Octavia

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Autor: Ernst Eckstein
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Titel: Octavia
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aus: Die Gartenlaube, Heft 9, S. 276, 278–280
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1892
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Octavia.

Ein Bild aus der römischen Kaiserzeit.0 Von Ernst Eckstein.


Der Staatsminister Lucius Annäus Seneca und der Garde-Befehlshaber Burrus – die beiden vornehmsten Rathgeber Neros und die eigentlichen Regenten des römischen Weltreichs – hatten bei der Ermordung der Agrippina, wie man zu sagen pflegt, fünf gerade sein lassen und sich die grausige That, deren zielbewußte Urheberin Poppäa Sabina war, als politisch nothwendig zurecht gelegt.[1]

Aus den nämlichen Gründen der Staatsraison machten sie nach erfolgter Beseitigung der Kaiserin-Mutter keinerlei Anstrengung, dem wachsenden Einfluß Poppäas auf Neros fernere Lebensführung entgegenzutreten. Dieser Einfluß nämlich erschien den damaligen Begriffen zufolge, außerordentlich harmlos, ja dem Wohl der Gesammtheit heilsam und förderlich. Poppäa Sabina, die langsam und weit ausholte, ehe sie den entscheidenden Wurf that, spielte mit vollendeter Meisterschaft die Rolle des liebenden Weibes, dem es lediglich um die Person des Geliebten zu thun ist, das nur beglücken, ergötzen, zerstreuen und selbstlos dienen will, ohne nach äußerem Vortheil, nach Herrschaft, Glanz oder Reichthum zu fragen. Es war, als habe sie vornehmlich eins im Auge: dem Drange des Kaisers nach freiester, innerer Entwicklung, nach Ausgestaltung seiner ureigensten Individualität, nach zwanglosem Daseinsgenuß auf allen Gebieten thunlichst Vorschub zu leisten. Je mehr sich der Fürst jedoch in den schäumenden Strudel des Lebens stürzte, um so weniger war die Gefahr vorhanden, daß er den beiden Männern, die damals am Steuer des Reiches saßen und dieses Steuer, trotz allem, was man im einzelnen ihnen vorwerfen mag, mit starkem Griffe und zum Segen der ganzen Bevolkerung handhabten, die Rechnung verderben und die erprobte altrömische Staatsweisheit durch persönliche Einfälle und selbstherrliche Launen durchkreuzen würde.

Poppäa verfolgte bei ihrer systematisch betriebenen Verstrickung des Kaisers in das Gespinst eines würdelosen Genußlebens freilich ganz andere Pläne. Sie wollte sich unentbehrlich machen; der Kaiser sollte ihr altes zu danken haben – sogar die Sättigung seiner künstlerisch ästhetischen Eitelkeit; er sollte sich um so leidenschaftlicher an sie festketten, als sie ihm praktisch bewies, daß ihre Fesseln nicht drückten, sondern ihm Raum ließen, da und dort schmetterlingsartig herumzuschwärmen, ohne dann bei der Rückkehr zu ihr ein verstimmtes und grollendes Antlitz zu finden. Im Gegentheil: der Born ihrer Großmuth und Güte schien unerschöpflich, so daß die kalt berechnende Gauklerin gerade in diesem Punkte für den leichtsinnigen Fürsten einen sehr vortheilhaften Gegensatz bilden mußte zu der stillen, erhabenen Trauer seiner Gemahlin, der edlen Octavia.

Poppäa, die klar begriff, daß die Entfremdung Neros von allem Ernsten und Würdevollen auch die Nachhaltigkeit seiner Entfremdung von Octavia verbürge, knüpfte zunächst bei einer an sich durchaus unbedenklichen Neigung des Kaisers an – bei seiner ausgesprochenen Vorliebe nämlich für hellenisches Wesen. Griechische Sprache, Kunst, Philosophie und Kultur hatten damals für Rom vielleicht noch größre Bedeutung als im verflossenen Jahrhundert für uns der Einfluß Frankreichs. Der Satiriker Juvenal hat dieser „Gräcomanie“ einen häufig citierten Exkurs gewidmet. In den Atrien – Salons – wurde früh bei den Morgengesellschaften (die Routs der klassischen Römer fanden unmittelbar nach Sonnenaufgang statt) oft mehr Griechisch gehört als Lateinisch. Liebende, die sich der Verskunst beflissen, richteten ihre Strophen häufiger an die Adresse einer griechischen zoë kai psyche („mein Leben und meine Seele!“) als an die einer nationalrömischen lux („mein Licht!“). Ja selbst die lateinschreibenden Dichter von Ruf, Horaz an der Spitze, ahmten die griechische Ode, das griechische Liebes- und Trinklied nach. Kein Wunder also, daß Nero, der am wenigsten römische aller Cäsaren, gleichfalls unter dem Banne dieser Mode stand und das „omnia graece“ („Alles auf Griechisch!) des Juvenal buchstäblich wahr machte.

