Etwas höchst anziehendes hat das folgende Bild von Carus, ein von innen erleuchtetes Fenster. Bei dem Schatten, der an die Vorhänge unbestimmt fällt, denkt sich gewiß jeder das Liebste, die Mutter den entfernten Sohn, der Liebende sein Mädchen, der verlassene Mensch wohl sich selbst in seiner Trauer. Es hat dies Bild durch das, was es andeutet und verbirgt, indem es mehr zum Gefühl, als durch Gestaltung spricht, einen ganz eignen Zauber, neigt sich aber eben darum mehr zur Poesie als zur bildenden Kunst hinüber, und so mögen wir es wie ein Notturno betrachten und genießen.
Wir nahen uns dem Zimmer der Meister. Von diesem fordern wir, daß sie einander ergänzen, da in einem Individuo selten, ja fast niemals, alle Eigenschaften eines vollkommnen Künstlers sich vereinen. Diese Eigenschaften bestehen in den Kenntnissen, welche der Künstler haben muß, um correkt zu seyn und in den Anlagen des Geistes, welche ihn zum schaffenden Künstler machen. Durch die technischen Kenntnisse wird der Künstler Lehrer und Rathgeber der jungen Künstler, durch sein Genie Meister, seine Werke werden den schlummernden Sinn in Andern wecken, er wird anregend einwirkend, er wird der Leitstern und Coryphäus der übrigen seyn.
Wir erwarten daher in diesem Saale theils akademische Aufgaben gelöst zu sehen, theils große, geniale Compositionen, sey dies auch nur in Entwürfen.
Zunächst der Thür finden wir das Bild des heiligen Nepomuk im Gebet. Wir erblicken den Heiligen in einer vorgothischen Capelle knieend. Ueber ihm erscheint zu seiner Rechten Christus, Maria und Johannes der Täufer. Dieses kleine Gemälde ist mit bewundernswürdigem Fleiß und Geschicklichkeit ausgeführt. Besonders sind Pelz, Spitzen und Stoffe vortrefflich dargestellt. Der Ausdruck in Stellung und Zügen ist der eines frommen, inbrünstig betenden Mannes, dessen Erscheinung jedoch mit dem Bilde, wie wir uns einen Heiligen, und insbesondere den edlen, furchtlosen, festen Nepomuk denken müssen, nicht übereinstimmt. Vielleicht hat der Künstler die Bildung des Heiligen aus jenem alten Portrait geschöpft, welches nach der Leiche dieses Heiligen 1383, vier Tage nach der Hinrichtung desselben, gemalt seyn soll und von Schaller in seiner Beschreibung von Prag 1 B. S. 116 angeführt wird. Eine solche Befolgung des Factischen beschränkt jedoch auf eine ungünstige Art die geistige Thätigkeit des Künstlers; liegt aber kein Portrait zum Grunde, so müssen wir zwar immer das Mimische an diesem Bilde sehr bewundern und loben, allein dem Physiognomischen können wir unsere Beistimmung nicht geben. Gegen die Anordnung des Bildes hätten wir besonders zu erinnern, daß die himmlische Erscheinung, welche sich doch auf den Heiligen bezieht, diesem nicht vorschwebt, sondern ganz seitwärts von ihm, wodurch er, um sie in’s Auge zu fassen, genöthigt wäre den Kopf sehr zu wenden; denn Nepomuk knieet so, daß wir ihn fast im Profil, die Erscheinung aber gerade vor uns sehen.
Die Portraite, welche in diesem Zimmer sich befinden, übergehen wir mit Stillschweigen, können aber versichern, daß diese Künstler weit Besseres bereits geleistet haben. Professor Hartmann hat das bekannte französische Modell, den Lebesnier, als Act gemalt und zum Motiv der Stellung die Erwürgung des Nemäischen Löwen durch Hercules gewählt.
Die genaue Befolgung des Vorbildes ist daran sehr zu loben, denn wenn ein Modell nachgebildet wird, darf daran nichts geändert werden, weil die Natur so folgerecht in ihren Bildungen ist, daß eine Verschönerung eines Theils eine Umgestaltung des Ganzen fordern würde und es dann keine Naturnachbildung, sondern Idealgestalt wäre. Da an diesem Modell die Unterschenkel nicht schön waren, so hat sie der Künstler glücklich durch den Löwen versteckt, welcher jedoch wilder und mächtiger seyn könnte. Auch scheint es uns, als wenn die Handlung des rechten Arms nicht ganz zweckmäßig wäre, um den Rachen des Löwen aufzureißen.
Das darunter befindliche Bild, welches durch das 9te C. V. 21. des Jeremias veranlaßt ist, verdient unsere ganze Aufmerksamkeit. Hier ist Schauerliches und Reizendes, blühendes Leben und die knöcherne Gestalt des Todes in eine äusserst interessante, sich gegenseitig hervorhebende Gegeneinanderstellung gebracht. Dies ist mit einer wunderbaren Consequenz und Phantasiereichthum durchgeführt.
Auf einem Ruhebette schlummert eine blühende Mutter, an ihrer Seite gesunde Kinder und durch das offene Fenster greift kalt die Hand des Todes herein nach den frischen Knaben und rafft
Karl August Böttiger und Johann Gottlob von Quandt: Die Dresdner Kunstausstellung (1824). Arnoldische Buchhandlung, Dresden 1824, Seite 70. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Artistisches_Notizenblatt_1824_Kunstausstellung_Dresden.djvu/10&oldid=- (Version vom 21.12.2024)