Probe einer metrischen Uebersetzung der Elektra
I.
Probe einer metrischen Uebersetzung der Elektra
des Euripides
Personen:
- Ein Mykenäischer Pflanzer, vermählt mit Elektra.
- Elektra, Prinzessin von Argos.
- Orest, Bruder der Elektra.
- Pylades, Vertrauter des Orest. Stumme Personen.
- Klytemnestra, Königin von Argos, Mutter des Orest und der Elektra.
[2]
- Ein Greis, Erzieher des Agamemnon und seines Sohnes Orest.
- Ein Bote.
- Die Dioskuren Castor und Pollux.
- Das Chor bestehend aus Mykenäischen Weibern.
Die Scene liegt in Argos, in einer ländlichen Gegend vor Elektrens Wohnung.
Der Pflanzer.
Du altes Argos, ihr Gewässer Inachos,
Wo Mykenäas Held auf tausend Schiffen einst
Sein Kriegsheer sammlend hin vor Troja’s Mauern zog,
Da blutet unter seinem Schwerde Priamos,
Der Herrscher Ilions; die hochberühmte Stadt
Des Dardanos zerstob in Trümmern, aber er
Kehrt triumphierend und von Siegesbeute schwer
Auf hohen Schiffen nun zurück. Doch dieß
War seines Glückes Ziel. Im eigenen Pallast
Sank er durch seines Weibes Klytemnestrens List,
Und durch Aegisthos Hand, des Sohnes vom Thyest.
So ward der Hand des Helden Tantals Herrscherstab
Entwunden; dieses Land beherrschet nun Aegisth,
Und Tyndars Tochter ist izt des Tyrannen Weib.
Zwei Kinder ließ der Held, als er nach Troja zog,
Daheim, Elektra seine Tochter, seinen Sohn
Orestes, diesem war schon von Aegisthos Hand
Der Tod bestimmt, doch seines Vater Führer stahl
Den jungen Zögling weg, und gab ihn Strophios,
Dem König des Phokäer Landes, zu erziehn,
Elektra aber blieb im väterlichen Haus.
Kaum hatte ihrer Jugend Knospe sich enthüllt,
So warben straks die ersten Freier Griechenlands
Um sie, doch der Tyrann, aus Furcht, die Leibesfrucht
Elektrens möchte einst den Anherrn rächen, hielt
Im Hause sie zurück, und wies die Freier ab.
Allein, da neue Furcht sein banges Herz zerfleischt,
Verstohl’ner Liebe Pfänder dürften’s lohnen ihm,
So schwur er ihr den Tod, der Grausame, doch sie
Entrann durch ihrer Mutter Hülf’ des Frevlers Hand.
Zwar hatte diese einen Vorwand zu dem Mord
Des Gatten ausgedacht, doch hütete sie sich,
Nicht neuen Haß zu häufen durch der Kinder Mord.
Nun sann Aegisth zugleich auf einen andern Plan:
Wer Agamemnons Sohn, den flüchtigen Orest
Erlegen würde, dem versprach er hohen Lohn,
Mir aber gab Elektren er zum Weibe, daß
Geringe Furcht ihn faßte beim unmächt’gen Bräutigam.
Zwar stamm ich her aus Mykenäischem Geschlecht,
Und meine Eltern, ohne Prahlsucht sei’s gesagt,
Sind glänzenden Geblütes, aber arm
An Geld, und ohne Geld was ist des Adels Glanz!
Hätt’ einen Edlen er zum Gatten auserseh’n,
So wär’ erwacht der schon vergeßne Königs-Mord,
Und Strafe hätte dann den Mörder eingeholt.
Jedoch, was mich betrifft, ich schwör’s bei Cypria,
Noch ist Elektra Jungfrau, ungepflückt ist noch
Die Blume ihrer Keuschheit, ich von niedriger Geburt,
Ich scheute mich die Königstochter zu entweih’n.
Und o! wie klagt mein Herz den leidenden Orest;
Ihn, den des Landes Ruf zu meinem Schwager macht,
Käm’ er zurück nach Argos nun, und säh’
Im Unglücks-Bunde sie! Wer einen Thoren mich
Zu schelten wagt, daß eines Mädchens Jungfrauschaft
Mir heilig ist, die nur ihr Unglück mir vermählt,
Der richtet mein Betragen nach verkehrter Art;
Er lern’ Enthaltsamkeit, und sei, was er gelernt.
