Schlafstätten im Walde

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Textdaten
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Autor: Ernst August Willrich
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Titel: Schlafstätten im Walde
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 35, S. 572–573
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1887
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Schlafstätten im Walde.

Von Dr. Willrich-Berka (Ilm).

Früher war es an der Tagesordnung, Kranke, welche mit chronischen Lungenleiden behaftet waren, das Zimmer hüten und Arzneien nehmen zu lassen. In neuerer Zeit aber hat der Fortschritt der medicinischen Wissenschaft das gerade Gegentheil in der Behandlung derselben für gut erkannt; statt des sorgsamen Verschließens der Kranken in den Zimmern und statt des Gebrauchs der mehr oder weniger als specifisch gepriesenen Heilmittel tritt die Freiluftkur ein. Allmählich nur konnte sich dieser Wandel vollziehen und keineswegs ist die Methode der Freiluftkur bei Behandlung von chronischen Lungenleiden nach allen Seiten als abgeschlossen und fertig zu betrachten; vielmehr wird dieselbe noch immerfort ausgebildet, mit verwandten Heilmethoden verquickt, verbessert und erweitert. So sollen auch diese Zeilen nur dazu beitragen, die neueste Erweiterung der Freiluftkur zur Kenntniß zu bringen.

Als der Nutzen des kurgemäßen Genusses frischer Luft den Lungenkranken gewährt wurde, hielt man es anfangs für selbstverständlich, daß diese Kur nur am Tage in Anwendung kam; die lange Nacht hindurch aber lag der Kranke in seinem Schlafzimmer, die Fenster verschlossen und verhängt. Wohl wurde die Luft der abgeschlossenen Schlafstube schlecht, wohl erkannten Aerzte diesen Mißstand, aber lange hat es gedauert, bis das starre Vorurtheil der Aerzte und Kranken von der Schädlichkeit der freien Nachtluft ins Wanken gebracht wurde. Nur ganz allmählich versuchte es hier und dort ein nachdenkender Kranker, auch des Nachts ein Fenster im Nebenzimmer zu öffnen und frische Nachtluft aus dem Nebenzimmer durch die nur angelehnte Thür in die Schlafstube zu leiten. Da diese Versuche nicht zum Nachtheil der Kranken ausfielen, wurde man kühner und verordnete, des Nachts die Fenster im Schlafzimmer offen zu lassen. Auch dies that wohl und wurde in Kurorten mit bevorzugten klimatischen Bedingungen schnell zum Gebot. Es wurden an offenen Luftkurstationen und in geschlossenen Kuranstalten Einrichtungen getroffen, daß ein Wechsel der freien Luft und der Schlafstubenluft ununterbrochen die ganze lange Nacht stattfinden konnte.

Auch in Berka, dem Meran Thüringens, ist es seit Jahren üblich, den Brustkranken nicht nur den unausgesetzten kurmäßigen Aufenthalt Tags über im Walde, sondern auch Nachts das Schlafen in Stuben mit geöffneten Fenstern zu empfehlen, und die guten Erfolge des Kuraufenthaltes in Berka sind wohl oft dem strengen Innehalten dieser letzterwähnten Verordnung mit zuzuschreiben. Aber wie nützlich auch diese Art und Weise der Erhaltung guter Luft in Schlafzimmern für Brustkranke immerhin sein mag, so läßt sie doch noch viel zu wünschen übrig. Die in der ausgeathmeten Luft enthaltenen Keime sowie andere vom kranken menschlichen Körper kommende schädliche Ausdünstungen werden durchaus nicht vollständig durch die geöffneten Fenster mit fortgenommen, sondern bleiben zum großen Theil an den Wänden und Geräthen des Schlafzimmers haften, von wo aus dieselben immer von Neuem wieder ihre verderbliche Einwirkung auf den Kranken ausüben.

