Preußische Licht- und Schattenbilder 3. Karl Freiherr von Stein

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Autor: Max Ring
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Titel: Karl Freiherr von Stein
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aus: Die Gartenlaube, Heft 41–42, S. 584–587, 602–605
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1859
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Reihe: Preußische Licht- und Schattenbilder
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[584]
Preußische Licht- und Schattenbilder.
Ein Lichtbild.
Nr. 3. Karl Freiherr von Stein.

In einer Zeit der politischen Feigheit und Gesinnungslosigkeit dürfte es nicht ohne Nutzen sein, an einzelne deutsche Männer zu erinnern, die den Namen eines deutschen Patrioten in Wahrheit verdienen. Unter diesen glänzt vor Allen hervor Karl von Stein, der Besieger Napoleon’s, der Retter unseres Vaterlandes.

Aus uraltem Freiherrngeschlechte, dessen Urkunden bis zum Jahre Tausend reichen, stammte der Mann, dem Deutschland seine Wiedergeburt, Preußen vor Allem seine geistige Auferstehung zu verdanken hatte. Sein Vater, Karl Philipp von Stein, war ein Charakter, von dem der Sohn in der ihm gewidmeten Grabschrift rühmen durfte:

Sein Nein war Nein gewichtig,
Sein Ja war Ja vollmächtig,
Seines Ja war er gedächtig;
Sein Grund, sein Mund einträchtig,
Sein Wort, das war sein Siegel.

Die Mutter, ein gebornes Fräulein Langwerth von Simmern, besaß einen hohen, klaren Geist, tiefes, lebhaftes, selbst sehr heftiges Gefühl und einen kräftigen Willen, der vor keinem Hindernisse zurückschrak. Der Eltern Tugenden erbten auf den Sohn, der, von zehn Geschwistern der vorletzte, am 26. October 1757, zehn Tage vor der Schlacht bei Roßbach geboren wurde. In solcher Umgebung und im schönsten Theile Deutschlands voll herrlicher Thäler und Berge, von alten Burgen gekrönt, von Reben umkränzt und von tausendjährigen Eichen umrauscht, wuchs der Knabe heran in Liebe zu dem gemeinschaftlichen Vaterlande, genährt von den Ideen der Standes- und Familienehre, frühzeitig mit der Pflicht vertraut, das Leben zu gemeinnützigen. Zwecken zu verwenden, durch Fleiß und Anstrengung den ihm überkommenen Besitz an geistigen und leiblichen Gütern zu mehren. Aus der Jugendzeit ist von ihm folgender charakteristischer Zug bekannt geworden: Als die Brüder und Schwestern unter sich Shakespeare’s Sommernachtstraum aufführten, verschmähte Karl andere Rollen mit dem Ausrufe: „I am the wall“ (ich bin die Mauer). Er hat Wort gehalten, und wurde der Wall, an dem sich fränkischer Uebermuth und Despotismus brach, die Mauer und feste Stütze des Vaterlandes.

Frühzeitig entwickelte sich unter solchen Verhältnissen der historische Sinn, der ihn durch’s ganze Leben begleitete; besonders sprach ihn Englands vielbewegte Geschichte an. Aber auch das classische Alterthum blieb ihm nicht fremd, er schöpfte daraus nicht todtes Wissen, sondern lebendige Begeisterung. So vorbereitet, bezog er die Universität Göttingen, wo er in dem berühmten Pütter einen Lehrer fand, dessen großartige, freisinnige Grundsätze des Staatsrechts Stein sich zu eigen machte. Eifrig widmete er sich den Studien, welche vorzugsweise auf Deutschlands Recht, Geschichte und Verfassung gerichtet waren. In der Wahl seines Umganges zeigte er sich vorsichtig, besonders schloß er sich an Brandes und Rehberg an, welche Beide sein Vertrauen vollkommen rechtfertigten.

Von Rehberg besitzen wir aus jener Zeit eine Schilderung des jungen Stein.

„Es war,“ so schreibt der Freund in seinen Erinnerungen, „in allen seinen Empfindungen und Verhältnissen etwas Leidenschaftliches. Aber welche Leidenschaft! Dem lebendigen und unbiegsamen Gefühle für alles Große, Edle und Schöne ordnete sich bei ihm sogar der Ehrgeiz von selbst unter. Mit den wenigen Menschen, denen er sich hingab, war er durch die Vermittlung seiner Empfindungen [585] verbunden, und wer dazu gelangte, konnte nicht anders, als ihn wieder leidenschaftlich lieben. So habe ich mit ihm anderthalb Jahre auf der Universität zugebracht und einen Bund geschlossen, der für das ganze Leben gelten sollte.“

Der Bund der edlen Jünglinge wurde noch bedeutungsvoller und inhaltreicher durch den Austausch der Ideen, welche das Jahrhundert erfüllten. Es war die Zeit der durch Klopstock, Lessing, Herder und Goethe wiedererwachten deutschen Literatur. Mit Bewunderung wurde von den Freunden der nationale „Götz von Berlichingen“ aufgenommen, die Bedeutung des nordamerikanischen Freiheitskampfes in seinen politischen Folgen von ihnen gewürdigt und erfaßt. Stein erkannte, daß ein neues Zeitalter herangebrochen sei, und die alten Zustände einer Umgestaltung bedürften. Mit dieser Ueberzeugung konnte Stein, der nach seinem Abgange von der Universität einige Monate in Wetzlar zubrachte, um an dem dortigen Reichskammergericht zu arbeiten, kein Genügen an dieser alten, verrotteten Einrichtung finden. Sein Scharfblick erkannte, daß das morsche Gebäude des heiligen römisch-deutschen Reiches einzustürzen drohe, und so entschloß er sich, in die Dienste Preußens zu treten, indem er mit richtigem Instinct Deutschlands Zukunft ahnte, obgleich seine Eltern aus alter Anhänglichkeit an das Kaiserhaus es lieber gesehen hätten, wenn der Sohn sich für den österreichischen Staatsdienst entschieden hatte.

Karl Freiherr von Stein

Kurz vorher fand, besonders auf Anrathen und Wunsch der Mutter, ein Abkommen statt, wonach die übrigen Geschwister auf die Erbschaft des väterlichen Vermögens zu Gunsten Stein’s verzichteten, der sich früh als ein guter Wirth bewährt hatte und darum ausersehen war, sich zu verheirathen und den Namen, so wie den Glanz der Familie fortzupflanzen. Gegen seine Neigung gab er dieser Anordnung nach, die ihn zu seinen Geschwistern und besonders zu dem ältesten Bruder in eine peinliche Stellung brachte, wenn er auch später die größten Opfer brachte, um die scheinbare Ungerechtigkeit der Eltern vergessen zu machen.

Von dem Genius des großen Friedrich und von Preußens frischem Glanze angezogen, eilte Stein nach Berlin, wo er auf Verwendung des verdienstvollen Ministers von Heinitz am 10. Februar 1780 eine Anstellung in dem Departement des Berg- und Hüttenwesens als Referendar fand. Obgleich mit dem technischen Theile seines jetzigen Berufs noch wenig oder gar nicht bekannt, eignete er sich durch Fleiß und Beharrlichkeit bald die nöthigen Kenntnisse an, so daß ihn der ihm wohlwollende Minister schon nach zwei Jahren zum Oberbergrath vorschlug. Der König war mit dieser schnellen Beförderung keineswegs einverstanden und erklärte: er kenne den von Stein und dessen Fähigkeiten gar nicht; gleich Oberbergrath sei doch ein bischen viel; was er doch gethan habe, das zu verdienen? Um das zu werden, müsse man sich doch ein bischen distinguirt haben. Der Minister brachte jedoch so triftige Gründe vor, daß die Stelle an Stein schon den nächsten Tag verliehen wurde.