Elektra.
O schwarze Nacht, der gold’nen Sterne Nährerin;
In deine Schatten komm’ ich eingehüllt hieher,
Um Wasser mit dem Eimer auf dem Haupt
Der nahen Quelle zu entschöpfen. Zwar bin ich
Zur Arbeit nicht gezwungen, dennoch thu ich sie,
Daß meine Schmach die Götter sehen, die Aegisth
Mir zufügt, daß der weite Aether über mir
Die Klagen höre, die ich meinem Vater weih’.
Ach die unsel’ge Tochter Tyndaros, die mich
Gebahr, stieß mich dem Buhlen zu Gefallen aus,
Zeugt andre Kinder mit Aegisth, und alle Lieb’
Für mich und für Orest ist ihrer Brust entfloh’n.
Der Pflanzer.
Warum o Arme! übernimmst du mir zu Lieb
So viele Mühe, da dein Stand zu höh’rem Glück
Dich rief, vermag denn meine Bitte nichts bei dir?
Elektra.
Die Götter haben dich zum Freunde mir verlieh’n.
Du spottest meines Unglücks nicht. O welch ein Trost
Ist’s armen Sterblichen, zu finden einen Arzt,
Der ihre Wunden heilt, wie ich, o Freund! dich fand.
Auch ungeheissen fühlt mein Herz die fromme Pflicht,
Dir deine Arbeit zu erleichtern, und die Noth
Mit dir, so viel ich kann, zu tragen. Draussen ist
Der Arbeit g’nug, mir ziemt die Ordnung in dem Haus
Zu unterhalten; lieblich ists am blanken Heerd
Dem Landmann von des Tages Arbeit auszuruh’n.
Der Pflanzer.
Wofern du willst, so geh: von unsrer Hütte ist
Der Wasserquell nicht fern. Ich will, so bald der Tag
Erscheint, hinaus die Stiere treiben, und das Feld
Bestellen: wer mit trägem Fleh’n die Götter ehrt,
Wird doch den Unterhalt nicht finden ohne Schweis.
(Sie entfernen sich.)
Orest tritt mit Pylades auf.
Orest.
Du meines Herzens Liebling, treuer Pylades,
Freund und Gefährte meines Elends, du allein
Hast mich im Leidensdrang bewundert, und gefühlt,
Was ich erlitt, als meine Mutter und Aegisth
Den Vater frevelnd mir erschlugen. Unerkannt
Betret’ ich nun auf eines Gottes Ruf das Land
Der Heimath, um zu rächen meines Vaters Tod
An seinen Mördern; sieh in dieser Nacht
Besucht’ ich meines Vaters Grab, und unbemerkt,
Indem ich dieses Landes Herrscher täuschte, weiht’
Ich Thränen ihm, und schnitt mein Haupthaar ab, und ließ
Auf seinem Grab ein Schaaf zum Opfer bluten ihm.
Ich setze meinen Fuß nicht in die Vaterstadt,
Und steh nun an der Gränze dieses Land’s, daß ich
Auf jeden Fall gerüstet in ein ander Land
Entfliehen könne, wenn man mich erkennt, daß ich
Die Schwester suche, zur Gehülfin meiner That;
(Man sagt, sie sei nicht Jungfrau mehr und einem Mann
Vermählt,) um alles das, was in der Stadt geschieht,
Von ihr zu hören, und ihr meinen Arm zu leih’n.
Laß izt, o Pylades! Schon blinkt der Morgenstern
Vom Himmel, uns ein wenig seitwärts geh’n;
Vielleicht, daß uns ein Landmann oder auch ein Weib
Auf diesem Weg begegnet, die uns sagen kann,
Ob meine Schwester nicht in dieser Gegend wohnt.
(Indem er Elektra in der Ferne, ohne sie noch zu erkennen, erblickt.)
Doch wie! seh’ ich nicht eine Sklavin dort sich nah’n,
Sie trägt auf ihrem Haupt ein Wasserbecken, komm,
Vielleicht, daß dieser Zufall uns entdeckt,
Was unsrer Reise Zweck begünstigt, Pylades!
