10) Claudianus Mamertus, Presbyter zu Vienne, † um 474. Er war lange Zeit die rechte Hand seines älteren Bruders, des Bischofs Mamertus zu Vienne, der ihn überlebte, und unter den Vertretern der classischen Schule in Gallien als Mann von ungewöhnlich weiter und tiefer Bildung hoch angesehen. Gennadius de vir. ill. 83 erkennt seine rhetorische und philosophische Begabung an; geradezu enthusiastisch äussert sich Sidonius über den lebenden Freund und über den toten epist. IV 3. 11. V 2. Von diesem Sidonius angeregt, hat C. auch sein Hauptwerk verfasst, die drei Bücher de statu – Gennadius fügt bei: vel de substantia — animae, von einer Widmung an den Auftraggeber Sidonius begleitet. Die Abfassungszeit muss dicht vor 470 liegen; der Zweck des Buches ist gegenüber einer anonym erschienenen, grosses Aufsehen erregenden Epistel des Faustus von Reji, worin die Körperlichkeit alles
Geschaffenen, also auch der Seelen und der Engel behauptet wird, die Unkörperlichkeit der Seele zu erweisen. Ausserdem besitzen wir von C. noch zwei Briefe, einen an Sidonius (in dessen Briefsammlung IV 2) und an einen Lehrer der Rhetorik in Vienne, Sapaudus, letzterer interessant durch die Klagen des Verfassers über den Verfall der Bildung in seinem Zeitalter und sein entschiedenes Eintreten für das Studium der heidnischen Classiker, des Plautus, Cicero u. s. w. spretis novitiarum ratiuncularum puerilibus nugis. Die Sprache des C. ist keineswegs frei von
[2661] der Geziertheit des damaligen Gallicismus, und den gelernten Rhetor spürt man auch in seinen philosophischen Beweisführungen zu oft; aber in Form, Wortschatz und Gedanken zeichnet ihn eine gewisse Originalität und Kraft aus; er spielt nicht blos mit den Dingen, sondern hat sie gründlich studiert und sich — besonders vom Platonismus beeinflusst — eine eigene Meinung gebildet. S. M. Schulze Die Schrift d. Cl. M. de statu an. mit krit. Untersuch. 1883. De la Broise Mam. Claudiani vita eiusque doctrina de anima hominis, Diss. Paris 1890. A. Engelbrecht Untersuchungen über d. Sprache d. Cl. M. 1885. H. Rönsch Zur Kritik u. Erklärung des Cl. M., Ztschr. f. wiss. Theol. 1887, 480ff.; beste Ausgabe der Werke des C. von A. Engelbrecht im Corpus script. eccles. lat. Vindob. XI 1885.
Auch als Dichter lernen wir C. kennen durch das Lob, das Sidonius ep. IV 3, 8 einem hymnus von ihm spendet. Eine Interpolation in Gennad. 83 und eine Randbemerkung in einem Codex des C. saec. XII schreiben ihm das berühmte Lied Pange lingua gloriosi zu; dies kann aber nicht der von Sidonius gemeinte Hymnus sein, da er ausser der amoenitas poetica auch seine historica veritas hervorhebt, wonach es eine längere poetische Bearbeitung eines geschichtlichen Stoffes gewesen sein dürfte; auch ist durch einwandfreie Überlieferung Venantius Fortunatus als Verfasser jenes Passionsliedes gesichert. Andere Dichtungen, die gelegentlich unserem C. M. zugeschrieben worden sind, z. B. contra vanos poetas ad collegam, ein carmen paschale, laus Christi, sogar zwei kurze
griechische Epigramme εἰς τὸν σωτῆρα und εἰς τὸν δεσπότην Χριστόν sind sicher unecht oder doch höchst zweifelhaft: günstigsten Falls gehen sie auf einen anderen Träger des Namens C. — es scheint ja fast einen griechischen Dichter geistlicher Lieder Κλαυδιανός gegeben zu haben — zurück. Diese Gedichte s. bei Migne Patrolog. lat. LIII.