Rehfues über die Anfänge seiner administrativen Thätigkeit in den preussischen Rheinlanden
[449] Rehfues über die Anfänge seiner administrativen Thätigkeit in den preussischen Rheinlanden. Zu den Männern, welche nach der Wendung des Jahres 1813 in Württemberg frühzeitig für [450] die deutsche Sache eintraten, gehörte der Tübinger Philipp Joseph Rehfues[1], der schon damals als Reiseschriftsteller einen geachteten Namen hatte und die Stelle eines Bibliothekars des Kronprinzen Wilhelm bekleidete. Seine beiden „Reden an das deutsche Volk“ lenkten u. a. die Aufmerksamkeit des Ministers v. Stein auf ihn, und durch dessen Verwendung kam er an den Rhein, zunächst in die kaiserlich russische Verwaltung. – Ueber die Erlebnisse der nächsten Jahre gibt der hier mitgetheilte Brief an einen seiner vertrautesten Freunde, den hochverdienten schweizerischen Staatsmann und Bürgermeister von Chur, Joh. Friedr. v. Tscharner[2], erwünschte Aufschlüsse. Nicht bloss für Entwicklungsgang und Charakteristik des später berühmt gewordenen Mannes, sondern auch für die allgemeinen Zustände der Rheinprovinz nach dem Uebergang derselben an die Krone Preussen dürfte derselbe von Interesse sein.
Vom 4. Mai 1823 aus Bonn datirt, lautet er, wie folgt:
„Meine Reden an das deutsche Volk eröffneten mir, wie Sie wissen, zuerst diese neue Laufbahn, an die ich wirklich nie gedacht hatte, da ich mein Leben dem Fürsten zu widmen gedachte, den ich 1805 in Neapel kennen gelernt habe[3] und in dessen förmliche Dienste ich 1806 getreten war. Da ich bey dem alten König einzig und allein wegen meines Verhältnisses zu seinem Sohn in Ungnade war, und es denn doch zu den möglichen Dingen gehörte, dass diesen im Jahre 1814 eine Kugel traf, so suchte ich mir eine vorläufige Stellung bey der provisorischen Regierung am Rhein zu gewinnen. Ich ging 1814 als General-Gouvernements-Rath zu Grunern nach Coblenz[4], wurde aber nicht gut aufgenommen, da ich nicht von ihm gewählt worden war. Er war froh mich nach einigen Wochen auf die Kreisdirection nach Bonn zu entladen[5], eine Stelle, die ich annahm, weil ich mir
[451] einmal zum Lebensgrundsatz gemacht habe, vor keiner Wirksamkeit, die durch feste Principien, Thätigkeit und Umsicht zu bemeistern ist, zurückzuschrecken. So trat ich in die practische Verwaltung ein, ohne dass ich – ich will es nicht leugnen – einen klaren Begriff von Verwaltung überhaupt und noch weniger von meiner Function hatte. Dennoch ging es leicht und schnell. Ich fand ein gutgeschultes Bureau, das nur in der Aengstlichkeit, Pedanterie und Gemüthlosigkeit meines Vorgängers[6] erstickt war, von dem Sie sich aus folgendem Zug das ganze Bild entwerfen können.
