RE:Calata comitia

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Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Versammlungen des röm. Volkes unter den pontifices zu sakralen Zwecken
Band III,1 (1897) S. 13301334
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Calata comitia hiessen in republicanischer Zeit diejenigen Versammlungen des römischen Volkes, welche unter Leitung der Pontifices zu sacralen Zwecken stattfanden. Das Wort calare (rufen), das diesen Versammlungen den Namen gegeben hat, mag ursprünglich weitere Anwendung gehabt haben (Fest. ep. p. 38 s. calatores); später hat es sich auf bestimmte technische Ausdrücke der Priestersprache beschränkt, während es in der Umgangs- und Amtssprache durch vocare verdrängt wurde, vgl. calendae, curia calabra, calator. Es ist daher wahrscheinlich, dass diese Versammlungen calata genannt wurden mit Rücksicht auf die ihnen eigentümliche Art der Berufung durch die Pontifices. Sie fanden sowohl nach Curien als nach Centurien statt; jene wurden durch einen lictor curiatius (diese Form bezeugen die Inschriften, bei Gellius steht curiatus) berufen, diese durch einen Hornisten. Gell. XV 27, 1. 2: in libro Laelii Felicis ad Q. Mucium primo scriptum est, Labeonem scribere, ,calata‘ comitia esse, quae pro collegio pontificum habentur aut regis aut flaminum inaugurandorum causa. Eorum autem alia esse curiata, alia centuriata. Curiata per lictorem curiatum calari, id est convocari, centuriata per cornicinem. Als Handlungen, welche in den C. c. stattfanden, nennt Labeo a. a. O. erstens die Inauguration des Königs und der drei Flamines (Dialis, Martialis, Quirinalis). Unter dem König kann für die republicanische Zeit nur der Rex sacrorum gemeint sein; wir dürfen aber daraus den Schluss ziehen, dass in monarchischer Zeit der König selbst in C. c. die Inauguration erhalten hat, mag er sich nun selbst inauguriert (Mommsen St.-R. II 9. III 307) oder durch den Augur die Weihe empfangen haben (Lange Röm. Altert. I³ 298). Die Versammlung nach Centurien bezog Mommsen früher (Röm. Forsch. I 273) auf die Weihung der Flamines des Mars und Quirinus, jetzt aber nur noch (St.-R. III 307, 1) auf die Weihung des Flamen Martialis, der sicher auf dem Marsfelde geweiht worden sei (Serv. Aen. VI 859 Quirinus est Mars, qui praeest paci et intra civitatem colitur: nam belli Mars extra civitatem templum habuit), Lange (Röm. Altert. I³ 400) auf die Verkündigung des Festkalenders, [1331] worüber unten, Huschke (D. röm. Jahr 181) auf die Inauguration des Rex. Alle diese Ansichten scheinen uns nicht genügend begründet. Es ist nicht unbedingt nötig, aus den Worten des Gellius, welche die Meinung des Labeo erst durch Vermittlung des Laelius Felix wiedergeben, den Schluss zu ziehen, dass sich das Volk in C. c. nach Centurien nur zu Inaugurationen versammelte, wie das Mommsen verlangt (St.-R. II 37, 4. III 307); vielmehr können diese Comitia auch bei einer der andern weiterhin zu besprechenden Gelegenheiten, die Gellius noch anführt, centuriata gewesen sein. Auch entbehrt es der Wahrscheinlichkeit, dass die Volksversammlungen bei der Weihung der Mitglieder desselben Priesteramtes verschieden angeordnet gewesen seien. Noch weniger ist freilich Langes Ansicht zu begreifen, wonach sich das Volk bei der Abrufung der Festtage nach Centurien versammelt hätte. Als fernere Handlungen, die in den C. c. vorgenommen wurden, bezeichnet Gellius (nach Laelius Felix, vgl. Huschke Iurispr. Anteiustin. Reliqu.⁵ p. 145) die sacrorum detestatio und die Errichtung von Testamenten (isdem comitiis, quae ,calata‘ appellari diximus, et sacrorum detestatio et testamenta fieri solebant). Ersteres bezieht sich sicherlich auf die Adrogation (so Mommsen Röm. Forsch. I 126; St.-R. III 38ff. und Lange Röm. Altert. I³ 132. 137. 