Nothverkauf
[100] Nothverkauf. (Mit Illustration S. 97.) Nicht in des Pfandleihers Komptoir und nicht zum hartherzigen Wucherer läßt der wackere Genremaler A. Müller den bedrängten Musiker die Schritte lenken, sondern in die Werkstatt des sachverständigen Meisters. Sieht man’s dem Manne doch an, wie schwer ihm der Entschluß geworden ist, sich von der bewährten Genossin seiner frohen und trüben Stunden, sei es auch nur auf kurze Zeit, zu trennen. Indessen, „Noth kennt kein Gebot“, und dem braven Meister traut er schon zu, daß er den hohen Werth der Violine erwägen und sie entsprechend bezahlen wird. Von ihm hofft er auch, seine geliebte Geige in besseren Tagen zurückkaufen zu können; denn freud- und poesielos würde sein Dasein werden, wenn dieser Nothverkauf eine Trennung für immer bedeutete. Gar bedächtig zieht der alte Herr das Futteral von der Cremoneser und prüft, bevor er zahlt, eingehend Griffbrett, Steg, Wirbel, Ton und Bau. Er ist Kenner, und es ist eigentlich überflüssig, ihm die besonderen Vorzüge des Instrumentes auseinanderzusetzen. Im Laufe der Zeit ist er jedoch ein wenig vorsichtig geworden; er nimmt kein Pfand mehr, sondern kauft nur noch; denn nur zu oft schon verpfändete ihm ein oder der andere leichtlebige Künstler sein Instrument und vergaß dann das Einlösen. Bei unserem Verkäufer allerdings stehen die Sachen sehr ernst; deßhalb gewährt ihm der wohlwollende Käufer eine geraume Frist zum Zurückkauf. Hoffen wir, daß es ihm bald gelingt, mit heitererem Antlitz als heute zum Meister zurückzukehren und seinen Liebling wieder zu erwerben!