Mit der Direction des bedeutenden Bergamtes Witten in der Grafschaft Mark betraut, entwickelte Stein in seinem neuen Berufe eine ungemeine Thätigkeit; er gründete eine Bergamtsschule, sorgte für die vernachlässigte Communication und legte zwanzig Meilen Kunststraßen in kurzer Zeit an. Ein dauerndes Denkmal stiftete er durch die Schiffbarmachung der Ruhr, wodurch der Kohlenhandel jener Gegend einen großartigen Aufschwung erhielt. Als stimmführendes Mitglied in der Cleve-Meurs’schen und Märkischen Kammer führte er statt der bisherigen den Verkehr hemmenden Accise eine zweckmäßigere Steuer für die Städte und das platte Land ein, welche diese Hindernisse für immer beseitigte. Sein großes organisatorisches Talent fand von Seiten der Regierung und der von ihm verwalteten Gegend die vollste Anerkennung.

Mitten in dieser segensreichen Thätigkeit wurde er von Friedrich dem Großen zu einer diplomatischen Mission berufen. Die Uebergriffe Oesterreichs und das Streben des Kaisers, seine Macht in Deutschland zu vergrößern, forderte Friedrich’s Wachsamkeit heraus. Zum Schutze des bedrohten Bayern beschloß der König, einen Bund der mittleren und kleinen Reichsstände, ähnlich dem schmalkaldischen Bunde, zu bilden. Es galt, den verderblichen Plänen der österreichischen Vergrößerungssucht entgegenzutreten und die kleinen Fürsten zu gewinnen.

Unter diesen nahm der Kurfürst von Mainz, als erster geistlicher Fürst und Kurkanzler des Reichs, eine hervorragende Stelle ein. Zu ihm wurde Stein, der vermöge seiner Familienverhältnisse mit den dortigen Zuständen bekannt war, abgesendet, und es gelang ihm, dem jungen, kaum siebenundzwanzigjährigen Diplomaten, über die Intriguen des österreichischen und französischen Gesandten zu siegen. Trotzdem bat er um seine Zurückberufung, da der Redlichkeit, Offenheit und Wahrheit seines Charakters dies diplomatische Gaukelspiel voll Verstellung, List und Falschheit widerstrebte. Seiner früheren Wirksamkeit zurückgegeben, setzte er das begonnene Werk in einer Weise fort, daß ein Mann wie Alexander von Humboldt ihm das Zeugniß gab, daß Stein einer der ausgezeichnetsten Bergwerkskundigen seiner Zeit gewesen und zuerst bei der Salzfabrikation chemische Kenntnisse in Anwendung gebracht. So leistete er zunächst im Kleinen Großes, und bereitete sich in beschränkten Verhältnissen für die Leitung des ganzen Staates vor.

Nach dem Tode Friedrich des Großen schlug Preußen unter seinem Nachfolger, der sich von einem Wöllner und Bischoffswerder leiten ließ, jene verderbliche Politik ein, welche mit dem Ruin des Staates enden mußte. Obgleich die neue Regierung Stein ihre Zufriedenheit durch seine Ernennung zum Geheimen Oberbergrath zu erkennen gab, konnte er sich mit ihrem verderblichen System nicht einverstanden erklären. Er forderte einen längeren Urlaub, den er in Gesellschaft des originellen Grafen Schlabrendorf zu einer Reise nach England benutzte.

Hier, an der Quelle des parlamentarischen Lebens und einer freisinnigen Regierung, legte er den Grund zu einer großartigen Auffassung der heimischen Verhältnisse, indem er die Wohlthaten einer freien, ungehemmten Entwicklung für das Volk kennen lernte. Außerdem machte er sich die Fortschritte der englischen Industrie zu eigen, um sie auf seinen bisherigen Wiekungskreis anzuwenden. Mit dieser reichen Ernte von politischen und socialen Kenntnissen kehrte er in sein Vaterland zurück, wo er, nachdem er die ihm angetragenen Posten eines Gesandten nach dem Haag oder Petersburg ausgeschlagen hatte, zum ersten Director der Kriegs- und Domänenkammer zu Cleve und Hamm ernannt wurde.

Unterdeß war die erste französische Revolution ausgebrochen, zu deren Bekämpfung das absolutistische Oesterreich mit Preußen sich verband. Der Kreuzzug der Reaction gegen die junge Freiheit endete mit dem traurigen Rückzug aus der Champagne, welchem später der einseitige Friede folgte, den Preußen in Basel schloß, um freie Hand für die Theilung Polens zu erhalten.

Stein, dessen organisatorisches Talent zur Verpflegung des preußischen Heeres verwendet wurde, lernte in der Nähe die verderbliche Wirkung eines Cabinetskrieges, vor Allem aber „den weichlichen, selbstsüchtigen, den Staatsverein auflesenden Geist der Fürsten, die, gleichgültig gegen das Schicksal des Vaterlandes, nur für die Erhaltung ihres gebrechlichen Daseins besorgt waren,“ genau kennen. Mit Entrüstung sah er schon damals den Zwiespalt der Meinungen im preußischen Heere, die zwischen Preußen und Oesterreich herrschende Eifersucht, die Selbstsucht der kleineren Fürsten, von denen sich der Landgraf beider Hessen weigerte, mit seinen Truppen dem bedrängten Mainz zu Hülfe zu eilen, das er retten konnte. Stein [586] selbst gab damals ein glänzendes Beispiel von Muth und Patriotismus, als die Franzosen sich vor Wesel zeigten, die damals noch unbefestigte Insel Büderich besetzten, und die Festung zur Uebergabe aufforderten. Groß war der Schrecken in der Stadt, und man sprach bereits von der Capitulation, da gerieth Stein in Zorn, bewaffnete die unter seinem Befehl stehenden Trainknechte, stellte sich an ihre Spitze und vertrieb den Feind von der Insel, wodurch er die Festung vor einem solchen Schimpf bewahrte.

