RE:Medicina Plinii

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Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Bezeichnung mehrerer volksmedizinischer Auszüge aus Plin. nat.
Band XV,1 (1931) S. 8185
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Medicina Plinii. Unter diesem Namen gehen mehrere volksmedizinische Auszüge aus der Naturalis historia des Plinius, deren Verhältnis untereinander sowie zur Naturalis historia von Val. Rose Herm. VIII 18–66 klargelegt wurde. Da die Bücher 20–27 der Naturalis historia hauptsächlich von der Verwendung der Pflanzen als Heilmittel, wenn auch untermischt mit botanischen Bemerkungen, handeln und ebenso die Bücher 28–32 die medizinisch verwendeten Tiere umfassen, lag es nahe, aus diesen Büchern einen kurz gefaßten Auszug zu praktischem Gebrauch zu fertigen. Ein solcher ist die sog. M. Pl. in 3 Büchern, welche Rose unter dem Titel Plinii Secundi iunioris de medicina libri tres, Leipzig 1875, zum erstenmal nach Cod. S. Gall. 752 (saec. X) und Cod. reg. Dresd. D. 185 (saec. XII) herausgab. Maßgebend für die Anordnung des Stoffes, der lediglich in der Angabe des Leidens und der dagegen anzuwendenden Mittel besteht (tituli et remedia IV 3), sind die Körperteile vom Kopf bis zu den Füßen. Es werden also in den beiden ersten Büchern, deren Trennung jedoch willkürlich ist und Zusammengehöriges zerreißt (I 23 und II 3 handeln von Brustkrankheiten), die Krankheiten der einzelnen Organe vom Kopfweh bis zum Podagra bzw. die jeweiligen remedia dagegen in knappster, einförmiger Aufzählung meist unter wörtlicher Anlehnung an Plinius behandelt. Für diese rein praktische Anordnung, die schon Galen. XII 498f. K. als unwissenschaftlich tadelt, da ja z. B. Kopfweh sehr verschiedenartige Ursachen haben, also nicht ein und dasselbe Mittel für alle Arten von Kopfschmerz wirksam sein kann, war das Vorbild zum Teil schon bei Plinius selbst gegeben, der mehrmals in seinen medizinischen Büchern den Stoff membratim d. h. nach einzelnen Organen geordnet behandelt (vgl. Plin. n. h. XXVI 107. XXVIII 149 in mala singula. Rose Herm. VIII 19) und dann die den ganzen Körper betreffenden Krankheiten anschließt. Genau so schließt sich in der M. Pl. an Buch I und II das 3. Buch (Mittel gegen Krankheiten des ganzen Körpers, Fieber, Hautkrankheiten, Geschwüre usw. sowie gegen Gifte) an. Kulturgeschichtliches Interesse gewinnt die Kompilation dadurch, daß der anonyme Verfasser in einer kurzen Einleitung den Zweck seiner Arbeit angibt. Da er und seine Familie auf Reisen bei Erkrankungen mit schwindelhaften Ärzten, die für ganz einfache Arzneien ungeheure Preise forderten oder nichts verstanden und die Patienten, um möglichst viel Geld zu verdienen, recht lange in Behandlung hielten, oft schlechte Erfahrungen gemacht hatten, will er ein Breviarium von Rezepten zusammenstellen, um es jederzeit zur Hand zu haben und von solch schwindelhaften, geldgierigen Ärzten unabhängig zu sein. Die Weglassung aller Rezepte für Frauen- und [82] Kinderkrankheiten, die bei Plinius gewöhnlich am Ende einer Krankheitsreihe stehen, erklärt Rose wohl richtig daraus, daß der Verfasser für Reisende schrieb. Die Bemerkung des Verfassers, er habe diese Rezepte ‚undique‘ gesammelt, muß, wenn sie nicht bloß eine Phrase oder ‚Ruhmredigkeit‘ (so nach dem Urteil von Schanz Gesch. der röm. Lit. IV I S. 201) sein soll, doch so aufgefaßt werden, daß der Verfasser außer Plinius, aus dem tatsächlich fast alles stammt, was er bringt, noch andere Autoren benutzt hat. Er führt auch wirklich etwa 12 größere Rezepte an, die sich bei Plinius nicht finden (vgl. Rose Herm. VIII 23ff.); ferner bringt er III 30 p. 102 ein Rezept (sinapis alexandri usw.), das zwar bei Plin. n. h. XX 240, jedoch in kürzerer Fassung steht. Auch die gute Beschreibung der Spitzmaus (mus araneus) p. 108f. stammt nicht aus Plinius (s. Art. Spitzmaus). Möglicherweise ist auch manche andere Bemerkung, welche wir jetzt als plinianisches Gut erkennen, dem Verfasser aus einer Mittelquelle zugeflossen, die ihrerseits wieder auf Plinius zurückgeht, ohne daß dies dem Verfasser bewußt war, wie ja auch Plinius selbst vielfach aristotelisches Gut aus Mittelquellen schöpfte ohne zu wissen, daß es sich um solches handelt. Beachtet man noch einige andere kleine Zusätze, wie Angabe eines Maßes, das an der Parallelstelle bei Plinius nicht steht, Angabe eines Instrumentes oder sonstige nähere Anweisungen und Begründungen (vgl. Rose 32), so wird man dem Verfasser wohl zubilligen müssen, daß er sein Breviarium mit einer gewissen Selbständigkeit und Sachkenntnis gefertigt und die Rezepte auch praktisch erprobt hat.