178; dagegen Huschke D. röm. Jahr 182, 39 und Karlowa Rechtsgesch. II 97ff.). Wir verstehen unter detestatio sacrorum die feierliche Erklärung des in eine neue Familie aufzunehmenden Bürgers, dass er aus dem bisherigen sacralen Verbande austrete (Gai. Dig. L 16, 238, 1. Ulp. Dig. L 16, 40 pr.; hierauf bezieht Lange I³ 137 auch das ἐξόμνυσθαι bei Cass. Dio XXXVII 51, 1). Erst nachdem dies geschehen ist (Serv. Aen. II 156 consuetudo apud antiquos fuit, ut qui in familiam vel gentem transiret prius se abdicaret ab ea, in qua fuerat, et sic ab alia reciperetur), kann er sich durch feierliche Verpflichtung in die väterliche Gewalt eines andern Bürgers begeben. Auch dies geschah nach dem Zeugnis des Gellius in Curiatcomitien nach vorhergegangenem Beschluss der Pontifices, nicht aber in C. c. Gell. V 19, 5. 6 adrogationes non temere nec inexplorate committuntur: nam comitia arbitris pontificibus praebentur, quae curiata appellantur. Die Testamentserrichtung in C. c. bezeugen auch Gai. Inst. II 101. Ulp. Reg. 20, 2. Iust. Inst. II 10, 1. Theophil. ad h. l. p. 154 ed. Ferrini. Gaius sagt, die C. c. zur Errichtung von Testamenten hätten zweimal jährlich stattgefunden, und mit grosser Wahrscheinlichkeit hat Mommsen (Röm. Chronol.² 241; St.-R. III 319; beistimmend Lange Röm. Altert. III³ 399. Huschke D. röm. Jahr 179) vermutet, dass diese beiden Termine der 24. März und der 24. Mai gewesen seien, da zu diesen Tagen in den Fasten vermerkt wird Q. R. C. F. (quando rex comitiavit fas, vgl. Varro l. l. VI 31. Fest. ep. p. 259). Der Einspruch, den Herzog (Röm. Staatsverf. I 110) gegen diese schöne Vermutung erhebt, scheint uns nicht hinreichend begründet (vgl. auch Hirschfeld Herm. VIII 1873, 469ff., dessen Vorschlag bei Varro zu schreiben quod eo die rex sacrificolus litat übrigens von Jordan Topogr. I 1, 508, 32 wiederholt wird). Gestützt auf das [1332] Zeugnis des Varro (de l. l. VI 27 Primi dies mensium nominati Kalendae, quod his diebus calantur eius mensis Nonae a pontificibus, quintanae an septimanae sint futurae, in Capitolio in curia Calabra sic dicto quinquies [dictae quinque codd., emend. Turnebus] ,Kalo Iuno Covella‘, septies dicto [septem dictae codd.] ,Kalo Iuno Covella‘) und des Macrobius (sat. I 15, 10 Itaque sacrificio a rege et minore pontifice celebrato idem pontifex calata, id est vocata, in Capitolium plebe iuxta curiam Calabram, quae casae Romuli proxima est, quot numero dies a Kalendis ad Nonas superessent pronuntiabat, et quintanas quidem dicto quinquies verbo καλῶ, septimanas repetito septies praedicabat; vgl. Fast. Praenest. zum 1. Jan. CIL I² p. 231. Serv. Aen. VIII 654. Plut. quaest. Rom. 24. Lyd. de mens. III 7) nehmen die meisten (z. B. Lange Röm. Altert. I³ 362. 399, dieser freilich mit Vorbehalt, und Herzog Staatsverf. I 109ff.) an, dass an jedem ersten eines Monats C. c. stattfanden, in welchen von den Pontifices mitgeteilt wurde, ob die Nonen auf den fünften oder den siebenten Tag nach dem Kalender angesetzt seien, und dann noch einmal an den Nonen selbst, um vom Rex sacrorum die Daten der Feste des laufenden Monats verkündigen zu lassen. Dagegen bemerkt Mommsen (St.-R. II 39), dass nur an den Nonen eine Versammlung des Volkes stattfand, an den Kalenden dagegen die Abrufung der Nonen blos durch den Diener des Pontifex (pontifex minor nach Macrobius und den Fasti Praenestini; vgl. Liv. XXII 57, 3 sriba pontificis, quos nunc minores pontifices vocant) vorgenommen wurde und nur vorbereitend war. Indessen heisst es bei Varro a. a. O. calantur nonae a pontificibus, und wir können wohl auf die Ausflucht Langes (Röm. Altert. I³ 353) verzichten, dass die Verkündigung der Nonen erst nach Veröffentlichung des Kalenders durch Cn. Flavius 442 = 312 dem Pontifex minor übertragen worden sei. Ob aber jene Versammlungen an den Kalenden und Nonen wirklich C. c. waren, bleibt freilich zweifelhaft, da es aus den Worten des Macrobius (calata id est vocata in Capitolium plebs) und des Servius (Aen. VIII 654 ut ibi [in curia calabra] patres vel populus calarentur) nicht mit völliger Sicherheit hervorgeht, anderweitig aber nicht bezeugt ist. Doch spricht die Wahrscheinlichkeit dafür.