(Sie treten zurück.)
1.
Elektra.
Beflügelt, Stunden, euren Lauf!
O kommt herbei, im Klageton herbei.
Ach! weh mir, weh!
Agamemnons Kind war ich einst,
Klytemnestra gebahr mich ihm,
Tyndaros wüthende Tochter.
Ach! Nun nennen mich des Landes Töchter
Die unglückliche Elektra!
O des drückenden Jammers,
Und des verhaßten Lebens, o Vater!
Ach! Im Grabe da
Liegst du von der Gattin gemordet,
Und vom Aegisthos, o Agamemnon!
Weck, o Vater! meine Klagen,
Laß, des Jammers Druck zu lindern,
Wollustreiche Thränen fließen.
2.
Beflügelt, Stunden, euren Lauf!
O kommt herbei, im Klageton herbei.
Ach! weh mir, weh!
In welcher Stadt, in welchem Haus
Irrt nun zum Sklavendienst verdammt
Des armen Pilgers Fuß?
Ach! er verließ die Schwester
Im väterlichen Haus
Zum Schmerz hinab gebeugt.
O! daß er bald erschiene
Meiner Leiden Befreier, o Zev’,
Des Vater Blutes strenger Rächer,
Daß bald sein Fuß die Vater Erd’ beträte!
Nimm dieß Gefäß von meinem Haupt
O Sklavin, daß die stille Nacht
Von meinen Klagen wiederhalle.
3.
Ein lauter Grab-Gesang ertön’, o Vater! dir,
Vernimm, Ermordeter! den Gram,
Der täglich mich verzehrt.
Sieh’ her, mit meinen Nägeln
Zerfleisch’ ich meine Brust;
Mit ausgerauftem Haar
Bewein’ ich deinen Tod,
Und mit gesenktem Haupt.
Gleich dem traurenden Schwan,
Der am rauschenden Strom
Den geliebten Vater ruft,
Den ein Todesnetz umschlang,
So bewein ich dich, Getödteter!
Ach! das letzte Bad, das deinen Körper wusch,
Ward zum Todeslager dir.
O! weh mir, weh!
O des mörderischen Beiles,
Das, o Vater! dich erschlug,
O des traurigen Geschickes,
Das von Troja dich zur Heimath rief.
Nicht mit heiligen Binden,
Nicht mit Kränzen empfieng dich die Gattin
Mit verborgnen Todeswaffen
Schug sie, Vater! dich, und häufte
Auf des Buhlers Haupt zugleich Verderben.
Das Chor.
Agamemnons Tochter, ich komme
Zu dir in die ländliche Hütte.
Vernimm die Botschaft, die mir eben izt
Ein Mykenäer vom Gebirge hergebracht:
Drei Tage lang sei Härens Fest zu feiern
Verkündigt, alle Mädchen in der Stadt
Bereiten sich zu schmücken dieser Göttin Fest.
Elektra.
Zur Fröhlichkeit, ihr Freundinnen!
Ist nicht mein Herz gestimmt;
Ein goldner Halsschmuck ziemet nicht
Dem Mädchen, welches traurt.
Zum Gram gebeuget führ’ ich nicht
Den Mädchen Reigen an,
Und werde nimmermehr den Fuß
Im Kraise wirbelnd drehn.
In Thränen schwimm ich, Thränen sind
Mein unglückselig Loos,
Schaut her auf mein zerrauftes Haar,
Auf mein zerrißnes Kleid,
Das Agamemnons Tochter nun
Des großes Helden deckt,
Des Helden, dessen Siegesruhm
Aus Trojas Trümmern schallt.
Das Chor.
O große Göttin! – aber nimm, Elektra! doch
Aus unsern Händen diese Feierkleider an,
Und schmücke dich damit zum Fest der Fröhlichkeit.
Meinst du durch Thränen, die die Götter nur
Entehren, deine Feinde zu bezwingen? Nein,
O Tochter! Unmuths-Seufzer ehren nicht
Die Götter, nur durch Flehen ehrst du sie,
Und schaffst der müden Seele Ruh’.
Elektra.
Keiner der Götter achtet der tiefaufseufzenden Tochter,
Keiner des gräulichen Mords längst an dem Vater verübt.
