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Heinrich Friedrich Ferdinand Schmid: Der Kampf der lutherischen Kirche um Luthers Lehre vom Abendmahl im Reformationszeitalter. Im Zusammenhang mit der gesamten Lehrentwicklung dieser Zeit.

 Wir haben schon einmal bemerkt, dass in der Weise, wie Lasco und die Seinigen auftraten, etwas Provocirendes lag. Wir haben uns dieselben nicht als Leute zu denken, welche etwa sagten, lasset uns nur unsres Glaubens leben, wie wir Euch des eurigen leben lassen. Sie sind vielmehr der Ueberzeugung, dass ihre Lehre die schriftmässige und die Form ihrer Kirche die weitaus mehr der apostolischen Zeit entsprechende sei. Beides sprachen sie in sehr unverhohlener, ja in derber und verletzender Weise aus. So wenn Lasco in seiner epistola nuncupatoria an den König Sigismund von Polen (6. Sept. 1555) die lutherische Lehre vom Abendmahl dahin beschreibt, sie sei ein reales Verstecktsein (delitescentia) des Leibes und Blutes Christi nach ihrer natürlichen Substanz im heil. Abendmahl mit dem Brod und Wein, und dazu bemerkt: nun freilich, an ein Verstecktsein des Leibes Christi hat keiner von den Alten gedacht.

 Die Hauptsache ist aber die: vor allem Lasco respektirte den Bestand der lutherischen Kirche so wenig, dass er vielmehr meinte, derselbe habe noch gar nicht die Feuerprobe eines Colloquiums ausgehalten. Auf einem solchen erst müssten sich beide Theile messen, da erst werde sich zeigen, wer von beiden Recht habe. „Es ist, sagt er in der jenem Brief beigegebenen Schrift, noch kein unparteiisches Colloquium über diesen Streitpunkt (das Abendmahl) gehalten ausser in Marburg 1529, wo man weit entfernt war, unsere Lehre zu verdammen.“[1] Auch die Berufung auf die Augustana will er nicht gelten lassen, denn an die könne er sich auch anschliessen. Auch nicht auf die Schmalcalder Artikel sollte man sich berufen dürfen, denn auch die gedächten der Sacramentirer nicht. Nach seiner Ansicht sollte die lutherische Lehre also noch gar nicht kirchlich feststehen.

 Mit diesem Gedanken, dass ein Colloquium erst entscheiden müsse, nahm er es sehr ernst. Das ersehen wir namentlich aus dem Leben Bullingers von Pestalozzi. Er wendete sich an Bullinger und an Calvin und suchte diese für Veranstaltung eines Religionsgesprächs zu gewinnen, auf dem beide Theile ihre


  1. Mönckeberg p. 73.
Empfohlene Zitierweise:
Heinrich Friedrich Ferdinand Schmid: Der Kampf der lutherischen Kirche um Luthers Lehre vom Abendmahl im Reformationszeitalter. Im Zusammenhang mit der gesamten Lehrentwicklung dieser Zeit.. J. C. Hinrichs’sche Buchhandlung, Leipzig 1868, Seite 179. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Kampf_der_lutherischen_Kirche_um_Luthers_Lehre_vom_Abendmahl.pdf/203&oldid=- (Version vom 1.10.2017)