Von dem Kriegsschauplatz wurde Stein durch seine Ernennung zum Präsidenten der Märkischen Kriegs- und Domänenkammer abberufen. Zugleich vermählte er sich mit der Gräfin Wilhelmine von Wallmoden-Gimborn, deren Vater, ein Sohn Georg’s II. und der Gräfin Yarmouth, General in den Diensten Hannovers war. Ungeachtet des Unterschieds der Jahre und der Charaktere gestaltete sich das eheliche Verhältniß immer glücklicher. Stein selbst stellte ihr das schönste Zeugniß aus: „Seelenadel, Demuth, Reinheit, hohes Gefühl für Wahrheit und Recht, Treue als Mutter und Gattin, Klarheit des Geistes, Richtigkeit des Urtheils – sie sprachen sich durch ihr ganzes, vielgeprüftes Leben aus und verbreiteten Segen auf alle ihre Verhältnisse und Umgebungen. Nie gab sie auch das leiseste Gehör den Verführungen der Eitelkeit und Gefallsucht, sondern war immer die fromme, zarte, treue Tochter, Schwester und Gattin, in gleicher Reinheit und Anspruchslosigkeit; die Richtung ihres ganzen Wesens ging auf Häuslichkeit, Familienleben, Geselligkeit, Ruhe; sie zu genießen, ward ihr aber nicht beschieden.“

Beim Eintritt in seine neue Stellung fand Stein die Minden’sche Kammer in dem Zustande der größten Unordnung, so daß er sich genöthigt sah, nach seiner Art scharf durchzugreifen. Eine Untersuchung wurde eingeleitet, ein Rath cassirt, zwei in Ruhestand versetzt und ein Secretair unter die Garde gesteckt, was nach damaligen Begriffen als Strafmittel galt. Stein selbst sprach sich nicht von einer gewissen Heftigkeit frei, für die er vielfache Beweise gab. Als ein Canzleidiener ihm eine wichtige Urkunde zur Unterschrift vorlegte und darauf statt des Sandes das Tintenfaß darüber ausgoß, sprang der Präsident auf und rieb ihm mit dem so beschmutzten Papier das Gesicht. Acht Tage darauf tritt derselbe Mann, reingewaschen, mit einem andern Auftrage herein; Stein eilt ihm entgegen, freut sich ihn wiederzusehn und drückt ihm freundlich ein Papier in die Hand, worin der Ueberraschte einen Doppel-Friedrichsd’or findet.

Der Geschäftskreis des Oberpräsidenten umfaßte 182 Geviertmeilen und fast eine halbe Million Einwohner. Mit rastlosem Eifer widmete er sich der umfangreichen Aufgabe; der blühende Zustand Westphalens war sein Werk. Ueber die oft kleinlichen Einzelheiten seines Berufes vergaß er nicht das große Ganze; sein scharfer Blick verfolgte mit warmer Theilnahme die Geschicke Preußens und Deutschlands, welche eine immer schmachvollere Wendung zu nehmen drohten.

Bonaparte’s Siege in Italien zwangen Oesterreich, den Frieden zu Campo-Formio zu schließen, worin es in die Abtretung der deutschen Reichsländer auf dem linken Rheinufer an Frankreich willigte, so wie in die Entschädigung der dadurch beeinträchtigten Reichsfürsten mittels Säcularisation der geistlichen Stifter und Mediatisirung der Reichsstände. Ein geheimer Artikel enthielt die Bedingung: Preußen keine Vergrößerung zu gestatten.

Stein war eben so sehr über Oesterreichs Treulosigkeit, womit es die deutsche Sache aufgab und zur Auflösung des Reiches beitrug, wie über Preußens politische Starrsucht empört. Während der Congreß in Rastatt zusammentrat und das widerliche Schauspiel der Zerrissenheit, Ohnmacht, Kleinlichkeit und Jämmerlichkeit Deutschlands begann, starb der schwache König von Preußen, dem der damals den Verhältnissen nicht gewachsene, wenn auch durchaus ehrenwerthe Friedrich Wilhelm der Dritte folgte. Seine Umgebung, zu der ein Haugwitz, Lucchesini und Lombard gehörten, rieth dem unerfahrenen Könige zur strengsten Neutralität, was der größte politische Fehler war.

Wie Stein darüber dachte, sprach er in einem Briefe an Frau von Berg, seine Freundin, aus: „Was sagen Sie, gnädige Frau, die so empfänglich für große und schöne Thaten, zu dem kraftvollen und tapfern Benehmen dieses jungen Helden, des Erzherzogs Karl, und seines braven Heeres, welche jetzt Deutschland von dieser Räuberhorde, der sogenannten französischen Armee, gereinigt haben? – es ist betrübend, uns gelähmt und in einem Zustande der Starrsucht zu sehn, während man mit Nachdruck die Ruhe Europa’s auf den alten Grundlagen wiederherstellen konnte, die Unabhängigkeit Hollands, der Schweiz, Italiens, Mainz. Wir amusiren uns mit Kunststücken der militärischen Tanzmeisterei und Schneiderei, und unser Staat hört auf ein militairischer Staat zu sein, und verwandelt sich in einen exercirenden und schreibenden. Wenn meine Einbildungskraft mir die Gestalten der einflußreichen und ausführenden Personen vorstellt, so gestehe ich, erwarte ich nur wenig.“

Durch den Frieden von Luneville, am 9. Februar 1801 zwischen Oesterreich und Frankreich geschlossen, kam die definitive Abtretung des linken Rheinufers zur Ausführung. Unwillig, unter französischer Herrschaft zu stehn, verkaufte Stein die ihm zugehörige, auf dem linken Rheinufer liegende Besitzung Landeskrona und erwarb dafür die in Preußen gelegene Herrschaft Birnbaum an der Warthe. Von nun an gehörte er erst gänzlich seinem neuen Vaterlande, dem er den größten Beweis seiner Anhänglichkeit dadurch gab, daß er die ehrenvolle Aufforderung, als Minister in hannöversche Staatsdienste zu treten, entschieden ablehnte, weil seine Ueberzeugung von der Nothwendigkeit einer Vereinigung der zerstreuten und zerstückelten Kräfte Deutschlands sich nicht mit der Pflicht vertrüge, die sein neues Amt ihm auferlegte.

Die deutsche Entschädigungsfrage wurde endlich auf dem Regensburger Reichsfürstencongresse durch den Machtspruch des damaligen Consuls Bonaparte entschieden. Die dazu erwählte Deputation erhielt von Paris den bereits ausgearbeiteten Plan mit dem Bedeuten, sich darnach zu richten, da es der Wille Sr. Majestät des Kaisers von Rußland und des Ersten Consuls sei, daß die Reichsdeputation an dem Plane keinerlei Veränderung vornehmen dürfe. So wurden deutsche Verhältnisse von fremden Mächten, von Rußland und Frankreich, ohne Widerspruch geordnet, und deutsche Fürsten schämten sich nicht, durch Bestechung der französischen Minister und ihrer Maitressen ein Stück Land zu erbetteln, oder die ihnen drohende Mediatisirung abzuwenden. Auch Preußen erhielt an der Beute seinen Antheil und zur Entschädigung für die auf dem linken Rheinufer gelegenen Gebietstheile die Bisthümer Münster, Paderborn etc. Die Verwaltung des neuen Besitztums wurde an Stein übertragen, der hier mit vielfachen Vorurtheilen zu kämpfen hatte. Es gelang ihm, diese durch sein eben so maßvolles als energisches Benehmen zu besiegen, indem er möglichst schonend und mild auftrat, die alten Beamten, zu denen das Volk Zutrauen hatte, in ihren Stellen ließ und den katholischen Priestern, deren Einfluß überwiegend war, mit Achtung begegnete. So gelang es ihm, diese Provinz dem preußischen Staate vollkommen einzuverleiben.