Vor allem schwärmte er – wie das gesammte Alterthum bis in die späteren Jahrhunderte, wo dann Virgil zum klassischen Dichter gestempelt ward – für die Heldengedichte Homers. Und hier begegnen wir einem Zuge, in welchem sich Nero mit dem unsterblichen Phantasiegebilde des großen Cervantes, dem sinnreichen Junker Don Quixote von der Mancha, berührt. Wie dieser Hidalgo durch die fortgesetzte Lektüre längst überholter Ritterromane derart erregt und verstört wurde, daß er die Wirklichkeit völlig vergaß und sich anschickte, die „glorreichen Thaten“ eines Amadis von Gallien und eines Spiegelritters durch eigne Leistungen auf dem Gebiete des fahrenden Ritterthums in den Schatten zu stellen, so glaubte auch Nero, durch Poppäa in dieser Thorheit bestärkt, gewisse Gepflogenheiten der sagenhaften Heroen Homers ins Kaiserlichrömische übertragen zu können. Weil die Kriegshelden der Ilias – hellenischer Sitte gemäß – die Kunst des Wagenlenkens betreiben, eine Kunst, die auch später in Griechenland hochangesehen und geachtet war, hielt sich Nero, trotz der stark widerstrebenden Auffassung der Italiker, für berufen, diesen höchst unlateinischen Sport eifrig zu pflegen.

Burrus und Seneca, die sonst in der leidenschaftlichen Hingabe Neros an die Verwirklichung extravaganter Ideen nichts unerwünschtes erblickten, waren doch Römer genug, um diesen geradezu unerhorten Gelüsten ernsthaft entgegenzutreten. Sie hielten dem Kaiser vor, eine Obliegenheit, die man in Rom seit unvordenklicher Zeit ausschließlich durch Sklaven habe besorgen lassen, schicke sich nicht für den Beherrscher des Weltreichs; man könne nicht gleichzeitig Cirkuskutscher und Imperator sein. – Aber was half’s? Die schöne, in allen Künsten der Koketterie erfahrene Poppäa blies die ganze Moral der beiden Staatsmänner mit einem einzigen Hauche ihres blühenden Mundes über den Haufen. „Man gönnt Dir’s nicht; man strotzt von elendem Neide!“ raunte sie schmeichlerisch. „Spotte Du ihrer Kleinlichkeit und handle, wie es Dir gut dünkt! Wieß Es soll eine Schande sein, öffentlich einen Wagen zu lenken? Aber lenkt nicht Helios-Apollo den Sonnenwagen frei und leuchtend vor aller Welt – er, der unsterbliche Gott?“

Und richtig: Nero kam den Ministern mit dem unglaublichen Einwurf, auch Helios-Apollo sei Wagenlenker!

Nun gaben sie seufzend nach und ließen ihrem verschrobenen Herrn unweit des vatikanischen Hügels einen Hofcirkus bauen, wo er nach kurzer Frist unter dem donnernden Beifall der „Freunde“, das heißt der Höflinge auftrat.

Dieser Applaus aber scheint ihm ein wenig gar zu donnernd gewesen zu sein. Es verhielt sich damit wie mit den Schießerfolgen eines längst zu seinen Vätern versammelten deutschen Bundesfürsten, dem gelegentlich einer Schützenfeier der Jubelhanswurst flott hinter der Scheibe heraufsprang, während doch das Gewehr in den Händen des fürstlichen Schützen versagt hatte. Die römischen Höflinge klatschten auch dann, wenn die Pferde gestürzt waren oder die hohe Person des Lenkers beim Anprall der Räder wider die Zielsäule über Bord flog. So beschloß denn der Kaiser, dem Beispiel des Helios-Apollo folgend, die Oeffentlichkeit zu erweitern und dem gesammten Volke den Eintritt in den Hofcirkus freizugeben. Jetzt erst, da auch das „große Publikum“ Bravo brüllte – für den Pöbel war es ja in der That ein Genuß, die Vorurtheile der guten Gesellschaft so in den Staub getreten zu sehen – jetzt erst fühlte sich Nero völlig befriedigt und lebte fortan dem Glauben, der ausgezeichnetste Rosselenker und Cirkusfahrer aller Jahrhunderte und aller Volker zu sein.

Bald jedoch dürstete Nero nach Lorbeerkränzen auf anderen künstlerischen Gebieten. Poppäa hatte schon früher ihm eingeredet, die griechischen und lateinischen Verse, die er zum Preise ihrer Schönheit geschmiedet, ja vielleicht selbst komponiert und zur Leyer gesungen hatte, seien die Offenbarungen eines Genies; der Vortrag zumal überbiete an Glanz und Herrlichkeit alles, was man in Rom jemals von Sängern und Virtuosen vernommen habe. Nun regte sich in dem Kaiser der Ehrgeiz, derartige Leistungen ins Große zu treiben und zunächst vor der Hofgesellschaft als Meister des Lieds und der Schauspielkunst aufzutreten. Er ließ einen geeigneten Raum des Palastes zur Bühne verwandeln und eröffnete nun eine Reihe musikalisch-dramatischer Vorstellungen der tollsten Art, bei denen sich – um der geheimen Kritik des naserümpfenden Hochadels den Stachel zu nehmen – hervorragende Männer des ersten Standes, Beamte in ausgezeichneten [278] Stellungen, ehemalige Konsuln, ja selbst Frauen und Mädchen aus edlem Geschlecht betheiligen mußten. Nach allem, was Tacitus über dies Treiben berichtet, war es durchaus der Geist der Poppäa, der hier seine Orgien feierte. Unziemlichkeiten, die für die mitwirkenden Damen des Adels geradezu kompromittierend waren, machten den Grundstock des Repertoires aus. Die Zuschauer bestanden, abgesehen von der Hofgesellschaft, aus Gardesoldaten, die sich weidlich ergötzten. Auch Burrus, ihr Oberbefehlshaber, mußte sich widerwillig bequemen, das mit anzuschauen, was Poppäa Sabina griechische Leichtlebigkeit, Freiheit und Kunst nannte, während es doch vom Standpunkt des alten Römerernstes unwürdig und verächtlich war.