Er war angewiesen und ich bat ihn sehr darum, mir in den ersten Zeiten durch Rath und Erfahrung an die Hand zu gehen. Als ich daher installirt war, arbeitete er mit mir, indem ich in seiner Gegenwart die eingegangenen Dienstpapiere erbrach und mit ihm las. Der ganze Unterricht, der mir dabey wurde, bestand darin, dass er die weissgebliebenen Blätter der Papiere abriss, hübsch auf ein Häufchen ordnete und mich versicherte, dass diese zur Ersparung der Kanzleikosten zu neuen Ausfertigungen gebraucht werden könnten. An dieser Lection hatte ich genug und so suchte ich mir denn selbst zu helfen; wobey geraume Zeit meine Hauptkunst darin bestand, meine Unwissenheit zu verbergen und keine Blössen zu geben. Indess war durch den Umschwung der Dinge alles aus dem gewöhnlichen Geleise herausgetreten, und täglich bildeten sich neue Verhältnisse, die mit den Mitteln der Routine nicht zu überwinden waren. Menschenkenntniss, allgemeiner Takt, Besonnenheit, Muth und Entschlossenheit mussten hier das Meiste thun. An allem diesem fehlte es nicht, wie ich wohl sagen darf; denn meine Verwaltung nahm gleich einen ungewöhnlichen Schwung, der mich vor allen meinen Collegen auszeichnete. [452] Ich wurde wirklich meinen 94 000 Administrirten sehr nützlich, gewann schnell Liebe und Zutrauen und bei alledem die unbedingteste Zufriedenheit der Vorgesetzten, wovon Belobungen und Gratificationen aller Art Zeugniss gaben.
Sie können denken, dass ich durch diesen Erfolg meine Function lieb gewann, so dass schnell der Entschluss bei mir reifte, nie mehr in das bloss wissenschaftliche Leben zurückzutreten, das mich bei meinem Prinzen erwartete. Dennoch waren meine Gedanken noch auf das Vaterland gerichtet, wo in den Landvogteyen ähnliche Stellen waren, wie meine hiesige. Ein Zug meines Prinzen endigte auch diesen Plan. Ich hatte meine Besoldung von ihm hier fortbezogen, und es schien, dass ich sie als Pension behalten sollte, bis er die Regierung antreten und mich dann besser versorgt haben würde.
Er kam Ende 1814 aus England zurück und hielt sich 10–12 Tage in Cöln auf. Ich wartete ihm mehrere Male da auf, wurde immer mit dem ausgezeichnetsten Zutrauen behandelt und erhielt die Zusage, dass er hier bei mir absteigen würde. Er kam; ich liess ihn als einen der Helden von 1814[7] mit einer Feyerlichkeit empfangen, die ihm noch nie zu Theil geworden war, und er schien höchlichst vergnügt und zufrieden. Beim Abschied gab er mir zu verstehen, dass ich eine Reise nach Italien mit ihm machen müsste; worauf ich nichts erwiederte, weil ich zu dem blossen Hofleben nicht zurückkehren wollte. Nach acht Tagen schrieb mir der Obrist-Hofmeister, dass das erste Geschäft des Prinzen nach seiner Ankunft gewesen sey, meine Besoldung zu streichen. Diese Erfahrung war etwas stark. Sie entfremdete mein Herz zuerst von ihm; doch reifte alles erst durch einen zweyten Zug, der sich einige Jahre später ergab, und den Sie weiter unten lesen werden.
Der 1815 wieder ausgebrochene Krieg beschleunigte die Besitz-Ergreifung dieser Provinzen. Die Huldigung geschah in den gefährlichsten Momenten. Ich musste mithuldigen oder meinen Abschied zu einer Zeit nehmen, die mich mit Offizieren, die beim Ausbrechen der Schlacht abdanken, auf dieselbe Linie stellte. Ich huldigte also, nahm meine Entlassung aus dem früheren Dienst-Verhältniss und erhielt selbst die Erlaubniss des alten Königs von Württemberg zum Uebergang in preussische Staats-Dienste. Kaum war die Schlacht bei Belle Alliance gewonnen, so warb mich Gruner, der zum Preuss. General-Gouverneur aller durch Preussen in Frankreich occupierten Provinzen bestimmt war, an, um als Gen.-Gouvernements-Commissär mit ihm nach Frankreich zu gehen. Meine hiesige Stelle wurde mir [453] dabey vorbehalten, und ich kam wenige Tage nach der Einnahme von Paris daselbst an.
