Die einsame Frau erbebte und wandte sich mit flehenden Händen an den größeren der Schatten: »Aber dich, dich hatte ich doch wahrhaft geliebt!«
Er antwortete: »War deine Liebe, die nicht zu verzeihen vermochte, denn wirklich so viel stärker als die meine, die die Treue brach? Bei der ersten Probe erlagen wir beide.«
Angstvoll, mit gebrochener Stimme, frug sie weiter: »Und dann? Dann? Was wurde aus dir?«
Dumpf drang es zu ihr: »Zum Mörder eines anderen, der durch dich seine Unehre erfuhr, hast du mich gemacht. Aus meiner Laufbahn war ich gerissen, entwurzelt trieb ich auf dunkeln Wogen, bin untergegangen im Meere des feindlich gewordenen Lebens.«
Wie rinnender Nebel flossen die bleichen Gestalten ineinander, rangen die Hände, griffen sich irr in die Haare und stöhnten vereint: »Wir mußten verderben! Du hast es gewollt.«
Am schwankenden Geländer die erschauernde Frau beugte sich vor: »Tat ich euch Böses, tat ich es mir selbst, bin lebend nur noch ein Schatten wie ihr. Vergebt mir, vergebt!«
Doch klagend nur klang es zurück aus dem Dunste: »Umsonst, umsonst! All dein Sehnen bringt nimmer die Stunde zurück, da dir gegeben Güte zu üben!«
Elisabeth von Heyking: Weberin Schuld. G. Grote’sche Verlagsbuchhandlung, Berlin 1921, Seite 17. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Weberin_Schuld_Heyking_Elisabeth_von.djvu/025&oldid=- (Version vom 31.7.2018)