Der von Frankreich und Rußland sanctionirte Länderraub hatte indessen die deutschen Fürsten nur nach neuer Beute lüstern gemacht; besonders kannten die kleinen Herrscher weder Maß noch Ziel. Sie nahmen jetzt die Gelegenheit wahr, sich auf Kosten der unmittelbaren Reichsritterschaft zu bereichern und deren vom Kaiser seit Jahrhunderten bestätigte Rechte und Besitzthümer sich anzumaßen. Bayern ging den übrigen Staaten hierin voran, Hessen und Nassau folgten ihm sogleich nach. Gegen diese Uebergriffe erließ Stein, dessen Güter im Nassauischen lagen, einen geharnischten Brief an den Fürsten. „Deutschlands Unabhängigkeit,“ schreibt dieser geborene Freiherr an den Usurpator, „wird durch die Vereinigung der wenigen reichsritterschaftlichen Besitzungen mit den sie umgebenden Territorien wenig gewinnen; sollen diese für die Nation so wohlthätigen großen Zwecke erreicht werden, so müssen diese kleinen Staaten mit den beiden großen Monarchien, von deren Existenz die Fortdauer des deutschen Namens abhängt, vereinigt werden, und die Vorsehung gebe, daß ich dieses glückliche Ereigniß erlebe.“

Ferner heißt es in diesem Schreiben: „In dem harten Kampfe, von dem Deutschland sich jetzt momentan ausruht, floß das Blut des deutschen Adels. Deutschlands zahlreiche Regenten, mit Ausnahme des edlen Herzogs von Braunschweig, entzogen sich aller Theilnahme und suchten die Erhaltung ihrer hinfälligen Fortdauer durch Auswanderung, Unterhandeln und Bestechung der französischen Heerführer. Was gewinnt Deutschlands Unabhängigkeit, wenn seine Kräfte noch in größerer Masse in diese Hände concentrirt werden?

„Es ist hart, ein erweislich siebenhundertjähriges Familieneigenthum [587] verlassen und sich in entfernte Gegenden verpflanzen zu müssen. Es ist noch härter, alle diese Opfer nicht irgend einem großen, edlen, das Wohl des Ganzen fördernden Zweck zu bringen, sondern um der gesetzlosen Uebermacht zu entgehen, um – doch es gibt ein richtendes Gewissen und eine strafende Gottheit!

Diese männlich kühne Sprache verfehlte ihre Wirkung nicht; sie erregte Furcht und Begeisterung im ganzen Vaterland.

Die großen Verdienste, welche sich Stein in seiner Verwaltung erwarb, lenkten die Aufmerksamkeit des Königs auf ihn, der ihm die durch Struensee’s Tod erledigte Stelle eines preußischen Finanzministers antrug. Aus Bescheidenheit lehnte Stein anfänglich ab, indem er sich die zu einem so wichtigen Posten nöthigen Kenntnisse nicht zutraute; erst auf wiederholtes Dringen entschloß er sich zur Annahme. Im December 1804 trat er seinen neuen Wirkungskreis an, worin er sein administratives Talent von Neuem bethätigte. Indem er durch Aufhebung der äußerst kostspieligen Salzadministration zunächst Ersparnisse zu machen suchte, verfolgte er vor Allem das Ziel, welches ihm vorschwebte, durch Befreiung von allen beschränkenden Fesseln den Handel zu heben und den Wohlstand des Landes zu mehren. Zu diesem Ende setzte er bei dem Könige die Aufhebung aller Provinzial-, Wasser-, Land- und Binnenzölle durch, eine Maßregel, die den Ausgangspunkt einer neuen freisinnigen Handelspolitik bezeichnete und von den segensreichsten Folgen begleitet war. Andere bedeutende Reformen, an deren Durchführung Stein arbeitete, wurden damals durch den Gang der politischen Ereignisse aufgehalten.

Eine neue Coalition, an deren Spitze England stand, hatte sich gegen Napoleon gebildet, der den Kaisertitel angenommen und durch die Besetzung von Hannover und seine Uebergriffe in Italien, Holland und der Schweiz den Frieden und das Gleichgewicht Europas störte. Mit England hatte sich Rußland verbunden, welchem das gedemüthigte Oesterreich und Schweden sich anschlossen. Wieder hing das Schicksal der Welt von Preußens Entscheidung ab. Am Hofe hatten sich zwei Parteien gebildet, an der Spitze der einen, welche für einen engen Anschluß an Frankreich stimmte, befanden sich Haugwitz, Lombard und die Generale Möllendorf, Kalkreuth, Zastrow, Köckeritz, Knobelsdorf, während Hardenberg, Blücher, Stein und vor Allen der hypergeniale Prinz Louis Ferdinand dagegen eiferten und zum Kriege gegen Napoleon drängten. Unentschlossen schwankte Friedrich Wilhelm zwischen diesen entgegengesetzten Meinungen; so entstand jene zweideutige, unzuverlässige preußische Politik, welche zu der verderblichsten Neutralität führte. Der König wollte nach keiner Seite Partei nehmen, den Vermittler spielen und gerieth dadurch mit Allen in Streit. Er verweigerte den Russen den Durchzug und überwarf sich mit Napoleon, als dieser, ohne erst anzufragen, das preußische Gebiet von seinen Truppen betreten ließ.

[602] Die Schlacht von Austerlitz endete mit der Besiegung der Russen und Oesterreicher, zugleich Preußen vollkommen isolirend. Oesterreich schloß den Frieden zu Preßburg, der die Auflösung des deutschen Reiches und die Abschließung des Rheinbundes herbeiführte, wodurch sechzehn deutsche Fürsten, unter ihnen die Könige von Bayern und Würtemberg, Frankreichs Vasallen wurden. Stein sah das über Preußen hereinbrechende Verderben kommen, und erhob seine warnende Stimme in einer Denkschrift an den König, worin er ohne Schonung die Schwächen und Fehler der geheimen Cabinetspolitik aufdeckte. Mit unerhörtem Freimuth forderte er nicht nur eine Aenderung des bisher verfolgten Systems, sondern vor Allem die Entlassung der ihm anhängenden Hauptleiter, indem er auf die Nothwendigkeit hinwies, Personen zu ändern, wenn man Maßregeln ändern will. Leider verhallte Steins Warnung wirkungslos, das Schicksal Preußens mußte sich erfüllen. Zu spät von der Treulosigkeit Napoleon’s überzeugt, griff Friedrich Wilhelm der Dritte zu den Waffen. Die Schlacht von Jena begrub die preußische Monarchie und den Waffenruhm des Heeres. Stein’s Vorsicht rettete wenigstens die Geldvorräthe der ihm anvertrauten Cassen, mit deren Hülfe der Krieg bis zum Tilsiter Frieden fortgesetzt werden konnte. Von den vielen Anstrengungen krank, folgte er dem Könige auf dessen Flucht. Die meisten Minister riethen zu einem schimpflichen Frieden, Stein fast ganz allein zur Fortsetzung des Krieges und zu einem ehrenvollen Untergang. Friedrich Wilhelm der Dritte, der im Unglücke eine nie geahnte Seelenstärke entwickelte, stimmte ihm bei und trug ihm, da sich Haugwitz wegen angeblicher Kränklichkeit von den Geschäften zurückgezogen hatte, das Portefeuille der auswärtigen Angelegenheiten an. An die Annahme knüpfte Stein die Bedingung, das bisherige Cabinet, aus Haugwitz, Lombard und Beyme bestehend, gänzlich zu beseitigen, und den in Ungnade entlassenen Hardenberg wieder zu berufen. Die Unterhandlungen dauerten mehrere Tage, Stein bestand auf den von ihm gestellten Bedingungen, und lehnte trotz wiederholter Aufforderungen es ab, unter anderen Verhältnissen die ihm angetragene Stelle anzunehmen. [603] Der König, gereizt von seinem männlichen Widerstande, erließ an ihn eine Cabinetsordre voll heftiger Vorwürfe. Er nennt ihn darin „einen widerspenstigen, trotzigen, hartnäckigen und ungehorsamen Staatsdiener, der, auf sein Genie und seine Talente pochend, weit entfernt, das Beste des Staates vor Augen zu haben, nur durch Caprice geleitet, aus Leidenschaft und aus persönlichem Haß und Erbitterung handelt.“ Unter solchen Umständen blieb ihm nichts übrig, als seinen Abschied zu fordern, der ihm auch in verletzender Weise gewährt wurde.

