiffe | Räderdampfschiffe | Schraubendampfschiffe | Vollschiffe (Fregattschiffe) | Barken | Schonerbarken und dreimastige Schoner | Briggs | Schonerbriggs u. Brigantinen | Schoner | Schonergaljoten, Galjassen und Galjoten | Gaffelschoner und Schmacken | Andre zweimastige Schiffe | Einmastige Schiffe |
Anzahl der Schiffe | 50 | 644 | 150 | 723 | 123 | 265 | 134 | 275 | 261 | 68 | 674 | 654 |
Netto-Raumgehalt in Register-Tons | 5862 | 448052 | 184966 | 411171 | 35755 | 65898 | 26782 | 28686 | 19609 | 4685 | 28279 | 24958 |
Regelmäßige Besatzung | 459 | 14996 | 3102 | 9785 | 1121 | 2450 | 1002 | 1417 | 1084 | 271 | 1833 | 1501 |
Eigenschaften der Schiffe | Segelschiffe | Dampfschiffe | Zusammen | ||||||
Zahl | Reg.-Tons | Besatzg. | Zahl | Reg.-Tons | Besatzg. | Zahl | Reg.-Tons | Besatzg. | |
Schiffe von Eisen | 205 | 149702 | 2843 | 683 | 453076 | 15366 | 888 | 602778 | 18209 |
„ „ Holz | 3115 | 674975 | 20619 | 10 | 667 | 73 | 3125 | 675642 | 20692 |
„ „ Holz und Eisen | 7 | 6112 | 104 | 1 | 171 | 16 | 8 | 6283 | 120 |
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Durchgangs- bez. Hafenorte | Anzahl der durchgegangenen, bez. abgegangenen Frachtschiffe | |||||
zu Berg | zu Thal | |||||
beladen | unbeladen | Tragfähigkeit in 1000 t | beladen | unbeladen | Tragfähigkeit in 1000 t | |
Schiffe | Schiffe | |||||
Schmalleningken (Memel) | 142 1183 | 143,1 | 1358 | 14 | 149,2 | |
Pillau (Frisches Haff) | 742 | 179 | 69,4 | 528 | 391 | 68,9 |
Königsberg (Pregel) | 5221 | 168 | 140,4 | 3429 | 18 | 206,9 |
Thorn (Weichsel) | 534 | 173 | 84,5 | 846 | 7 | 97,2 |
Bromberger Kanal
|
Richtung n. d. Netze | Richtung n. d. Weichsel | ||||
519 | 312 | 73,6 | 367 | 229 | 56,2 | |
Küstrin (Warthe) | 938 | 1434 | 264,7 | 2075 | 153 | 247,7 |
Thiergarten b. Ohlau (Oder) | 134 | 572 | 53,3 | 628 | 54 | 50,9 |
Lübeck (Trave) | 604 | 135 | 45,2 | 442 | 9 | 17,8 |
Hamburg (Oberelbe) | 15608 | 3353 | 1854,1 | 15436 | 3076 | 1894,0 |
Rathenower Schleuse (Havel) | 4542 | 133 | 489,7 | 667 | 547 | 159,1 |
Berlin (Spree) | 20511 | 1167 | 2333,1 | 14016 | 1062 | 1534,6 |
Brieskow (Friedrich-Wilhelms-Kanal)
|
Richtung n. d. Spree | Richtung n. d. Oder | ||||
1329 | 36 | 145,8 | 553 | 1345 | 198,1 | |
Eberswalde (Finowkanal)
|
Richtung n. d. Havel | Richtung n. d. Oder | ||||
10794 | 46 | 1184,7 | 119 | 1820 | 206,4 | |
Niegripper Schleuse (Plauer Kanal)
|
Richtung n. d. Elbe | Richtung n. d. Havel | ||||
424 | 452 | 127,8 | 2338 | 126 | 349,6 | |
Schandau (Elbe) | 1167 | 5203 | 1676,2 | 7490 | – | 1872,1 |
Bremen (Oberweser) | 427 | 277 | 113,4 | 645 | 68 | 114,5 |
Koppelschleuse bei Meppen (Ems) | 355 | 33 | 16,8 | 183 | 194 | 16,1 |
Emmerich (Rhein) | 7820 | 7267 | 3304,5 | 14174 | 426 | 3137,5 |
Ruhrort (Rhein) | 1738 | 872 | 898,1 | 9655 | 327 | 1596,6 |
Köln (Rhein) | 842 | – | 235,1 | 1628 | – | 273,1 |
Koblenz (Mosel) | 34 | – | 3,3 | 117 | – | 3,7 |
Güdingen (Saar) | 3781 | 228 | 947,0 | 935 | 3045 | 941,4 |
Niederlahnstein (Lahn) | 36 | 596 | 73,9 | 619 | 22 | 75,0 |
Würzburg (Main) | 243 | 350 | 40,4 | 545 | 112 | 44,5 |
Mannheim (Rhein) | 3426 | 528 | 1819,5 | 442 | 244 | 118,7 |
Heilbronn (Neckar) | 1650 | – | 144,3 | 369 | – | 34,8 |
Passau (Donau) | 798 | – | 129,2 | 188 | – | 44,6 |
[806] Schiffahrt, Sicherheitsmaßregeln und Straßenrecht, s. Marinekonferenz, internationale.