Pariser Studentenleben

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Autor: Karl Wartenburg
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Titel: Pariser Studentenleben
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aus: Die Gartenlaube, Heft 34, S. 461–464
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1856
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Pariser Studentenleben.
Kulturgeschichtliche Skizze von Karl Wartenburg.

Die pariser Studenten haben, oberflächlich betrachtet, wenig mit ihren deutschen Commilitonen gemein. Es gibt unter ihnen weder Corpsburschen, noch Burschenschafter; sie tragen daher auch keine Bänder und Mützen mit den Verbindungsfarben, sie haben auch keinen „Landesvater“ im Hut oder Barett und auch jene altehrwürdige, auf allen deutschen Universitäten unter dem Namen „Comment“ wohlbekannte Observanz ist ihnen fremd. Vor H. Heine hatten die Franzosen fast gar keinen Begriff vom eigentlichen Wesen des deutschen Studententhums und die Enthüllungen, die ihnen der Dichter des Buchs der Lieder und der Reisebilder darüber machte, waren auch nicht besonders geeignet sie aufzuklären. Ihre, aus eigener Anschauung aber entsprungenen Schilderungen dieser echt deutschen Kulturerscheinung sind höchst wunderlicher Art und selbst ihre berühmten Schriftsteller haben das innere, charakteristische Wesen unseres deutschen, studentischen Lebens so wenig erkannt und es mit einer Naivetät dargestellt, die unwillkürlich ein Lächeln entlockt. Alexander Dumas selbst entwirft in einem seiner Romane: „Dieu dispose“ (Gott lenkt) eine Beschreibung deutschen, akademischen Lebens und Treibens, die wahrhaft ergötzlich-komischer Art ist, und wer jene Schilderung gelesen, wird sich nicht mehr darüber wundern, daß in Bezug auf die ars bibendi unsere Nachbarn jenseits des Rheins uns noch den Platz vor der rum- und grogtrinkenden Nation des lustigen Altenglands einräumen. Denn die Massen von Bier und Wein, welche Dumas in jenem Roman bei einem deutschen Studentencommers trinken läßt, wären hinreichend, um für einen Tag den Durst der ganzen Bevölkerung von Paris, die Garnison mit inbegriffen, zu löschen. Ein Bravourstück, welches Dumas in „Gott lenkt“ erzählt, wird zeigen, welche Fähigkeiten die Franzosen uns in dieser Hinsicht zutrauen.

Zwei alte Studenten – er nennt sie Trichter und Freßwanst – kehren von einem Ausflug nach der Stadt heim, verspüren aber unterwegs einen heftigen Durst. Nach einigem Suchen finden sie eine einzeln stehende Bauernschenke, am Neckar gelegen, in der sie jedoch nur die alte Wirthin zu Hause treffen, da der Mann nach der Stadt gegangen ist, um Kirschwasser, das ihm ausgegangen war, einzukaufen. Die beiden Musensöhne haben aber nun gerade ein Verlangen nach gebranntem Wasser und zum Glück entdeckt die Bäuerin in einem Wandschrankwinkel eine grüne, halbgefüllte Glasflasche, welche sie den Beiden kredenzt. Mit großem Behagen leeren diese denn auch die Bouteille und entfernen sich mit dem Versprechen wieder zu kommen, da sie noch nie einen so kräftigen Branntwein getrunken hätten. Als der Mann endlich heimkehrt, erzählt ihm die Frau den Vorfall, aber kaum hat er die Flasche erblickt, aus welcher die Beiden getrunken, so überzieht Leichenblässe sein Gesicht und tief erschrocken [462] stammelt er: „Weib! was hast Du gethan? Auf welchem Rain werden jetzt die Unglücklichen unter entsetzlichen Qualen ihren Geist aushauchen … Du hast einen Mord auf Deinem Gewissen – denn in der Flasche war Scheidewasser.“ Doch wer beschreibt sein Erstaunen und das seiner zitternden Ehehälfte, als in dem Augenblick die Todtgeglaubten, welche vor ungefähr einer Stunde eine halbe Flasche verdünnte Salpetersäure getrunken haben, gesund und munter mit dem Bemerken in die Stube traten, der Branntwein habe ihnen so geschmeckt, daß sie umgekehrt, um noch einige Gläschen, falls noch welcher vorhanden, zu trinken. Wenn A. Dumas diese Anekdote von den langbärtigen Bewohnern der Ukraine und den donischen Kosaken erzählt hätte, die bei ihrem Besuch in Deutschland Anno 1813 und 14 in einigen anatomischen Museen den Spiritus getrunken haben sollen, in welchem die Monstra u. s. w. aufbewahrt werden, so könnte man sich die Geschichte schon gefallen lassen, aber ein derartiges Kunststück von deutschen Studio’s ausführen zu lassen, dazu gehört eine Kühnheit der Erfindung und naive Dreistigkeit, wie sie nur dem Verfasser von Monte Christo eigen ist, der in seinen Romanen noch ganz andere Dinge möglich macht.