Bei Gelegenheit einer solchen Vorstellung mag es gewesen sein, daß Poppäa zum ersten Male auf den Gedanken kam, dieser Burrus werde am Ende doch ihren Plänen wider die Rechte Octavias einen Block in den Weg schleudern. Der eben erwähnte Geschichtschreiber meldet, Burrus habe den Vorführungen des Hoftheaters zwar pflichtschuldigst Beifall gespendet – wie man sich selbst da „achtungsvoll“ unterzeichnet, wo man keinerlei Achtung empfindet – innerlich aber sei er voll Schmerz und Trauer gewesen. Dem ungewöhnlichen Scharfblick Poppäas kann die Gezwungenheit im Verhalten des Prätorianer-Befehlshabers nicht entgangen sein, denn Burrus war in der Kunst des Heuchelns lange nicht so geschult wie die Mehrzahl der Aristokraten. Seine maßvolle Opposition gegen die griechischen Anwandlungen des Kaisers hatte Poppäa ohnehin mißtrauisch gemacht. Jedenfalls rührt schon aus dieser Zeit die heimliche Feindschaft Poppäas gegen den Mann her, der sich dann später – allein unter allen Beamten des Reiches – den Muth nahm, für die Interessen Octavias einzutreten und der von Poppäa betriebenen Ehescheidung des Kaisers entgegen zu arbeiten. „Gieb ihr dann wenigstens ihre Mitgift – den Thron – zurück!“ soll er einmal in großer Erregung zu Nero gesagt haben, als dieser ihm eine verschämte Andeutung machte.

Daß Burrus, dessen Machtstellung an der Spitze der Prätorianer sehr in Berechnung zu ziehen war, den Einfluß Poppäas nicht über eine gewisse Grenze hinaus dulden würde, muß, wie gesagt, der schändlichen Intriguantin damals schon deutlich gewesen sein. Die logische Folge dieser Erkenntniß war der verzehrende Wunsch, den gefährlichen General auf die Seite zu schaffen.

Hierfür gab es zwei Möglichkeiten. Zunächst den Weg der Entlassung. Der aber konnte bei der hohen Verehrung, die Burrus im prätorianischen Lager genoß, leicht zu einer politischen Umwälzung führen. Die Prätorianer konnten beispielsweise erklären: „Wir geben den Burrus nicht her; wenn sich der Kaiser mit Burrus nicht mehr vertragen kann, so giebt es ja Prätendenten genug, die mit Vergnügen die Krone aus unseren Händen empfangen.“ Schon Agrippina hatte bekanntlich dem Kaiser mit einer Revolution der Prätorianer gedroht. In der That, wer die Leibwache für sich hatte, war so gut wie Herr des Reiches. Niemand aber konnte voraussagen, für wen sich bei einem Bruch zwischen Burrus und Nero die Garde entscheiden würde.

Das war also äußerst bedenklich.

So blieb nur der zweite Weg – der längst beliebte Brauch römischer Hofkreise: eine Verständigung mit der Giftmischerin Locusta, ein Gegenstück zu den vergifteten Pilzen, mit denen einst Agrippina den Kaiser Claudius unter die Götter versetzt hatte ...

Vorläufig konnte die „Frage Burrus“ indessen dahinstehen. Noch hielt Poppäa Sabina die Zeit nicht für gekommen, das letzte entscheidende Wort zu sprechen. Sie überhastete nichts, um desto zuverlässiger an das Ziel zu gelangen. Ihr Talent bestand vor allem auch darin, durch das zu wirken, was man heutzutage „Suggestion“ nennt. Ohne daß der Kaiser es merkte, träufelte sie dem Verblendeten ein, was ihr gut dünkte, und empfing dann mit freudigem Staunen als seinen Vorschlag, was doch ursprünglich ihr eigenstes und persönlichstes Wollen gewesen war. So hatte sie es mit dem Rennsport gehalten, mit Neros Leidenschaft für Sängerthum und Schauspielerei, für wüste Gelage und Liebeshändel; so hielt sie es auch mit dem Angelpunkt ihres ganzen Plans. Er selber sollte auf die Idee kommen, Octavia bilde das Haupthinderniß seiner Mühseligkeit, ein Ehebündniß mit ihr, Poppäa, dagegen bedeute den Gipfel alles Begehrenswerthen.

