auszuruhen schienen, der Stärkere drängte noch immer die Schwächeren hinab von den Stufen der Leiter, und es war eigentlich alles beim alten geblieben, weil eben in manchen Dingen überhaupt kein Wandel geschaffen werden kann. Aber auch wie von uralters her bestand das Bedürfnis weiter, sich zu täuschen, zu berauschen, weil die Menschen stets etwas haben müssen, das sie umjubeln können, einen Fetisch, den sie gläubig anjohlen, bis daß er sich als trügerisch erweist, und sie ihn stürzen, um einen neuen zu errichten. Blutende Menschenopfer hatten sie auf dem hohen Teocalli inmitten des großen Platzes zürnenden Göttern zur Versöhnung dargebracht, bis diese Götter sie in ihrer Not dem neuen Gotte gegenüber im Stich ließen, und sie nun die Götzenbilder zertrümmerten und an derselben Stätte den Tempel des fremden siegreichen Gottes errichteten, sich knechtisch vor ihm niederwerfend und alles von ihm erhoffend; Andersgläubige hatten sie dann ihm zu Ehren verbrannt und vernichtet. Aber auch er brachte ihnen nicht Erlösung von Hunger und Krankheit und Leiden. Da stürzten sie Gott den Göttern nach, hinab in den Abgrund, wo die Dinge liegen, die die Menschen überwunden zu haben wähnen, und nun war es die Freiheit, der sie zujubelten – der neue Fetisch – auch wieder von fernem Gestade jenseits des Meeres ihnen zugeführt. Hundert Jahre
Elisabeth von Heyking: Weberin Schuld. G. Grote’sche Verlagsbuchhandlung, Berlin 1921, Seite 60. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Weberin_Schuld_Heyking_Elisabeth_von.djvu/068&oldid=- (Version vom 31.7.2018)