Ach! im Grabe liegt er vergessen, der lebende Bruder
Wallet vom heimischen Land ferne bei niedrigem Heerd.
Er, der Sprößling des glänzenden Stammes irret nun einsam
Und verlassen umher; nagender Kummer verzehrt
Unaufhaltsam mein Herz, vertrieben aus meinem Pallaste
Schließt ein armseliges Dach offen dem Winde mich ein,
Und die mördrische Mutter lacht ihrer Kinder Verbannung,
Wenn sie mit lüsternem Arm ihren Geliebten umschlingt.
Elektra, hernach Orest, das Chor.
Das Chor.
Viel Unheil hat die Schwester deiner Mutter Helena,
Dem ganzen Griechenland und deinem Haus gebracht.
Elektra.
Laßt mich, ihr Freundinnen! Ich hab’ genug geweint. - -
Doch wie, dort nah’n sich wie aus einem Hinterhalt
Zween Männer, die vielleicht hier weilen diese Nacht.
Kommt, laßt uns flieh’n, daß diese Räuber nicht
Uns haschen, ich ins Haus, ihr auf den Weg.
Orest.
(Indem er sich naht, und Elektra zurückhält.)
Bleib Unglückselige, bleib hier, und fürchte nichts.
Elektra.
O Phöbos! laß mich leben, Freund! ich bitte dich. –
Orest.
O flöße meiner Feinde Blut von dieser Hand!
Elektra.
Zurück, berühre nicht, was dir nicht ziemt.
Orest.
Wer hätte, dieß zu thun, ein größer Recht, als ich.
Elektra.
Wozu dieß Schwerd an deiner Seit’ bei meinem Haus?
Orest.
Bleib da, und hör’ mich an, dann magst du fragen mich.
Elektra.
Ich bleibe, du bist stark, ich weiche der Gewalt.
Orest.
Von deinem Bruder bring ich Botschaft dir.
Elektra.
O Bester! lebt er noch? – Vielleicht ist er schon todt.
Orest.
Er lebt. Das Gute werde dir zuerst bekannt.
Elektra.
Sei glücklich, Freund! dieß sei der guten Botschaft Lohn.
Orest.
An deiner Freude nehm’ auch ich, Elektra! Theil.
Elektra.
Sprich, welches Land ernährt den flüchtigen Orest?
Orest.
Er weilet nirgend, irrt als Flüchtling hin und her.
Elektra.
Vielleicht, daß ihm sogar des Lebens Nothdurft fehlt?
Orest.
Des Flüchtlings Unterhalt ist freilich kümmerlich.
Elektra.
Was bring’st du denn für Nachricht mir von ihm?
Orest.
Ob du noch lebst, und wie es dir ergeht,
Dieß ist’s, was er zuerst zu wissen wünscht.
Elektra.
Du sieh’st ja meinen Leib, wie abgezehrt er ist.
Orest.
Der Gram hat dich verzehrt, ich klage dein Geschick.
Elektra.
Und mein geschornes Haupt, mein abgeschnittnes Haar.
Orest.
Du weinst den Bruder, und zugleich des Vaters Tod.
Elektra.
O wehe! hatt’ ich denn was liebers auf der Welt!
Orest.
Nein. Aber sage mir, was dünkt vom Bruder dich?
Elektra.
Ach! er ist fern, bringt keine Rettung mir.
Orest.
Wohn’st du schon lange hier fern von der Vaterstadt?
Elektra.
Ich bin, o Todeshund! an einen Mann vermählt.
Orest.
(Wenn dieß dein Bruder hört!) an einen aus der Stadt?
Elektra.
Nicht wie mein Vater mich einst wollte trau’n.
Orest.
Erklär’ dich näher mir, zur Nachricht für Orest.
Elektra.
Dort ist das Haus, das meinem Mann gehört.
Orest.
Lebt er vom Ackerbau, ist Viehzucht sein Geschäft,
Und kann des Landmanns Stand sich wohl dem deinen nah’n?
Elektra.
Arm ist zwar mein Gemahl, doch edel auch und fromm.
Orest.
Worinn bestehet denn des Mannes Edelmuth?
Elektra.
Noch nie hat er’s gewagt, mein Lager zu entweih’n.
Orest.