Ein Zechgenosse und Freund des Nero, der Sicilianer Sophonius Tigellinus, der damals am Hofe die Rolle eines nichtamtlichen Vergnügungskommissärs spielte, unterstützte Poppäas ehrgeizige Bestrebungen. Er war vom Kaiser mit besonderer Huld überhäuft worden, weil er ein ausgezeichneter Pferdekenner und zudem der Besitzer eines glänzenden Marstalls war. Mit einem Instinkt, der dem Spürgeist Poppäas nahe kam, sah er sofort ein, daß im Palaste der Sport die sicherste Leiter zu Einfluß und Macht bildete. Wie schöne Seelen sich finden, so finden sich auch gemeine und selbstsüchtige. Nach kurzer Frist schon hatte Poppäa mit Tigellinus ein Schutz- und Trutzbündniß abgeschlossen, dessen gemeinsames Ziel die moralische Knechtung des Kaisers, die Verdrängung der besseren Elemente vom Hofe, die Thronbesteigung Poppäas um jeden Preis und die Beleihung des Tigellinus mit dem einflußreichsten und wichtigsten Posten des Reiches war. Tigellinus, vielleicht mehr noch als Poppäa Sabina, hat den Kaiser planmäßig versumpft und alles, was in der Brust des einst so vielversprechenden Jünglings noch wie ein Schimmer von Würde, von sittlichem Ernste, von Pflichtgefühl aussah, durch den abscheulichen Schlamm seines Beispiels und seiner Lehren muthwillig ausgelöscht. Er war der Haupturheber jenes entsetzlichen Wahns, der für das spätere Privatleben Neros so charakteristisch ist – des Wahns nämlich, dem Imperator sei alles erlaubt, die Gesetze seien nur für die Unterthanen. Tigellinus predigte ihm die mißverstandene Weisheit des Epikur: „Genieße, schwelge, prasse, kühle den Brand jeder Leidenschaft, unbekümmert um das, was da kommt, unbekümmert vor allem um das Weh deiner Mitmenschen! Was deinem Lustgefühl widerstreitet, zermalme! Es ist dein Feind, es ist schlechthin das Uebel!“

Inzwischen nahm die Gräcomanie des Kaisers immer größere Verhältnisse an. Ein Jahr nach Eröffnung des Hoftheaters verfiel Nero auf die Idee, den altgriechischen „Kampf der Wagen und Gesänge“ in der so gänzlich ungriechischen Atmosphäre der Siebenhügelstadt wieder aufleben zu lassen. Ungriechisch war diese Atmosphäre im höchsten Grade, trotz der Modeherrschaft des Griechischen. Wie Friedrich der Große zwar französisch „parlierte“ und den „admirablen“ Voltaire nach Potsdam berief, aber nichtsdestoweniger den Herren Franzosen bei Roßbach die „charmanten Pantalons“ ausklopfte und für die kriegsuntüchtige Weichlichkeit der französischen Offiziere eine kerndeutsche Verachtung hegte, so trank man zu Rom zwar gern die geistigen Weine von Hellas, aber die Griechen selbst standen in Mißkredit und die isthmischen und olympischen Spiele dünkten dem gravitätischen, etwas steifleinenen Römer ein Firlefanz, dessen ein wirklicher Mann sich zu schämen hätte. Trotz dieser Abneigung wurde das Fest der „Neronien“ Thatsache. Was Nero früher allein oder doch nur mit einer beschränkten Anzahl von Mitarbeitern in Scene gesetzt hatte, das drängte sich jetzt dem römischen Volke als Nationalfest auf. Senatoren und Ritter mußten in Masse sich an dem Wettstreit betheiligen, der alle Gebiete des Sports und der Kunst umfaßte, vom poetischen Vortrag bis zum Ringkampf und zur Fehde der Boxer, von der Uebung des Redners bis zur Leistung des Pferdeknechts. Die Unkosten für die „Neronien“ trug die Staatskasse. Alle fünf Jahre sollte dies neue Fest wiederholt werden. Der Kaiser natürlich startete mit, oh, und mit welcher Begeisterung!

Als die „Neronien“ zum ersten Male gefeiert wurden, erhielt Nero, wie man’s nicht anders erwarten durfte, den Hauptpreis als Redner und Lyriker.

Und nun ereignete sich jener abgeschmackte Senatsbeschluß, der in der Seele Poppäas die Ueberzeugung erwecken mußte, daß die Gesellschaft Roms nun wirklich reif sei für das Empörendste. Die hohe Körperschaft nämlich, die innerlich über das nach römischer Anschauung geradezu skandalöse Verhalten des Kaisers schäumte, ließ sich dazu herbei, wegen der „Siege des Herrschers“, der dem Lorbeerkranz der ewigen Roma ein neues, glorreiches Blatt hinzugefügt habe, Gebete und Dankopfer zu beschließen und den Befehl zu ertheilen, die Verse des Kaisers sollten mit goldenen Buchstaben auf kostbare Pergamentrollen geschrieben und dem capitolinischen Jupiter – in dessen Tempel man tagte – gewidmet werden!

Im zweiten Jahre nach den erzählten Vorgängen ward Rom eines Morgens durch die Nachricht erschreckt, der Prätorianer-General Burrus sei nach kurzer Erkrankung verstorben, und die römischen Schriftsteller geben uns zu verstehen, Nero selbst habe ihn vergiften lassen. Wenigstens habe ein starker Verdacht obgewaltet. Eine Vergiftung nahm man um deswillen an, weil Burrus an einer [279] furchtbaren Schwellung des Schlundes zu Grunde ging, die, wie man glaubte, zwar nicht von dem Gift, wohl aber von dem Gegengift herrührte, das ihm die Aerzte gereicht hatten.

