Oesterreichisch-ungarische Nationaltrachten
[536] Oesterreichisch-ungarische Nationaltrachten. (Abbildungen S. 528 und 529.) Wenn es heute, wo die Mode ihr allgewaltiges Scepter schwingt, wo alles Altüberlieferte mehr und mehr schwindet, noch ein Ländergebiet giebt, auf dem die Volkstrachten sich in einigermaßen bunter Mannigfaltigkeit erhalten haben, so ist es gewiß Oesterreich-Ungarn.
Hier, zwischen Deutschland und dem Orient, ist der jahrtausendalte Grund, auf dem sich die Reste aller Nationalitäten versammelt, gerettet oder bewahrt haben. Aus diesem reichen Schatze läßt sich noch Vieles heben, und ein dem malerischen Sinne unserer Zeit entgegenkommendes Bilderwerk ist der Wirkung auf die weitesten Kreise sicher. Ein solches Werk liegt uns in der ohen genannten artistischen Publication der R. Lechner’schen Universitätsbuchhandlung in Wien vor. Es ist ein photographisches Werk oder vielmehr Album, das auf einzelnen Blättern, entweder im einfachen Lichtdrucke oder mittelst Handcolorites auf dem Lichtdrucke reizende weibliche Gestalten im typischen Nationalgewande zur Anschauung bringt. Das Arrangement der Figuren hat der Costümmaler der Wiener Hofoper, Herr F. Gaul übernommen; die Photographien liefert Herr Hofphotograph Löwy in Wien, dessen Anstalt auch die Lichtdrucke besorgt. Drei Lieferungen des vorläufig auf sechs berechneten Werkes sind erschienen, und aus ihnen wählen wir zwei Gestalten, die Gailthalerin aus Kärnten und die Ungarin aus dem Banat, welche darthun, daß hier eine vortreffliche Schönheitengallerie beabsichtigt und reizend verwirklicht worden ist.
Das Gailthal liegt am Ausgange der Villacher Ebene, und die steil abfallenden Wände des Rigi von Kärnten, der wegen ihrer prachtvollen Aussicht bekannten Villacher Alpe, bilden eine Seite der Eingangsthore. Es ist von 7- bis 8- und 9000 Fuß hohen Alpen umstellt und wird in ein Ober- und Untergailthal getheilt; die Slovenen bilden einen großen Theil der Bevölkerung neben der deutschen. Die dargestellte Schöne ist eine Slovenin, doch glaube man ja nicht ein Muster aller Mädchen im Lande, sondern nur der dortigen Bräute; einzig eine solche trägt die faltenreiche weiße Haube aus Leinen oder Musselin über dem Kopftuche, das gebunden wird, wie es die Mädchen in Oesterreich, Steiermark und Tirol alltäglich tragen. Beachtenswerth ist der Brustschmuck, welchen man leicht für ein Mieder halten könnte, der aber nur ein geschickt im Dreieck zusammengelegtes buntes Tüchlein ist, dessen breiteste Basis um die Hüfte gelegt und dessen mittlere Spitze oben an dem Hemde befestigt wird, und zwar mittelst einer Nadel oder Brosche, im Volksmunde „Brefele“ oder „Brevele“ geheißen.
Mit dem kurzen dunklen Rocke, welcher einen hellfarbigen Saum hat, der um so wirksamer von den weißen, plastisch gemusterten Ringelstrümpfen absticht, und jenen Zierlichkeiten, zu welchen noch bauschige weiße Aermel gehören, erscheint die Dorfschöne am Sonntage unter der Linde, unter welcher getanzt wird. Alte mächtige Linden sind in den Dörfern häufig; vor dem Tanz wird – eine eigenthümliche Sitte! – ein kurzes Gebet gesprochen, und die Lustbarkeit geht los. Mit solcher Zier geht auch die Braut an der Seite des Bräutigams und hinter dem vorantretenden „Hochzeitslader“ von Haus zu Haus, um die Gäste zur Hochzeit zu bitten. Kurz es erfüllt sich mit der Schönen, die zu einem wesentlich Alpenwirthschaft und Pferdezucht betreibenden Völklein gehört, all das, was uns die Poeten des Volkslebens in neuerer Zeit so lebhaft vorgestellt, und wer beim nächsten Besuche im Gailthale die Braut von Reitern umritten auf einem Wagen sieht, der wundere sich nicht!
Die Magyarin aus dem Banat macht ein ernsteres Gesicht; ihr Stamm ist nicht so heiter; sie kann nicht so leichtfüßig über den steinigen Grund hinwegschreiten, und der dichte Humus, welcher meilenweit üppig daliegt und in welchen selbst das Wagenrad tief einschneidet, bedarf als stärkeres Gegenmittel den hochreichenden Stiefel. Aber ihre Augengluth, ihr üppiges Schwarzhaar, selbst ihr Ohrenschmuck zeigen nach dem Oriente; die sehr nahen Türken haben mit ihren Großvätern und Urgroßvätern noch gerauft, und die Mütter entstammten vielleicht einer mohamedanischen Verwandtschaft. Jene trüben Zeiten haben das düstere Lied gepflegt, dessen Molltöne noch heute die Lustbarkeit der Magyaren bilden und das nur zum Schlusse in einem raschen lustigen Aufschlagen endet. Der Gürtel mit seinen bunten wechselnden Farben und das Käppchen, welches noch an den Fez gemahnt, haben etwas Orientalisches, aber der lederne pelzverbrämte Koller über dem dunklen Rocke ist total ländlich-sittlich. Hier kann man die Brust nur kurze Zeit den weichen linden Lüften preisgeben; denn die hohen Ausläufer der Karpathen haben frühen Schnee und lassen eisige Winde durch die Thäler wehen. Das matte Gelbweiß des Lederkollers ist aber verschönt von großen Blumen, in buntesten Farben aus Wolle und Seide gestickt; auch Buntleder findet sich dazwischen mit einer Verschlingung der Stengel oder Arabesken, welche eifrige Sucher nach „charakteristischen“ und „historischen“ Gewebemustern in Erstaunen setzen. Und trotz aller scheinbaren Düsterheit – wenn die Zigeuner auf das Cymbal klopfen, die Geige streichen … kurz da sind Magyaren und Deutsche einig … und wir darüber, daß es aus Anlaß solcher Schönheitsbilder noch viel zu sagen gäbe. S.