Hier hatte sich jedoch schon alles geändert. Gruner fand Schwierigkeiten, sein Gouvernement zu erhalten, und wollte sich nicht unter den neu-ernannten Armeeminister Hrn. von Altenstein stellen lassen. Er kam nicht in Thätigkeit und wurde später mit einer Art von Policei-Direction über Paris abgefertigt. Ich wurde also Hrn. von Altenstein abgetreten, aber mit mir noch manche Andere, und Gruner, der immer eine Menge Gesindels um sich hatte, war eben nicht der Mann, dessen Wahl Zutrauen einflösste. So war ich mehrere Monate in Paris, ohne zu wissen, was aus mir werden sollte, und mehreremale versucht, auf meinen hiesigen Posten zurückzukehren. Die Vorsehung wendete es anders und besser. Hr. von Altenstein fasste Zutrauen, ja selbst Neigung zu mir, und ich trat unter ihm als Gen.-Gouv.-Commissär in Function. Darüber war aber so viel Zeit vergangen, dass der Frieden herbeikam, ehe ich noch recht meines Postens mich bemächtigt hatte. Indess war geschehen, was die Umstände erlaubten, und man war zufrieden mit mir. Ich hatte durch diese Excursion das Bedeutendste an Menschen und Dingen in der Nähe gesehen und selbst meinem Prinzen, der damals in Paris war, einige Dienste leisten können. Der Hauptgewinn aber war, wie die Zukunft erwiesen, die Bekanntschaft mit Hrn. von Altenstein gewesen.
Ich kehrte nach dem Frieden wieder auf meine hiesige Stelle zurück, hielt mich stille und meldete mich bei den angefangenen Organisationsarbeiten dieser neuen Preuss. Provinzen zu nichts. Ich verlies mich vollkommen auf den guten Ruf meiner Verwaltung. In diesem Vertrauen fand ich mich aber bald getäuscht. In die Organisations-Arbeiten traten schnell ganz fremde Männer ein, welche das Beamten-Personal nicht kannten und mit den grössten Vorurtheilen gegen dasselbe erfüllt waren. Sie waren nicht ganz ohne gute Gründe, denn 1814 waren fast alle bedeutende Stellen neu besetzt worden und im Durchschnitt die grössten Missgriffe dabey geschehen[8]. Unter meinen Collegen waren die meisten recht eigentliche enfants perdus; es war kein Wunder, dass ich, als Ausländer, mit ihnen in die nämliche Classe geworfen wurde und ihr Schicksal theilte.
Plötzlich (Mai 1816) trat die neue Verwaltung ins Leben, und [454] aus meinem Kreise wurden vier landräthliche Kreise[9] dotirt. Ich war ganz vergessen und musste meine Functionen abgeben. Aber kaum war es geschehen, so wurde das Bedauern darüber allgemein, und selbst die beyden Regierungen in Coblenz und Cöln, zwischen welche mein Kreis getheilt worden war, fühlten diess und übertrugen mir, um mich nicht geschäfts- und besoldungslos zu machen, das Liquidations-Geschäft mit Frankreich.
In dieser Function, die ich bis 1819 fortsetzte, liquidirte ich sechs Millionen Franken für meinen alten Kreis Bonn. Sie können denken, welch eine Freude dieses Rechnungs-Geschäft für mich sein konnte. Dennoch wurde ich nicht müde; denn es war für meine ehemaligen Administrirten, die ich wie meine Kinder lieb gewonnen hatte. Dabey hiess von Zeit zu Zeit, dass ich bey einer rhein. Regierung als Rath eintreten sollte. Ich that nichts dafür, weil mir eine solche Stelle nicht behagte, und ich sie nur im Nothfalle angenommen haben würde. Da ich nicht trieb, so wurde auch nichts aus der Sache. Indessen war dieses gleichfalls zu meinem Besten gewesen, wie Sie bald sehen werden.
