rettet und beseligt – das hat der gewußt, der sich trotz seiner Niedrigkeit den Messias, genannt hat, und das müssen die empfunden haben, die ihn als den von Gott gesalbten König Israels anerkannten.
Wie Jesus zu dem Bewußtsein, der Messias zu sein, gelangt ist, das vermögen wir nicht zu ergründen, aber einiges, was im Zusammenhang mit dieser Frage steht, können wir doch feststellen. Die älteste Überlieferung[AU 1] sah in einem inneren Erlebnis Jesu bei der Taufe die Grundlegung seines messianischen Bewußtseins. Wir können das nicht kontrollieren, aber wir sind noch weniger imstande zu widersprechen; es ist vielmehr durchaus wahrscheinlich, daß er, als er öffentlich auftrat, bereits in sich abgeschlossen war.[AU 2]Die Evangelien stellen eine merkwürdige Versuchungsgeschichte Jesu vor den Beginn seines öffentlichen Wirkens.[AU 3] Sie setzt voraus, daß er sich bereits als der Sohn Gottes und als der mit dem entscheidenden Werke für das Volk Gottes Betraute gewußt und die Versuchungen bestanden hat, die an dieses Bewußtsein geknüpft waren. Als Johannes aus dem Gefängnis ihn fragen läßt: „Bist du, der da kommen soll, oder sollen wir eines anderen warten“[WS 1], da antwortet er so, daß der Fragende verstehen mußte: Er ist der Messias, daß er aber zugleich erfuhr, wie Jesus das messianische Amt auffaßte. Dann kam der Tag von Cäsarea Philippi, an welchem ihn Petrus als den erwarteten Christus anerkannte und Jesus es ihm freudig bestätigte. Dann folgte die Frage an die Pharisäer: „Wie dünket euch um Christo, wes Sohn ist er?“[WS 2] jene Scene, die mit der neuen Frage schloß: „So David den Messias einen Herrn nennt, wie ist er denn sein Sohn?“[WS 3] Es folgte endlich der Einzug in Jerusalem vor allem Volk samt der Tempelreinigung; sie kamen der öffentlichen Erklärung gleich, daß er der Messias sei. Aber seine erste unzweideutige messianische Handlung war auch seine letzte – die Dornenkrone und das Kreuz folgten ihr.
Wir haben gesagt, es sei wahrscheinlich, daß Jesus, als er öffentlich auftrat, bereits in sich abgeschlossen und darum auch über seine Mission klar gewesen ist. Aber damit ist nicht behauptet, daß ihm selbst jene Mission nichts mehr gebracht hätte. Nicht nur zu leiden hat er lernen müssen und dem Kreuze mit Gottvertrauen entgegenzusehen – das Bewußtsein seiner Sohnschaft hatte sich nun zu bewähren, und die Erkenntnis des „Werkes“, mit dem ihn der Vater erst betraut hatte, konnte sich erst in der Arbeit und in der
Anmerkungen des Autors (1908)
- ↑ Die älteste Überlieferung hat (vgl. Wellhausen) vielleicht nicht schon bei der Taufe durch Johannes, sondern erst bei der Verklärung die Einsetzung Jesu zum Messias (d. h. den Durchbruch seines messianischen Bewußtseins) angenommen. In diesem Fall gehört die Erzählung von einem besonderem messianischen Erlebnis Jesu bei der Taufe einer zwar sehr alten, aber doch nicht ursprünglichen Überlieferungsschicht an und ist also als Legende zu beurteilen, s. meine Schrift über die Sprüche und Reden Jesu, bes. S. 163ff.
- ↑ „Es ist vielmehr durchaus wahrscheinlich, daß Jesus, als er öffentlich auftrat, bereits in sich abgeschlossen war.“ – in bezug auf sein besonderes Verhältnis zu Gott (d. h. sein „Sohnes“bewußtsein) wird das angenommen werden dürfen, aber das messianische Bewußtsein kann doch erst während seiner Predigt- und Heilandstätigkeit in ihm erwacht sein – sonst bleibt das anfängliche Verhältnis zu seinen Jüngern und zum Volke unverständlich und bedenklich –, und es kann nie die Form gehabt haben: „Ich bin jetzt der Messias“, sondern „ich bin der ‚Messias designatus‘“. Das messianische Bewußtsein kann also in Jesus selbst stets nur in der Art einer in ihrer Gewißheit sich steigernden Hoffnung gelebt haben; denn der Messias ist der aus den Wolken des Himmels kommende König. Daß in dem Texte nicht scharf der Unterschied von „Messias“ und „Messias designatus“ gemacht ist, ist ein Fehler.
- ↑ Ist die Geschichte von der Vision bei der Taufe nicht ursprünglich, so muß auch die Versuchungsgeschichte apokryph sein oder in einem späteren Zusammenhang gehören.
Anmerkungen (Wikisource)
Adolf von Harnack: Das Wesen des Christentums. J. C. Hinrichs, Leipzig 1900, Seite 088. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DasWesenDesChristentums.djvu/092&oldid=- (Version vom 30.6.2018)