Wenn die Urheberschaft Neros thatsächlich feststünde – die Berichte des Tacitus lassen dem Zweifel Raum - so wäre doch jedem Unbefangenen klar, daß Poppäa den Fürsten auch hier, wie bei der Ermordung der Kaiserin-Mutter, zur Begehung der Unthat veranlaßt hätte. Mindestens ebenso wahrscheinlich ist jedoch ihre unmittelbare Urheberschaft, ohne des Kaisers Vorwissen. Der uralte Grundsatz, bei der Erforschung der Thäterschaft in erster Linie zu fragen: „Wem gereicht das Verbrechen zum Vortheil?“ („cui bono?“), leitet uns mit zwingender Logik auf diese schreckliche Frau, die an Skrupellosigkeit in der Wahl ihrer Mittel selbst von der furchtbaren Agrippina kaum übertroffen wurde. Welches Interesse hätte auch der Kaiser an der Beseitigung eines Mannes gehabt, der unbeirrt durch die Abwege, auf denen sich die Person des Herrschers herumtrieb, den Thron gegen alle Verschwörungen schirmte, die Treue der Prätorianer stärkte, die Reichsgeschäfte mustergültig verwaltete und den Gesetzen überall Achtung verschaffte?

Für Nero war der Ehebund mit Poppäa durchaus keine Lebensfrage; nur sie steuerte hartnäckig diesem Ziele entgegen, und wenn sie den Kaiser auch stark im Sinn ihrer Wünsche beeinflußt hatte, einen Mord und dazu noch den Mord seines treusten Beschützers war diese Hochzeit nicht werth. Daß Poppäa hingegen den Burrus zu fürchten hatte, ward schon angedeutet. Octavia stand bei den Gardesoldaten in hohem Ansehen; der stille Gram, der ihr liebliches Antlitz wie ein Schein der Verklärung umwob, rührte und warb ihr begeisterte Anhänger. Ein der Octavia feindlich gestimmter Nachfolger des Burrus konnte die Sympathien der Prätorianer zu Gunsten Poppäas beeinflussen. Er konnte die Garde durch zweckmäßige Versetzungen, Einstellungen und Rekrutierungen umgestalten. Poppäa allein also hatte vom Sterben des Burrus einen handgreiflichen Vortheil.

Nun war auch der Augenblick gekommen, dem jungen Kaiser die militärischen Vorzüge des Tigellinus zu rühmen. Poppäa that dies mit der ihr eignen Unwiderstehlichkeit, und Nero ließ sich denn auch wirklich bestimmen, den aalglatten, tückischen Agrigentiner an Stelle des Burrus zum kommandierenden General der Prätorianer zu machen, vorerst in Gemeinschaft mit Faenius Rufus, dessen Einfluß Tigellinus jedoch allmählich zu untergraben wußte.

Mit der Ernennung des Tigellinus zum Führer der Leibwache hatte der Kaiser öffentlich dargethan, daß die Epoche der Alten vorüber sei und daß eine Herrschaft der schrankenlosesten Selbstherrlichkeit, der unverschämtesten Tyrannei beginnen solle. Der Staatsminister Lucius Annäus Seneca fühlte dies augenblicklich heraus. Ohne die starke Hand seines Kollegen Burrus glaubte er sich der Führung des Steuers nicht mehr gewachsen. Er reichte seine Entlassung ein – unter dem schicklichen Vorwand philosophischer und litterarischer Studien. Ehrenhalber glaubte der Kaiser sich zwar eine Zeitlang sträuben zu müssen: schließlich jedoch gab er dem Wunsche seines ehemaligen Lehrers mit großer Genugthuung Folge.

So waren denn für Poppäa Sabina die Pfade glücklich geebnet. Gemeinschaftlich mit dem neuen Garde-General Tigellinus erwog sie die einzuleitenden Schritte, um endlich die verhaßte Octavia aus dem Sattel zu heben. Meineidige Denunzianten waren im Rom der Cäsaren wohlfeil wie Brombeeren. Das edle Verschwörerpaar sorgte also zunächst für die erforderlichen Belastungszeugen, unterbreitete die erkauften Aussagen dem Kaiser und bestimmte ihn, auf Grund dieser schamlosen Verleumdungen den Ehescheidungsprozeß gegen die Kaiserin anzustrengen. So tief wurzelte immerhin die Furcht der Poppäa vor dem Rächeramt des öffentlichen Gewissens, daß sie nicht wagte, die Ehe Octavias durch einen Akt offenkundiger Willkür zu lösen, wie dies dem Lebensprogramm des Kaisers sonst doch entsprochen hätte. Der Schein sollte erweckt werden, als ernte Octavia den gesetzmäßigen Lohn einer Schuld.

Auch hier zeigte sich nun, daß die Niedertracht im Kampf mit der Reinheit oft des Geschickes ermangelt und gerade da unter dem Banne der Verblendung steht, wo sie der Klarheit des Urtheils und der wägenden Schlauheit am meisten bedürfte. Die Verleumdungen nämlich, die man gegen Octavia vorbrachte, waren so schlecht ersonnen, so plump, so aller Wahrscheinlichkeit bar, daß in ganz Rom kein Mensch daran glaubte. Man beschuldigte das makellose Geschöpf – die einzige Lichtgestalt in der qualmenden Atmosphäre des Hofes, das Urbild zartfühlender Sittenreinheit und Weiblichkeit – man beschuldigte sie der strafbarsten Untreue gegen ihren Gemahl!

