Sagen aus Lübeck
In der reichen Handelsstadt Lübeck begab es ich einst, daß in des Andreas Geverds Hause aus dem Klingenberg eine Brustnadel mit Perlen geziert verloren ging. Der Verdacht fiel mehr auf einheimische als auf fremde Diebe, und der Bestohlene war sehr begierig, den Entwender zu erfahren, ging auch deßhalb viel nach Zaubermitteln aus.
In dem Hause arbeitete zur selben Zeit ein Taglöhner, des Herrn Geverds Gevatter; auf diesen kam der Verdacht. Er wurde darüber zur Rede gestellt und geradezu gefragt, ob er nicht der Hausdieb, der die Perlennadel gestohlen. Diese Frage kam dem unschuldigen Mann so unerwartet, daß er darauf erblaßte und ganz verstummte. Der Bestohlene nahm dies für ein stillschweigendes Bekenntniß, ließ ihn alsbald in Verhaft bringen und auf die Marterbank werfen, wo er zulezt sich als Thäter bekannte, aber flehentlich um sein Leben bat, weil er des Richters Gevatter sey. Der Richter aber, der hier zugleich Ankläger war, sagte, daß er keinen Dieben für seinen Gevatter erkenne, er müsse hängen, da helfe keine Freundschaft. Hierüber betrübte sich der Handwerksmann sehr und sagte, daß er unschuldig, und seinem Gevatter nichts veruntreut habe. Das Urtheil war jedoch schon fertig, und als es ihm vorgelesen wurde und er keine menschliche Rettung mehr sah, sprach er zum Richter: „Herr Gevatter, weil ich ja sterben soll, so fordere ich euch in vierzehn Tagen vor das strenge Gericht Gottes, da sollt ihr mir wegen meines unschuldigen Todes zu Recht stehn.“ Darauf wurde er fortgeführt und an den Galgen gehängt.
Wenige Tage nachher fand sich die Nadel hinter einer Bank. Darüber ging dem Bürgermeister das Unrecht sehr zu [80] Herzen, und er betrübte sich sehr wegen des Herannahens der Zeit, da er geladen war, vor Gottes Richterstuhl zu erscheinen. In dieser Traurigkeit fand ihn sein Diener, der in Geschäften verreis’t gewesen, und von dem Vorgang nichts wußte. Dieser fragte seinen Herrn, was er für ein Anliegen habe, und ob er ihn wieder fröhlich machen könne. „Ach nein, sagte der Herr tiefseufzend, du kannst mir nicht helfen, denn ich bin von einem Dieben vor Gottes Gericht geladen, da muß ich selber kommen, und schwere Rechenschaft geben.“ Der Diener meinte, das sey Einbildung, und er wolle sich selbst für ihn zum Bürgen stellen und die Gefahr auf sich nehmen, gegen einen neuen Rock von Niederländer Tuch. Hocherfreut hieß ihm der Herr vom besten Tuch seines Lagers nehmen, und wurden sie also einig.
Wie dieser Vertrag gemacht war, ließ Herr Geverds seine Freunde und Nachbarn zu Gaste laden, sich zu freuen, weil er einen Anwald gefunden, der ihn in so gefährlichem Stande vertreten wolle. Der Diener war mit lustig, und ging dann gleich den Andern zur Ruhe, seiner Bürgschaft sich wenig erinnernd.
Um Mitternacht aber wurde in dessen Kammer ein großes Gepolter und Getümmel gehört, davon Alle im Hause erwachten, aus Furcht ging aber keiner hin, dem nachzusehn. Mit Tagesanbruch wagten sich endlich Einige daran und sprengten die Kammerthür auf; da fanden sie den Diener am Boden mit umgedrehtem Hals und zerquetschten Gliedern. Sie erschracken sehr, und wollten das an die Wand gesprüzte Blut abwischen, aber das blieb unverlöschlich daran.
Lange Jahre nachher wohnte in diesem Hause Andreas Tünte; dessen Mutter wollte den Blutflecken übertünchen lassen, aber das Blut schlug wieder durch, und es war noch zu sehen im Jahre 1608, als Gerhard Reuter daselbst gewohnt.
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Des Malers Versuchung.
Ein ehrlicher und frommer Maler in Lübeck, Namens Oswaldt Stimmer pflegte den bösen Geist sehr abscheulich und häßlicher zu malen, als andere Maler. Daher erschien einsmals der Satan in menschlicher Gestalt vor ihm, ihn bedrohend, er solle ihn nicht verstellen und anders malen als sonst, wenn er nicht von ihm alles Uebel erwarten wolle; thue er aber nach seinem Begehren, so würde er sein Freund seyn. Der Maler war erst ganz betroffen über die unerwartete Botschaft, dann aber betete er, sagte sich daß er ein Kind Gottes, mit dem der Teufel nichts zu schaffen hätte, und gedachte auch, ihm nicht zu willfahren, wohl wissend, daß ohne göttliches Verhängniß ihm Keiner ein Haar krümmen könne. Malte also den Seelenfeind fortwährend so scheußlich wie zuvor.