Der Stil ist trocken, einförmig, sachlich und sichtlich vom Stil des Plinius beeinflußt, den der Verfasser auch in gelegentlichen moralisierenden Bemerkungen nachzuahmen sucht, so I 5, wo er die Sitte des Haarfärbens verurteilt, und III 32 im Kapitel von den Enthaarungsmitteln oder in scharfen Seitenhieben gegen die Ärzte, wie I 25 p. 40 (ego certe scio usw.). Andererseits ist er, da es ihm vor allem um Deutlichkeit zu tun ist, bemüht, die oft mehr als knappen und durch die Häufung der Partizipialkonstruktionen oft dunklen Sätze des Plinius dadurch klar wiederzugeben, daß er sie in kurze Hauptsätze, die meist asyndetisch aneinandergereiht sind, zerlegt (Beispiele bei Rose 28). Gröbere Mißverständnisse sind nicht häufig. Der von Rose 29 ausgesprochene Tadel wegen der vermeintlich falschen Abteilung des Satzes fluentem capillum continet leporinus cinis cum oleo myrteo I 4 p. 15, 11 = Plin. n. h. XXVIII 166 wäre nur berechtigt, wenn die Abteilung des Satzes bei Sillig, der die Lesart contineri aufgenommen hat und vor leporinus cinis einen Punkt setzt, gesichert wäre. Da aber Jan-Mayhoff mit den besten Handschriften V und R continet lesen und unter Berufung auf diese Stelle der M. Pl. auch an der Pliniusstelle diese Abteilung des Satzes aufnahmen, kann die Abteilung in der M. Pl. nicht als unrichtig bezeichnet werden. Auch sonst ist die M. Pl. für die heutige Textgestaltung der Naturalis historia oft von Einfluß gewesen.