Mommsen nimmt ausserdem noch Mitwirkung der Curien und daher Beschlüsse der C. c. an 1) bei Constituierung der ausserhalb des Geschlechterrechtes stehenden Bürger zu einem neuen Geschlechtsverbande, 2) beim Ausheiraten einer Frau aus ihrem Geschlechte in ein anderes, 3) bei der Restitution des Geschlechtsrechtes an einen aus dem Bürgerverbande ausgeschiedenen und in denselben zurücktretenden Mann (St.-R. III 318ff.). Allein einerseits stützt sich diese Annahme auf Vorgänge, bei denen die Mitwirkung der Curien in comitiis calatis nicht ausdrücklich bezeugt ist (bei der Constituierung neuer Geschlechter wohl vornehmlich auf die Cooptation in patres des Attius Clausus, Liv. II 16, 5. Suet. Tib. 1, die Aufnahme albanischer Geschlechter, Liv. IV 4, 7, und der gentes minores, bei dem Ausheiraten auf die gentis enuptio, welche der Fecenia Hispalla im J. 568 = 186 durch Senatsschluss [1333] verliehen wurde, Liv. XXXIX 19, 5, bei der Restitution auf Camillus, der nach Liv. V 46, 10 comitiis curiatis revocatus de exilio iussu populi zum Dictator ernannt wurde). Andererseits hängt die Beantwortung dieser Frage von der weiteren ab, ob die C. c. überhaupt das Recht der Beschlussfassung gehabt haben oder nur assistierend gewesen sind. Das letztere nahm zuerst J. H. Dernburg an (Beiträge zur Gesch. des röm. Testaments I § 10—12 S. 53—78); es wurde ausführlich begründet von Rubino (Untersuch. 242ff.) und von fast allen Forschern (Lange Altert. I³ 398. Soltau, Huschke, Schiller) und Mommsen selbst (Röm. Forsch. I 126. 239. 270) als richtig anerkannt. Neuerdings hat jedoch Mommsen eine andere Ansicht ausgesprochen. Er sagt St.-R. II 37; ,Es sind darunter (unter den C. c.) begriffen teils alle bei der Inauguration zur blossen Assistenz berufenen Comitien, mögen sie die der Curien oder die der Centurien sein, teils alle beschlussfassenden Comitien der Curien, insonderheit diejenigen, aus denen das ursprüngliche Testament hervorging und die noch in historischer Zeit die Adrogation vollziehen.‘ Und ferner (III 318): ,Den beschliessenden Curiatcomitien, deren Leitung durchaus dem Oberpontifex zusteht und die daher wie die Inaugurationscomitien calata heissen, ist die Erteilung der folgenden Personalprivilegien vorbehalten u. s. w.‘ Diese Ansicht scheint uns unhaltbar. Denn bei den beiden Acten, zu welchen nach dem Zeugnis des Laelius Felix die C. c. berufen wurden, der Detestatio sacrorum und der Testamentserrichtung, ist nur die Rede von Zeugnisleistung, nicht von Beschlussfassung des versammelten Volkes. Zwar beziehen auch wir die Detestatio sacrorum mit Mommsen auf die Adrogation, betrachten aber Detestatio sacrorum und Adrogatio als zwei aufeinanderfolgende Acte, von denen wir nur den ersten in C. c. vollzogen werden lassen, den zweiten dagegen (mit Gell. V 19, 6) in Comitia curiata (oder wenn der Ausgeschiedene in ein plebeisches Haus übertrat, vielleicht in einer Versammlung der plebeischen Tribus, wie Herzog Röm. Staatsverf. I 1063 nach Cass. Dio XXXVII 51, 1 annimmt). Was das Testament betrifft, so behauptet zwar Mommsen (St.-R. II 38), es sei von der römischen Rechtswissenschaft seiner Rechtskraft nach nicht zu den Privatacten, sondern zu den Gesetzen gezählt und in allen seinen Consequenzen als solches behandelt worden; doch hat dieser Satz nicht allgemeine Anerkennung gefunden (vgl. z. B. Huschke D. röm. Jahr 182, 38. Hölder Ztschr. d. Savigny-Stiftg. XVI 1895, 236). Ausserdem sagt Laelius Felix ausdrücklich, das Testament werde errichtet calatis comitiis in contione, worauf schon Rubino aufmerksam macht (Untersuch. 244, 2; ebenso früher Mommsen Röm. Forsch. I 270, 3); denn contionem habere est verba facere ad populum sine ulla rogatione, wie Gellius (XIII 16, 3) sagt. Allerdings sucht Mommsen (St.-R. III 320) jetzt diesen Satz, den er früher selbst anerkannte, zu entkräften, indem er sich auf seine Darstellung des Verlaufes der Comitia beruft, wo er nachweise, dass die Contio ein integrierender Bestandteil der Comitia sei. Indes dort wird gerade gezeigt, dass die Contio die eigentlichen Comitia nur einleitete (St.-R. III 390). [1334] Waren die Comitia erst einmal zur Abstimmung, Beschlussfassung oder Wahl ordnungsmässig constituiert, so hörten sie auf, Contio zu sein.

In der Zeit, aus welcher unsere Nachrichten stammen, hatten die C. c. jegliche Bedeutung verloren. Es galt das Mancipationstestament (Gai. II 103), die Verkündigung des Festkalenders war überflüssig, seitdem Cn. Flavius den Kalender veröffentlicht hatte (450 = 304), und es dauerte nur noch die Inauguration der Flamines und des Rex sacrorum fort, die aber auf das öffentliche Leben ohne Einfluss war. v. Gruber Ztschr. f. Altertumswissenschaft IV 1837, 172ff.