Kaum war ich verheirathet, so trat die Hungersnoth von 1817 ein. Bei solchen Calamitäten sucht man die Männer, die sich unter schwierigen Umständen zu helfen wissen. Ich hatte schon ein Jahr früher mehrere hohe Behörden vergebens auf die Annäherung des Unglücks aufmerksam gemacht und hatte wie natürlich tauben Ohren gepredigt. Als der Jammer da war, erinnerte man sich meiner, und [455] so wurde mir die Leitung des Verproviantirungs-Geschäfts der Provinz Niederrhein übertragen. Diese Arbeit ist nicht die kleinste meines Lebens gewesen und dennoch besser als die übrigen gelungen. Ich sage nichts von den Belobungen, die ich erhalten. Niemand, als ich selbst, konnte die Schwierigkeiten ermessen, welche ich zu überwinden hatte. Dem Freund darf ich es bekennen, dass ich in diesem Geschäft alles geleistet habe, was nur immer möglich war. Wäre ich ein halbes Jahr früher dazu berufen worden, ich hätte wahrlich das meiste Unglück verhindert. Ich erprobte diessmal wieder, dass das Höchste durch schnellen, vorurtheilsfreyen Blick und unermüdete Thätigkeit fast immer errungen wird. Den bloss routinirten Geschäftsleuten, wie vorzüglich sie in ihrer Art auch seyn mögen, gelingt selten eine Stellung, die sie erst selbst machen sollen. – Indess trug auch diese Arbeit nichts zu meiner Förderung im Dienst bey. Ich erhielt Belobungen; aber diese waren von Behörden, welche wohl selbst keines grossen Credits genossen. Unterdess war in diesem ganzen Geschäft soviel durch – zum wenigsten gesagt Ungeschicklichkeit verdorben worden, dass Niemand gern davon sprechen wollte[10].
Ich kehrte also von Cöln nach Bonn zurück, fuhr fort zu liquidiren und studirte die französische Militär-Administration, da ich auf einen Posten der Art in unserer Kriegs-Verwaltung visirte. In dieser Arbeit traf mich eine mir ganz unerwartete Function im Sommer 1818. Die längst angekündigte rheinische Univ. sollte in’s Leben treten. Sie sollte in Bonn gegründet werden, das ich zuerst schon 1814 auf offic. Wege dafür in Antrag gebracht und seither wiederholt in Anregung erhalten hatte. Der Oberpräsident der Provinz Grf. zu Solms-Laubach in Cöln wurde zum Curator ernannt und ich ihm unter dem Nahmen Localcommissar als Organisations-Gehülfe beigegeben. Ich empfand hier zum erstenmal die nachdrückliche Wirkung des Zutrauens, welches mir Hr. von Altenstein geschenkt, der vor Kurzem zum Cultusminister ernannt worden war.
Dieses Dienstverhältniss hatte die sehr unangenehme Seite, dass Niemand es recht zu nehmen wusste, und der Gf. zu Solms in mir einen überlästigen Beobachter zu haben glaubte. Meine Ansichten waren selten die seinigen, ob er gleich häufig darauf einging. Die Sachen dauerten indess nicht lange genug, um zu einem unangenehmen Bruch zu kommen. Im Jahr darauf erfolgten die bekannten Bundestags-Beschlüsse, und der König übertrug mir das Curatorium der Universität mit der neu creirten Stellung eines auss. Reg.-Bevollmächtigten und der Ernennung zum Geheimen Regierungsrath. [456] Der Schluss von 1819 und die nächsten Jahre darauf waren schwere Zeiten für mich. Mit grösserem Hass ist wohl nie eine Function empfangen worden, als die meinige. Der Zeit-Geist überhaupt hatte fast Lust, sie zu ächten; für mich aber kam noch dazu, dass die höhere Beamten-Welt und die Universität selbst mich für einen Glückpilz ansahen, welcher durch Spionen-Künste emporgeschossen seyn müsste. Auf allen Seiten thürmten sich mir Hass und Verläumdung entgegen; vielen schien mein Leben selbst in äusserster Gefahr, da ich jede Sicherheits-Massregel für mich verschmähte. Wahrhaft wüthend waren die Professoren selbst, die es der Regierung nicht verzeihen konnten, dass man einem Mann von hoher Geburt und aus den ersten Staats-Functionen das Curatorium abgenommen und einem Beamten gegeben hatte, der aus dem Stande der Gelehrten selbst hervorgegangen war. Sie werden diess komisch finden, wenn Sie bedenken, dass meine Stellung gegen die Nivellations-Principien gerichtet war, welche man auf Universitäten heimisch glaubte.
