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Walther Kabel: Das Tal der Tränen. In: Neues Deutsches Familienblatt, Jahrgang 1908, Heft 27–34, S. 209–210, 217–218, 225–226, 233–234, 241–242, 257–259, 265–266, 273–275

Das Tal der Tränen.
Erzählung nach einer wahren Begebenheit von Walter Kabel-Langfuhr.
(Fortsetzung.)

„Jungens, ob der Deutsche aber so freiwillig in den Rückkauf willigen wird, möchte ich bezweifeln,“ sagte Will Pickers schließlich, ungläubig den Kopf hin und her wiegend. „Versuchen könnt ihr’s ja! Aber für ‘nen Erfolg garantiere ich nicht.“

„Die Hauptsache ist, daß Ihr uns das Geld gebt, Will,“ platzte Wilson kurz heraus und zog sein geblümtes Halstuch energisch zurecht. „Daß wir dann wieder in den Besitz unseres früheren Eigentums gelangen, dafür laßt nur uns Sorgen. – Ihr wart ja Zeuge bei dem Kaufabschluß, und könnt doch nötigenfalls vor dem Bezirksrichter beeidigen, daß wir uns das Rückkaufsrecht innerhalb von zwei Jahren vorbehalten haben, nicht wahr,“ setzt er lauernd hinzu. – Der edle Wirt verstand sofort.

„Natürlich – natürlich! s’ war vorbehalten auf zwei Jahre, und die Frist läuft bald ab. Wenn ich nicht irre, kann’s Anfang Juni 1903 gewesen sein, als ihr ihm das Tal der Tränen übergabt.“

Dann steckten die drei die Köpfe noch enger zusammen und berieten den Plan mit allen Einzelheiten. So verging eine halbe Stunde. Hin und wieder wurde auch ein lauteres Wort ihres Gesprächs vernehmbar, besonders wenn Will Pickers dröhnender Baß etwas dazwischenrief. – Die Flasche war längst leer, und schon mehrmals hatte Harry Wilson seinen Becher sehr bezeichnend zum Munde geführt und den dicken Wirt dabei halb bittend, halb fordernd angesehen. Aber dieser wollte die zarten Winke nicht verstehen, qualmte in solchen Momenten nur verlegen einige Wolken aus seiner kurzen Stummelpfeife. Schließlich dauerte dieses bescheidene Flehen dem Inhaber des schäbigen Samtanzuges doch zu lange. Er benützte sehr geschickt eine Pause in der Unterredung, holte langsam seine blitzblanke Browning aus der Brusttasche hervor und klopfte damit gegen die Sektflasche.

„Wie ist’s mit ’nem kleinen Freitrunk auf unser Geschäft hin, Will,“ meinte er grinsend und weidete sich förmlich an den verängstigten Augen des Dicken, dessen Mut zu der enormen Körperfülle in keinem rechten Verhältnis zu stehen schien.

„Laßt das Schießeisen weg,“ brummte der Hotelier unruhig. „Kürzlich ist Parkers Pistol auch ganz ohne Grund losgegangen und hätte mir beinahe eine überflüssige Öffnung in meinen Brustkasten eingesenget.“ – „Weiß ich, Will, weiß ich,“ warf der rotfuchsige Harry seelenruhig ein. „War damals, als Ihr dem langen Kerl auf seine blanken Dollars Euer famoses Gemisch aus Messing- und Goldstaub herausgeben wolltet.“

Der Dicke richtete sich scheinbar beleidigt auf.

„Ich verbitte mir …“

Doch das gröhlende Gelächter der beiden Freunde und einstigen Besitzer des Tals der Tränen schnitt ihm das weitere ab.

„Holt lieber die Mia und bittet um eine frische Flasche von dem Teufelszeug, als daß Ihr Euch was verbittet,“ rief Burns in bester Laune. Und Will Picker drehte sich auch wirklich mit einem tiefen Seufzer dem Hause zu und schrie nach der Tür hin: „Mia, einen Liter Whisky – aber schnell, meine Tochter!“

In demselben Augenblick verschwand an dem über der sogenannten Veranda gelegenen Fenster ein junges Mädchen, das bisher atemlos das Gespräch der Männer belauscht hatte und dabei öfters ängstlich zusammengezuckt war. Und dann kam das blonde Fräulein nach wenigen Minuten ganz harmlos lächelnd herbei, stellte die verlangte Flasche nach kurzem Gruß auf den Tisch und wollte wieder in das Haus zurückkehren. Bei ihrem Erscheinen hatten sich Wilson und Burns plötzlich aufgerichtet und suchten in Gesichtsausdruck und Haltung nach Möglichkeit die Kavaliere herauszukehren. Fred zog sich sogar seinen ausrangierten Gesellschaftsrock etwas zurecht und versteckte seine mit Schmutz und Straßenstaub bis oben bedeckten Schaftstiefel schämig hinter seinem Sitz.

„Aber Fräulein Mia,“ meinte er dann mit süßlichem Lächeln, das sein verkommenes Gesicht noch abstoßender machte, „wollen Sie uns denn nicht wenigstens kurze Zeit Gesellschaft leisten? Man sieht Sie ja so selten.“ – „Wüßte nicht, was wir zu bereden hätten, Master Burns,“ antwortete das Mädchen kurz, aber nicht unfreundlich. Und diese Äußerung gab auch Harry den Mut, einige Phrasen loszulassen.

„Fräulein Mia liebt vornehmeren Verkehr als den so einfacher Leute wie wir es sind,“ sagte er mit einem Versuch, eine gewisse Gleichgültigkeit in seine krächzende Stimme zu legen. „Die schöne Frau des deutschen Farmers im Tal der Tränen findet allein Gnade vor ihren Augen!“

Maria Picker, in deren sonngebräuntes, frisches Gesichtchen mit dem Kranz hellblonder Zöpfe bei der Erwähnung der Freundin nur einen Moment ein argwöhnischer Zug getreten war, hatte schnell ihre scheinbar ganz ungetrübte Laune wiedergewonnen.

Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Das Tal der Tränen. In: Neues Deutsches Familienblatt, Jahrgang 1908, Heft 27–34, S. 209–210, 217–218, 225–226, 233–234, 241–242, 257–259, 265–266, 273–275. W. Kohlhammer, Stuttgart 1908, Seite 217. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Tal_der_Tr%C3%A4nen.pdf/3&oldid=- (Version vom 31.7.2018)