der Regel nicht ausgenommen, daß eben die Gestaltung, die seine That ist, auch seine Schranke wird.
Als der große Apostel unter dem Richtbeil Nero’s im Jahre 64 sein Leben beschloß, durfte er von sich sagen, was er kurz zuvor einem treuen Genossen geschrieben hatte: „Ich habe meinen Lauf vollendet; ich habe Glauben gehalten.“[WS 1] Welcher Missionar, Prediger und Seelsorger kann sich ihm vergleichen, sowohl was die Größe der vollendeten Aufgabe als was die heilige Energie in ihrer Ausführung betrifft! Mit dem lebendigsten Wort hat er gewirkt und ein Feuer angezündet; wie ein Vater hat er gesorgt und mit allen Kräften seiner Seele um die Seelen gerungen; die Pflichten des Lehrers, des Pädagogen, des Organisators hat er zugleich erfüllt: Als er sein Werk durch den Tod besiegelte, war das römische Reich von Antiochien bis Rom, ja bis Spanien von christlichen Gemeinden besetzt. Nicht viele „Gewaltige nach dem Fleisch“[WS 2] und Vornehme waren unter ihnen zu finden, und doch waren sie „wie Lichter in der Welt“[WS 3], und der Fortschritt der Weltgeschichte beruhte auf ihnen. Sie waren wenig „aufgeklärt“, aber sie hatten den Glauben an den lebendigen Gott und an ein ewiges Leben gewonnen; sie wußten, daß die menschliche Seele einen unendlichen Wert hat, und daß sich dieser Wert nach dem Verhältnis zu dem Unsichtbaren bestimmt; sie führten ein Leben in Reinheit und Brüderlichkeit oder strebten doch nach einem solchen. In Jesus Christus, ihrem Haupte, zu einem neuen Volke zusammengeschlossen, waren sie von dem hohen Bewußtsein erfüllt, daß Juden und Griechen, Griechen und Barbaren durch sie die Einheit empfangen und daß die letzte und höchste Stufe in der Geschichte der Menschheit nun erreicht sei.
Anmerkungen (Wikisource)
Adolf von Harnack: Das Wesen des Christentums. J. C. Hinrichs, Leipzig 1900, Seite 118. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DasWesenDesChristentums.djvu/122&oldid=- (Version vom 30.6.2018)