Doch wir wollten ja nicht von den Kunststücken des Herrn A. Dumas, sondern von den pariser Studenten erzählen, dieser immer heiteren und beweglichen Bevölkerung des Quartier latin, in dessen engen, schmalen Straßen und hohen fünf- bis sechsstöckigen Häusern diese wißbegierige Jugend Frankreichs hauset und sechs bis acht Semester ein Leben führt, welches zwischen den Hörsälen der Rechts- und medizinischen Schule, dem Prado, Ranelagh, der Chaumière und den Restaurationen vor den Barrieren oder den Weinschenken von Maison rouge, Bercy, Auteuil[WS 1], Belleville und Batignolles getheilt ist. Wenn übrigens hier von den pariser Studenten gesprochen wird, so kann man natürlich nur die des Rechts und der Medizin darunter verstehen, denn die katholischen Geistlichen Frankreichs werden meistens in den Seminarien gebildet und die protestantischen Studenten der Gottesgelehrsamkeit studiren in Straßburg. Es gibt zwar auf der Universität von Paris, die im Jahre 1200 ihre ersten Privilegien erhielt, fünf Fakultäten und darunter auch eine katholisch-theologische, deren berühmter Stifter Peter[WS 2] von Sorbonne[1] war, (daher der Name: die Sorbonne) allein unter den 7000 Studenten, welche nach den neuen statistischen Angaben die pariser Universität besuchen, bilden die der Rechts- und medizinischen Schule die überwiegende Mehrzahl.

Im Monat November finden die meisten Inscriptionen statt und wenn man sich in diesen Tagen in der Nähe der verschiedenen Bahnhöfe aufhält, so kann man eine Menge junger Leute bemerken, die eben aus den Waggons gestiegen sich mit etwas schüchternem, befangenem Wesen nach einem Fiaker umsehen, der sie und ihre kleinen mit Seehundsfell beschlagenen Koffer aufnehmen soll, um sie nach dem Stadttheil auf dem linken Seineufer, dem klassischen Viertel von Paris, dem Quartier latin zu fahren.