Nie in meinem Leben ist mir ein so reiches Feld geworden, um das schwerste christliche Gebot, den Feinden nicht nur zu verzeihen, sondern Böses durch Gutes zu erwiedern, zu erfüllen. Ich bin vielfach und schwer gereitzt worden; aber ich kann vor Gott bekennen, dass ich allen meinen Feinden genützt und keinem geschadet habe – so viele Gelegenheit, selbst Versuchung, ja vielleicht auch Recht ich dazu hatte. Das Resultat war nicht unbelohnend. Ich habe dieses Geschlecht gezwungen, mich wenigstens zu achten. Selbst ihre Liebe hätte ich haben können; aber es war nicht der Mühe werth in meinen Augen, darnach zu streben. Ich hätte in dem Gelehrten ganz den Menschen vergessen müssen, und dazu hatte ich keine Lust. Wo sich nicht beyde in gleichem Werthe vereinigen – was so wunderselten ist – muss ich meine Achtung zurückhalten; denn es ist in der That keine grosse Aufgabe, ein ausgezeichneter Gelehrter zu werden. Es erfordert nur Zeit, nicht einmal grosses Talent[11]. Ueberdiess lernt man, wenn man täglich unter mehreren Dutzenden derselben ist, bald einsehen, dass die Herren der Wissenschaft nicht mehr auf den deutschen Universitäten sind[12]. Es ist alles Mittelgut, alles Einseitigkeit, alles Gelehrsamkeit aus der zweyten Hand, nicht mehr aus der Quelle geschöpft[13]. [457] Indem ich nun in meinem öffentlichen Leben auf einem Puncte stehe, welcher meinen Ehrgeiz für die Vergangenheit wohl befriedigen und für die Zukunft reitzen könnte, habe ich auch in jeder andern Rücksicht Ursache zufrieden zu seyn. Wenn das Glück aber auch viel für mich gethan hat, so ist mir doch nicht alles im Schlafe geworden, und in der obigen Skizze der letzten acht Jahre liegen manche herbe Zeiten, während deren ich wahrlich nicht auf Rosen geschlafen habe und die die Concentration aller meiner Kräfte oft auf eine fiebrische Weise bewirkten und erforderten. Ich habe viel über Leben, Menschen, über menschliche und politische Verhältnisse erfahren und eine gewisse Uebung für die Leitung schwieriger Verhältnisse erlangt. Es haben sich auch manche allgemeine Grundsätze ausgebildet, – jedoch weniger der Zahl nach, als Sie vielleicht glauben; denn von Zeit zu Zeit müssen welche wieder verabschiedet werden. Ein grosses Glück aber nenn’ ich in Vergleichung mit dem, was Sie mir über Ihr Leben sagen[14], dass ich eigentlich noch keine schwere Erfahrung in Liebe und Vertrauen, das ich verschenkt und welches mit Undank erwiedert worden wäre, gemacht habe. Vielleicht ist diess auch der Grund, warum ich es wahrhaft unmöglich finde, Andern nicht nützlich zu seyn, wenn man die Gelegenheit dazu hat. Freylich rechne ich nie auf Dank; denke überhaupt auch nicht mehr daran, so wie Jemand geholfen ist; aber ich habe die Lust an den Menschen doch auch in den einzelnen Fällen nicht verloren, da Solche, denen ich für Stein Brot gegeben hatte, mich verläumdeten.