Ist’s gottgeweihte Keuschheit, oder Mißbehagen, sprich?
Elektra.
Nein! Um von meinem Haus zu fernen allen Schimpf.
Orest.
So hätte dieses Bandes er sich nicht gefreut?
Elektra.
Nein, Fremdling! Denn er hielt’s für ein erzwungnes Band,
Das der Tyrann Aegisth ohn’ alles Recht geknüpft.
Orest.
Ich merk’, er fürchtete die Rache vom Orest.
Elektra.
Vielleicht, daß Furcht ihn hielt, noch mehr Bescheidenheit.
Orest.
Führwahr ein edler Mann! Drum fasse guten Muth.
Elektra.
O! käme nur Orest bald aus der Flucht zurück!
Orest.
Und deine Mutter? – sie gab diese Heirath zu?
Elektra.
Das Weib ist ihrem Mann nicht ihren Kindern hold.
Orest.
Warum verdammte dich zu dieser Schmach Aegisth?
Elektra.
Daß keine Furcht ihn quälte vor des Armen Kind.
Orest.
Ha! daß kein Rächer einst dem Mutterleib entstieg’!
Elektra.
Das war des Frevlers Plan, er soll ihn büßen mir.
Orest.
Sprich! weiß er wohl, daß du noch Jungfrau bist?
Elektra.
Nein. Dieses haben wir mit Vorsicht ihm verhehlt.
Orest.
(Indem er sich gegen das Chor hinwendet, zu Elektra.)
Ist dieses Weiberchor mit dir vertraut?
Elektra.
O ja! verlaß dich ganz auf ihre Treu.
Orest.
Was sollt’ Orestes thun, käm’ er ins Vaterland?
Elektra.
Du frägst, als wär’s noch Zeit zum Fragen, schäme dich!
Orest.
Wie sollt’ er tödten itzt die Vatermörder, sprich!
Elektra.
Mit Feindes Kühnheit, der sein Vater auch erlag.
Orest.
Wie? wolltest du, käm er zurück, mit ihm
Auch Klytemnestren deine Mutter tödten?
Elektra.
Ja!
Mit eben diesem Beil, das unsern Vater schlug.
Orest.
Ist’s ernster Vorsatz? Darf ich deinem Bruder ihn
Entdecken?
Elektra.
Gerne stürb’ ich, ränne nur zuvor
Der Mutter Blut von meiner Hand. –
Orest.
O daß Orest
Der Helden-Schwester Vorsatz hörte selbst.
Elektra.
Säh’ ich ihn izt, ich würde kaum erkennen ihn.
Orest.
Kein Wunder! Denn du ward’st noch jung von ihm getrennt.
Elektra..
Aus meinen Freunden würd’ doch einer kennen ihn!
Orest.
Ha! der, wie man erzählt, den Tod von ihm gewandt?
Elektra..
Ja, Fremdling! er, der unsern Vater einst
Erzog.
Orest.
Ward deinem Vater auch ein Grab zu Theil?
Elektra.
Ein Grabmal? – Ja, man warf den Leichnam aus dem Haus.
Orest.
Was hör ich! Welche Grausamkeit, die auch
Des Fremden Herz zum tiefsten Mitleid reizt!
Jedoch um deines Bruders willen fahre fort
Zu schildern allen Jammer, denn die Noth gebeut’s.
Der Weise schließt sein Ohr dem Unglück niemals, er
Schließt auch sein Herz ihm auf, und herrlich ist der Lohn,
Wenn in des Weisen Busen tiefe Weisheit wohnt.
Das Chor.
Von gleichen Wünschen ist auch unsre Seele voll.
Vom Lerm der Königsstadt entfernt, sind ihre Gräu’l
Uns unbekannt; wohlan, erzähle sie.
Elektra.
Ich rede, weil ich soll. Dem Freunde säum’ ich nicht
Zu sagen, mein und meines Vaters hartes Loos.
Doch, wenn dich meine Rede rühret, so entdeck’
Dem Bruder bald, was mich, und ihn beschwert.
Sag ihm, ich sei des Fürstenschmucks beraubt;
Ein schmutziges Gewand bedecke meinen Leib,
Und meine Wohnung sei ein dürftiges Gemach.
