läßt! – All ihr Sein spannte sich in dem Sehnen, ihm ein Zeichen noch zu senden, nicht für alle Ewigkeit getrennt zu bleiben mit Zornesworten als letztem Abschied.
Und da, als ihr ganzes Wesen mit heißem Verlangen nach der Vergangenheit Wiederkehr rief, ging plötzlich ein leiser Hauch durch die träge Luft, und aufsteigend aus Bergesschlucht tief unten, zog ein graues Gebilde an den Abhängen herauf. Dem Schatten gleitender Wolken glich es, doch klar und wolkenlos wölbte sich des Himmels opalene Ferne. Nebelstreifen mochten es sein, wie die Einsame sie hier früher oftmals zwischen der Bäume Wipfel gesehen. Näher kamen sie ihr, von unsichtbarer Gewalt gehoben; schwebten langsam heran, als ob sie widerstrebend vernommenem Rufe gehorchten. Undeutlich noch und verschwommen, schwankend, sich biegend und schiebend, formte sich mählich der flatternde Dunst. Durchsichtige Umrisse verdichteten sich zu wehenden Gestalten, als fänden gedankenfeine Atome sich von neuem zu früherem Wesen zusammen. Aus dem wogenden, wolkigen Grau tauchten vor ihr zwei Antlitze auf, blaß, mit trostlosen Augen und abgehärmten Wangen.
Regungslos starrte sie die Erscheinung an, die ihr Sehnen aus Wesenlosem hervorgezaubert. Und sie erkannte
Elisabeth von Heyking: Weberin Schuld. G. Grote’sche Verlagsbuchhandlung, Berlin 1921, Seite 15. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Weberin_Schuld_Heyking_Elisabeth_von.djvu/023&oldid=- (Version vom 31.7.2018)