Die Kunde von Steins Entlassung wurde von allen Patrioten mit tiefer Trauer aufgenommen; schon damals hielt man ihn für den Einzigen, der im Stande wäre, das seinem Untergange entgegengehende Preußen noch zu retten. Er selbst ging wieder nach Nassau auf seine Güter zurück, um seine zerrüttete Gesundheit wieder herzustellen. Auch in der Ferne beschäftigte er sich mit dem Schicksale des unglücklichen Landes und einer undankbaren Regierung, indem er im Stillen Pläne ausarbeitete, die eine Verjüngung und Reform des Staates bezweckten. Dort in der Einsamkeit faßte er den großen Gedanken, den er später gegen Hardenberg folgendermaßen äußerte: „Ich glaube, daß es wichtig ist, die Fesseln zu brechen, wodurch die Bureaukratie den Aufschwung der menschlichen Thätigkeit hindert; man muß diesen Geist der Habsucht, des schmutzigen Vortheils zerstören, diese Anhänglichkeit an den Mechanismus, welchem die Regierungsform unterworfen ist. Die Nation muß daran gewöhnt werden, ihre eigenen Geschäfte zu verwalten und aus diesem Zustande der Kindheit herauszutreten, worin eine immer unruhige, immer dienstfertige Regierung die Menschen halten möchte."

Eine Aufforderung des Kaisers Alexander, in russische Staatsdienste zu treten, lehnte Stein damals zum Glücke Preußens ab. Bald hatte Friedrich Wilhelm sein Unrecht eingesehen, von Neuem wendete sich, als durch den Frieden von Tilsit die Noth auf das Höchste gestiegen war, der Blick des Monarchen und aller wahren Vaterlandsfreunde nach dem treuen Diener, dem unentbehrlichen Minister, der allein das große Werk der Wiederbelebung vollbringen konnte. Die edle Prinzessin Radziwill schrieb an ihn, um ihn zur Rückkehr in den Staatsdienst zu bewegen; Blücher und Hardenberg erließen an ihn eine Aufforderung in gleichem Sinne und im Namen des Königs selbst. Die unvergeßliche Königin Louise rief in einem Briefe sehnsuchtsvoll: „Wo bleibt nur Stein? Dies ist mein letzter Trost. Großen Herzens, umfassenden Geistes, weiß er vielleicht Auswege, die uns noch verborgen liegen."

Dem allgemeinen Verlangen vermochte Stein nicht länger zu widerstehen; großmüthig vergaß er die ihm widerfahrene Kränkung; er kannte nur ein Ziel, Rettung des Vaterlandes. — Es gehörte mehr als gewöhnlicher Muth dazu, die Leitung eines vollkommen ruinirten Staates, der fast die Hälfte seiner Länder verloren, dessen Finanzen zerrüttet, dessen Wohlstand zu Grunde gerichtet, der in der allgemeinen Achtung so tief gesunken war, unter den jämmerlichsten Verhältnissen zu übernehmen. Aber ein Mann wie Stein schreckte vor keiner Schwierigkeit zurück, seiner Kraft sich bewußt und von einer Fülle schöpferischer Gedanken beseelt, ging er sogleich an’s Werk. Es galt zunächst, die augenblickliche Noth zu lindern und den befruchtenden Samen für die Zukunft auszustreuen. Zu diesem Zwecke traf er die passendsten Finanzmaßregeln durch Ersparnisse, zweckmäßige Anleihen und Verwerthung der Domainen. Doch war es ihm nicht darum zu thun, nur palliative Hülfe zu schaffen, sein großer Geist erkannte als die wahren Quellen des Nationalwohlstandes die Freiheit der Personen und des Eigenthums. Wenige Tage nach seinem Wiedereintritt in den Staatsdienst erschien die Verordnung vom 9. October 1807, welche das ausschließliche Vorrecht des Adels auf den Besitz ritterschaftlicher Güter beseitigte, dagegen dem Adel die Freiheit gab, bürgerliche und bäuerliche Grundstücke an sich zu bringen, und bürgerliche Gewerbe zu treiben, ohne dadurch, wie dies bisher der Fall war, sein Ansehen und seine Privilegien einzubüßen. Weit tiefer noch griff die Aufhebung der auf dem Bauernstande lastenden Leibeigenschaft ein, welche mit Eintritt des 11. Novembers 1810 für gänzlich erloschen erklärt wurde. Mit dieser Maßregel wurde nicht nur ein tausendjähriges Unrecht gesühnt, sondern aus Sclaven freie Menschen gemacht, die jetzt erst, ihrer Würde sich bewußt, das Vaterland lieben lernten. Ebenso schuf Stein einen kräftigen Bürgerstand, der, von jeder bureaukratischen Bevormundung befreit, seine eigenen Angelegenheiten selbst verwalten sollte. Die preußische Städteordnung in ihrer ursprünglichen Gestalt ist das Muster eines vernünftigen Self-Governments. Mit dieser Schöpfung ging die Beseitigung des Zunftzwanges und ähnlicher Beschränkungen Hand in Hand, die das Aufblühen der Gewerbe und des Handels hinderten.

Eine gründliche Verbesserung der Provinzialstände sollte zu ihrer erhöhten Theilnahme am öffentlichen Leben leiten, und als Schlußstein des staatlichen Baues nach dem Abzuge der Franzosen das Institut der Reichsstände einberufen werden, um den König mit den Wünschen seines Volkes bekannt zu machen, ihm für das zweckmäßige Verfahren der obersten Regierungsbehörden Gewähr zu sein und ihr rathsames Gutachten bei neuen Gesetzen zu geben.

Dies waren die theils ausgeführten, theils erst projectirten Grundzüge einer Neugestaltung des Staates, mit denen sich noch ein verbesserter Unterricht der Jugend und die bewundernswürdige Reform des ganzen Heerwesens durch Scharnhorst zu einem System verband, das die Wiedergeburt Preußens zur Folge habe mußte. Diese großartigen Reformen übten nach allen Seiten eine unbeschreibliche Wirkung aus, indem sie den schlummernden Geist des Volkes weckten, die Liebe zum Vaterlande neu belebten, den Haß gegen die fremden Unterdrücker anfachten. Nur mit Unmuth wurde noch das Joch Napoleons ertragen, im Stillen aber alle Vorbereitungen zur Befreiung getroffen, indem sich Gleichgesinnte zu einer geheimen Gesellschaft vereinigten, welche unter dem Namen des Tugendbundes bekannt geworden ist und die Erhebung der Nation vorbereitete. Blieb auch Stein selbst derartigen Verbindungen fern, so theilte er doch die Hoffnungen der Patrioten, welche jubelnd den Aufstand in Spanien und die Rüstungen Oesterreichs zum erneuerten Kriege gegen Frankreich begrüßten.