Um meine Blöße zu bedecken, muß ich izt
All’ meine Kleider weben mir mit eigner Hand,
Selbst bei der Quelle Wasser holen, und verbannt
Als Mädchen von dem Reigen und vom festlichen Gepräng’
Der Weiber mich verschließen, und vergebens mich
Nach Castor meinem Oheim sehnen, dem man mich,
Eh’ zu den Göttern er versammelt ward, versprach.
Umglänzt von Siegeszeichen[1] sizt indeß
Die Mutter auf dem Thron, und um sie her
Stehn’ ihres Winks gewärtig, fremde Sklavinnen,[2]
Die Beute meines Vaters, angethan mit Glanz-
Gewändern, [3] und mit goldnen Spangen; - aber noch
Klebt an der Wand des Vaters Blut. Und, der ihn schlug,
Besteigt mit kühnem Trotz den Wagen deß, der mich
Gezeugt, und hält das Zepter, das ganz Griechenland
Verehrte, boshaft in der blutbefleckten Hand.
Und – meines Vaters Grabmal steht entweiht,
Von keinem Zweig bekränzt, von keinem Opfertrank
Begossen, alles Todten-Schmucks beraubt.
Mit trunknem Wahnsinn höhnt der treffliche Gemahl
Der Mutter seinen Grabeshügel, stampft,
Und wirft mit Steinen ihn, - und wagt’s, zu mir
Mit höhnisch-bitterm Spott zu sagen, wo ist nun
Der Knab’ Orestes, kommt er bald, die Schmach
Des väterlichen Grab’s zu rächen? – so beschimpft
Den fernen Bruder mir der Bösewicht.
Ich bitte dich, o Fremdling! sag ihm alles das;
Im Namen vieler Freunde ruf ich ihn zurück;
Der Geist des Hingewürgten, meine Schwülen-Hand,
Mein Mund voll Klagen, mein geschor’nes Haupt,
Mein Herz voll Jammers, alles ruft ihn her.
Ja! Schande wär’ es, wenn mit Jugend Kraft gestählt
Der edle Sohn des Vaters, der die Phryger schlug,
Nicht wagte zu bestrafen einen Bösewicht.
Das Chor.
Dort seh’ ich deinen Mann vom Felde kommen; sieh,
Wie er mit raschen Schritten uns entgegen eilt.
Der Pflanzer, Die Vorigen.
Der Pflanzer.
(Indem er sich naht, treten die Fremdlinge zurück.)
Was seh’ ich dort für Fremdlinge bei meiner Thür?
Was mag sie wohl zu diesem abgelegnen Haus
Herführen? Gilt es etwa mir? Dem Weibe ziemt’s,
Die Zeit mit Männern zu verplaudern, freilich nicht.
Elektra.
Hinweg mit diesem schimpflichen Verdacht, du sollst
Vernehmen, was ich weiß: Sieh! diese Fremdlinge
(zu den Fremdlingen.)
Sind vom Orestes abgeschickt. Hat dieses Wort,
Ihr Freunde! euch beleidigt, so verzeiht.
Der Pflanzer.
Was bringen sie für Nachricht. Lebt er noch?
Elektra.
So sagen sie. Mich dünkt, sie reden wahr.
Der Pflanzer.
Gedenkt er seines Vaters auch, und deiner Noth?
Elektra.
Ich hoff’ es, aber schwach ist eines Flüchtlings Kraft.
Der Pflanzer.
Was ist der Auftrag, den er ihnen gab?
Elektra.
Sie sind herbeigesandt, mein Unglück auszuspäh’n.
Der Pflanzer.
Das sieht ihr Aug, ihr Ohr vernimmt das Uebrige.
Elektra.
Sie wissen alles schon, ich habe nichts verhehlt.
Der Pflanzer.
Warum hast du sie nicht schon längst hereingeführt?
(Zu den Fremden.)
Herein, ihr Gäste! Seht, mein Haus steht offen euch!
Empfanget für die gute Bothschaft, die ihr uns
Gebracht, ein Gastgeschenk, wie es mein Haus vermag.
(Zu seinen Knechten.)
Ihr Knechte, traget izt der Fremden Reis’geräth’
Hinein:
(Zu den Gästen.)