Als Entstehungszeit der M. Pl. gibt Rose 35 die J. 300 bis 350 an, eine Festsetzung, die abgesehen [83] von sprachlichen Kennzeichen (Präposition de statt Genetiv, intellectum est quod, Form der Pflanzennamen z. B. ebiscum für hibiscum, vgl. Index der Ausgabe von Rose), welche auf den Spätlateiner deuten, besonders wegen der Benützung der M. Pl. durch Marcellus Empiricus, der um 400 unter Theodosius schrieb, sehr wahrscheinlich ist. Marcellus, der mit seinem liber de medicamentis einen ähnlichen Zweck verfolgte wie der Verfasser der M. Pl., hat als erster die M. Pl. ausgiebig benutzt. (Wäre es erwiesen, daß, wie J. Keese Quomodo Serenus Sammonicus a medicina Pliniana ipsoque Plinio pendeat [Rostock 1896] darzulegen versucht, bereits Serenus, dessen Lebenszeit, freilich nicht mit Sicherheit, in den Anfang des 3. Jhdts. gesetzt wird (vgl. Schanz Gesch. d. röm. Lit. III³ 29. Teuffel Gesch. d. röm. Lit. III⁶ 167), aus der M. Pl. geschöpft hat, so könnte der Ansatz von Rose nicht aufrecht erhalten werden. Allein der Nachweis, daß Serenus die M. Pl. und zwar in einer älteren, vollständigen Fassung als die uns jetzt bekannte benützt habe, ist Keese nicht gelungen; vgl. Teuffel 238f. Liechtenhan Sprachl. Bemerkungen zu Marcellus Empiricus, Basel 1917, p. 19.). Auf Marcellus, der in der Vorrede unter seinen Quellen zwei Autoren namens Plinius (uterque Plinius) nennt, von denen der eine nur der Verfasser der Naturalis historia, der andere nur der Verfasser der M. Pl. sein kann, geht der Name der M. Pl. und die Zuweisung des Werkes an einen Plinius iunior zurück. In seiner Vorrede gibt Marcellus die Einleitung zur M. Pl. als ‚Epistula Plinii Secundi ad amicos de medicina‘ wörtlich wieder und übernimmt auch die meisten der oben erwähnten Compositiones, die in der M. Pl. nicht aus Plinius stammen. Der Conspectus fontium et testimoniorum S. 350–364 in der neuen Marcellusausgabe von Max Niedermann (Corpus med. lat. Vol. V [1916] Teubner) ermöglicht eine bequeme Vergleichung der aus der M. Pl. stammenden Stellen. Nach Niedermanns Meinung gehen jene nicht aus Plinius stammenden Compositiones vielleicht auf Marcellus, den Arzt des Kaisers Nero, zurück, den Marcell. XX 84 als Quelle nennt: hoc est oxyporium, quod Nero utebatur ad digestionem, quod Marcellus medicus egregius ostendit; vgl. XXX 51. Ferner hat Ps.-Theodorus die M. Pl. benützt, vgl. Niedermann a. a. O. XXVIIf. (Das gegenteilige Ergebnis der Dissertation von J. Fahney De Pseudotheodori additamentis, Münster 1913, wird von Niedermann abgelehnt) und wahrscheinlich auch Ps. Apuleius (vgl. Niedermann XXIIf. Rose Herm. VIII 36f. Wellmann o. Bd. V S. 1135).

Das unter dem Namen des Plinius gehende Breviarium, der sog. Plinius iunior, hat nun, wie Rose dargelegt hat, im 6. oder 7. Jhdt. vermutlich durch einen Kompilator germanischen Stammes eine starke Umarbeitung und Erweiterung durch Zusätze aus anderen medizinischen Autoren erfahren, so daß daraus ‚gleichsam eine zweite und völlig umgearbeitete Auflage‘ wurde, die nach Rose bereits in einer Bamberger Handschrift des 9. Jhdts. (Cod. L. III 8) als Plinius zitiert wird. Diese ‚zweite Auflage‘, in der das ursprüngliche [84] Breviarium zwar enthalten ist, aber entstellt, zerstückelt und zerstreut, hat nun Th. Pighinucci im J. 1509 unter dem Titel Medicinae Plinianae libri V (so lautet der Titel bei Meyer Gesch. d. Botanik II 398, während Rose 39 C. Plinii Secundi medicina und Niedermann XXIX Plinius de re medica als Titel angeben) zu Rom herausgegeben. Diese M. Pl. geht seither unter dem falschen Namen Plinius Valerianus, nachdem bald nach dem Erscheinen des Buches Paulus Iovius in seinem libellus de piscibus Romanis (Rom 1524) eine in Como aufgefundene Grabinschrift des im Alter von 22 Jahren verstorbenen Arztes Plinius Valerianus (D. m. C. Plinii Valeriani medici, qui vixit ann. XXII m. VI d. V parentes, vgl. CIL V n. 5317), ohne weiteres auf den Verfasser der M. Pl. bezog und den Plinius Valerianus als den anderen der von Marcellus (uterque Plinius) genannten Plinii erklärte.