Diese verlegenen, rothwangigen Jünglinge mit dem leichten Flaum um Mund und Kinn, in dem bescheidenen, schülerhaften Anzug, die blöde und erröthend den Blick zu Boden schlagen, wenn sie ein Blitz aus schönen Frauenaugen streift, sind die neuen Jünger der Wissenschaft, die nach bestandener Maturitätsprüfung von den Gymnasien der Provinz nach Paris kommen, ganz betäubt von dem Eindruck, den die verführerische Hauptstadt beim ersten Tritt auf’s Pflaster auf sie ausübt. Aber sie sind noch nicht sechs Wochen in Paris und es ist mit ihnen eine Verwandlung vorgegangen, wie wir sie vollständiger kaum in den Metamorphosen des R. Ovidii Nasonis finden. Oder erkennt ihr, wenn ihr eines Montags oder Donnerstags durch die glänzend erleuchteten, von einer vergnügungslustigen Menge schöner junger Frauen und Männer erfüllten Räume des Prado, des Ball Mabille oder Ranelagh geht, in jenem jungen Mann mit dem dunklen Kinnbärtchen, den weiten, buntkarrirten Hosen und dem leichten kurzen Leibrock, der so herausfordernd und unter allgemeinem Beifall und trotz des um ihn herumlungernden Sergent de ville eine sehr an den Cancan streifende Contretour mit seinem vis-à-vis, einer allerliebsten brünetten Grisette im Rosakleid tanzt, erkennt ihr in ihm den jungen, blöden Ankömmling wieder, den ihr vor vielleicht sechs Wochen mit dem Reisesack in der Hand, im ehrsamen schwarzen, langen Rock, in der Nähe des Bahnhofs gesehen habt, wie er eben aus der Provinz kam? Die Grisette, mit welcher er den Contre tanzt, ist seine Frau, seine „femme“, deren Bekanntschaft er vielleicht acht Tage nach seiner Ankunft in Paris in irgend einem Theater zweiten Ranges oder auf einem Ballsaal vor den Barrieren gemacht hat. Es ist dies zwar etwas rasch gegangen – aber Paris ist wie Leipzig: „es bildet seine Leute.“ Es ist bekannt, daß die Grisette die unzertrennliche Begleiterin des pariser Studenten ist, und während der deutsche Student, kaum angelangt in der Musenstadt, eilt, sich in ein Corps oder eine burschenschaftliche Verbindung aufnehmen zu lassen und das dreifarbige Band um die Brust zu schlingen, tritt der pariser Student in Verbindung mit einer Grisette, die von nun an seine Leiden und Freuden, sogar sein Zimmer mit ihm theilt. Es kann hier nicht unsere Aufgabe sein über das Sittliche oder Unsittliche dieses Verhältnisses zu sprechen, aber soviel wollen wir wenigstens sagen, daß diese Verbindungen die leidenschaftliche Jugend wenigstens vor noch viel schlimmeren Verirrungen schützen. So leichtsinnig übrigens auch diese Grisetten des Quartier latin sind und so rasch sie auch den Gegenstand ihrer Neigung wechseln, so findet man doch unter ihnen hochherzige und aufopferungsfähige Mädchen, die mit ihren Geliebten nicht blos die Vergnügungen eines Carnevalsabends in der großen Oper oder die sommerlichen Spazierfahrten und Gänge nach Montmorency und dem Wald von Romainville theilen, sondern auch Mangel und Noth mit ihnen ertragen. Von vielen Beispielen nur eins, das mir in Paris erzählt wurde.

In dem sechsten Stockwerk des Hauses Nummer 32 der, unweit des College de France und der polytechnischen Schule, gelegenen Rue des Carmes, wohnte ein junger Mann, Student der Rechte im achten Semester und eine junge Blumenmacherin, Namens Clemence, die den ganzen Tag bei ihrer Arbeit sang und trällerte und glücklich war, wenn sie Sonntags mit Theodor, so hieß der Student, vor die Barriere gehen und dort unter schattigen Bäumen, auf grünem Rasen ein gedämpftes Kaninchen, Eierkuchen, gebackene Fische und Cotelettes essen, eine Flasche Macon trinken, Contre tanzen und den Abend im Gaite-Theater oder in einem Kaffeehause auf den elyseeischen Feldern beschließen konnte. Dies lustige Leben dauerte so lange als Herr Theodor Durand sen., der Vater des Studenten, welcher ein ehrbarer Krämer in der Stadt Auxerre, im Departement der Yonne war und mit Wachslichtern und Senf handelte, den monatlichen Wechsel schickte – es hörte aber plötzlich auf als Herr Theodor Durand jun. eines Abends, eben als er mit Clemence von einem Ball aus der Chaumière auf dem Boulevard Mont-Parnasse heimkehrte, vom Portier einen Brief mit dem runden, blauen Poststempel von Auxerre empfing, in welchem Herr Durand Vater schrieb: „er erwarte, daß der Herr Sohn, der nun schon sieben Semester in Paris sei, bis zum nächsten Semesterschluß das Examen bestehe, da er ihn noch bei Lebzeiten im Barreau (d. h. unter den Advokaten) sehen wolle, wozu aber, wenn es so fortgehe, wenig Aussicht vorhanden und wenn er, der Vater, auch so alt wie Methusalem würde. Inliegende Banknote von zweihundert Franken sei auch das Letzte, was der Herr Sohn von ihm vor bestandenem Examen zu erwarten habe, von diesem Geld möge er auch die Examenkosten bestreiten und nun, nachdem er, wie er erfahren, sich eine so ausgebreitete Kenntniß der Restaurationen von Paris erworben, sich eine gleich ausgebreitete Kenntniß des Code pénal und Code civil erwerben u. s. w.  u. s. w.“