Bedenkt euch nicht, ihr Freunde! denn ihr seyd
Als Bothen des Orest mir werth, bin ich schon arm,
So soll unedler Geiz doch nie mein Herz entweih’n.
Orest.
Bei allen Göttern! dieser Mann, dem heimlich du
Vermählet bist, ist werth, Orestens Freund zu seyn!
Elektra.
Ja, dieser ist der traurenden Elektra Mann.
Orest.
Gewiß, die Tugend bindet sich an keinen Stand!
Ein wundervoll Geschick beherrscht die Sterblichen.
Dort zeugt ein edler Vater einen Taugenichts,
Hier schlimme Eltern gute Kinder, öfters fand
Ich bei des Reichen Hochmuth Niedrigkeit,
Und hohen Sinn im niedrigen Gewand!
Wer mag die Räthsel lösen dieses Widerspruchs?
Ist nur mit Reichthum Glück gepaaret? – Ferne sei
Der Schmach-Gedanke! – oder mit der Dürftigkeit?
Doch Armuth zeugt Gebrechen, - aber zeugt auch Muth
Und Thatkraft; sie gab mir die Waffen in die Hand;
Ich steh’ zum Kampf bereit; jedoch wer ist so klug,
Daß er voraus entscheide, wessen Lanze siegt!
Doch besser ist’s, ich steh’ von diesen Fragen ab. - -
So ward auch diesem, ist er gleich im Land nicht groß,
Noch aufgebläht von Ahnen-Stolz, im niedern Stand
Und unter Niedrigen ein großes Herz zu Theil.
O ihr, die ihr von eitlem Stolz erfüllt
Nach Schatten greifet, lernt die Sterblichen
Nach ihren Thaten schätzen; Thoren! lernt,
Daß Tugend nur den Hochgebohrnen ehrt.
Nur unter solchen Männern keimt der Städte Glück,
Der Häuser Wohlfahrt. Jene Bäuche, leer an Geist,
Sind stumme Götzen, die der Pöbel angafft. Oft
Fäll’t eines Schwachen Lanze straks den stärkeren,
Wenn sich mit edler Stimmung Helden-Adel mischt.
Ja, dieser Pflanzer ist es werth, daß wir
Auch um Orestes willen, der uns hergeschickt,
Das angebotne Dach annehmen. Laßt uns geh’n
In seine Wohnung; denn der Arme nimmt
Den Gastfreund immer lieber als der Reiche auf.
(Zu Elektra.)
Ach! Daß dein Bruder izt, o eitle Sehnsucht! uns
In’s Haus des Glückes führte, selbst vom Glück umstrahlt!
Doch bald kommt er vielleicht. Apollons Spruch gebeut’s,
Der weiser als ein Mensch der Zukunft Nacht erhellt.
Das Chor.
Nun ist mein Herz, Elektra! mehr als je
Zur Freud’ erwärmt, vielleicht, daß nun das Glück,
Izt leisen Trittes, bald mit fester’m Tritt erscheint.
Elektra.
Warum nimmst du, o Mann! da unsre Dürftigkeit
Dir kund ist, Gäste auf, die größer sind, als du?
Der Pflanzer.
Sind diese Fremde, was sie scheinen, edlen Sinn’s,
So nehmen sie auch ein geringes Obdach an.
Elektra.
Der Fehler ist gemacht, doch, um zu bessern ihn,
So geh’ zu unser’m Greis, der meinen Vater groß
Erzog, und nun am Tanos, dessen Silber-Fluth
Die Gränzen Argos scheidet vom Spartaner Land,
Die Heerden weidet, aus der Königsstadt verjagt.
Ersuch’ ihn, herzukommen, und zum frohen Mahl
Für unsre Gäste etwas mitzubringen. Sieh!
Er wird sich freuen, seinen Dank den Göttern weih’n,
Wenn du ihm sagst, daß noch sein Zögling lebt, den er
Einst rettete. – Von meiner Mutter würden wir
Doch nichts bekommen. Denke dir einmal die Angst
Der Mutter, wenn sie hörte, daß ihr Sohn noch lebt!
Der Pflanzer.
