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Seite:DasWesenDesChristentums.djvu/161

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Vergangenheit und als der Hort der Zukunft. Überall in den von den Barbaren occupierten Provinzen – auch in solchen, die früher ihre Selbständigkeit trotzig gegenüber Rom behauptet hatten – blickten nun Bischöfe und Laien auf ihn. Was Barbaren und Arianer in den Provinzen an Römischem bestehen ließen – und es war nicht weniges –, wurde verkirchlicht und zugleich unter den Schutz des römischen Bischofs gestellt, des vornehmsten Römers,[AU 1] seit es einen Kaiser nicht mehr gab. In Rom aber saßen im fünften Jahrhundert Männer auf dem bischöflichen Stuhl, die die Zeichen der Zeit verstanden und ausnutzten. Unter der Hand schob sich so die römische Kirche an die Stelle des römischen Weltreichs; in ihr lebte dieses Reich thatsächlich fort; es ist nicht untergegangen, sondern hat sich nur verwandelt. Wenn wir behaupten – und zwar noch für die Gegenwart gültig –, die römische Kirche sei das durch das Evangelium geweihte alte römische Reich, so ist das keine „geistreiche“ Bemerkung, sondern die Anerkennung eines geschichtlichen Thatbestandes und die zutreffendste und fruchtbarste Charakteristik dieser Kirche. Sie regiert noch immer die Völker; ihre Päpste herrschen wie Trajan und Mark Aurel; an die Stelle von Romulus und Remus sind Petrus und Paulus getreten, an die Stelle der Prokonsuln die Erzbischöfe und Bischöfe; den Legionen entsprechen die Scharen von Priestern und Mönchen, der kaiserlichen Leibwache die Jesuiten. Bis in die Details hinein, bis zu einzelnen Rechtsordnungen, ja bis zu den Gewändern läßt sich das Fortwirken des alten Reichs und seiner Institutionen verfolgen. Das ist keine Kirche wie die evangelischen Gemeinschaften oder wie die Volkskirchen des Orients, das ist eine politische Schöpfung, so großartig wie ein Weltreich, weil die Fortsetzung des römischen Reichs. Der Papst, der sich „König“ nennt und „Pontifex maximus“, ist der Nachfolger Cäsar’s. Die Kirche, schon im 3. und 4. Jahrhundert ganz von römischem Geist erfüllt, hat das römische Reich in sich wiederhergestellt. In allen Jahrhunderten seit dem 7. und 8. haben es patriotische Katholiken in Rom und Italien nicht anders verstanden. Als Gregor VII. in den Kampf mit dem Kaisertum trat, feuerte ihn ein italienischer Prälat also an:[AU 2]

Nimm des ersten Apostels Schwert,
Petri glühendes Schwert, zur Hand!
Brich die Macht und den Ungestüm

Anmerkungen des Autors (1908)

  1. „des römischen Bischofs, des vornehmsten Römers“ – hier wäre der Bedeutung zu gedenken gewesen, den der Gedanke der Nachfolgerschaft des Petrus, ja Jesu Christi für den römischen Stuhl in steigendem Maße gewonnen hat. Der römische Bischof griff nicht nach der Krone des weströmischen Imperators; er nannte sich auch zunächst nicht „Universalbischof“ oder ähnlich; wohl aber nahm er namentlich seit Leo I. für sich in Anspruch, was dem Petrus gesagt war, und deutete es im Sinne eines Hirtenamtes über die ganze Christenheit. Das Hirtenamt aber erscheint sofort als Regierungsamt, und damit ist die persönliche Weltherrschaft gegeben.
  2. Das Gedicht stammt von Alphanus, dem Freunde Gregors und des Desiderius von Monte Cassino; s. Giesebrecht, Gesch. d. deutschen Kaiserzeit, 4. Aufl. III. S. 54.
Empfohlene Zitierweise:
Adolf von Harnack: Das Wesen des Christentums. J. C. Hinrichs, Leipzig 1900, Seite 157. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DasWesenDesChristentums.djvu/161&oldid=- (Version vom 30.6.2018)