Theodor begnügte sich, Clemence nur den interessantesten Inhalt des Briefes, d. h. die 200 Frankenbanknote zu zeigen und sie zu bitten, alles Nöthige für ein feines Frühstück zum nächsten Morgen bereit zu halten, da er mehrere gute Freunde zu sich bitten wolle. Nach dem Frühstück gab es Landparthien, Theater, den Circus auf den elyseeischen Feldern, in Versailles spielten die Fontainen und – ich glaube, es war gerade an dem Sonntag, wo die versailler Wasser sprangen – bald sprang auch Theodors letztes Fünffrankstück, und als er mit Clemence von Versailles nach Paris zurückgekehrt war, hatte er noch soviel, um bei einem Marchand de vin an der Barriere einen Litre blauen Wein zu bezahlen, d. h. zehn Sous. Derartige Verlegenheiten waren zwar früher auch vorgekommen, ohne daß dabei der Humor gelitten hätte, denn wozu wäre denn sonst die schöne Einrichtung – nicht des Credit mobilier, sondern des Credits bei den Wirthen, [463] zu welchen Theodor in solchen Zeiten seine Zuflucht nahm, aber dieses Mal war es doch etwas Anderes, da Papa wirklich Wort hielt und keinen Centime mehr schickte.

Der warme Sommer verstrich und der kühle Herbst und Winter kamen und in dem Zimmer des sechsten Stockwerks des Hauses Nr. 32 in der Rue des Carmes war es sehr kalt und die paar kleinen Holzscheite, welche in dem Kamin glimmten, konnten mit der geringen Wärme, die sie verbreiteten, kaum die erstarrten Finger Theodors und Clemence’s wärmen, welche letztere eben einen brillanten Blumenschmuck für die Toilette einer jungen, schönen Herzogin fertigte, während der erstere sich Excerpte aus den Pandekten und dem Code Napoleon machte und, da er gerade bei der Lehre von den Obligationen war, darüber nachdachte, ob er, der debitor, sich von seinen creditores, von welchen letzteren vorzüglich ein Speisewirth und ein Schneider sehr ungestüm wurden, durch ein Moratorium befreien solle, oder ob er sie durch eine cessio bonorum befriedigen – wobei freilich die Gläubiger am schlimmsten weggekommen wären – oder ob er gegen seine klagenden Gläubiger das beneficium competentiae geltend machen sollte. Theodor hatte nämlich eingesehen, daß sein Vater am Ende Recht habe und er sich einmal zum Examen bequemen müsse und arbeitete früh und spät, um das, was er des Prado und der Chaumière wegen versäumt hatte, wieder nachzuholen. Clemence aber arbeitete bis tief in die Nacht hinein, um das Geld zur Bestreitung ihrer kleinen Wirthschaft zu verdienen, da Herr Durand trotz aller Briefe unerbittlich blieb und keinen Sou schickte. Mit Hülfe des Mont de pieté, wie die Franzosen sehr euphemistisch das Leihhaus nennen, und Clemence’s erhöhtem Fleiß schlugen sich die beiden jungen Leute auch bis Ostern durch – aber Theodor wußte jetzt durchaus nicht, so sehr er sich den Kopf zerbrach, ein Mittel ausfindig zu machen, um die Kosten des Examens, welche sich auf ungefähr pränumerando zu zahlende 100 Fr. beliefen, aufzutreiben. Clemence sah die nachdenkliche, sorgenvolle Miene ihres Geliebten und seine Traurigkeit fiel ihr schwer auf’s Herz. Vergebens strengte sie ihren kleinen Kopf an, um zu entdecken, wie sie Theodor 100 Franken verschaffen könne, aber all’ ihr Sinnen blieb umsonst. Da fällt ihr, als sie sich in dem Modewaarenmagazine ihrer Prinzipalin befindet, um ihre Arbeit abzuliefern und neue zu holen, eine Nummer von „La Presse“ mit einer Ankündigung des Besitzers vom Hippodrom in die Hände. Als Clemence diese Anzeige gelesen, stößt sie einen leisen Freudenschrei aus und eilt dann spornstreichs zum Besitzer des Hippodrom.