Wohlan, ich geh, und bring’ die Bothschaft ihm von dir,
Du aber eil’ in’s Haus, bereit’ ein gutes Mahl
Für unsre lieben Gäste: denn ein häuslich Weib
Weiß manches aufzutischen, wenn sie will, auch ist
In unsrer armen Hütte so viel Vorrath noch,
Als zur Bewirthung eines Tags vonnöthen ist.
Wer seinem Freunde geben, und, wenn Krankheit ihn
Auf’s Lager hinwirft, seines Leibes pflegen kann,
O! der ist reich genug. Die Nothdurft jeden Tag’s
Ist bald gestillet; und der Arme wird
(Sagt, ob ich unwahr rede?) wie der Reiche satt.
(Sie gehen auf verschiedenen Seiten ab.)
Das Chor.
Ruhmvolle Schiffe, die ihr nach Ilion
Mit unzählbaren Rudern einst seegeltet:
Euch weihten alle Nereiden[4]
Reigen-Gesang, und der zahme Delphin
Schlang sich am blauen Schnabel der Schiff hinauf;
Und lauschte, denn ihr truget mit Heeres-Macht
Den Schenkelraschen Sohn der Thetis,
Und Agamemnon an Xanthos Ufer.
Da brachten von Euboea’s Gestade her
Die Wasser-Nymphen goldenen Waffen-Schmuck,
Geschmiedet auf Hephästos Ambos;
Und auf den heiligen Wipfeln Ossa’s,
Der hochgethürmet Pelions Haupt umkränzt,
Versammlet Neugier heimischer Mädchen Reih’n,
Des Zuges Wunder anzustaunen
Eine jungfräuliche Warte suchend.
Auf diesen Höhen zog einst für Griechenland
Der Pferde-Zähmer Peleus den Götter-Sohn,
Den Sohn der Wasser Göttin Thetis
Der den Atriden den Sieg erkämpfte.
Auf deinem Schilde strahleten rund umher,
O Sohn der Thetis! Phrygiens Schrecknisse;
Und diese Nachricht bracht’ uns einer,
Der in den Hafen von Aulis[5] einlief.
Am Rand enteilet Perses mit schnellem Flug[6]
Dem Meer, und schüttelt furchtbar das Schlangen-Haupt;
Zur Seite schwebt Kronions Bothe,
Hermes, der ländliche Sohn der Maja.
Der Sonne Wagen schimmert im Mittagspunkt
Mit Flügelpferden und der ätherische
Chor der Pleiaden und Hyaden:
Schrecklicher Anblick für Hektors Augen!
Und auf dem goldbeschlagenen Helm erscheint
Ein Greif,[7] der mit den Klauen den Raub entführt,
Zur Seit’ das feuerschnaubende Unthier[8]
Auf das pirenische Flugpferd springend.[9]
Und auf dem Spiese schimmert ein Viergespann,
Der Rosse Huf entsteiget ein Staubgewölk,
Den Feldherrn solcher tapfern Krieger
Schlug die unselige Tochter Tyndars.
Doch bald wird nun der himmlischen Götter Zorn
Sie schrecklich treffen, und zur Vergeltung wird
Des mördrischen Weibes Nacken
Unter dem Schwerde des Rächers bluten.
Anmerkungen des Originals
- ↑ Phrygischen sezt der Text hinzu. Phrygien wird von den griechischen Tragikern öfters für Troja gesezt.
- ↑ Asiatische sagt das Original.
- ↑ Jüdische Gewande sagt der Text. Sie wurden in der Gegend des Berges Ida in Phrygien verfertigt, und waren außerordentlich kostbar, von weisser feiner Leinwand mit Purpur und allerlei künstlichen Figuren von Vögeln, Thieren etc. durchwirkt.
- ↑ Die Töchter des Meergottes Nereus.
- ↑ Eigentlich Nauplia, welches ein Hafen in Euboea war. Man wird es mir jedoch vergeben, daß ich, dem Silbenmaß zu gefallen, die Scene in den Boeotischen Hafen von Aulis verlegte, aus welchem, wie man weiß, die griechische Flotte auslief.
- ↑ Eigentlich mit Flügel-Schuhn der Gorgo, welche Perses erlegte, indem er ihr den Kopf abhieb.
- ↑ Der thebanische Sphinx.
- ↑ Die Chimära.
- ↑ Pegasus. Auf diesem Pferd erlegte Bellerophon die Chimära.