RE:Delphinion 3

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Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Tempel in Athen
Band IV,2 (1901) S. 25122513
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3) Tempel des Apollon Delphinios und der Artemis Delphinia in Athen (auch CIA III 939 wird nach der Ergänzung von Keil Sched. epigr. 17 Ἀπόλλωνι Δελφινίῳ καὶ Ἀρτέμιδι Δελφινίᾳ die Statue einer Priesterin geweiht); der Sage nach wurde diesen beiden Gottheiten von Aigeus nach seiner Heimkehr aus Delphi auch die Sühnstätte (s. u.) beim D. geweiht (Bekk. An. Gr. I 255, 19. Poll. VIII 119. Schol. Patm. zu Dem. XXIII 74 im Bull. hell. I 138). Aigeus ist auch sonst eng mit dem D. verknüpft; er soll selber hier gewohnt haben; eine Herme auf der Ostseite des D. trug noch den Namen ἐπ’ Αἰγέως πύλαις, und im D. selbst zeigte man eine umzäunte Stätte, wo er den für Theseus bestimmten Giftbecher vergossen hatte (Plut. Thes. 12). Ebenso spielt das D. öfters eine Rolle bei Theseus, der in Athen ankam, als dem Bau des D. noch das Dach fehlte (Paus. I 19, 1), hier den marathonischen Stier opferte (Plut. Thes. 14), vor seiner Ausfahrt zu dem kretischen Minotauros eben hier den Bittzweig niederlegte (Plut. Thes. 18) und endlich wiederum hier nach der Tötung der Pallantiden entsühnt wurde (s. u.).

Eine andere Stiftungslegende (Etym. M. 358, 57), die das D. von Kretern dem Apollon, der sie in Gestalt eines Delphins über das Meer geleitet, [2513] weihen lässt, ist nur Application der schon im Hom. hymn. 388ff. erzählten Sage von der Gründung des krissaeischen Apolloncultus (s. Preller-Robert Gr. Myth. I⁴ 257ff.) auf Athen.

Die Lage des D. im Osten der Stadt, nicht weit von der Aphrodite ‚in den Gärten‘ ist durch Pausanias (I 19, 1) bezeugt; denn trotz Aug. Schultz De Theseo (1874) 55 steht hier topographische Reihenfolge fest, vgl. Wachsmuth Jen. Litt.-Ztg. 1875 nr. 47 S. 829. Ganz irrig suchte Maass De Lenaeo et Delphinio (Gryph. 1891/2) XVI das D. auf dem Markte.

Dem seetüchtigen Gott galt das Fest Δελφίνια (s. d. Nr. 2), wahrscheinlich am 7. Munychion bei Wiedereröffnung der Schiffahrt begangen (Preller-Robert 260, 3), während zur Vorfeier am 6. eine Bitt- und Sühneprocession von Jungfrauen in das D. ging (Plut. Thes. 18; vgl. Mommsen Heortol. 387ff.; Feste der Stadt Athen 449ff., Schömann Gr. Alt. II³ 454ff.).

Im Zusammenhang mit Apollons Wirksamkeit als Entsühner ist ein beim D. gelegener Platz, natürlich unter freiem Himmel (Antiph. V 11. Arist. Ἀθ. πολ. 57, 4), als Sühn- und Gerichtsstätte für gerechte Tötung aufgekommen, τὸ ἐπὶ Δελφινίῳ δικαστήριον. Zum erstenmal soll sie in Kraft getreten sein bei Theseus selbst, der in gerechter Sache die Pallantiden (Paus. I 28, 10), nach andern (Etym. M. a. a. O.) die wilden Räuber Skeiron und Sinis (nach Pollux VIII 119 sowohl diese als jene) erschlagen hatte. Die Sühnung fand aber nur statt, wenn zuvor im Wege gerichtlichen Verfahrens das gesetzliche Recht des Totschlages erwiesen war: δίκαιος φόνος galt z. B. gegenüber dem in flagranti ertappten Ehebrecher oder bei dem Gegner im Kampfspiel, den man absichtslos umgebracht, und im Falle gerechter Notwehr (s. Gilbert Gr. Alt. I² 428f. Philippi Areopag u. Ephet. 55ff.). So fungiert das D. in der Liste der Blutgerichtshöfe bei Ps.-Demosth. XXIII 74 und Aristot. Ἀθ. πολ. 57, 3 (Hellad. bei Phot. bibl. 535 a 26. Hesych. s. δικαστήρια. Aelian. v. h. V 15); ferner im Schol. Patm. zu Ps. Demosth. a. a. O. Paus. I 28, 10. Pollux VIII 119; ausserdem Harpokr. [Suid.] s. ἐπὶ Δελφινίῳ. Etym. M. 358, 56. Unter dem Vorsitz des Archon Basileus (Arist. 57, 4) richteten hier erst die Epheten (Poll. VIII 125. Harpokr. [Suid.] s. ἐφέται; vgl. CIA I 61), später (nach 403/2) die gewöhnlichen (heliastischen) Richter (vgl. Philippi a. a. O. 320ff. Lipsius Att. Proc. I 175; bei Arist. 57, 4 ist zwar das Wort für die Richter nicht mehr zu lesen, jetzt nach Wilckens Lesung von Kaibel zu ἄνδρες ergänzt, doch führt der erhaltene Zusatz λαχόντες auf Heliasten).

Vielleicht fungierte Apollon nur als Eidesgott, wenn an dieser Stätte vor den Diaiteten feierliche Eide geschworen wurden (Isai. XII 9. Ps.-Demosth. XL 11); denn ob die Diaiteten hier wirklich richteten, bleibt sehr zweifelhaft (s. Lipsius Att. Proc. 173, 63). Als Heilgott endlich erscheint er in der Weihinschrift CIA III 138.