„Mein Herr!“ redet sie ihn an, „ich habe Ihre Aufforderung gelesen und wünsche die Bedingungen zu hören.“

„Wie, Mademoiselle, Sie hätten den Muth?“

„Gewiß, mein Herr, wenn ich weiß, was ich dafür erhalte –“

„Zwanzig Franken für jede Vorstellung, wobei sie sich jedoch für wenigstens fünf Vorstellungen verbindlich machen müssen.“

„Wohlan! ich schlage ein; ich bin die Ihrige.“

Vier Tage später bewunderte Paris im Hippodrom einen aufsteigenden Luftballon, dessen Schiffchen die Gestalt eines Panthers hatte, auf welchem ein schönes junges Mädchen als Venus lag, umgeben von vier Amoretten, reizenden, jugendlichen Mädchengestalten. Diese Venus war Clemence, welche das gefährliche Kunststück gewagt, um die hundert Franken zu verdienen, welche sie für die fünf Vorstellungen erhielt und die sie Theodor, der nichts von der Sache wußte, zum Examen gab; aber die Aufregung und die Angst waren so stark gewesen, daß das arme Mädchen von einer tödtlichen Krankheit befallen und nur mit genauer Noth vom Tode errettet wurde. Die Geschichte ist nicht von mir erdichtet, sondern wurde mir so in Paris erzählt und später las ich sie sogar in den Feuilletons einiger pariser Blätter. Eine solche Handlung ist übrigens um so edelmüthiger, da diese Mädchen fast niemals hoffen dürfen die zukünftigen Frauen ihrer studentischen Geliebten zu werden, denn sobald die jungen Leute aufhören Akademiker zu sein, hören auch diese Verbindungen auf.

Bei all’ dem leichten Leben herrscht jedoch unter der studirenden Jugend von Paris ein gewisser hochherziger Geist, und obgleich durchaus keine Kopfhänger und Frömmler mit glattem Seraphsscheitel, hinter’s Ohr gestrichenem, langem Haar à la Puritaner und leise flüsternder Stimme von wohlgefälligem Wandel, Erbsünde, Versucher, Buße und Reue und Bruderliebe, haben sie doch bewiesen, daß sie, wenn es gilt – und das ist bei einem Manne die Hauptsache – Kopf und Herz auf der rechten Stelle haben.

Als im Anfange der dreißiger Jahre, kurz nach der Julirevolution, die Cholera zum ersten Mal auf ihrem Weltgange nach Paris kam und die Anhänger der vertriebenen Königsfamilie, insbesondere die legitimistischen Priester die Seuche als eine Strafe bezeichneten, die der Himmel über das aufrührerische Volk von Paris verhängt habe, weil es Karl X. vom Thron gestürzt; als unwissende oder schlechte Menschen von selbstsüchtigen Zwecken, oder finsteren Absichten geleitet von Brunnenvergiftungen und ähnlichen Verbrechen redeten, um dadurch Ausbrüche des wildesten Zornes, der Wuth und Zerstörung herbeizuführen, Scenen, wie sie nur das Mittelalter zur Zeit der Judenverfolgungen gesehen hat; als dunkle, düstere Prophezeihungen vom herannahenden, letzten Gericht die Gemüther der Schwachen ängstigten und schreckten, bleiches Entsetzen sich über einen Theil der Bevölkerung lagerte, während der andere, wie es immer bei solchen furchtbaren Epidemien der Fall, in toller Hast den Becher jeglicher Lust und wilden Sinnenrausches bis auf die Hefe leerte, um sich durch den Lärm wüster Orgien zu betäuben; als alle Fremden und Reichen die verpestete Stadt verließen, die Postanstalten und Messagerien nicht genug Wagen und Pferde schaffen konnten, um alle die Flüchtigen zu befördern und die Landstraßen nach den Provinzen mit Fuhrwerken aller Art bedeckt waren, um ihre Besitzer nach ihren Schlössern, Landgütern und Villa’s, überhaupt nur weg aus der vergifteten Luft von Paris zu bringen; als man die Kasernen zum Theil zu Spitälern umwandeln mußte, und kaum für schweres Geld Wärter für die Kranken finden konnte, die Aerzte aber unter der ungeheuern Anstrengung zu erliegen drohten, da erließ die medizinische Facultät und die Regierung einen Aufruf an die Studenten der medizinischen Schule, den Dienst bei den Kranken in den Choleraspitälern zu übernehmen, und den ältern Aerzten hilfreich zur Seite zu treten. Und schaarenweise drängte sich diese tapfere, wißbegierige Jngend herbei, um der tödtlichen Seuche ihre Opfer streitig zu machen, und da der rapide Charakter der Krankheit möglichst schnelle Hülfe und sorgfältige, ärztliche Ueberwachung der Leidenden erforderte, so schlugen je vier Mediziner in den Cholerasälen des Hotel de Dieu und der übrigen Lazarethe ihr Lager auf, und während zwei von ihnen fortwährend in dem Saal die Runde machten und die Kranken überwachten, schliefen die beiden Andern, bis die Reihe der Wache an sie kam, ebenso ruhig und sorglos unter den ächzenden und stöhnenden Kranken, wie in ihrem Stübchen des fünften oder sechsten Stockwerks in einem Hause der Rue de la Harpe oder St. Jacques. Hingebend und aufopfernd zeigten sie sich auch in den heißen Julitagen von 1830 und in den Februarkämpfen von 1848, wo sie mit Lebensgefahr die Verwundeten in den Straßen verbanden oder fliegende Ambulancen errichteten und die schwer Getroffenen in die Lazarethe geleiteten. Bei den Volksbewegungen in Paris spielen die Studenten der Rechts- und medizinischen Schule überhaupt eine bedeutende Rolle.