Es bleibe dahingestellt, ob Nero bei der Erfindung dieser Nichtswürdigkeit mitwirkte oder sie nur als ein Gegebenes stillschweigend hinnahm. Für die sittliche Würdigung des Verblendeten ist eins so verhängnißvoll wie das andere. Der Nero von jetzt besaß keine Aehnlichkeit mehr mit dem zwar eitlen und ziemlich charakterschwachen, aber doch ehrlichen und begeisterten Jüngling, der nach dem Tode des Claudius den Thron bestieg.

Der Scheidungsprozeß, der vor dem Senat als höchstem Gerichtshof in Scene ging, endete, wie zu erwarten stand. Die Unschuld der Kaiserin wurde erhärtet – gleichwohl erfolgte ihre Verurtheilung.

Die Haussklaven Octavias, die man, altrömischem Brauch zufolge, bei ihrer Vernehmung der Folter unterwarf, zeigten mehr sittliche Größe und Heldenmuth als die schweifwedelnden Senatoren, die, ihrer besseren Ueberzeugung zum Trotze, ein wehrloses Weib öffentlich brandmarkten.

Ein Theil dieser Sklaven gab zwar unter den furchtbaren Martern, denen sie stundenlang ausgesetzt wurden, alles zu, was der Ankläger Tigellinus in sie hineinfragte; die Mehrzahl jedoch hielt muthig stand und betheuerte mit lauter Stimme die Reinheit ihrer geliebten Herrin, obgleich doch ein kurzes sogenanntes Geständniß den Qualen ein Ziel gesetzt hätte. Eine von diesen Heldengestalten – eine Frau Namens Pythias – fand sogar im Ueberschwang ihrer Entrüstung die Kraft, dem Tigellinus eine Beleidigung in das Antlitz zu schleudern, deren Wucht ihn erbleichen machte.

Die Treue und Standhaftigkeit, mit der diese Niedriggeborenen unter Preisgebung ihrer gesunden Gliedmaßen für Octavia eintraten, hätte allein schon ausreichen müssen, den Senat bei der Ehre zu packen und die Herzen dieser „versammelten Väter“ zur energischen Abweisung der Verleumder zu zwingen. Aber das war eine Rotte feigzitternder Buben, die dort auf den Prunksesseln im capitolinischen Tempel thronte – nur noch das Schattenbild eines längst schon verfaulten und elend zu Grunde gegangenen Mannesthums.

Die Rolle des öffentlichen Gewissens spielte diesmal das Volk – und vor allem die Frauen.

Kaum war es nämlich ruchbar geworden, daß der Senat die Ehe des Kaisers mit Octavia getrennt und die „Verbrecherin“ nach Campanien verbannt habe, wo sie künftig „ihres schändlichen Wandels wegen“ unter militärische Aufsicht gestellt werden sollte, als in Rom, ohne jede Verabredung, rein aus dem verwundeten Rechtsgefühl der Massen heraus, eine förmliche Revolution ausbrach.

„Von den letzten Schifferhütten am Hange des Aventin bis hinaus nach den Villen des Gartenbergs und nach der milvischen Brücke – überall gewahrte man Frauen als Mittelpunkte bewegter Gruppen, Frauen im Gewande der Kleinbürger, leidenschaftlich und herb in ihrer wilden Beredsamkeit, aber auch vornehme Damen in schneeigfluthender Palla, das grellrothe Flammeum über den kunstvoll geschürzten Haaren, würdevoll, anmuthig in jeder Bewegung. Die Gemahlin des jämmerlichen Senators legte Verwahrung ein wider das lügenhafte Verdikt ihres Gatten; das Weib des verachteten Henkersklaven wider die Missethaten der Folterer. – Und so gestachelt von all den hunderttausend Stimmen der Frauen, die sich im heiligsten ihrer Gefühle tödlich verwundet sahen, zogen die kühnsten unter den Männern zuletzt in tosender Schar vor das Palatium und verlangten mit Donnerstimme die Rückberufung Octavias.“

Der Kaiser wurde durch diese Kundgebung eingeschüchtert – oder ein letztes Gefühl der Scham übermannte ihn. Selbst der Einfluß Poppäas erwies sich zunächst als machtlos. Nero erklärte den Beschluß des Senats für hinfällig und sandte Kuriere aus, um Octavia zurückzuholen.

Die Wirkung dieses Entschlusses auf die Bevölkerung Roms war unbeschreiblich.

Endlose Jubelrufe schallten über das Forum und verbreiteten sich wie ein Steppenbrand bis in die äußersten Vororte.

„Heil der Octavia!“ klang es vieltausendfältig – und da man inzwischen erkannt hatte, wer die eigentliche Veranstalterin des unerhörten Skandalprozesses gewesen war, mischten sich unter das „Heil der Octavia!“ grimmige Schmähworte gegen Poppäa. Abermals wie auf Verabredung regten sich allenthalben geschäftige Hände, um die Standbilder Octavias mit Blumen und Kranzgewinden zu schmücken, während die Büsten und Säulen, die sich [280] Poppäa beim Kaiser erschmeichelt hatte, vom Sockel gestoßen, verstümmelt, beschmutzt, ins Wasser gestürzt oder zum Anger der Missethäter geschleift wurden.