Der Böse aber nimmt daraus bei hellichtem Tag des Malers Gestalt an, geht zu einem Schneider, läßt sich da, Zahlung versprechend, Tuch zu einem Kleid geben, läuft aber damit fort, nach des Malers Hause zu, allwo er verschwindet. Der Schneider stellt alsbald den Maler darüber zur Rede; der läugnet Alles und vermißt sich hoch und theuer, man solle ihn als Dieb an den Galgen hängen, wenn das Tuch bei ihm gefunden würde. Bald nachher aber wird es unter seinem Bett vorgezogen, und der arme Maler nun ins Gefängniß geführt, peinlich über diese That vernommen zu werden. Die Furcht vor der Folterbank macht auch den Maler bekennen, was er nicht gethan, und er wird demnach zum Galgen verurtheilt.
Nachts kommt der Satan zu ihm, ihn versuchend, er sollte sich ihm mit Leib und Seele ergeben, so wolle er ihn von dem schmähligen Tod erretten, indem eben er in diese Gefahr ihn gebracht. In dieser Noth blieb der fromme Mann standhaft, befahl sich Gott und wollte lieber unschuldig sterben, denn mit bösem Gewissen leben, wies also den Versucher ab, und vertraute Gott, daß er ihn wohl retten könne und werde, wann er wollte. Als nun der Versucher auf die Art nichts ausrichtet, so erbietet er sich, den Maler los zu machen, wenn er ihm verspräche, ihn künftig in ehrbarer und ehrlicher Kleidung zu malen. Das versprach der Maler, als ein Mittelding, so nicht gegen sein Gewissen. Darauf führte ihn man weiß nicht wer aus dem Gefängniß in sein Haus zu Weib und Kindern, jedoch mit dem Beding, daß er folgenden Tages nicht ausgehen solle.
Der Satan indeß stellt sich in des Malers Gestalt ins Gefängniß, hört sein Urtheil ruhig an, und geht zwischen zwei Geistlichen zum Richtplatz, will sich aber zu keinem Gebet verstehen, sondern läßt sich mit großer Geduld an den Galgen hängen, also daß jedermann sich über den stummen Missethäter verwundert. Nachdem nun die Leute in die Stadt zurückgekehrt, finden sie den Maler, den sie am Galgen verlassen zu haben meinen, Nachmittags auf dem Markte stehen, und wie sie auf ihn zu eilen, ihn zu fragen, wie es ihm ergangen und wie er da stehe und nicht draußen hänge, spricht er: „der Teufel mag hängen, nicht ich.“ Wundershalben laufen denn Etliche mit dem Scharfrichter wieder zum Hochgericht, und finden da statt des vermeinten Diebes eine Spinnwebe in des Malers Gestalt. Daher glaubten sie des Malers Erzählung und lobten Gott, daß er den Frommen in solcher Anfechtung erhalten, und dem bösen Geiste nicht gestattet, diesen Unschuldigen zu verderben.
Der Maler that auch nach seinem Versprechen, und malte den Höllenmohren in eines Pabstes Gestalt, aber mit Hörnern neben der dreifachen Krone, und mit einem Klauenfuß, wie er auf eine Seele wartet, mit der Unterschrift:
Hanc animam posco,
Quam plenam criminibus nosco.
Diese Tafel ist noch A. 1600 im Dom zu Lübeck hinter dem Chor gestanden.
- ↑ Wir ersuchen jeden, besonders Lübecker, freundlichst, uns Nachricht zu geben, ob diese Sagen in L. noch leben, ob des Herrn Geverds Haus noch steht, und von dem Blutflecken, wie von dem Bild des Malers Stimmer (s. nächst. Blatt.) noch Spuren vorhanden. (Diese Sagen sind, wie die Nr. 15. d. W. abgedruckte Novelle: Cornelia Bentivogli, nach Harsdörffer). D. H.
Anmerkungen (Wikisource)
Die Hauptperson der ersten Sage ist der Lübecker Bürgermeister Andreas Geverdes. Diese Sage findet sich auch bei Ernst Deecke in den Lübischen Geschichten und Sagen unter 111. Herr Gêverdes. Zur Anfrage des Herausgebers von 1818 in der Anmerkung die heutige Antwort: Das damalige Haus am Klingenberg hatte später die Bezeichnung Sandstraße 13 und steht nicht mehr.
Als Einzeltexte siehe: