RE:Διαψήφισις
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft | |||
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Geheime Abstimmung | |||
Band V,1 (1903) S. 342 | |||
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Διαψήφισις. Ganz allgemein wird der Ausdruck διαψηφίζεσθαι angewendet, wenn von einer durchgehenden geheimen Abstimmung die Rede ist. So von den athenischen Richtern Aristot. resp. Athen, col. 36, 10. 13 und bei der Dokimasie der Archonten, ebd. cap. 55, 25; vom Rat [Demosth.] XLVII 42 (codd. ἰδίᾳ ψ.), und ausnahmsweise auch einmal, beim Arginussenprocess, vom Volke, das κατὰ φυλάς durchstimmte, Xen. hell. I 7, 9.
Insbesondere fand δ., durchweg nach vorangegangener Vereidigung, statt bei den verschiedenartigen Abstimmungen, durch die die Demoten über die Bürgerrechtsqualität ihrer Demosgenossen entschieden. Zunächst war das der Fall bei der Eintragung der Mündiggewordenen (ebenso gewiss der Adoptierten und Neubürger) ins ληξιαρχικὸν γραμματεῖον (s. d.), worüber Aristot. resp. Ath. 42 vollständigen Aufschluss giebt. Die Abstimmung bezog sich 1) darauf, ob die Angemeldeten das gesetzmässige Alter besässen, und 2) ob sie frei seien und aus rechtmässiger Ehe stammten. Ward die erste Frage verneint, so blieben sie Unmündige; traf sie bei der zweiten die ἀποψήφισις, so traten sie in den Stand der Metoiken ein. Der Aufnahme durch die Demoten folgte in jedem Falle die δοκιμασία (s. d.) von seiten des Rats. Dem als Unfreien Ausgestossenen stand die Berufung (ἔφεσις)) an das Heliastengericht frei, vor dem der Demos als klagender Teil durch fünf von ihm erwählte κατήγοροι vertreten war. Unterlag der Beschuldigte auch hier, so wurde er als Sclave verkauft; andernfalls mussten die Demoten ihn in ihre Bürgerliste aufnehmen.
Über sämtliche Angehörige eines Demos wurde in gleicher Weise abgestimmt, wenn das Lexiarchikon einer Gemeinde verloren gegangen oder in böswilliger Absicht beseitigt worden war, vgl. Demosth. LVII 26. 60 (an der letzten Stelle Appellation ans Gericht erwähnt). Wahrscheinlich hatte dasselbe Verfahren auch bei der ersten Aufstellung der Bürgerliste überhaupt stattgehabt, [343] worauf man den Ausdruck des Aristot. resp. Ath. 13, 23 (μετὰ τὴν τῶν ρυράννων κατάλυσιν ἐποίησαν διαψηφισμόν) beziehen kann.
Am bekanntesten ist den Grammatikern (Harpokr. s. v. nach Androtion und Philochoros. Bekk. Anecd. gr. 201. 236. 439f. u. a.) jenes Durchstimmen der gesamten Bürgerschaft nach Demen, wie es ausserordentlicherweise zum Zweck einer Reinigung des Staats von unrechtmässigen Eindringlingen ins Bürgerrecht vorgenommen wurde. Die Hauptquelle dafür ist Demosth. LV 11; vgl. Aischin. I 77. 86. 114 und Isai. XII mit der Hypoth. Eine solche tiefeinschneidende Massregel fand nur auf ausdrücklichen Volksbeschluss statt, Demosth. LVII 15. Es scheint, dass den Vorsitz bei der Vereidigung und Abstimmung der Demoten in diesem Falle nicht, wie sonst, der Demarch, sondern ein dazu beauftragter demos-angehöriger Buleut führte, und dass die Demoten sich dazu in der Stadt versammelten. Die Namen wurden vom Vorsitzenden der Reihe nach aus dem Lexarchikon verlesen; dabei durfte jeder, auch der Vorsitzende, gegen den eben Genannten die Beschuldigung erheben und begründen, dass er ein παρέγγραπτος, ein zu Unrecht Eingetragener sei. War diesem dann das Wort zur Verteidigung gegeben worden, so folgte unmittelbar die Abstimmung durch ψῆφοι, die überhaupt für jeden einzelnen vorgenommen wurde. Dem Ausgestossenen stand, gewiss in derselben Weise, wie in den oben genannten Fällen, die ἔφεσις an das Gericht offen; als Obmann (ἐπιστάτης? vgl. Aischin. I 114) der erwählten fünf κατήγοροι trat wohl immer der ursprüngliche Kläger auf. Das Schicksal des Beklagten entsprach dem oben Erwähnten. Vgl. Meier-Schömann-Lipsius Att. Proc. 989. Gilbert Hdb. d. gr. St. 12 230. Koch Bem. zur Rede w. Eub., Zittau 1900. Irrig aber ist vielleicht die Annahme, dass die ἔφεσις auch an Diaiteten stattgefunden habe; denn wenn nicht mit Unrecht angenommen wird, dass die Rede des Isaios für Euphiletos sich auf die grosse Diapsephisis des J. 346 bezieht, so gilt, was von der δίαιτα bei einer früheren δίκη (Privatstreitigkeit?) gesagt wird, eben nicht für das Verfahren in unserem Falle. Wohl alles, was wir über die δ. erfahren, bezieht sich auf die Massregel des J. 346 unter dem Archon Archias, die wahrscheinlich auf Demophilos Antrag erfolgte, vgl. u. a. Schäfer Dem. u. s. Zeit II² 308; wahrscheinlich ist aber auch die grosse ξενηλασία bei Gelegenheit der Getreidespende eines ägyptischen Herrschers, die ins J. 445/4 fällt (vgl. Gilbert a. a. O. 175, wo auch ältere Litteratur), in derselben Weise ausgeführt worden. Von Bestechlichkeit der Demoten und besonders der Demarchen hören wir öfters, Demosth. XLIV 37 (Otryne). Harpokr. s. Ἀγασικλῆς (Halimus); besonders aber traf deshalb der Spott der Komoediendichter die Potamier, Harpokr. s. Ποταμός. Phot. Etym. M. s. Δρυαχαρμεῦ und Σφήττιοι.