Als ich im Jahre 1817 in den Honigmonaten meiner Ehe stand, wurde mir das Liquidiren mit Frankreich einmal plötzlich zu langweilig[15], und ich mahlte mir den Gedanken aus, wie hübsch es wäre, wenn ich mit meiner Frau in Rom leben könnte. Da mich um diese Zeit noch nichts an Preussen fesselte, so schrieb ich an den König [458] von W. und bot mich ihm zu seinem Geschäftsträger in Rom an, im Fall er einen solchen dahin schicken werde. Sie müssen dabey bemerken, dass er seit seiner Thronbesteigung[16] mir geschrieben, sogar einmal ein Gutachten über eine wichtige Sache von mir gefordert und nur meine Bitte um Rücktritt in seine Dienste zu erwarten geschienen hatte. Ich erhielt zur Antwort, dass man keine Veranlassung hätte, einen diplom. Agenten dahin abzuordnen. Diess war denkbar. Aber dass drei Wochen nachher ein Andrer als Geschäftsträger zu Rom ernannt wurde, ein Mann, jünger als ich, ohne Geburt und Auszeichnung, der um diese Zeit nicht einmal in Württemb. Diensten war, und der früher einmal beym alten König gedient hatte, jedoch später als ich in des jetzigen Königs Dienste getreten war – das wird Ihnen unerwartet seyn; für mich war diess auch genug; denn ein dummer Streich, den ich machen wollte, ist dadurch von mir abgewendet worden.“
Anmerkungen
- ↑ Vergl. das Lebensbild in der Zeitschr. f. preuss. G. u. Ldkde. XVIII (1881), 89–224 und den Artikel in der ADB, beide vom Herausgeber dieses Briefes.
- ↑ Vergl. Vincenz v. Planta, Joh. F. v. Tscharner’s Leben u. Wirken. Chur 1848. – Die ADB wird einen Artikel über ihn aus der Feder des Herrn v. Wyss bringen.
- ↑ Vergl. autobiograph. Mittheilungen im „Lebensbild“, a. a. O. S. 153 ff.
- ↑ Für die kurze Zeit (April auf Mai 1814), welche Rehfues in Coblenz zubrachte, hatte ihm Gruner die Censur der daselbst erscheinenden Bücher und Zeitschriften, im Besonderen die des „rheinischen Mercur“ von J. Görres übertragen.
- ↑ S. jedoch das „Lebensbild“ S. 183. Von Gruner stammt der später durch den Minister v. Altenstein wiederholte Ausspruch, Rehfues sei ein Beamter „höherer Art“. Es liegen mir auch noch andere ähnliche Aeusserungen von Gruner vor.
- ↑ P. J. Boosfeld, der ehemalige kurcölnische Hofkammerrath und spätere französische Unterpräfect in Bonn. Der General-Gouverneur Justus Gruner schrieb am 25./7. Mai 1814 aus Coblenz an Rehfues: „Da ich den Herrn Kreisdirector Boosfeld zu Bonn zum Präsidenten des dortigen Tribunals bestimmt habe, so ersuche ich Ew. Wohlgeboren, an dessen Stelle das Kreisdirectorium zu übernehmen. Die nähere Anleitung über Ihren Geschäftskreis werden Sie ohne Zweifel in Bonn vorfinden, und was Ihnen sonst zu wissen nöthig ist, von dem Hrn. Boosfeld erfahren, welchen ich ersucht habe, Ihnen so lange in den Geschäften an die Hand zu gehen, bis seine Anstellung als Tribunal-Präsident erfolgt.“ Ueber Boosfeld vergl. H. Hüffer in den niederrhein. Annalen XIII/XIV, S. 118–146, 201–211. Nach Hüffer’s Darstellung dürfte Rehfues’ Urtheil über Boosfeld’s Charakter etwas zu schroff ausgefallen sein.