In der Führung der Waffen ist ihnen der deutsche Student übrigens durchschnittlich überlegen, da das Fechtbodenbesuchen von ihnen schon deshalb nicht so pünktlich geübt wird, weil es unter ihnen keine Verbindungen gibt, die wie bei uns, für ihre Mitglieder den Besuch des Fechtbodens zur statuarischen Vorschrift machen. Und während die deutschen Studenten – und wenn auch nicht Alle, doch wenigstens die Verbindungsleute – auf Korb- und Glockenschläger, krumme Säbel und Pariser sich „einpauken“, wie der technische Ausdruck heißt, so ist es bei jenen blos die letztgenannte Waffe, der dreischneidige Stoßdegen, den sie auf der Mensur gebrauchen. Sie schlagen sich deshalb auch meistens ohne Binden und Bandagen und nur um das rechte Handgelenk wird ein seidenes Tuch zum Schutz der Pulsader gewickelt. Wenn man in der Nähe des Waldes von Meudon, unweit des Teichs von Villebon, südwestlich von Paris oder unweit der Kalksteinbrüche des Montmartre ein paar Fiaker halten sieht, aus welchen vielleicht sechs Personen steigen, von denen einige etwas Glänzendes unter ihren Mänteln verbergen und die dann eine einsame, zwischen Gebüschen versteckte Stelle aufsuchen, so kann man annehmen, daß es pariser Studenten sind, die mit einander contrahirt haben, und hier die Sache abmachen wollen. In das Hölzchen von Boulogne gehen sie seltener; es ist dies der Ort, wo sich die aristokratischen Kavaliere das Blut abzapfen, und wo [464] zuweilen einige elegante Dandys, die sich bei einem Ball auf den Fuß getreten oder von denen der Eine die Dame des Andern mit dem Ellnbogen gestoßen, auf fünfzehn Schritt Barriere ein paar Kugeln wechseln, von denen die böse Welt behauptet, daß es nicht immer Bleikugeln, sondern auf Blei abgeriebene Korkkugeln sind, die allerdings metallischen Glanz dadurch gewinnen und, sobald man sie nicht in die Hand nimmt, für Bleikugeln angesehen werden können, sonst aber sehr harmloser Natur sind. Indessen hindert dies den Dandy nicht, auf dem Café de Paris oder im Café Tortoni, auf dem italienischen Boulevard, seinen Freunden auf ihr Befragen, wo er gewesen, mit einem geheimnißvollen Lächeln und martialischen Kräuseln des Schnurrbarts zu verstehen zu geben, daß er eine Spazierfahrt in’s Hölzchen gemacht, um mit einem Unverschämten einige Kugeln zu wechseln. – Ob nun von Kork oder Blei, darauf kommt am Ende nichts an, in Paris regiert der Schein ebenso und vielleicht noch mehr wie anderwärts. –


  1. Um’s Jahr 1250

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Auteil
  2. richtig ist wohl Robert von Sorbon