Dieser Umstand war es, welcher mich bestimmte, für unsere brustkranken Sommergäste zunächst wenigstens während der heißesten Monate Ruhestätten zu erdenken, in welchen dieselben kurgemäß die frische Waldluft Tag und Nacht in gleich vollkommenem Maße genießen können. Bevor aber der Verwirklichung dieses Gedankens näher getreten werden konnte, mußte festgestellt werden, ob der unmittelbare Genuß nächtlicher Waldluft kranken Athmungsorganen auch zuträglich sei. Leicht fand sich eine kleine Schar von brustkranken Herren und Damen, welche auf meinen Wunsch Ende August vorigen Jahres eine Nacht im Nadelhochwald schliefen. Man bediente sich als Lager der hier sehr gebräuchlichen Hängematten, welche zwischen zwei Baumstämmen befestigt werden. Dieser Versuch lieferte weit günstigere Ergebnisse, als ich erwartet hatte. Ich hatte geglaubt, man würde mir berichten, daß man zwar geschlafen habe, daß aber das Unerträgliche der Dauerlage schwer kranker Menschen in einer Hängematte ein unbefangenes Urtheil über die Dienlichkeit eines solchen nächtlichen Aufenthalts im Walde beeinträchtige. Thatsächlich indeß war die kleine kühne Schar von Waldschläfern nur des Lobes voll; alle hatten sie vorzüglich geschlafen. Dem Einen war sein Fieber nicht so lästig erschienen; den Andern hatte der Nachtschweiß nicht geplagt, den Dritten hatte der quälende Husten in dieser Nacht merkwürdiger Weise weniger gerüttelt etc. Alle befanden sich wohl am andern Tage und waren voll Begeisterung über ihr jüngstes Erlebniß. – Und auch mir war es wohl; der Versuch war gelungen! Die ganze moralische Verantwortung für die Folgen, welche aus diesem nächtlichen Aufenthalt im Walde für die fünf Kranken hervorgehen konnten, ruhte doch auf mir. Aber der Gedanke hatte sich bewährt, ich ging nun an die Verwirklichung meiner einmal gefaßten Absicht, Brustkranken kurgemäße Schlafstätten auch für nächtlichen Aufenthalt im Walde während der heißen Sommermonate einzurichten.

Was soll ich erzählen von den vielerlei Schwierigkeiten, welche sich im Verfolg meines Planes hindernd in den Weg stellten? Dieselben sind ja alle überwunden, die ganze Einrichtung ist fertig und seit Ende Juli dieses Jahres im Betrieb.

Der Ort, den ich zum Bau der Schlafstätten auswählte, befindet sich im Harthwalde, welcher in unmittelbarer Nähe über unserem Badestädtchen liegt und seit einer Reihe von Jahren als werthvoller Kurplatz für Brustleidende von Aerzten und Kranken hochgeschätzt wird. Hart am Rande dieses Waldes baute Herr Arthur Petzold, welcher selbst diesem Platz die Kräftigung seiner durch vieljährige Brustleiden geschwächten Gesundheit verdankt, im Jahre 1885 Schloß Rodberg und richtete das Haus zu einer Kurpension ein. Hundert Schritte waldeinwärts über [573] Schloß Rodberg befindet sich die Anlage, welche unser Bild wiedergiebt.

  Schlafstätten für Kranke im Harthwalde bei Berka.
  Originalzeichnung von A. Lewin.
Schloß Rodberg.  

Es ist ein friedlich stiller Platz unter den Wipfeln hochragender Kiefern, rings umgeben von niedrigem Tannennachwuchs. Hier liegt, völlig versteckt, die zwei Meter hohe Lattenumzäunung, welche einen 40 Meter langen und 20 Meter breiten Raum umschließt. Dieser Raum wird durch eine ebenfalls zwei Meter hohe und dicht gefügte Bretterwand in zwei gleich große Abtheilungen getheilt, deren eine für kranke Herren und deren andere für kranke Damen bestimmt ist. In jeder der beiden Abtheilungen befinden sich sieben Schlafstätten, welche in angemessenen Zwischenräumen zum größten Theil in anheimelnder Weise hinter dicht gewachsenen kleinen Tannen verborgen liegen. Jede dieser lauschigen Schlafstellen hat außer dem hölzernen Fußboden und dem ventilatorisch eingerichteten Dach nur eine einzige feste Wand, nämlich diejenige, welche hart an der allgemeinen Umzäunung liegt. Die drei dem Innern des umzäunten Schlafraums zugekehrten Seiten der Hütte sind völlig frei, können aber, wenn es durch irgend einen Umstand erforderlich wird, durch Herablassen von hölzernen Rollwänden theilweise oder ganz verschlossen werden. Diese Einrichtung ist durchaus leicht, und zwar vom Bette aus zu handhaben, da über dem Bett die Schnüre der Rollwände sämmtlich zusammenlaufen. Der theilweise oder gänzliche Verschluß der Schlafstätte erfolgt nur dann, wenn Regen, Wind oder Sonne von irgend einer Seite lästig empfunden werden oder wenn der Kranke sich aus- und ankleidet etc. In der Regel aber sind diese drei Seiten völlig frei und gestatten Tag und Nacht hindurch der würzigen Waldluft ungehinderten Zutritt zum Kranken.