Damals überreichte Stein dem Könige eine Denkschrift über die Lage Europa’s und die von Preußen zu befolgende Politik, worin er die Nothwendigkeit nachwies, sich mit dem Gedanken der Selbsthülfe vertraut zu machen. Er verschwieg dabei nicht die Gefahr, welche er muthvoll in’s Auge faßte. Unter seinem Einflusse verfaßte Gneisenau seinen Entwurf über Volksbewaffnung und Verbindung mit dem stehenden Heere, gab Scharnhorst sein Gutachten ab „über die dem österreichischen Hofe und England zu machenden Eröffnungen", die Stein mit der Bemerkung begleitete: „Der Krieg muß geführt werden zur Befreiung der Deutschen durch Deutsche. Auf den Fahnen des Landsturmes muß dieses ausgedrückt sein, und führt als ein Provinzialabzeichen eine jede Provinz ihr Wappen oder ihren Namen auf der Fahne. Man sollte nur eine Cocarde haben, die Farben der beiden Hauptnationen in Deutschland, der Oesterreicher und Preußen: Schwarz, Weiß und Gelb.“ — Der König prüfte diese Vorschläge mit strenger Gewissenhaftigkeit, hielt sie jedoch nur für ausführbar, wenn Rußland, das damals noch mit Napoleon verbunden war, seine Hülfe zusagte, und Oesterreich erst einen entscheidenden Sieg erfochten haben würde. Von einer Befreiung des Landes durch einen Volksaufstand wollte er nichts hören, da er zu einer Nation, die ihn 1806 so gänzlich verlassen, alles Zutrauen verloren hatte.

Stein gab darum nicht alle Hoffnung auf; er benutzte die Anwesenheit des russischen Kaisers, der sich auf Napoleon’s Einladung zu der Fürstenversammlung nach Erfurt begab, um ihn zum Bruch mit Frankreich zu bewegen und für die Befreiung Europa’s zu gewinnen. Noch war Alexander von Napoleon’s Glanz geblendet, von den Schmeicheleien des schlauen Corsen umstrickt, sodaß er alle derartigen Pläne zurückwies und Preußen von einer Coalition gegen Frankreich dringend abrieth. Dagegen versprach er sein Wort bei Napoleon dahin einzulegen, um die für Preußen unerschwingliche Contribution zu ermäßigen; zugleich wünschte er, daß Stein als preußischer Bevollmächtigter nach Erfurt kommen sollte. Schon hatte dieser die nöthigen Vorbereitungen zu der Reise getroffen und seine Vollmachten in Empfang genommen, als ihn die Nachricht traf, daß die überall thätige französische Polizei einen Privatbrief Stein’s, den dieser an den Fürsten Sayn-Wittgenstein gerichtet und dem Assessor Koppe anvertraut, aufgefangen und erbrochen hatte. Das Schreiben, welches die damaligen Verhältnisse und die daran sich knüpfenden Hoffnungen der Vaterlandsfreunde offen darlegte, war zuerst im Moniteur mit der Bemerkung veröffentlicht worden: „Wir glauben diesen Brief veröffentlichen zu müssen als ein Denkmal der Ursachen des Gedeihens und des Sturzes der Reiche. Er enthüllt die Denkungsweise des preußischen [604] Ministerii, vorzüglich des Herrn von Stein. Man wird den König von Preußen beklagen, eben so ungeschickte, als verkehrte Minister zu haben.“ Ein Berliner Schandblatt, „der Telegraph“, im französischen Solde, druckte den unglücklichen Brief mit den Anmerkungen des Moniteurs sogleich nach, Stein’s Gegner und zahlreiche Feinde, welche seinen Einfluß beneideten, seine Reformen verabscheuten, benutzten die willkommene Gelegenheit, ihn zu stürzen, indem sie den König bedrängten, dem Zorne Napoleon’s dies Opfer zu bringen. Er selbst bat wiederholt um seine Entlassung, die jedoch erst nach der Rückkehr des für ihn nach Erfurt gesendeten Grafen Golz erfolgte, der neue, erniedrigende Bedingungen für Preußen mitbrachte und zur schleunigen Entlassung des Ministers rathen mußte. Wie wenig Stein an sich selber dachte, beweist die Antwort, welche er dem Grafen Golz entrüstet gab, als dieser die Befürchtung aussprach, daß Napoleon die in Nassau gelegenen Güter Stein’s einziehen würde: „Glauben Sie, daß an dem Quark etwas gelegen ist, wo es auf das Vaterland ankommt?“

Erst als dem König kein anderer Ausweg übrig blieb, willigte er in Stein’s Verabschiedung durch das Cabinetsschreiben vom November 1808, worin es heißt: „Mein lieber Staatsminister Freiherr von Stein! Da die Nachsuchung Eurer Dienstentlassung zur Nothwendigkeit geworden ist, so ertheile ich Euch solche in Rücksicht auf letztere. Je größer das Vertrauen war, womit ich Euch die obere Leitung meiner gesammten Staatsverwaltung übertrug, und je dankbarer ich Euren Bemühungen, demselben zu entsprechen, Gerechtigkeit widerfahren lasse, desto lebhafter bedaure ich den Verlust eines so eifrigen, treuen und ausgezeichneten Ministers.“

Stein’s Entlassung war ein Donnerschlag für alle Guten, denen der Professor Süvern in einem schwungvollen Gedichte seine Stimme lieh, ein Triumph allen feigen und gemeinen Seelen, welche den edlen, hochherzigen, deutschen Mann haßten und vor Napoleon im Staube krochen. Es war indeß dafür gesorgt, daß die Gemeinheit nicht vollständig siegte und die ausgestreute Saat nicht mehr zu Grunde gehen konnte. Die letzten Augenblicke, welche ihm noch vergönnt waren, verwendete Stein dazu, sein begonnenes Werk zu sichern, den König in der einmal eingeschlagenen Bahn zu befestigen, die Grundsätze einer besseren Verwaltung den Behörden einzuimpfen und würdigen Händen die ihm entwundene Lenkung des Staates anzuvertrauen. Unter dem Namen „Stein’s politisches Testament“ bekannt, veröffentlichte der ihm nahestehende damalige Geheimrath von Schön in einem Sendschreiben an die oberste Verwaltungsbehörde Preußens einen Rechenschaftsbericht über Alles, was Stein gethan und noch thun wollte, wenn ihm dazu Zeit gelassen worden wäre. Jedes Wort dieses Testamentes legte das herrlichste Zeugniß für die Redlichkeit, Wahrheit, Vaterlandsliebe und freisinnige Richtung des großen Staatsmannes ab, dessen Grundsätze, je nachdem sie befolgt oder verworfen werden, Preußens Wohl oder Wehe noch heute in sich schließen.