- ↑ Er hatte sich besonders bei Montereau (18. Febr.) ausgezeichnet.
- ↑ Im April 1814 sah sich der Generalgouvernements-Commissar genöthigt, in einem Circular den Kreisdirectoren eine scharfe Rüge wegen ihrer nachlässigen Verwaltung zu ertheilen. Niederrh. Annalen XIII/XIV, S. 205.
- ↑ Bonn, Rheinbach, Ahrweiler und Adenau. Unter den vielen mir vorliegenden Zeugnissen über Rehfues’ Amtsführung in Bonn theile ich nur das des Ministers v. Stein mit: „Le Sieur Rehfues, Commissaire général pour l’administration des affaires de police et de finance, dans l’arrondissement de Bonn, a été nommé par moi à cette place en Janvier 1814 dès l’occupation de la rive gauche du Rhin par les armées alliées, et s’est acquis par son zèle, son activité et son intelligence, l’approbation de son Chef et l’attachement de ses administrés, qui lui en ont donnés les marques les plus convaincantes. Francfort le 20 Janvier 1816. Le B. de Stein.“ Es liegt mir noch ein zweites Schreiben des Ministers, d. d. Nassau, 29. Oct 1818, vor: „Wohlgeborner, hochzuverehrender Herr! Es gereicht mir zu einem vorzüglichen Vergnügen, den Auftrag erhalten zu haben, Ew. Wohlgeboren Namens Sr. Majestät des Kaisers Alexander die Insignien des St. Annenordens zweiter Classe zuzustellen, da ich an dieser Ertheilung lebhaften Antheil genommen und eine Veranlassung erhalte, die Gesinnungen der ausgezeichneten Hochachtung wiederholt zu äussern, mit welcher ich zu sein die Ehre habe Ew. Wohlgeboren ergebenster v. Stein.“ An sich ein unbedeutendes Courtoisiebillet! Die Person des Schreibenden möge jedoch den Abdruck rechtfertigen.
- ↑ Ganz so wie Rehfues war es Tscharner in Graubünden ergangen, als er 1816 die Theuerung voraussagte. Vergl. Planta a. a. O. S. 219 ff.
- ↑ Wohl nur der Ausdruck einer vorübergehenden übeln Stimmung!
- ↑ Hier werden Rehfues Niebuhr und die Brüder Humboldt vorgeschwebt haben.
- ↑ Graf Gesler schrieb im Spätherbst 1818 an E. M. Arndt: „So eine neue Universität ist immer ein bisschen wie ein Freikorps. Es muss da allerlei aufgenommen werden, das das Maass nicht hat. NB.: Ich kenne einige ihrer Herren Kollegen.“ Arndt, Nothgedrungener Bericht II, 148.
- ↑ Vergl. Planta a. a. O. S. 237 ff. In einem Brief an Rehfues bezeichnet sich Tscharner als ein „Opfer seines Zutrauens, seines Glaubens an die Menschen“, u. s. w. Unter dem 24. Febr. 1823 klagt er über „unauflösbare Verwickelungen, drückende Sorgen, schuldlose Misskennung, Bitterkeiten aller Art“.
- ↑ Noch andere Gründe wirkten mit. Die preussische Regierungsmaschine, schrieb er am 23. Febr. 1817 an Tscharner, behage ihm nicht; sie befinde sich noch in dem Zustand, worin sich 1805 die Armee befunden habe. Diejenigen, welche sich in den Jahren 13 und 15 durch kräftiges Wirken ausgezeichnet, seien verdächtig; man wolle ihnen „bleierne Mäntel“ anlegen, „um ihnen das Spazierengehen zu verleiden“.
- ↑ König Friedrich war am 30. Oct. 1816 gestorben.