RE:Adarbigana

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Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Landschaft nördlich von Assyrien, das alte Media Atropatene (Iran)
Band I,1 (1893) S. 345 (IA)–347 (IA)
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Adarbigana. In der Darstellung des dritten, in das J. 542 n. Chr. fallenden Feldzuges des Chosroes I. gegen die Römer bei Prokop. b. pers. II 24 wird zweimal die nördlich (πρὸς βορρᾶν ἄνεμον) von Assyrien gelegene Landschaft A. (259, 14 χωρίον Ἀρδαβιγάνων, l. Ἀδαρβιγάνων; 261, 11 τὸ Ἀδαρβιγάνων) erwähnt. Gemeint ist damit das alte Media Atropatene, das jetzige Âzärbâîğân (bei den arabischen Geographen Adharbaiğân, Âdharbaiğân, vereinzelt auch Adhrabîğân) (s. u. Media Atropatene). Dieser neuere Name, der eigentlich Âdhärbâîgân lautet und nur infolge der üblichen arabisierten Orthographie Âzärbâîğân gesprochen wird, ist ein Patronymikum von Atropates (s. d., altpers. Âturpâta, neupers. Âdhärbâdh), das, wahrscheinlich seit Beginn der Sâsânidenherrschaft (227), officielle Bezeichnung der Nordwestprovinz von Îrân geworden ist. Im mittelpersischen (Pählävî) wird er Aturpâtakân geschrieben, was aber historische, den damaligen Lautstand der Sprache nicht genau wiedergebende Schreibweise ist; und wenn die armenischen Schriftsteller (vom Ende des 4. Jhdts. an), nur mit der unten zu erwähnenden Ausnahme, die Form Atrpatakan verwenden, so beweist dieses Zusammentreffen mit der persischen Orthographie nichts für die Aussprache des Wortes zu jener Zeit. Dasselbe ist vielmehr entweder daraus zu erklären, dass die Armenier das ursprünglich die Nachkommen des Atropates bezeichnende Patronymikum, welches ihnen infolge ihrer benachbarten Lage und ihrer Beziehungen zum Atropatenischen Medien schon lange bekannt sein musste, in seiner älteren Lautgestalt festgehalten haben, oder aber dass sie, anstatt bei der Schreibung des neu aufgenommenen Wortes der Aussprache zu folgen, sich [346] nach der Orthographie anderer, älterer Entlehnungen gerichtet haben; dazu mag dann noch, in Fällen wie der vorliegende, der Umstand gekommen sein, dass der Name auch auf schriftlichem Wege zu ihnen gelangt ist, und dass sie der ihnen durch Aktenstücke der persischen Regierung geläufigen persischen Orthographie desselben für litterarische Zwecke gefolgt sind. In ähnlicher Weise, als ältere oder als durch die Schrift vermittelte Entlehnung, ist auch die im syrischen, in einer Schrift aus dem Anfange des 3. Jhdts., dem von einem Schüler des Bardesanes verfassten Buche über das Gesetz der Länder (περὶ εἱμαρμένης, Cureton Spicilegium syriacum 14, 19), von Th. Nöldeke (Bezzenbergers Beitr. z. Kunde d. idg. Sprachen IV 50) hergestellte Form Âthorpâthkhân zu erklären. Die wirkliche Aussprache des Namens im 3. Jhdt. ist zweifellos Âdhurbâdhaghân gewesen, indem die älteren inlautenden Tenues in regelmässiger Lautentwicklung zu Medien und, in intervocalischer Stellung, zu tönenden Spiranten geworden waren. Sie muss, mit Rücksicht auf das in der Orthographie des mittelpersischen bestehende Verhältnis von Schrift und Aussprache als das normale, als die im eigentlichsten Sinne der damaligen Schriftsprache Îrâns entsprechende Lautinterpretation bezeichnet werden. Als solche hat sie sicherlich bis zum Sturze des Sâsânidenreiches im 7. Jhdt. officielle Geltung gehabt. Bezeugt ist sie durch Titel wie Âdharbâdhagân-Šâh und Âdharbâdhagân-Ispähbädh (Ibn Khordâdhbeh, 9. Jhdt., liber viarum et regnorum ed. de Goeje Text 17. 