kleinere Schriftstücke in die Wohnungen der vielen schönen Strohwitwen, die, selbst Kühlung suchend, aus der Sommerglut der Ebene aufsteigen zu den Bergen und hier manch neues Feuer entzünden. Rickschaws kamen der Einsamen entgegengesaust, gezogen von untersetzten, mongolisch aussehenden Gebirgskulis; blasse europäische Frauen lehnten darin, und eine jede, wenn sie nur ein bißchen hübsch und jung war, wurde von einem Reiter begleitet, der in Sonnenhelm, Flanellanzug und hohen Stiefeln neben ihrem leichten Gefährte trabte; der Syce, mit der Pferdedecke auf dem Rücken, keuchte hinterdrein.
Auch das – ganz wie einst.
Und doch alles so verschieden.
Damals hätte sie die Namen all der weißen Frauen und ihrer Begleiter gewußt, – heute schritt sie grußlos an ihnen vorüber. Denn sie war selbst fremd geworden, niemand kannte sie mehr; für die rasch wechselnde Gesellschaft dieser Sommerstadt gehörte sie schon zu einer entschwundenen Epoche. Aber tieferer Unterschied noch trennte sie von jenen: alle, denen sie begegnete, hatten Zwecke noch und Ziele, standen noch im Zwang des Wollens; sie aber war wie losgelöst von allem Seienden, glich, lebend noch, doch schon den Schatten, die sehnsuchtsvoll Stätten einstmaligen Lebens umschweben.
Elisabeth von Heyking: Weberin Schuld. G. Grote’sche Verlagsbuchhandlung, Berlin 1921, Seite 5. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Weberin_Schuld_Heyking_Elisabeth_von.djvu/013&oldid=- (Version vom 31.7.2018)