Poppäa Sabina tobte vor Wuth. so nahe am heißersehnten Ziele, sah sie nun alles wieder in Frage gestellt. Wenn sich morgen die Prätorianer ebenso einmüthig und nachdrücklich wider sie aussprachen wie heute das Volk, so konnte sie ruhig ihr Bündel schnüren und irgendwo in der Verborgenheit einer sang- und klanglosen Villeggiatur Rast halten von den verwegenen Träumen der Weltherrschaft. Nur ein rascher und rücksichtsloser Griff nach dem Aeußersten konnte ihr die halb schon verlorene Stellung zurückerobern. Es mußte gehandelt werden um jeden Preis – Octavia mußte fallen, wie einst Agrippina gefallen war; die bloße Verbannung reichte jetzt nicht mehr aus.

Von diesem Gedanken erfüllt, wandte sich Poppäa an ihren altbewährten Helfershelfer, den Flottenbefehlshaber Anicetus. Sie heischte von dem feilen Gesellen, der an Erbärmlichkeit und Niedertracht selbst den neuen Prätorianer-General übertraf, eine todbringende List im Stil jenes Prunkschiffes, das die Kaiserin-Mutter hatte ertränken sollen. Anicetus gab zu bedenken, daß ein solcher Gewaltakt, wenn er entdeckt würde, eine blutige Wiederholung des kaum überstandenen Aufruhrs herbeiführen konnte. Auch mag sich der Frevler im Besitz der vielen Millionen, die ihm die Tötung der Agrippina eingebracht hatte, zu froh und behaglich gefühlt haben, um seine üppige Existenz noch einmal aufs Spiel zu setzen. Da drohte ihm Poppäa mit der Enthüllung seiner – bis jetzt durch die Gerüchte vom Selbstmord der Agrippina bemäntelten – Unthat. Beweise dafür, daß er gedungen war, hätte er schwerlich beibringen können, alle Verantwortung wäre sonach an ihm, dem Werkzeug, hängen geblieben, während Poppäa selber durch Nero gedeckt war. Er sah das ein, und so fügte er sich.

Nach umständlicher Verhandlung kamen die beiden zu dem Entschluß, die ungeschickte Erfindung, die man zuerst gegen Octavia versucht hatte, durch eine zweite, glaubhaftere zu ersetzen und diesmal den Kaiser da anzupacken, wo er am zugänglichsten war: bei der Sorge um seinen Thron.

Es läßt sich hier kaum feststellen, wie weit Nero getäuscht wurde oder mit eingeweiht war. Nach allem, was wir bis dahin erzählt haben, bleibt es psychologisch wahrscheinlich, daß Poppäa der Thatkraft Neros der jungen Kaiserin gegenüber mißtraute und es für zweckmäßig hielt, ihm Furcht einzuflößen. In diesem Falle hätte der Kaiser also geglaubt, Octavia wolle sich für die erlittene Schmach rächen – was im Gegensatz zu der abgeschmackten Beschuldigung jenes ersten Prozesses immerhin denkbar gewesen wäre. Andererseits spricht auch manches dafür, daß Nero mit im Rathe gesessen und die Komödie des Anicetus gebilligt hat. In dieser Epoche war der entartete Claudier zu allem fähig.

Folgendermaßen ging man zu Werke. Anicetus machte bei einem Trinkgelage in scheinbarer Unvorsichtigkeit allerlei Andeutungen, aus denen hervorgehen sollte, er sei ein begeisterter Anhänger der schönen Octavia, stehe bei ihr persönlich in höchster Gunst und theile den Ingrimm des Volkes gegen die aufdringliche Poppäa. Verhaftet und zur Rede gestellt, spielte er den Verblüfften, der alles entdeckt wähnt, und legte, um Gnade flehend, ein „offenes Geständniß“ ab. Ja, er stand mit der jungen Kaiserin auf dem vertrautesten Fuße, ja, er war ein glühender Feind Neros und seiner Regierung; ja, er hatte sich mit Octavia verschworen, die misenische Kriegsflotte, deren Befehl er führte, aufzuwiegeln, um den Kaiser zu stürzen.

Das klang immerhin etwas glaubhafter als jene erste Beschuldigung. Die Absicht Octavias, den Tyrannen, der sie so schmachvoll entehrt und gepeinigt hatte, vom Throne zu stoßen, mußte gerade demjenigen Theil der Bevölkerung einleuchten, der noch sittliche Kraft genug besessen hatte, um sich jüngst über das unerhörte Urtheil des Senats aufzuregen. Anicetus galt vielleicht in den Augen dieser Getäuschten für den heroischen Perseus, der sich anheischig macht, die unglückliche Andromeda vor dem Drachen zu retten; denn, wie gesagt, die Blutschuld des Admirals war noch unbekannt.

Die Sache verlief denn auch völlig programmgemäß, ohne daß sich ein Sturm der Entrüstung erhob wie das erste Mal ...

Octavia ward vorläufig nach der Insel Pandataria im Tyrrhenischen Meere verbannt; gleich danach aber – wie es scheint, durch einen Akt unkontrollierbarer Kabinettsjustiz – zum Tode verurtheilt.

