Seite:Bekker Neue Musik Vortrag.djvu/010

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

gemacht. Ich nenne hier nur die Namen Debussy und Schönberg, in deren Werken der ätherisch abstrakte Charakter der Ganztonleiter, der die Vermeidung vermittelnder Halbtonschritte etwas eigentümlich Übersinnliches, Unwirkliches, Sphärenhaftes gibt, eine große Rolle spielt. Auch Hans Pfitzner hat sich gelegentlich dieses Mittels zur Stimmungscharakteristik bedient, am auffallendsten in seiner Vertonung von Goethes „Füllest wieder Busch und Tal“.

Die Versuche, die Ganztonleiter bei uns heimisch zu machen, sind ein Teil der Bestrebungen, die auf Einführung exotischer Tonsysteme überhaupt in die westeuropäische Musik zielen. Sie stellen in ihrer Gesamtheit ein charakteristisches Gegenstück dar zu den Anregungen, die sich ein Teil unserer bildenden Künstler, namentlich Maler und Bildhauer aus exotischen Ländern geholt haben. Der Anfang dieser Bestrebungen liegt ziemlich weit zurück. Östliche Einflüsse kommen uns schon in den türkischen Musiken des 18. Jahrhunderts – in Mozarts „Entführung“ und türkischem Marsch, in Beethovens „Ruinen von Athen“ – zum Bewußtsein. Hier handelt es sich allerdings mehr um koloristische Anklänge, wie sie durch die geographische Stellung Wiens als östlichem Brückenkopf westeuropäischer Kultur leicht vermittelt werden konnten, als um bewußte Übertragungen exotischer Tonsysteme. Auch die ungarischen Anklänge bei Haydn, Schubert und vor allem die Anlehnungen an die Zigeunermusik, wie Liszt sie nachdrücklich gepflegt hat, sind als Bestrebungen zur Erweiterung unseres tonalen Ausdrucksvermögens aufzufassen. Die Romantik mit ihrem Hang zum Fremdländischen, besonders zum Osten hat diesen Faden weitergesponnen, obschon in ihrer Charakteristik des Exotischen weniger dieses in seiner Ursprünglichkeit zum Ausdruck kam, als vielmehr die Vorstellung des Fremdartigen, wie sie sich in der Phantasie des Mitteleuropäers kristallisiert hatte. Die eigentliche bewußte Übernahme exotischer Ausdrucksweisen fällt erst in die

Empfohlene Zitierweise:
Paul Bekker: Neue Musik. Stuttgart und Berlin: Deutsche Verlags-Anstalt, 1923, Seite 92. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bekker_Neue_Musik_Vortrag.djvu/010&oldid=- (Version vom 31.7.2018)