Krank am Leibe, aber kräftig an Geist verließ Stein Königsberg, um sich vorläufig nach Breslau zu begeben. In Berlin fand er folgenden kaiserlichen Befehl vor, den Napoleon aus dem Lager von Madrid erlassen hatte: „Der Namens Stein, welcher Unruhen in Deutschland zu erregen sucht, ist zum Feinde Frankreichs und des Rheinbundes erklärt. Die Güter, welche besagter Stein, sei es in Frankreich, sei es in den Ländern des Rheinbundes besitzen möchte, werden mit Beschlag belegt. Der besagte Stein wird überall, wo er durch unsere oder unserer Verbündeten Truppen erreicht werden kann, persönlich zur Haft gebracht.“

Stein war geächtet und sein Leben schwebte in Gefahr. Er mußte fliehn; noch in derselben Nacht verließ er heimlich Berlin, um die österreichische Grenze zu erreichen. Glücklich langte er bei der ihm befreundeten Familie des Grafen Reden zu Buchwalde im schlesischen Riesengebirge an. Während der nächtlichen Reise beschäftigte er sich mit einer Neujahrspredigt von Schleiermacher „über das, was der Mensch zu fürchten habe, und was nicht zu fürchten sei,“ die er kurz vorher mit den Seinigen gelesen. Seine Blicke hingen an dem winterlichen Himmel, der bald bewölkt, bald von Sternen erleuchtet war; am Wege grüßten ihn die ewigen Berge unter der weißen Schneedecke des Frühlings harrend; sein ungebeugter Geist war mit Hoffnung, seine starke Seele mit erhabenen Gedanken erfüllt.

Nur kurze Zeit durfte er bei den überraschten Gastfreunden verweilen, da in dem benachbarten Hirschberg französische Truppen lagen. Er wartete nur so lange, bis der ihm von Frau von Stein nachgeschickte Paß für Oesterreich anlangte, um sogleich in Gesellschaft eines alten Freundes, des Grafen Geßler, der ihn in Buchwalde aufsuchte, um sein Schicksal zu theilen, die gefährliche Reise über das Gebirge nach Böhmen und zunächst nach Prag fortzusetzen. Hier verweilte er nur kurze Zeit, da die österreichische Regierung, die ihm großmüthig Schutz gewährte, ihm aus verschiedenen Gründen nach Brünn überzusiedeln anrieth. Dorthin kam auch seine Gattin mit den Töchtern, die eines solchen Mannes vollkommen würdig im Unglück ihren Seelenadel erprobte.

Die über Stein verhängte Acht wurde von deutschen Fürsten, wenn auch nicht an seiner Person, doch wenigstens an seinem Eigenthum vollzogen, indem sich der Herzog von Nassau und der König von Sachsen dazu hergaben, die ihm gehörigen und in ihrem Gebiete liegenden Güter mit Beschlag zu belegen. Die unedle Rache Napoleon’s ging so weit, daß er die preußische Regierung zwang, gegen Stein einen Verhaftsbefehl zu erlassen, wozu diese sich freilich erst dann herbeiließ, als sie den Verfolgten bereits in Sicherheit wußte. In Brünn beschäftigte sich Stein mit der Lage Oesterreichs, indem er vorzugsweise auf die Hauptschäden der dortigen Verwaltung, auf das Unterrichts- und Finanzwesen die Aufmerksamkeit lenkte und zweckmäßige Vorschläge that, die leider nicht befolgt wurden. Beim Wiederausbruche des Krieges setzte er sich mit den österreichischen Ministern und dem volksthümlichen Erzherzog Karl in Verbindung, denen er seine Pläne zu einer Volksbewaffnung mittheilte. Eine allgemeine Insurrection des nördlichen Deutschlands wurde von ihm vorgeschlagen, ohne jedoch zur Ausführung zu kommen. „Nur vom Bauernstand und Mittelstand,“ schrieb er damals an einen Freund, „kann man in Deutschland etwas erwarten. Der reiche Adel will sein Eigenthum genießen, der arme will Stellen und Auskommen, die öffentlichen Beamten beseelt ein Miethlingsgeist. Bringt man diese Classen nicht durch Reizmittel in Bewegung, so werden sie unthätig bleiben und durch ihr Beispiel schaden.“

Von Neuem wurde Oesterreich von Napoleon besiegt, dessen Weltherrschaft gesichert schien. Die deutschen Patrioten verzweifelten, da auch in Preußen mit Stein’s Entfernung sein guter Genius gewichen schien. Das damalige Ministerium Altenstein war den Verhältnissen nicht gewachsen und zeichnete sich nur durch seine Schwäche, Planlosigkeit und Inconsequenz aus. Dachte man doch ernstlich daran, für die auferlegte und unerschwingliche Kriegscontribution Schlesien an Napoleon abzutreten. In dieser Verlegenheit wandte sich der König an Hardenberg, der als einzige Rettung die Rückkehr zu den von Stein aufgestellten Grundsätzen bezeichnete. Der Staatskanzler hielt es für nothwendig, mit Stein selbst sich mündlich über die einzuschlagenden Mittel zu berathen. Zu diesem Behufe hatten die beiden Staatsmänner eine heimliche Zusammenkunft an der schlesischen Grenze auf einer einsamen Baude des Riesengebirges. Dort in der ärmlichen Holzkammer tauschten sie ihre Gedanken aus und faßten Pläne für die Zukunft, welche nichts Geringeres als die Befreiung Europa’s bezweckten. Während die Muthigsten verzagten, die Besten jede Hoffnung aufgaben, blieb Stein unerschüttert wie ein Fels im tobenden Meere. Der Haß gegen den Unterdrücker verlieh ihm eine Kraft, die sich durch keinen Unfall beugen ließ. Immer klarer und selbstbewußter entwickelte sich der Gedanke in seiner männlichen Seele, daß es seine Aufgabe sei, den fränkischen Despotismus zu stürzen und Deutschland zu befreien. Ihn kümmerte nicht, daß die Fürsten vor dem Sieger im Staube krochen, daß das Volk im Todesschlaf zu liegen und das Gefühl seiner Schmach verloren zu haben schien. Ein einzelner Mann, geächtet, heimathslos und verarmt, unternahm er das große Werk, das er auch wie ein Mann zu Ende führte. Mit Recht fürchtete Napoleon einen solchen Gegner, den er selbst die sechste Großmacht nannte.

Unterdeß hatte die Freundschaftskomödie zwischen Alexander und Napoleon ihr Ende erreicht. Der Krieg zwischen Rußland und Frankreich war erklärt. Alexander, der schon früher Stein ein Asyl in seinem Reiche angeboten, berief ihn jetzt an seine Seite als einen ebenbürtigen Bundesgenossen, der mit geistigen Waffen den Feind bekämpfen sollte. Das Glück lächelte im Anfange dem französischen Kaiser, um ihn später um so sicherer zu verderben. Stein’s Muth blieb nach wie vor unerschüttert, und als nach einigen verlorenen Schlachten und der Einnahme Moskau’s die Friedenspartei am russischen Hofe und vor Allen die Kaiserin Mutter und der Großfürst Constantin kleinmüthig zu einem schimpflichen [605] Frieden riethen, trieb er zur Fortsetzung des Krieges. „Es kann sein,“ sagte er, „daß wir nach Orel oder gar nach Orenburg die Fahrt werden antreten müssen. Ich habe schon zwei, drei Mal im Leben mein Gepäck verloren, was thut’s? sterben müssen wir ja doch einmal.“ An seiner Kühnheit erhob sich Alexander’s weiche Seele zu männlichen Entschlüssen und fester Ausdauer. Der Brand von Moskau und der eisige Winter setzten ein Ziel für Napoleon’s Herrschbegierde, unter der russischen Schneedecke lag sein Heer begraben. Bei der ersten Nachricht von dem göttlichen Strafgericht sprach die früher muthlose Kaiserin-Mutter über Tafel zu Stein in verächtlichem Ton die Worte: „Ich würde mich schämen eine Deutsche zu sein, wenn auch nur ein Franzose über den Rhein zurückkäme.“