Ein paar zuverlässige Centurionen der Leibgarde betraute man mit der Vollstreckung.

Als die Kriegsleute auf Octavia zutraten und ihr mittheilten, daß sie nun sterben müsse, brach sie laut aufjammernd in die Kniee. „Unter glühenden Thränen flehte sie um ihr Leben, sie, die unglückliche, die Enterbte, für die Leben und Leiden doch eins war.“

Es ist ein außerordentlich rührender Zug in dem sanften mädchenhaften Charakterbilde Octavias, daß sie nichts von dem majestätischen Heroismus besaß, den die große Verbrecherin Agrippina beim Sterben bekundet hatte, den Arria bewies, als sie den Dolch sich in die Brust drückte und dann die blutende Waffe ihrem verurtheilten Gatten darbot mit den lächelnden Worten „Siehe, es schmerzt nicht!“ Octavias kaum zwanzigjährige Jugend, die vielleicht immer noch hoffte, bäumte sich auf; sie wollte, trotz allem, was sie gelitten, die Sonne noch schauen, die ringsumher soviel Wonne und Glück bestrahlte, wenn auch die Dulderin selbst bitterwenig davon genossen hatte. Vater, Mutter und Bruder waren ihr früh durch gewaltsamen Tod geraubt worden; ihre Ehe mit Nero war eine unablässige Folter gewesen; zuletzt hatte man ihr schuldloses Haupt mit Schande und Schmach überhäuft –: überall Kummer, Elend, Verzweiflung ... Und dennoch klammerte sich ihr trauerndes Herz mit der Kraft einer fiebernden Todesfurcht an dies werthlose Dasein; dennoch blieb sie durchaus ohne Fassung, selbst als sie wahrnahm, daß die Bewaffneten hier nur ein Amt hatten, keinen persönlichen Willen.

Die Art und Weise, wie sich die Centurionen ihres scheußlichen Auftrags entledigten, spricht dafür, daß die Erscheinung des lieblichen, hilflosen Wesens die Gemüther sogar dieser Henker zur Weichheit stimmte. Im Gegensatz zu der Brutalität, mit der sich die Kreaturen Poppäas in der Villa zu Bauli auf die Kaiserin-Mutter warfen, sie mit Stockschlägen mißhandelten und dann blind drauf losstießen, verfuhren die Prätorianer hier beinahe zartfühlend. Octavia wurde mit aller Schonung gefesselt und nach dem Warmbad ihrer Villa gebracht. Im Caldarium öffnete man ihr die Pulsadern – eine Todesart, die in der Kaiserzeit auch bei Selbstmorden sehr gewöhnlich war und für die mildeste und schmerzloseste galt. Jetzt noch sträubte sich die Natur des Opfers; das Blut entströmte ihr mit erschreckender Langsamkeit, so daß einer der Centurionen, von Mitleid ergriffen, dem Jammer ein Ende machte, indem er die Sterbende unter das Wasser drückte.

„Noch etwas Grausenhafteres folgte,“ sagt der Geschichtschreiber Tacitus. Das Haupt der Ermordeten nämlich wurde der rachedurstigen Feindin nach Rom gebracht. Man sieht, Poppäa war eine höchst gelehrige Schülerin Agrippinas, die sich die gleiche fürchterliche Genugthuung bei der Abschlachtung ihrer Gegnerin Lollia bereitet hatte.

Und nun erhob sich, um das Maß der Niedertracht voll zu machen, als Chorus zu dem blutigen Trauerspiel der Senat. Diese entartete Körperschaft huldigte damals dem Grundsatz: „Für jede Mordthat ein Dankgebet.“ So beschlossen denn die versammelten Väter Opfer in allen Tempeln zur Bekundung der Nationalfreude über die gnadenvolle Errettung des Kaisers aus den Intriguen Octavias!

Poppäa war nun am Ziel ihrer Wünsche. Ihrer Verbindung mit dem Gemahl der Ermordeten stand nichts mehr im Wege. Wer ihr am Hof noch bedenklich schien, ward entlassen oder mit Gift und Dolch aus der Welt geschafft. Das wankelmüthige Volk hatte längst vergessen, daß es die Standbilder dieser bluttriefenden Frevlerin einst in den Staub gezerrt. Es jauchzte der neuen Kaiserin zu wie einst der zurückberufenen Octavia. Es nahm theil an den schmachvollen Orgien, die Nero in wilder Verhöhnung des Rechts und der Sitte aus dem Kaiserpalast hinaus auf die Straße trug. Poppäa war die eigentliche Regentin des Reiches. Ihre fürchterliche Moral durchdrang wie ein schleichendes Gift die ganze Gesellschaft. Mehr und mehr brachte sie in dem Kaiser jenen wahnwitzigen Dämon zur Reife, der aus dem Abgrund der Weltgeschichte uns angrinst wie der Traum eines Fieberkranken. Sie ahnte nicht, daß sie nach kurzer Frist selbst – und zwar bunchstäblich – unter den Fußtritten dieses Scheusals verenden sollte, im letzten Augenblick noch von dem Wahne gefoltert, daß es der Geist der Octavia sei, der dies wohlverdiente Unheil auf sie herabgefleht.




  1. Vergl. Halbheft 1 dieses Jahrgangs.