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Heinrich Friedrich Ferdinand Schmid: Der Kampf der lutherischen Kirche um Luthers Lehre vom Abendmahl im Reformationszeitalter. Im Zusammenhang mit der gesamten Lehrentwicklung dieser Zeit.

kann man noch zweifeln, ob sie dabei ganz so planmässig verfahren sind, als der Kurfürst annahm.

 Wenden wir uns von ihnen zu den Aussagen, welche die Wittenberger Theologen in Torgau abgegeben haben. Sie liefern den Beweis, dass dieselben der lutherischen Lehre sehr fern standen.

 Ihnen waren jene vorhin erwähnten Artikel über das Abendmahl (articuli affirmativi et negativi) zur Unterschrift vorgelegt[1]


  1. Mit diesen Artikeln hat es freilich eine eigene Bewandtniss, welche früh bemerkt wurde. Es wird darin einerseits zwar das Brod im Sacrament der Leib Christi genannt, die manducatio oralis und der Genuss auch von Seite der Ungläubigen bekannt. Andererseits aber findet darin an manchen Stellen eine Berufung auf Luther und Melanchthon Statt. Die Lehre wird einigemale mit den Worten Melanchthons gegeben, das Auffallendste aber ist, dass darin die carnis ubiquitas verworfen wird. Heppe thut indess doch der Sache zu viel, wenn er sagt, die Acte beweise thatsächlich, dass die kursächsischen Kirchenobern nur im Zustand absoluter Bewusstlosigkeit die Verdammung des Philippismus ausgesprochen hätten (II, 433). Die Sache ist vielmehr die: die Verfasser der Artikel gehen von der Voraussetzung aus, dass Melanchthon in der Lehre mit Luther einig gewesen sei, und unterscheiden also dessen Lehre von der, welche sie bei den jetzigen Philippisten fanden. In gewissem Sinn war ja diese Voraussetzung auch statthaft. Sie konnten immerhin für die praesentia substantialis et veri corporis sich auf Luther, Melanchthon und Pomeranus berufen, und so liessen sich auch die Stellen, welche wenigstens an Melanchthon anklingen, noch in gutem Sinn auslegen: aber weil sie auch in verfänglichem Sinn ausgelegt werden konnten und wirklich ausgelegt wurden, war ihre Anführung ein Missgriff. Derselbe erklärt sich aber daraus, dass die Verfasser offenbar zu denen gehörten, welche den Melanchthon noch lutherisch auslegten, und von jenen, welche die Artikel jetzt unterschreiben sollten, annahmen, dass sie in das Lager der Calvinisten übergegangen seien, weshalb sie in den Artikeln sich auch besonders viel mit Abwehr der calvinischen Irrthümer abgaben. Solcher Theologen mag es allerdings damals Viele in Kursachsen gegeben haben, welche, indem sie nicht jenen entwickelten Melanchthonismus, wie man es jetzt ausdrückt, theilten, den Melanchthon noch im Sinn Luthers deuten zu dürfen glaubten. In diese Klasse werden wir auch den alten G. Major rechnen dürfen, der betreffs der vorgelegten Artikel die Erklärung abgab: „ego hanc doctrinam semper retinui et nunquam abjeci. Man soll τὸ ῥητόν behalten et oralem manducationem. Didici hanc doctrinam ante 50 annos a Luthero .. neque Calvini, neque aliorum errores de sacramento probo.“ Dass diese Theologen noch nicht die Klarheit besassen, deren es bedurft hätte, um bei dieser Gelegenheit Artikel zu stellen, ist freilich anzuerkennen, und so zeigt sich namentlich in der Verwerfung der ubiquitas carnis Christi, dass [287]
Empfohlene Zitierweise:
Heinrich Friedrich Ferdinand Schmid: Der Kampf der lutherischen Kirche um Luthers Lehre vom Abendmahl im Reformationszeitalter. Im Zusammenhang mit der gesamten Lehrentwicklung dieser Zeit.. J. C. Hinrichs’sche Buchhandlung, Leipzig 1868, Seite 286. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Kampf_der_lutherischen_Kirche_um_Luthers_Lehre_vom_Abendmahl.pdf/310&oldid=- (Version vom 1.10.2017)