Die Ausstattung der Hütte ist einfach, aber zweckentsprechend. An der festen Wand steht ein Bett mit guter Matratze, einem Keilkissen, zwei Kopfkissen und einer warmen Zudecke. Die Füße der Bettstelle stehen in kleinen, mit Sublimatlösung gefüllten Metallgefäßen, welche das Heraufkriechen von Ameisen, Käfern und anderem kleinen Gethier verhindern. Ueber dem Bette ist neben den Leitungsschnüren der Rollwände ein Knopf der elektrischen Klingel, welche zur Wache führt, die sich außerhalb des Schlafraums befindet. Ein Waschtisch mit zwei verschließbaren Auszügen, ein Spiegel, ein großer Kleiderhaken, ein Tischchen und ein Stuhl vervollständigen das Ganze. Der allen Bewohnern der Schlafstätten gemeinsame Raum ist dann noch ausgestattet mit Gartenstühlen und Tischen, mit einem sicheren Gelaß für Kleider und Koffer und mit einigen Laternen, welche des Abends und des Nachts die erforderliche Beleuchtung liefern.

Die Wache der Schlafstätten wohnt in einem Bretterhäuschen, welches unmittelbar vor den beiden dicht neben einander gelegenen Thüren der gemeinschaftlichen Schlafräume liegt. Diese Wache besteht aus einem Manne und einer Frau und hat die Aufgabe, die Schlafstättcn zu bedienen und den Nachtwächterdienst auszuüben. Die Verwaltung dieser neuen Einrichtung wird von der Pensionsvilla Schloß Rodberg aus besorgt, welche ja in unmittelbarer Nähe liegt. Die Inhaber der Schlafstätten haben das Recht zur unentgeltlichen Mitbenutzung der gemeinschaftlichen Räume im Schloß Rodberg wie der Speisesäle, des Billard- und Lesezimmers etc. und können, im Falle ein Gewitter oder irgend ein anderer Umstand den zeitweiligen Unterschlupf in ein Haus dem Einen oder Andern wünschenswerth erscheinen läßt, mit wenigen Schritten das schützende Dach eines großen Hauses erreichen. Indeß sind die Hütten so gebaut, daß dieselben jedem hier vorkommenden Wetter zu trotzen im Stande sind. Die Verpflegung der Kranken wird vom Schloß Rodberg aus besorgt, und diese neue Freiluftstation ist überhaupt Eigenthum des Herrn Petzold. Derselbe vermiethet die Schlafstätten zu dem Preise von 12 Mark die Woche, und außerdem hat der Miether noch wöchentlich Mark 1,50 an die Wache für deren Dienst zu entrichten.

Wenn ich am Schlusse meiner Mittheilung mir noch ein Wort über die Krankheiten zu sagen erlaube, welche sich zur Kur in dieser Freiluftstation eignen, so dürften wohl vornehmlich die mit ansteckendem Auswurfe einhergehenden chronischen Lungenleiden genannt werden. Auch andere chronisch entzündliche Krankheiten der Lungen und des Brustfells würden sich für diese Station eignen. Ferner nenne ich Blutarmuth des männlichen und weiblichen Geschlechts sowie endlich Schlaflosigkeit in Folge geistiger Ueberanstrengung und Ueberreizung.

Diese neu ins Leben getretene Einrichtung erregt in gleich hohem Maße die Aufmerksamkeit der Aerzte wie der Kranken. Mängel der Einrichtung werden hier und da zu Tage treten, und die Erfahrung wird gar bald die nöthigen Fingerzeige für Verbesserungen und Vervollständigung geben. Aber davon bin ich fest überzeugt: diese neue Freiluftstation wird sich das Interesse der Aerzte und Kranken dauernd sichern.