Da entfärbte sich Stein, und plötzlich sich erhebend antwortete er ihr ernst: „Ew. Majestät haben Unrecht dies zu sagen. Sie sollten nicht sagen, Sie werden sich der Deutschen schämen, sondern sollten Ihre Vettern nennen – die deutschen Fürsten.“

Die Kaiserin Mutter erwiderte beschämt, aber würdig: „Sie haben Recht, Herr Baron, und ich danke Ihnen für die Lection.“

So vertrat Stein als echter Freiherr furchtlos und kühn Deutschlands Ehre und Größe an dem sclavischen Hofe des Czaren. Damals verlangte er auch von Alexander in einer Denkschrift: „Um Deutschland groß und mächtig zu machen, muß es entweder zu einer Monarchie vereinigt, oder dem Laufe des Mains nach zwischen Oesterreich und Preußen oder so getheilt werden, daß man vielleicht einige deutsche Länder unter einem Bündnisse mit Preußen und Oesterreich bestehen läßt.“ Doch gab er aus praktischen Gründen der Theilung zwischen Oesterreich und Preußen den Vorzug, Deutschlands Grenzen aber sollten nach ihm die Maas, Luxemburg, die Mosel, die Vogesen und die Schweiz sein.

Einen Augenblick schwankte Alexander, von der national-russischen Partei bestürmt, den Niemen zu überschreiten und, mit Deutschland vereint, sein Werk zu beenden; da entwickelte Stein seinen Alles fortreißenden Feuereifer für die gute Sache und besiegte alle kleinlichen, egoistischen Hindernisse. Im Namen Deutschlands, das noch stumm blieb, erhob er seine gewaltige Stimme, indem er den ursprünglich nur russischen Krieg zu einem heiligen Befreiungskampf aller Völker erhob. Stein allein bewirkte dies Wunder, und wurde somit der Retter des Vaterlandes. Durch York’s Abfall wurden die nachfolgenden Ereignisse in Preußen vorbereitet, durch Stein’s Eifer und jugendliches Ungestüm die Entscheidung herbeigeführt, und durch die von ihm veranlaßte Einberufung der ostpreußischen Landstände dem Zögern ein Ende gemacht.

Preußen war erwacht, der König eilte nach Breslau, wo er, vor französischen Gewaltstreichen geschützt, jenen denkwürdigen Aufruf „an mein Volk“ erließ. In Breslau, wohin sich Stein begab, erlag er der fortwährenden Aufregung und riesigen Anstrengungen; ein Nervenfieber bedrohte sein Leben. Kaum genesen, eilte er in das Hauptquartier der Verbündeten, denen er bis nach Paris folgte. Hier war er es mit dem gleichgesinnten Blücher, die rastlos vorwärts trieben. Nach der Schlacht bei Leipzig hatten er und Gneisenau sich gelobt, „der Krieg dürfe nur mit der Entthronung Napoleons enden.“ Stein übernahm während des Feldzuges die Centralverwaltung der im Jahre 1813 befreiten Länder, aber diese wurde so eingerichtet, daß sie aus tausend kleinlichen Rücksichten nicht in seinem Geiste fortgeführt wurde. Eben so wenig entsprach der Wiener Congreß und der zweite Pariser Frieden seinen gehegten Wünschen und Erwartungen. Er verlangte Lothringen mit Metz, den Elsaß und Straßburg für Deutschland; doch wurde leider seine Stimme nicht gehört. „Zu Wien,“ schrieb er dem befreundeten Gagern, „haben sie finalement nur halbe Arbeit gemacht, und die Nation über Bund und Bundessystem gar nicht begriffen. Und nachdem wir so sehnlich Eintracht zwischen Oesterreich und Preußen im Großen gewünscht, so wollen wir doch keineswegs ein solches Schmiegen und Assimiliren in Dingen, die sich wenig ähnlich sind, wie Lage und Verhältniß beider Regierungen gegen ihre Völker. Der Fürst Metternich, gewohnt zu verführen, verführte darin das preußische Cabinet, und beschädigte dadurch Beide – ja – uns Alle.“ Unzufrieden mit dem Gange der Ereignisse, der mangelhaften Bundesverfassung, der durch Metternich herbeigeführten Reaction, der sich auch Preußen anschloß, zog sich Stein auf seine Güter in Nassau zurück. Der Tod seiner Gattin lenkte seinen Blick immer mehr von der Erde nach oben, ohne daß er darum einer pietistischen Richtung huldigte. Auch am Abende seines Lebens gönnte er sich noch nicht Ruhe; seine Liebe zu dem Vaterlande bethätigte er durch ein großes literarisches Unternehmen, die Herausgabe einer zeitgemäßen kritischen Quellensammlung zur Geschichte des deutschen Mittelalters, welche er nicht nur anregte, sondern auch mit bedeutenden Geldopfern unterstützte. Geistig noch frisch, fühlte er doch die Abnahme seiner körperlichen Kräfte; längere Zeit schon litt er an Brustbeklemmungen und schlagartigen Zufällen, denen er den 21. Juni 1831 erlag. Seine Leiche wurde nach der Familiengruft in Frücht gebracht, wo er bei den Seinigen ruht.

Stein war mittlerer Größe, gedrungen, mit breiten Schultern und starken Schenkeln; Haltung und Schritt fest wie sein ganzes Wesen. Auf diesem kräftigen Körper ruhte das stattliche Haupt mit breiter Stirn, funkelnden braunen Augen voll Freundlichkeit und Treue, die jedoch im Zorn vernichtende Blicke schossen. Eine mächtige Adlernase, unter ihr der feingeschlossene Mund und das Kinn, welches ein wenig zu lang und zu spitz war, verliehen seiner Physiognomie das Gepräge eines entschiedenen Charakters. Seine Rede war klar, kurz und bestimmt, ohne Umschweife auf das Ziel gehend. Redlichkeit, Wahrheit und unerschütterlicher Muth bildeten den Grundzug seines Wesens. Was ihn aber vor allen seinen Zeitgenossen auszeichnete, war die ungebrochene Willenskraft, eine riesenhafte Energie, der Titanentrotz, der sich nicht vor den Götzen des Tages beugte. An diesem männlichen Trotz scheiterte Napoleon, zerstießen sich die deutschen Fürsten, denen er als geborener Freiherr mit offenem Visire entgegentrat, so oft sie ihn durch Hochmuth oder Feigheit erzürnten. Seine Grabschrift verkündigt nur die Wahrheit, wenn sie von ihm rühmt:

Demüthig vor Gott, hochherzig gegen Menschen,
Der Lüge und des Unrechts Feind,
Hochbegabt in Pflicht und Treue,
Unerschütterlich in Acht und Bann,
Des gebeugten Vaterlandes ungebeugter Sohn,
In Kampf und Sieg Deutschlands Mitbefreier

Ein Denkmal, das die dankbare Nachwelt ihm errichten wird, kann Er entbehren, der sich selbst ein ewiges Gedächtniß in seinem Volke errichtet hat; aber den Deutschen selbst thut es Noth, sich an dem Manne zu erheben, der ein geistiger Hermann als Befreier des Vaterlandes dasteht, alles Bösen Eckstein, alles Guten Grundstein, aller Deutschen Edelstein.

M. R.