Obwohl dieser Arzt Plinius Valerianus mit der Ausgabe des Pighinucci gar nichts zu tun hat, wird der Name auch heute noch (so im Autorenverzeichnis des Thes. 1. 1.) beibehalten, um die Ausgabe des Pighinucci von der ursprünglichen M. Pl. aus dem 4. Jhdt. zu unterscheiden.

Die Bezeichnung M. Pl. für Pighinuccis Ausgabe trifft freilich nur für die ersten 3 Bücher zu; denn das 4. und 5. Buch hat, wie zuerst Rose Anecd. graeca et graecolatina II 107ff. erkannte, gar keine Beziehung zu den ersten 3 Büchern, sondern das 4. Buch ist ein wörtlicher Auszug der medicinae aus Gargilius Martialis und das 5. Buch ein ebensolcher Auszug aus einer alten lateinischen Übersetzung des Alexander von Tralles. Beide Bücher stehen in manchen Hss. ohne Zusammenhang hinter der alten M. Pl. meistens als einzelne Bücher mit oder ohne Autorennamen. Erst Pighinucci hat sie als Buch IV und V mit der M. Pl. verbunden und zwar nicht mit der ursprünglichen, als deren Begleiter sie in den Hss. auftreten, sondern mit jener zweiten, erweiterten Auflage. Da Meyer Gesch. d. Botanik II 402ff. diesen Zusammenhang nicht erkannte und die 5 Bücher für das Werk eines Autors hielt, kam er natürlich namentlich in der Zeitbestimmung zu falschen Urteilen, ebenso wie seine Vorgänger Sperling und Güntz (vgl. Meyer 401f. Rose Herm. VIII 61f.). Den großen Unterschied zwischen der ursprünglichen M. Pl. und den 3 ersten Büchern der römischen Ausgabe des Pighinucci zeigt ein Vergleich des von Meyer 406ff. gegebenen Verzeichnisses der in der römischen Ausgabe vorkommenden, seltenen Pflanzennamen mit dem Pflanzenbestand der ursprünglichen M. Pl. Nur ganz wenige Pflanzennamen sind beiden gemeinsam; die weitaus meisten Namen der römischen Ausgabe kannte die alte M. Pl. nicht. Viele davon sind wohl schon in den Hss. und auch durch Druckfehler der römischen Ausgabe, von denen dieses unkritische Werk voll ist, so verstümmelt, daß sie nicht zu deuten sind, andere mögen, wie Meyer meint, ihren Ursprung im Arabischen oder Keltischen haben; sicher sind auch verschiedene germanische Pflanzennamen darunter.

Die römische Ausgabe von 1509, der anscheinend [85] bald zwei Abdrucke (zu Bologna und Paris) folgten (vgl. Rose Herm. VIII 60), erschien dann wieder als Teil der Sammlung des Albanus Torinus De re medica, Basel 1528, unter dem Titel C. Plinii Secundi de re medica libri V, in der einerseits Fehler der Ausgabe von 1509 verbessert sind, anderseits aber durch verkehrte Benutzung eines Codex vetustus der ursprünglichen M. Pl. eine solche Verwirrung und Vermischung von zwei ganz verschiedenen Werken entstand, daß, wie Rose sagt, diese Baseler Ausgabe für jeden selbständigen kritischen und geschichtlichen Gebrauch ausscheidet (vgl. Meyer a. O. 398f. Kühn Opuscula academ. II 239ff.). Diese M. Pl., d. h. die Ausgabe von Pighinucci sowie die von Torinus, also der sog. Plinius Valerianus ist seither nicht mehr gedruckt worden; denn die von Rose herausgegebene M. Pl., der sog. Plinius iunior, ist von jenem ganz verschieden.

Literatur: Rose Herm. VIII 18–66; Anecdota graeca et graecolat. II [1870] 106ff. Meyer Gesch. d. Botanik II 398–412. A. Köhler Herm. XVIII 382ff. (über die Hss. der M. Pl.). Detlefsen Jenaer Literaturzeitung 1876 S. 104 (über die Ausgabe des Pighinucci). C. Paucker Emendationes in Plin. Valeriano, Mélanges gr. rom. III [1873] S. 589. Teuffel Gesch. d. röm. Lit. III⁶ 238f. Schanz Gesch. d. röm. Lit. IV, 1 S. 201f.