Ein seltsames Gefühl der Unwirklichkeit überkam die Wanderin. Wie im Traume stieg sie weiter hinan. Die Bungalows lagen nun alle hinter ihr; sie befand sich im dichten Walde. Aber ganz oben, nahe des Berges Gipfel, an den zerklüfteten Felsen gelehnt, in dessen Höhlen Gaukler, Schlangenbeschwörer und Fakire, die die heiligen Affen füttern, wohnen, – dort oben, wußte sie, stand noch ein Haus. »Das letzte Haus«, wie man es nannte. Dort hatte sie einst gewohnt. Nicht einsam damals.
Zum letzten Heim war ihr das letzte Haus geworden. Nachher – da war das schaudernde Erwachen aus dem Wahn gekommen, – aber hier, ja hier in diesem Walde, auf diesen selben Pfaden, da hatte sie ihres Lebens Traum geträumt. Unten im Bazar und zwischen den Wohnstätten der Weißen hatte sie nur all die altbekannten Gestalten wiedererkannt, die Statisten im längst gespielten Stücke ihres Lebens gewesen, – hier oben aber in des Waldes Stille, da fand sie sich selbst wieder. Sich – und ihn. – Die ganze entschwundene Vergangenheit erstand plötzlich vor ihr und füllte das tiefe Schweigen mit tausend Stimmen. Brausend rauschte es ihr aus den Kronen der knorrigen Deodare entgegen, murmelnd plätscherten es die gleitenden Quellen, säuselnd erzählte es der Wind in den Zweigen der rotblühenden
Elisabeth von Heyking: Weberin Schuld. G. Grote’sche Verlagsbuchhandlung, Berlin 1921, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Weberin_Schuld_Heyking_Elisabeth_von.djvu/014&oldid=- (Version vom 31.7.2018)