118, Übers. 13. 90), durch die von Firdôsî († 1020 n. Chr.) aus metrischen Gründen modificierte Form Âdhärâbâdhegân, sowie durch Âdhärbâdhgân der persischen Lexikographen. Aber auch aus der byzantinischen Historiographie lässt sich ein Beleg für sie beibringen, denn in der Ἱστορία σύντομος (ed. de Boor 17, 10) des Patriarchen Nikephoros († 829) findet sich in dem angeblich vom Kaiser Heraklius im J. 628 gefälschten Briefe des Chosroes II. (590–628) die Form Ἀδορβαδίγανον. Aber schon im Laufe des 4. Jhdts. muss in der Volkssprache eine weitere Verschiebung des zweiten dh von Âdhurbâdhaghân stattgefunden haben, und dadurch die moderne Form des Landesnamens entstanden sein, denn der armenische Historiker Faustus von Byzanz (schrieb zu Ende des 4. Jhdts.) gebraucht neben Atrpatakan nicht weniger als siebenmal die Form Atrpajakan, mit welcher er der damals wohl noch vulgären Aussprache gerade in Bezug auf den für die neuere Form charakteristischen Laut eine Concession macht. Seit jener Zeit hat die neu aufgekommene volkstümliche Form die schulmässige Aussprache so zurückgedrängt, dass wir dieser nur noch in den bereits erwähnten vereinzelten Fällen begegnen. So schreiben die Syrer (5. Jhdt. u. f.) durchweg Âdhorbâîghân (vgl. z. B. G. Hoffmann Syr. Akten pers. Märtyrer 64); entsprechende Formen bieten auch die byzantinischen Geschichtschreiber, zunächst, in der 1. Hälfte des 6. Jhdts., Prokop an den oben angeführten Stellen, dann, in der 1. Hälfte des 7. Jhdts., Theophylaktos Simokattes, der, in der Schilderung der Ereignisse am Ausgange der Regierung des Hormisdas (579 [347] bis 590) und am Anfange der des Chosroes II., viermal (IV 3, 13. 9, 1. 12, 10. 15, 1) τὸ Ἀδραβιγάνων erwähnt (von de Boor im Index seiner Ausgabe als Armeniae castellum bezeichnet, obgleich bereits St.-Martin zu den betreffenden Stellen von Lebeaus Histoire du Bas-Empire X 292. 302. 310 das richtige hat); und IV 10, 1 führt bei ihm der Kaukasus die Bezeichnung Ἀτραπαϊκὰ ὄρη, die durch ihre auffallende Übereinstimmung mit der von Faustus von Byzanz gebrauchten Form Atrpajakan bestimmt auf eine armenische Quelle hinweist. Von den byzantinischen Chronisten nennt Theophanes († um 817), unter dem J. 626 (ed. de Boor 316, 1), bei Gelegenheit des Chazareneinfalles in Persien, τὴν χώραν τοῦ Ἀδροϊγάν (codd. Ἀδροηγαν, Anastas. Adrahigae, de Boor Ἀδραϊγάν, wofür de Boor Ἀδραβιγάν (besser jedenfalls Ἀδροβιγάν) zu lesen vorschlägt; vielleicht weist aber die Lesart der Hss. auf eine zu Grunde liegende Form Âdhurbhâîghân, mit spirantischer Aussprache des b, und ist beizubehalten. Für die an der Spitze stehenden Stellen des Prokop wird bei der kritischen Bearbeitung seines Textes festzustellen zu sein, ob die handschriftliche Überlieferung nicht gestattet, anstatt Ἀδαρβιγάνων-Ἀδορβιγάνων zu lesen, was der persischen Aussprache näher kommen und mit der genauen Wiedergabe des ersten Bestandteiles des Wortes in dem Ἀδορβαδίγανον des Nikephoros und in Namen wie Ἀδορμαάνης (pers. Âdhurmâhân) bei Theophyl. Simok. III 10. 17 in Übereinstimmung stehen würde. In Bezug auf den Gebrauch des Namens Ἀδαρβιγᾶνα bei Prokop muss schliesslich der Ansicht G. Hofmanns (Syr. Akten pers. Märtyrer 252f. Anm.) gedacht werden, wonach der Name der Provinz für den ihrer Hauptstadt Ganzaka (s. u. Gazaka) stände, eine Auffassung, für welche zwingende Gründe jedoch nicht vorhanden sind.